KISS OF DEATH

„You should give yourself an acronym… cause it helps you visualize your goals.“

Kiss Of Death ~ USA 1995
Directed By: Barbet Schroeder

Jimmy Kilmartin (David Caruso) hat Familie, ist auf Bewährung und will mit seinem früheren Milieu, der New Yorker Automafia, nichts mehr zu tun haben. Dann lässt er sich von seinem schmierigen Cousin Ronnie Gannon (Michael Rapaport) aber doch überreden, bei einer nächtlichen Verschiebungsaktion einen Transporter zu fahren. Es kommt, wie es kommen muss: Die Sache fliegt auf, Jimmy wird erwischt, angeklagt und wandert ein. Während seines Knastaufenthalts stirbt seine Frau Bev (Helen Hunt) bei einem Unfall, den indirekt auch Ronnie mitverschuldet hat. Jimmy rächt sich auf spezielle Art, ist jedoch noch lange nicht aus dem Schneider: Als Preis für seine Freiheit soll er dem ehrgeizigen Staatsanwalt Frank Zioli (Stanley Tucci) als V-Mann dienen und den brutalen Gangster „Little Junior“ Brown (Nicolas Cage) überführen. Doch wieder wird Jimmy gelinkt und muss auf seine eigene Cleverness setzen, um Zioli auszutricksen.

Der überaus seltene Fall eines seinem Vorbild mindestens ebenbürtigen Remakes, und dies aus mehrerlei Gründen: da wäre vorrangig der Verzicht auf eine allzu sklavische Betrachtung und Behandlung von Hathaways großartigem Original zu nennen. Dieses war und ist im Kontext seiner Ära und Gattung ein vordringliches Meisterwerk, das besonders das Motiv des in der Zwickmühle sitzenden V-Mannes kristallin herauszuarbeiten vermochte und mit dem von Richard Widmark gespielten Soziopathen Tommy Udo einen der diabolischsten Gangster des Kinos entwickelt hatte. Legendär die derbe Szene, in der Widmark/Udo eine alte Dame im Rollstuhl die Treppe herunterstößt, um dadurch ihre verzweifelten Bemühungen, ihren Sohn vor Udo zu schützen, zu kommentieren. Schroeders Neuverfilmung befindet es erst gar nicht für notwendig, diese Sequenz zu readaptieren; wiederum ein klares Signal zugunsten dessen Autarkie. „Kiss Of Death“ 95 verpflichtet sich eher dem just von Quentin Tarantino etablierten Stil der markanten Unterwelttypen, derer er dann auch gleich eine ganze Phalanx bereithält und nicht zuletzt mit der Besetzung der beiden „Pulp Fiction“-Recken Samuel L. Jackson und Ving Rhames noch zusätzlichen Respekt zollt. Glücklicherweise vermeidet Schroeder auch in diesem Falle jedoch eine allzu offensichtliche Anbiederung oder gar den Versuch eines möglichen Gleichziehens: Jackson gibt jetzt einen eher biederen, wortkargen Polizisten mit persönlicher Agenda, eine durchaus traditionsbewusste Figur also, derweil Rhames eher als lustiger, vollbekokster Knallcharge in einer eher schmückenden, kleinen Nebenrolle zu sehen ist. David Caruso, wie eh und je glaubwürdig-gut als harter, irischstämmiger Knochen ist ebenfalls eine Bank. Die klar überstrahlenden Momente allerdings sind jene mit Nicolas Cage, der fast unmittelbar danach in „Leaving Las Vegas“ eine vollkommen diametral angelegte Rolle übernehmen und nicht zuletzt deshalb von (s)einer gewaltigen Bandbreite künden konnte. Als Little Junior Brown ist er zwar kein zweiter Tommy Udo, verleiht der zunächst unmöglich anmutend kompilierten Figur eines annähernd imbezilen Vatersöhnchens, neurotischen Asthmatikers, bodybuildenden Proleten, sadistischen Psychopathen, Gewaltverbrechers und Nachfolgegangsterbosses jedoch ein prächtiges Antlitz zwischen Wucht und Wahnwitz. Darin, einen solch klassisch aufgeladene Part nicht einfach wiederaufzulegen, sondern geschickt zu aktualisieren, liegt ja dann doch wieder ein Stück ernstzunehmende Eherbietung.

9/10

LEGENDS OF THE FALL

„Forever turned out to be too long.“

Legends Of The Fall (Legenden der Leidenschaft) ~ USA 1994
Directed By: Edward Zwick

Montana, um 1914: Der alternde Veteran William Ludlow (Anthony Hopkins) lebt mit seinen drei Söhnen Alfred (Aidan Quinn), Tristan (Brad Pitt) und Samuel (Henry Thomas) auf einer abgelegenen Ranch. Nach seinen Erfahrungen in den Indiaerkriegen hat Ludlow den Vertrauen in Staat und Recht verloren und sich mit seinem alten Freund, dem Cree-Krieger One Stab (Gordon Tootoosis) und seiner Familie in die Einöde zurückgezogen. Als Samuel, der Jüngste, von seinem Studium im Osten zurückkehrt, bringt er seine Verlobte Susannah (Julia Ormond) mit, in die sich auch Tristan und Alfred verlieben. Susannah selbst hat bald nur noch Augen für den wildwüchsigen Tristan, einen rechten Naturburschen. Doch alle drei Brüder folgen, zum höchsten Unwillen des Vaters, dem Ruf des in Europa ausgebrochenen, Ersten Weltkriegs und finden sich bald in den französischen Schützengräben wieder. Tristan kann seinen privaten Eid, Samuel wieder gesund heimzubringen, nicht erfüllen: Der Junge stirbt im MG-Gewitter der Deutschen. Anstatt wieder daheim seinen Gefühlen nachzugeben und Susannah zu heiraten, flüchtet sich Tristan in Schuldkomplexe und zieht fortan für viele Jahre als ruheloser Abenteurer um die Welt. Alfred baut sich derweil daheim im Städtchen Helena einen Namen und ein Vermögen auf und gewinnt Susannah für sich. Als Tristan endlich nach Hause zurückkehrt, findet er den Vater von einem schweren Schlaganfall gezeichnet und verarmt. Tristan wird Alkoholschmuggler und gründet mit der Halbindianerin Isabel (Karina Lombard) eine Familie. Doch das Glück ist nicht von Dauer, denn die Ganovenkonkurrenz paktiert mit der Polizei.

Jesus H. Christ, diese gewaltige Kitschoper von Edward Zwick ist ja mal nichts Geringeres als der „Showgirls“ des Neowestern! Erst einmal vor rund zwanzig Jahren gesehen, hatte ich, der ich ja ein unbedingter Liebhaber von – gern auch extraspeziell campigen –  Hollywood-und/oder Historien-Epen bin, Lust, diese großatmige Familienchronik und Americana wieder aufzufrischen. Was ich vorfand, war so ziemlich das Unverfrorenste und Geistesärmste an Klischeetransport, das ich, zumindest in dieser monetären Größenordnung, auf Monate, wenn nicht Jahre zurückblickend zu vergegenwärtigen vermag. Unglaublich! Selbst jeder deutsche Wirtschaftswunder-Heimatfilm veräußert seine Figuren und deren Geschicke subtiler als es Edward Zwick und seine Autoren in „Legends Of The Fall“ praktizieren; selbst Höhlenmalerei erzählt ihr Sujet nunancierter als dieses Pilcher-/Roberts-/Steel-Konglomerat. Die betont pompöse Geschichte gibt sich garantiert mit keiner Verringerung eines ihrer Aspekte zufrieden; jeder einzelne Charakter muss gleich ein Archetypus sein, jede Einstellung ein Gemälde, jede Score-Okatve (Komponist James Horner ist vielleicht sogar der größte Schurke auf diesem opulenten Schurkenbasar — Jessas!) eine Sinfonie, jeder historische Bezug ein Stück Welterläuterung, jeder Racheakt ein Manifest der Vergeltung! Hier wird so dermaßen geklotzt, der Rezipient so überwältigt und durch durch die Mangel gedreht, dass jener sich im Nachhinein dreifach gehirngewaschen wähnt. Größte Attraktion der hochromantischen Liebestunnelfahrt ist natürlich Brad Pitt, der seinen späteren Ruhm, auch, wenn er sich deswegen hoffentlich noch heute in Grund und Boden schämt, vor allem der vorliegenden Schmonzette verdankt. Dieser Tristan Ludlow, den er hier spielt, ist so schön, so männlich, kernig, stark und gefühlvoll, dass selbst die Götter im Olymp noch neidisch zu ihm aufblicken müssen. Ätherischer noch als Rhett Butler, Rick Blaine und Robert Jordan in einer Person durch(sch)reitet und durchleidet er diesen Film, dass jeder andere männliche Mensch, der sich hierher verirrt, nur noch beschämt zu Kreuze kriechen kann. Natürlich hat er auch ein weibliches Äquivalent in der Person der armen Susannah Fincannon (Julia Ormond), der es trotz all ihrer wollüstigen, aber moralisch verdammenswerten Leidenschaft nicht vergönnt ist, den existenziellsten Auftrag der Frau auf Erden zu erfüllen: nämlich ein Kind zu bekommen. Dass sie sich am Ende, im Angesicht des kompletten Versagens, nurmehre eine Kugel durchs Haupt jagen kann, steht außer Frage. Die Beziehung der Brüder zueinander hat ebenfalls Bilderbuch-Charakter, findet sich in ihr doch samt und sonders jedweder Aspekt, der eine Brüderbeziehung wahlweise auszeichnen und zur Privathölle machen kann. Auch der alte Patriarch (und, ganz wichtig, Veteran!), der den Menschen liebt und den Krieg verabscheut, ist der denkbar schmuckste Vertreter seines Figurenstandes. Als Hopkins dann allerdings den vom Schlaganfall Gezeichneten spielen muss, sein Gesicht wie von einer albernen Grimasse verzehrt und ein Täfelchen um den Hals, über das er (auf dem Kopf schreibend) mit seiner Umwelt kommuniziert, da kann man einfach nicht mehr ernst bleiben, dann ist einer der vielen Momente dieses Films erreicht, indem er jede Lächerlichkeitsgrenze erbarmungslos hinter sich lässt und einfach weiter in sein Verderben rennt.
Natürlich macht gerade jene bombastisch dreiste Unverfrorenheit dieses unikale Stück, ebenso wie etwa den erwähnten „Showgirls“, besonders sehenswert. Filme wie diese scheitern so brachial auf ganzer Linie, sind so dermaßen missglückt und voller Fremdschampotenzial, dass es wiederum gleichermaßen Wagnis, Folter und Freude ist, sich auf sie einzulassen. Insofern prallt hier auch einmal mehr die abschließende Punktwertung gegen die Wände der Vernunft: man weiß, dass es totale Scheiße ist, einen Platz im Herzen belegt es aber dennoch, man stellt es sich gar gern ins Regal. Das ändert am Ende aber alles nichts daran, dass es totale Scheiße bleibt.

3/10

THE SHOUT

„Do you think it’s morally indecent to kill your own children?“

The Shout (Der Todesschrei) ~ UK 1978
Directed By: Jerzy Skolimowski

Im Zuge eines Cricket-Spielnachmittags auf dem weitschweifigen Grundstück einer psychiatrischen Klinik hört sich der Besucher Robert Graves (Tim Curry) eine höchst merkwürdige Geschichte an, die ihm der selbst zu den Patienten zählende Punktrichter Charles Crossley (Alan Bates) über den ebenfalls zugegenen Anthony Fielding (John Hurt) erzählt: Der Avantgarde-Musiker und Klangwissenschaftler Fielding lebte dereinst mit seiner Gattin Rachel (Susannah York) an der beschaulichen Küste von North Devon, als Crossley in der Gegend auftaucht. Nach 18 Jahren bei den Aborigines im australischen Outback hatte sich Crossley selbst einige mystische Fähigkeiten und vor allem die archaische Weltanschauung der Eingeborenen angeeignet. Tatsächlich hat Crossley es einzig und allein auf Rachel abgesehen, die er dann auch mittels eines speziellen Zaubers gänzlich für sich gewinnt. Anthony beginnt, Crossley zunächst zu belächeln, dann zu hassen und schließlich zu fürchten; zumal der myseriöse Fremde im Besitz einer gefährlichen Körperwaffe ist: Des Todesschreis, der, einmal ausgestoßen, alles Leben im Umkreis von Kilometern zum Stillstand bringen kann…

Mysterienkino, für mein Dafürhalten zumindest stellenweise etwas zu kunstgewerblich und exzentrisch, um mich wirklich in seinen Bann zu ziehen. Dabei ist Vieles durchaus unverkehrt an „The Shout“, das großartige (und großartig aufspielende) Ensemble, die zum zusätzlichen Protagonisten deklarierte und entsprechend vorrangig abgelichtete Dünen-Landschaft Nord-Devons, der Klingenritt zwischen ernstem Horror und absurder Ironie. Allein das Ganze ist viel zu umständlich erzählt und derart vollgepfropft mit allenthalben unschlüssigen Wendungen und Abzweigungen, fehlgeleiteten Symbolismen und Interpretationsfreiräumen, dass es irgendwann zu viel wird und der Film seine eigene, potenzielle Qualität mit Füßen tritt. Ich möchte meinen, der auf einer Kurzgeschichte des renommierten Autors und Mystizisten, im Film von Tim Curry verkörperten Robert Graves basierende Stoff war bei einem eher exaltierten Filmemacher wie Solimowski nicht unbedingt in den allerbesten Händen. Skolimowskis Interesse an allzu unterschiedlichen Aspekten des Sujets, die sich in meiner Wahrnehmung am Ehesten als Gesellschafts- und Ehe-Satire veräußern, sorgen dafür, dass die basale Story, in der es schlicht darum geht, dass eine gelangweilte Ehefrau sich an einen wildwüchsigen Herumtreiber verliert und völlig von ihm vereinnahmen lässt, derweil der gehörnte Gatte sich buchstäblich in die Wüste geschickt findet, stark an Zugkraft und Spannung einbüßt. Etwas mehr straightness wäre ratsam gewesen, wo Skolimowski es vorzieht, sich einen verschmitzten, wenngleich imposant exekutierten, Leinwandscherz zu gestatten.

6/10

DESTINATION MOON

„The first country that can use the Moon for the launching of missiles will control the Earth. That, gentlemen, is the most important military fact of this century.“

Destination Moon (Endstation Mond) ~ USA 1950
Directed By: Irving Pichel

Der große Traum von Dr. Charles Cargraves (Warner Anderson) und seinem Freund General Thayer (Tom Powers) ist es, erfolgreich eine selbstkonstruierte Rakete ins All zu schicken und die ersten Menschheitsverteter auf dem Mond zu sein. Nach einem derben Fehlschlag gibt es keine weiteren Regierungssubventionen und so obliegt es den Männern, Privatinvestoren für Ihr ehrgeiziges Ziel zusammenzutrommeln. Mithilfe des Visionärs Jim Barnes (John Archer) gelingt das Vorhaben und die Rakete kann, bemannt von Cargraves, Thayer und Barnes selbst sowie dem etwas einfältigen Funker Joe Sweeney (Dick Wesson), früher als erwartet starten. Die Reise gelingt trotz einiger gefährlicher Zwischenfälle und selbst das unerwartete Problem des mangelnden Treibstoffs für den Rückflug zur Erde kann das Quartett mit einigem Erfindungsgeist lösen.

Einer der ersten wirklich bedeutsamen Science-Fiction-Filme, dem sogar die ursprüngliche Genrebezeichnung, anders als seinen vielen Nachzüglern, in denen Flüge zu Nachbarplaneten, Alien-Invasionen und anderer Zukunfts-Kokolores bestimmende Elemente sein würden, noch vollends zukommt. Insbesondere eine ganz wunderbare Szene, in der Jim Barnes sämtliche potenziellen Sponsoren in der Person der wichtigsten US-Großmogule aus allen möglichen Wirtschaftssparten versammelt hat und sie mithilfe eines selbst für Kleinkinder verständlichen „Woody-Woodpecker“-Cartoons für sein Vorhaben gewinnen kann (Spielberg hat diesen charmanten Kniff des Herunterbrechens kompliziertester wissenschaftlicher Zusammenhänge auf begreifbares Grundschulniveau für „Jurassic Park“ wieder aufgegriffen), spricht Bände über den damals im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg aufkommenden ‚race for space‘ der Supernationen und formuliert grassierende Ängste und Visionen: Wer den Weltraum beherrscht, hat größtmögliche strategische Vorteile und beherrscht somit auch die Erde. Dass jenes Interesse speziell den reichsten – und demzufolge hervorstechendsten – Nutznießern der kapitalistischen West-Ordnung zukommt, im Prinzip sogar noch viel mehr als Politik und ökonomischem Mittelstand, ist nur eine der hellsichtigen Überlegungen des Scripts zu „Destination Moon“. Natürlich gilt es gerade jene für das Projekt ‚Zukunft‘ zu begeistern, wenn ihre Imperien auf lange Sicht Bestand haben sollen. Dass zudem mit relativ bescheidenen Mitteln ordentliche Effektarbeit geleistet wurde und trotz aller technischen Naivität (die sich hierbei im Vergleich zu „phantastischeren“ Artgenossen allerdings noch in gesundem Rahmen bewegt), passt wiederum auf ganzer Linie zu diesem intelligenten Genre-Repräsentanten.

8/10