I MELT WITH YOU

„So, this is a reunion, huh?“

I Melt With You ~ USA 2011
Directed By: Mark Pellington

Wie jedes Jahr treffen sich auch in diesem Frühling die vier College-Freunde Richard (Thomas Jane), Ron (Jeremy Piven), Jonathan (Rob Lowe) und Tim (Christian McKay) zu einem einwöchigen Gelage, wie jedes Jahr organisiert Richard die ganze Sache. Diesmal hat man eine mondäne Strandvilla bei Monterey gemietet, Alkohol und Drogen sind in rauen Mengen vorhanden. Doch in diesem Jahr ist etwas anders als sonst: Alle vier Männer sind 44 geworden und alle vier erkennen mehr oder weniger freimütig, dass ihre jeweilige Position im Establishment von Lug und Betrug, Versagen und Misserfolg geprägt ist. Da erinnert sie der stille, sensible Tim mittels eines verzweifelten Akts an einen vor 25 Jahren geschlossenen Pakt, der nunmehr seiner termingerechten Erfüllung harrt…

„The Big Chill“, unversöhnlich und in finsterste Melancholie getaucht. Man stelle sich vor, in Kasdans Film wäre der freiwillig aus dem Leben getretene Alex nur der Erste gewesen, der seine frühere Clique an ein lang zurückliegendes Versprechen erinnert hätte und die anderen wären ihm nachgefolgt. „The Big Chill“ wäre womöglich verdammt und gehasst worden, hätte er überhaupt jemals das Licht der Welt erblickt. Rund dreißig Jahre später nun, die Generation der damaligen Kinder steht vor derselben Zerreißprobe, sehen Film und Welt anders aus. Zwar hat eine gewisse Entpolitisierung stattgefunden, das Gefühl der Freiheit jedoch ist noch präsent und Zynismus und Fatalismus haben deutlich an Einfluss hinzugewonnen. Sogar ein vordringlicher Repräsentant des damaligen Brat Pack (Lowe) gesellt sich zu der Suicide-Pact-Gang hinzu, vielleicht ist er sogar derjenige, den es von alle am Schlimmsten erwischt hat.
Richard ist High-School-Lehrer im Fach Englisch und Literatur, der seine früheren Ambitionen, selbst erfolgreicher Autor zu werden, längst der Berufsroutine und dem unentwegten Desinteresse seiner Schülerschaft geopfert hat. Die Partnerin fürs Leben hat er nie gefunden. Ron hat Familie, ist Börsenmakler, hat jedoch etliche seiner Kunden übervorteilt und abgezockt und steht just vor der Entdeckung. Jonathan ist Internist, seine Haupttätigkeit besteht nurmehr jedoch darin, seinen Schickimicki-Patienten Rezepte für legale, harte Drogen auszustellen. Ferner hat er die Scheidung hinter sich und sein Sohn nennt jetzt seinen Stiefvater ‚Dad‘. Tim, ein Künstler, der just seinen Geburtstag feiert, hat vor fünf Jahren seinen Lebensgefährten und seine Schwester durch einen Autounfall verloren und ist darüber nie hinweggekommen. Das jährliche Zusammentreffen soll sie alle zumindest vorübergehend aus und vor dem grauen Alltag retten, doch ihre vor die Wand gefahrenen Existenzen, ihre Mittlebenskrisen, ihr zertrümmertes Gewissen und die daraus resultierende Erkenntnisse sind stärker als alle Drogen und jeder Rausch. Als Tim sich in sein damaliges „Studenten-Ich“ verwandelt, den Bart abrasiert, in einen Anzug schlüpft und sich im Bad erhängt, bleibt den anderen ebenfalls keine Alternative als die finale Konsequenz: Ron lässt sich von Richard mit einem Kissen ersticken, Jonathan setzt sich den Goldenen Schuss und Richard schließlich stürzt sich, in Gegenwart der besorgten Polizistin Boyde (Carla Gugino), von der Leuchtturmklippe.
In „I Melt With You“, benannt nach einem nachgerade wunderbaren Song der britischen Wave-Band Modern English und repräsentativ für die nach wie vor kompromisslos exerzierte Interaktion einer bröckelnden Männerfreundschaft (einer der stärksten zwischenmenschlichen Bindungen), spielt die Musik eine vordringliche Rolle. Der Soundtrack des Lebens des Protagonistenquartetts, für dessen Kompilierung und Einsatz offenbar vornehmlich der ausgebrannte Richard Pate steht, rekrutiert sich aus Bands wie den Sex Pistols, The Clash, U2, Pixies, Stone Roses, den Specials oder Bauhaus – Namen, die für sich sprechen und besonders in ihrer Kombination bereits ein ganzes Lebensgefühl abzudecken vermögen. Der letzte Film, in dem die Songauswahl nicht nur einen solch umfassenden Stellenwert besaß, sondern der mich bereits allein aufgrund des musikalischen Einsatzes auch vollstens für sich einzunehmen vermochte, war „Grosse Pointe Blank“, in dem zufälligerweise auch Jeremy Piven dabei ist. Auch darin geht es um eine Konfrontation mit der Vergangenheit, dem, was mal war und was im Laufe der Jahre daraus geworden ist. Die mitunter gefährliche Begegnung mit dem energetischen, vor Kraft und Enthusiasmus strotzenden Selbst von dereinst und die zerstörerische Erkenntnis darüber, wie es seither durch Kompromiss und Anpassung korrumpiert und vernarbt ist, löste auch George Armitages Film noch in sehr versöhnlicher Weise: er beharrte darauf, dass Älterwerden, Bürgerlichkeit und Anpassung ihre Berechtigung haben, weil die Welt sich nun einmal auf diese Weise dreht. „I Melt With You“ geht stoisch den umgekehrten Weg und zählt damit zum Erschütterndsten, überraschenderweise aber auch Besten, was ich dieses Jahr für mich an Erstbetrachtungen verbuchen kann.
„I Melt With You“ wird bestimmt noch oft in meinem Player rotieren – zumindest, wenn ich die dafür benötigte Kraft fassen kann.

10/10

WELP

Zitat entfällt.

Welp (Camp Evil) ~ B 2014
Directed By: Jonas Govaerts

Mit ihrer Gruppe von Wölflingen, darunter der zurückhaltende Sam (Maurice Luijten) touren die beiden Pfadfinder-Gruppenführer Kris (Titus De Voogdt) und Peter (Stef Aerts) ins belgisch-französische Grenzgebiet, um dort für ein paar Tage einen abenteuerlichen Lagerurlaub für die Kids zu gestalten. Da der eigentlich angemietete Zeltplatz von zwei buggyfahrenden Bullys in Beschlag genommen ist, fährt man kurzerhand noch etwas tiefer in den Wald, um hier das Camp aufzuschlagen. Vor Ort jedoch geht nicht alles mit rechten Dingen zu und die von Kris und Peter als Gruselmär erdachte Geschichte vom Werwolf „Kai“ erweist sich bald als mitnichten phantastisch…

Solide erstelltes Genrekino von unseren belgischen Nachbarn ist mir grundsätzlich stets willkommen, so auch der ansehnliche,  per Crowdfunding finanzierte „Welp“, der sich als Hommage an klassische US-Vorbilder versteht und vor allem als refreshment der diversen Camp-Slasher der Achtziger entstanden sein dürfte. Hinter dem bzw. den Übeltäter(n) verbirgt/verbergen sich ein zum Opfer des wirtschaftlichen Niedergangs und dadurch wahnsinnig gewordener Ex-Arbeiter und sein – vermeintlicher – verwilderter Sohn, der hinter einer Rindenmaske Jagd auf territoriale Eindringlinge macht. Warum und wozu die Leute massakriert werden, bleibt mysteriös. Einige der Opfer werden aufgebahrt, andere landen in einem matschigen Brunnenloch. Einst befand sich unweit des bewaldeten Schauplatzes nämlich ein florierendes Kleinstädtchen namens ‚Casselroque‘ (sic!), dessen Bewohner durchweg in der hier ebenfalls beheimateten Bus-Fabrik beschäftigt waren. Nach deren Niedergang sind die meisten fortgezogen, ein paar Unglückliche haben sich erhängt und einer ist eben durchgedreht. Soweit der luzide Teil der Geschichte. Andere Aspekte erweisen sich als weniger leicht zu entschlüsseln: Ist zum Beispiel der verwirrte Sam, der als Waisenkind offenbar selbst aus der Gegend stammt, zugleich der Schlitzerjunge, leidet also an einer gespaltenen Persönlichkeit, deren atavistische Seite am Ende die Oberhand gewinnt oder übernimmt er am Ende, so, wie es die Bilder suggerieren, lediglich die Funktion seines „Vorgängers“? Mancherlei spricht wohl für erstere, symbolisch und somit gleichsam poetisch orientierte Hypothese, jedenfalls würde jene den Film klar aufwerten. Allerdings wären einige dramaturgische bzw. narrative Unebenheiten dann geflissentlich zu übersehen.
Kinder als Bösewichte und Mörder, zudem als solche mit sadistischer Ausprägung sind im Kino oftmals ein „schwieriges“ Sujet, da gerade Kinder ja gemeinhin im gesamtliterarischen Umfeld als reine, unbelastete und somit unschuldige Menschheitsvertreter gelten. Das Grenre des Phantastischen machte diesem ungeschriebenen Dogma allerdings seit jeher einen gehörigen Strich durch die Rechnung, zumal sich das Böse, Unerwartete bekanntermaßen speziell hinter der Fassade des eigentlich Unantastbaren als besonders perfid zu entfalten pflegt. „Welp“ ist der jüngste, weithin gelungene Verteter dieser Provenienz: Ein hübscher, sich hintergründig charmant gebender, stiller Junge von etwa zwölf Jahren entpuppt sich als bestialischer Mordbube fernab jeder Rettbarkeit: das ist bereits von Grundauf harter Tobak, der jedoch seine Adressaten zu finden vermag. Mir persönlich wurde es allerdings zuviel, als es dem Bullterrier an den Kragen geht – eine für mich nahezu unerträgliche Szene, die den kleinen Sam dann auch ziemlich abrupt weit aus meinem Sympathieradius herauskatapultierte. Da zeigt sich mal wieder, dass jeder seine Grenzen hat, sie wollen nur aufgespürt sein.

7/10