„You are vulnerable. We all are.“
A Most Violent Year ~ USA/AE 2014
Directed By: J.C. Chandor
New York, 1981. Just als er plant, seine Firma zu vergrößern und zu diesem Zwecke ein riesiges Hafengrundstück von der jüdischen Gemeinde erwirbt, gerät der Heizölhändler Abel Morales (Oscar Isaac) in eine mehrfach ursächliche Krise. Staatsanwalt Lawrence (David Oyelowo), der die Korruption und Steuerkriminalität in der vom Verbrechen heimgesuchten Großstadt ins Visier nimmt, bereitet eine Anklage gegen Morales‘ Firma vor. Seine Transporter werden auf offener Straße entführt, die Fahrer bedroht oder verprügelt und die Laster später irgendwo entleert wiedergefunden. Die LKW-Gewerkschaft verlangt Waffen für Morales‘ Fahrer, doch dieser hat die berechtigte Angst, das einer von ihnen unbedacht schießen könnte. Die Bank streicht ihm ein dringend benötigtes Darlehen, welches Morales unbedingt für den Vertragsabschluss sein neues Lagergelände betreffend benötigt. Dann dreht tatsächlich einer seiner Fahrer, Julian (Elyes Gabel) durch und schießt auf die ihn bedrohenden Gangster. Hernach ist er flüchtig und bedeutet ein weiteres Problem für Morales. Doch dieser geht unbeirrbar und mit größter Ruhe weiter seinen Weg.
Von der schwierigen Aufgabe, auch unter größtmöglichem Druck stets integer zu bleiben: „A Most Violent Year“, das erste Werk von J.C. Chandor, das ich mir angesehen habe, empfiehlt den Regisseur als Bewunderer und emsigen Studenten klassischer Hollywood-Filmerei. Seine Vorbilder, so rate ich mal, dürften bei Walsh, Lumet, Friedkin, Coppola und Scorsese zu suchen sein, unter den ganz großen Meistern also. New York als Handlungsschauplatz, das Jahr 1981, das als jenes mit der höchsten Kriminalitätsrate in der Geschichte der Stadt Schlagzeilen machte. Das Gangstermilieu wird immer gestriffen, doch ebenso wie der Protagonist bemüht sich auch der Film, ihm fernzubleiben. Abel Morales ist ein kriminalitätsentsagender Michael Corleone ohne „Familie“ – vehement, konsequent, knallhart, stets um sein Äußeres bemüht und wie aus dem Ei gepellt: der vollendete Geschäftsmann. Hochästhetische, gemächliche Bildkomposition, lange Einstellungen, wie sie längst zum Anachronismus geworden sind und ein sanftes Chiaroscuro, das den enervierten, in der Zwickmühle sitzenden und doch unermüdlich nach Auswegen suchenden Helden kontrastiert, machen den Film zu einem visuellen Genuss. Da sieht selbst der matschige New Yorker Winter noch herrlich aus.
Dabei ist die Geschichte eines ausgesprochenen Kapitalisten und Machtmenschen, der um seinen weiteren Aufstieg kämpft, um noch mehr Geld und noch mehr Einfluss zu gewinnen, gar nicht mal sonderlich sympathisch. Chandors hintergründige Brillanz liegt tatsächlich darin, diese auf den ersten Blick doch vergleichsweise mäßig interessante Geschichte spannend aufzuziehen und den Rezipienten über die gesamte Erzählzeit glänzend zu unterhalten. Obwohl man einen Typen wie Abel Morales eher ungern auf der heimischen Couch sitzen hätte, will man doch wissen, wie es weitergeht mit ihm und seiner attraktiven Gattin (traumhaft: Jessica Chastain) und gönnt ihm sogar den Erfolg, selbst, wenn es den Verlust eines Bauern, der den Freitod der rechtmäßigen Verurteilung vorzieht, kostet. Tatsächlich ein überaus geschickter, empathischer Kniff Chandors, weiß man doch im Grunde: es gibt schon genug reiche Arschlöcher auf der Welt.
8/10