D.O.A.

„The woman always gets hurt more than the man.“

D.O.A. (Opfer der Unterwelt) ~ USA 1950
Directed By: Rudolph Maté

Eine als Vergnügungstrip geplante Reise nach San Francisco entwickelt sich für den unzufriedenen Kleinstadtnotar Frank Bigelow (Edmond O’Brien) zur Todesfalle. Ohne es zu merken, wird er beim Gang in einen Jazzclub vergiftet, als ein Unbekannter seinen Drink mit einem tödlichen Serum vertauscht. Am nächsten Tag quälen ihn starke Magenschmerzen; der Gang zum Krankenhaus offeriert die niederschmetternde Diagnose: Frank hat höchstens noch eine Woche zu leben, bis ihn das konsumierte Gift töten wird. Zeit immerhin, um den eigenen Mörder und dessen Motiv ausfindig zu machen, während dessen Suche Frank in ein Wespennest aus vertauschten Identitäten, Lügen und Verbrechen vorstößt.

Vom Kameramann mauserte sich der polnschstämmige Rudolph Maté, der zu den vielen im Bereich der Siebenten Kunst tätigen Emigranten zählte, welche sich gezwungen sahen, Europa während der dreißiger Jahre den Rücken zuzukehren, zum Regisseur, der nicht viele, dafür aber umso prägnantere Glanzlichter in unterschiedlichen Genres setzen konnten. Der für kleines Geld von einem Indie (Cardinal Pictures) produzierte „D.O.A.“ bildete Matés vierte inszenatorische Arbeit und wartete mit einem ebenso simplen wie cleveren Exposé auf: Ein Mann betritt das Morddezernat und gibt an, er wolle einen Mord melden. Auf die Frage des Beamten, wer das Opfer sei, gibt der Mann an: „Ich“, was bereits Einiges an „Aha-Effekten“ verursacht haben dürfte. Für den seltener in Hauptrollen anzutreffenden Edmond O’Brien bildete der Part des Frank Bigelow, des Mannes, der seinen eigenen Mörder sucht, möglicherweise die größte Hinterlassenschaft seiner Karriere, die er mit der gesamten emotionalen Palette des gelehrten Akteurs umrahmt: Verzweiflung, Trauer, Wut, Resignation, Angst, Besessenheit, Niedergeschlagenheit. Bigelow durchlebt eine Woche affektiver Achterbahnfahrt, bevor ihn schließlich das Unvermeidliche ereilt. Schwärzer gebt es bei genauerem Besehen kaum; der Zuschauer wird eingeladen zu einer Reise an der Seite eines faktisch bereits toten Protagonisten, dessen verzweifelte Suche nach Gerechtigkeit seine finalen Lebensstunden bestimmt. „D.O.A.“ ist dabei voll von einprägsamen Szenen und Einstzellungen; diverse Sequenzen sind auf offener Straße gedreht, die Reaktionen der Passanten, zwischen denen Edmond O’Brien auf der Flucht vor seinem Tod umherrennt, fraglos authentisch. Das berühmte Bradbury Building kommt vor, oftmals Schauplatz prägnantester Showdowns von „Blade Runner“ bis „Murphy’s Law“ und verleiht bereits durch seinen bloßen Einsatz „D.O.A.“ eine altehrwürdige Textur. Den ohnehin stets etwas verrückt ausschauenden Neville Brand als sadistischen Psychopathen zu besetzen war ein nicht minder  Dass die künstlich etwas verkomplizierte Story, die sich auf die simple Trinität „Opfer/Täter/MacGuffin“ herunterbrechen lässt, letztlich dazu fungiert, die brillante Grundidee in teils unnötig verworrener Weise auf Spielfilmlänge zu strecken, ist angesichts der sonstigen Hochklassigkeit von „D.O.A.“ kaum der Rede wert.

8/10

NIGHT HAS A THOUSAND EYES

„The stars keep watching.“

Night Has A Thousand Eyes (Die Nacht hat tausend Augen) ~ USA 1948
Directed By: John Farrow

Vom Illusionisten zum echten Wahrsager: Im Laufe seiner Varieté-Karriere entwickelt der mit Taschenspielertricks arbeitende John Triton (Edward G. Robinson) echte hellseherische Fähigkeiten – eher ein Fluch, denn eine Gabe, da er häufig auch Unglücke voraussieht, deren Verlauf er nicht aufzuhalten vermag. Als er voraussieht, dass Jean Courtland (Gail Russell), die Tochter seiner früheren Verlobten (Virginia Bruce) ermordet werden soll, setzt er alles daran, das Schreckliche zu verhindern.

Mit „Night has A Thousand Eyes“, der auf einem Roman des oftmals für Filmadaptionen befleißigten Cornell Woolrich basiert, wagt der film noir einen seltenen Brückenschlag zum Mystery-Thriller. Die tragisch angelegte Figur des ebenso zur Zukunftssichtung wie zur Hilflosigkeit verdammten John Triton nimmt sich dabei aus als ein klassischer Archetypus des Phantastischen. Seine nicht steuerbaren, ihn wie Blitzlichter befallenden Visionen von Dingen, die da kommen werden, bereiten ihm selbst größte Ängste, derweil Andere wahlweise ihren finanziellen Nutzen daraus ziehen oder ihn für einen Scharlatan halten. Triton selbst treibt seine Fähigkeit zunächst für viele Jahre weg von seiner großen Liebe, die er durch sich selbst gefährdet sieht und hinein in die selbstgewählte, soziale Isolation. erst Dekaden später erfüllt sich in schicksalhafter Weise sein Lebenszweck: Die Tochter, die seine hätte sein können und dann doch die seines ehedem besten Freundes wurde, schwebt in tödlicher Gefahr. Für Triton die finale Möglichkeit, sein Hellsehertum zum Guten einzusetzen, selbst unter dem ebenfalls angekündigten Damoklesschwert des eigenen Ablebens.
Wo der klassische film noir als Genre niemals wirklich eine solipsistische Position einnahm, sondern bei genauerem Hinschauen immer wieder in logisch verwandte Territorien vorstieß, etwa den Liebesfilm, den Polizeifilm, den Serienmördererfilm, den Spionage-, Gangster- und Hard-Boiled-Film oder auch den Kostümfilm, bildeten phantastisch angehauchte Sujets eher eine Rarität. Lewis Allens „The Univinted“ und später Jacques Tourneurs „Night Of The Demon“ bildeten entsprechende Beispiele. „Night Has A Thousand Eyes“ liebäugelt etwas weniger handfest mit dem Übersinnlichen; es gibt keine Geister oder Teufelsspuk; lediglich einen einsamen Mann mit ungebetener Begabung, die ihn letztlich zwingt, sich mit seinem eigenen, vorbestimmten Tod zu arrangieren. Für Edward G. Robinson, der den Film selbst offenbar wenig wertschätzte, eine klare Ausnahmerolle, die ihn als traurigen, stillen Verzweifelten präsentiert. Ich hätte mir für den Part des John Triton auch vortrefflich Peter Lorre vorstellen können, dem ihre tief melancholische Färbung sicherlich ebenfalls bestens zupass gekommen wäre.
Kein großer Film, bleibt „Night Has A Thousand Eyes“ – mit Ausnahme einer seltsam eklektisch wirkenden Plansequenz – den Limitierungen seines routinierten Regisseurs unterworfen, kann jedoch als sehenswertes Werk bestehen für jenen Chronisten, der gewillt ist, etwas tiefere Blicke in die Schatzkisten Hollywoods zu werfen.

7/10