MR. TURNER

„The sun is God!“

Mr. Turner ~ UK/F/D 2014
Directed By: Mike Leigh

Der im späten 18. und 19. Jahrhundert aktive englische Maler William Turner (Timothy Spall) wird bereits früh Mitgliede der „Royal Academy“, der führenden, zudem sehr elitären Künstlervereinigung im Königreich, deren Ausstellungen regelmäßig auch von den Monarchen besucht (und kritisch begutachtet werden) und den jeweils zeitgemäßen Stil vorgeben. Um sich für seine Landschaftsgemälde in die adäquate Gefühlsstimmung wogen zu lassen, unternimmt Turner etliche Reisen und begibt sich teilweise in Extremsituationen: so lässt er sich während eines groben Unwetters an den Mast eines Schoners fesseln. Mit seinem Vater (Paul Jesson) verliert Turner zugleich seine wichtigste Bezugsperson und den besten Freund. Später findet er Halt bei der mehrfach verwitweten Pensionsbetreiberin Sophia Booth (Marion Bailey), derweil er die sehnsüchtige Liebe seiner intellektuell einfachen Haushälterin (Dorothy Atkinson) nur spärlich erwidert. 1851 stirbt Turner mit 76 Jahren an einer durch stete Überanstrengung hervorgerufenen Lungenerkrankung.

Eine paradoxerweise ebenso geschlossene wie exzentrische Künstlerbiographie hat Mike Leigh da über den berühmten Romantiker William Turner ins Feld entlassen. Der Film setzt recht spät in Turners Leben ein; etwa um das Jahr 1829, dem Todesjahr seines geliebten Vaters, in dem Turner bereits Mitte 40 war. Ordentlich begütert und bereits zu Schaffenszeiten allerorten geschätzt, bildet das Ableben von Turner Sr. vielleicht die bedeutendste persönliche Zäsur im Leben des Malers: Depressionsschübe und das vehemente Gefühl von Einsamkeit werden zu seinen stetigen Begleitern. Leigh zieht es derweil vor, diverse Episoden aus Turners späteren Jahren kaleidoskopartig zu vereinen; seine Begegnungen mit dem im Vergleich zu ihm selbst wenig begünstigten Maler Benjamin Haydon (Martin Savage), seine Ausflüge in die High Snobiety, die sich ihm mal anbiedert und mal verschließt, je nach Aktualität seines Werks. Ein Besuch der jungen Königin Victoria (Sinead Mathhews) in einer Jahresausstellung der Royal Academy verursacht schließlich einen Umschwung bezüglich Turners allgemeiner Beliebtheit; ihr verbales Naserümpfen genügt, um Turner zumindest phasenweise zur persona non grata abzuurteilen, was sich etwa öffentlich in spöttischem Kabarett niederschlägt. Eine treffliche Veranschaulichung des nunmehr kaum vorstellbaren Paradigmas, wie dürstend nach Maßgabe die britische Sozietät einst an den Lippen ihrer Monarchinnen zu hängen pflegte. Timothy Spalls grummeliges Spiel transportiert die Widersprüchlichkeiten William Turners in brillanter Weise – hier der polternde, misogyne Lebemann, dort der emotionsanfällige, liebenswerte Freigeist. Leighs Dialoge sind von scharfsinnigem Zeitkolorit und deftiger Ironie besetzt; die kräftigen, scharfen Bilder (Leigh-Standard Dick Pope) derweil kontrastieren Turners farblich weiches, erdiggelbes Spätwerk ausgezeichnet. Dass dazwischen noch Zeit ist, um zeitgenössische Bewegungen und Themen von Kindersterblichkeit bis Industrialisierung anzureißen, gereicht „Mr. Turner“ gewissermaßen zum ultimativen Finish.

9/10

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