„Da! Der gehört zur VoPo!“ – „Ein Kommunistenhund!“
Flucht nach Berlin ~ BRD/CH/USA 1960
Directed By: Will Tremper
In der Nähe von Dessau, 1960: Als er sich hartnäckig weigert, sich von dem aggressiven SED-Schergen Baade (Christian Doermer) für die LPG anwerben und somit zwangskollektivieren zu lassen, sieht Bauer Hermann Gueden (Narziß Sokatscheff) für sich und seine Familie nurmehr einen Weg aus der zunehmend unerträglichen Bredouille – raus aus der DDR und rein nach West-Berlin. Gueden flieht unabhängig von Frau und Sohn mitten durch die Wälder, die Schweizerin Doris (Susanne Korda) im Schlepptau, die ihn eigentlich nur ein Stück mitnehmen wollte. Doch auch Baade selbst bekommt Ärger mit der Parteispitze: Sein Versagen wird ihm als persönliche Inkompetenz ausgelegt, was ihn dazu treibt, bei Ulbricht persönlich vorstellig zu werden. Doch auch der Weg nach Ost-Berlin erweist sich für den seiner Papiere entledigten Baade als gefährliches Hindernisrennen. Am Ufer der Havel angekommen, treffen er und Gueden ein letztes Mal aufeinander…
Will Trempers Regiedebüt muss ohne Wenn und Aber einen festen Platz in jedem Kanon des Deutschen Kinos bekleiden. Tremper traut sich, Zeitgeschichte ungeschönt und ohne Angst vor dem Vorwurf des Tendenziösen kraftvoll und unterhaltsam aufzubereiten und präsentiert sein Werk dabei, wenngleich sicherlich wechselseitig beeinflusst, als Produktion von internationalem Qualitätsstandard. Immerhin gehört der Topos „Jagd & Flucht“ in all seinen multiplen Variationen zu den traditionsverhaftetsten des Genrefilms; wenn damit dann auch noch zeitgenössische Politik verwoben wird, dann obliegt dem Filmemacher eine ziemliche Verantwortung. Tremper schreckt vor diesem großen Anspruch nicht zurück; er scheut zwar nicht davor, die Ostrepublik als von staatlicher Willkür pevertiertes, gewaltiges Volksgefängnis, das sein ideologisches Fundament auf der systemkritischen Nachkriegsgeneration (hier repräsentiert durch den brillant spielenden Christian Doermer) aufbaut, zu denunzieren, begeht dabei jedoch ebensowenig den Fehler, den Westen unkritisch als Paradies der Freiheit zu verkaufen: Die „West-Berührungen“, die „Flucht nach Berlin“ sich gestattet, sind nicht sonderlich sympathisch. Beginnend mit der aus unerfindlichen Gründen in der „Ostzone“ herumrasenden schweizer Journalistin, deren Zivilcourage erst durch die Aktivierung ihres schlechten Gewissens geweckt wird und die sich später für Gueden, anders als geplant, als greinender Klotz am Bein herausstellt und fortgesetzt mit einer verstrahlt-dekadenten Party-Gesellschaft, die auf einer Miniyacht auf der Havel herumschippert und dabei das von Nina Westen gewisperte Easy-Listening-Stück „High Snobiety“ spielt, erlebt Trempers deutsch-deutscher Clash seinen Höhepunkt im Zuge eines geradezu fürstlich erdachten Bildes: Ein Spürhund der Volkspolizei durchschwimmt bei der Verfolgung von Baade die Havel bis zum gegenüberliegenden Weststrand, wird von den dortigen Badegästen wie ein unpassender Fremdkörper beäugt und beschimpft (s. Zitat) und tritt schließlich, ängstlich und verwirrt, die Rückreise durchs Wasser an. Einen treffenderen Kommentar zur innerdeutschen Entfremdung jener Jahre habe ich selten gesehen.
8/10