„Be my victim.“
Candyman (Candymans Fluch) ~ USA/UK 1992
Directed By: Bernard Rose
Im Zuge ihrer Dissertation über urbane Mythen und Legenden stößt die Chicagoerin Helen Lyle (Virginia Madsen) auf die Sage des „Candyman“. Bei diesem handelte es sich um den nach dem Bürgerkrieg zu Wohlstand gekommenen Sklavenspross und Künstler Daniel Robitaille (Tony Todd). Weil er sich dereinst in die Tochter eines reichen Weißen verliebte und ein Kind mit ihr zeugte, musste der Robitaille unter furchtbaren Qualen sterben. Viele Einwohner des stadtweit berüchtigten Slums Cabrini Green behaupten, er ginge nunmehr als Candyman noch immer um und hole sich seine Opfer mit einer verstümmelten Hakenhand, wenn man vor dem Spiegel fünfmal seinen Namen ausspricht. Nach intensiverer Recherche stellt Helen fest, dass der Candyman nicht nur höchst real ist, sondern zudem sie persönlich als seine künftige Partnerin im Jenseits auserkoren hat und dafür buchstäblich über Leichen geht…
An der finsteren Phantasie Clive Barkers gefiel mir immer besonders gut, dass seine Geschichten einerseits zwar höchste Kenntnis von dem großen Motivpool des Horrorgenres auswiesen, sie selbigem andererseits jedoch gleichfalls stets Neues hinzuzusetzen vermochten.
Wo andernorts aus dem „Candyman“ ein ordinäres, stromlinienförmiges slasher movie entstanden wäre – die die Titelfigur umreißende Mythologie nimmt sich immerhin einigermaßen „inspiriert“ aus -, schlagen Barker und Regisseur Rose einen ausgesprochen individuellen, fast unerwartbaren Pfad ein. Sie verschaffen ihrem finsteren Helden zunächst einen überaus tragischen Background; seine Genese geht auf ebenso rassistische wie standesdünkelnde Elemente zurück und erhält somit einen klassisch-gotischen Anstrich, den er etwa mit Dracula oder Frankensteins Kreatur teilt, die vor ihrer Karriere als Nachtgestalten ebenfalls zu Opfern äußerer Umstände und des Affekts wurden. Sich daraus ableitend umwabert den Candyman stets eine gleichermaßen bedrohliche wie melancholische, also eine recht widersprüchliche Emotionslage. Damit nicht genug erwächst aus der Beziehung zwischen ihm und Helen Lyle eine wunderbare, dunkle Liebesgeschichte. Wie man weiß, erhalten sämtliche Gestalten der Finsternis das Gros ihrer bösen Energie vor allem durch die Neugier anfänglich oftmals unbedarfter Zeitgenossen; dadurch, dass jemand an sie glaubt, sich mit ihnen beschäftigt, sich möglicherweise in sie verrennt oder vernarrt. Der Candyman, im Grunde ein schwarzer Captain Hook des infernalischen Nimmerlands, bildet da keine Ausnahme – in Helen wähnt er die Reinkarnation seiner großen Liebe von vor 100 Jahren, die zu Lebzeiten sein Schicksal besiegelte. Um Helen auf seine Seite zu ziehen, diskreditiert er sie gesellschaftlich und auch privat; entledigt sie ihrer Hauptbezugspersonen und führt ihr vor Augen, dass ihr Leben, spätestens als sie selbst an ihrer mentalen Gesundheit zweifelt und des mehrfachen Mordes verdächtig ist, keinen weltlichen Wert mehr besitzt. Helen bleibt am Ende also nurmehr der finale Schritt ins Jenseits, doch in letzter Sekunde verrät sie den bereits siegessicheren Dämon und opfert sich selbst um der Unschuld Willen. Damit wird sie selbst zu einer urbanen Legende und zu einem paranormalen Rachegeist.
Doch bezieht „Candyman“ seine Faszination und Perfektion nicht allein aus Roses/Barkers düsterromantischer Story. Der Film stellt vor allem einen Triumph kreativer Teamleistung dar. Ohne Anthony B. Richmonds brillante Bilder großstädtischer Gegensätze und ohne Philip Glass‘ minimalistisch-sakrale Klänge wäre „Candyman“ vermutlich bloß die Hälfte seiner Summe. So zählt er zum Schönsten und vor allem Originellsten, was das Genre in den Neunzigern hervorgebracht hat.
9/10
5 Gedanken zu “CANDYMAN”