COLONIA DIGNIDAD – ES GIBT KEIN ZURÜCK

„Employ him. He’s an idiot.“

Colonia Dignidad – Es gibt kein zurück ~ D/F/LU 2015
Directed By: Florian Gallenberger

Santiago de Chile am 11. September 1973, dem Tag des Pinochet-Putsches: Die Stewardess Lena (Emma Watson) besucht ihren Freund Daniel (Daniel Brühl), der mit der Herstellung von Flugblättern und Plakaten die Allende-Anhänger unterstützt. Die überstürzte Flucht vor der Junta misslingt wegen Daniels Unvorsichtigkeit. Er wird gefangengenommen und in die ‚Colonia Dignidad‘, die „Kolonie der Würde“ gebracht – eine sorgsam abgeschirmte, deutsche Enklave bestehend aus einer abgespaltenen Baptistengemeinde, der der Troisdorfer Prediger Paul Schäfer (Michael Nyqvist) vorsteht. Doch werden dort nicht nur großzügig interpretiertes Christentum und bajuwarische Folklore gelebt; die Colonia ist insgeheim auch ein Hort der Folterverhöre, der Gehirnwäsche, der Repression, des Kindesmissbrauchs und der Indoktrination, die der pädophile Schäfer, Busenfreund des Dina-Chefs Manuel Contreras (César Bordón), regiert wie ein Usurpator. Nachdem Daniel während des Verhörs fast zu Tode gequält wird, stellt er sich durch die Folter lobotomiert und kann sich so, als „Idiot“, relativ frei in der Colonia bewegen. Lena derweil findet heraus, wo Daniel ist und folgt ihm in die Colonia, wo sie zur Feldarbeit eingeteilt wird und unter der Knute der diabolischen Gisela (Richenda Carey) steht. Es dauert ganze vier Monate, bis die beiden zusammen finden und einen Fluchtversuch wagen.

Es ist schon ein wenig seltsam mit Florian Gallenbergers „Colonia Dignidad“. Waren die siebziger und frühachtziger Jahre noch gesäumt mit kleinen Filmen, die repressive Gefängnisse und Lager in irgendwelchen (oftmals fiktionalen) Bananenstaaten und Militärdiktaturen zum Schauplatz hatten und in denen die Menschenrechte folglich jedweder Bedeutung enthoben waren, starb jenes Exploitation-Subgenre im Laufe der folgenden Jahre, mit Ausnahme einiger weniger, gezielt revisionistischer, aber nicht der Rede werter Kleinstartefakte beinahe vollständig aus. Dass jetzt ausgerechnet der gemeinhin respektierte Gallenberger, der mir zuletzt vor sieben Jahren mit dem sehenswerten „John Rabe“ angenehm aufgefallen war, diese etwas derbe, anrüchige alte Tradition (freilich in ästhetisch breit konsumierbaren Bahnen) wieder aufleben lässt und selbiges keiner so recht zur Kenntnis zu nehmen scheint, hat mehrere Gründe – zunächst vor allem die historische Anbindung des Stoffs gekoppelt mit einem hohen Maß an Authentizitätspflege. Ferner wird hier mehr das in letzter Zeit im Kino wieder verstärkt thematisierte Sektenunwesen bedient, denn bloßer Strafvollzug samt barbarischer Foltermethoden und Unterdrückung ohne allzu weit ausformulierten politischen Überbau, wie es eben bei den meisten der damals entstandenen Filme der Fall war. Kurzum: „Colonia Dignidad“ bietet im Prinzip eine aufregend-abenteuerliche, zunehmend unwahrscheinlicher ausgestaltete Kolportagestory, die für ein Massenpublikum tauglich aufbereitet ist. Dies(e) liefert perplexerweise gerade deshalb, weil Gallenberger abseits seiner fraglos sorgfältigen Recherchen rund um die nach wie vor real existente „Kolonie der Würde“ und ihr damaliges Oberhaupt Paul Schäfer, der sich selbst „Pius“ nannte und nennen ließ, den Weg der fiktionalisierte Geschichte wählt. Sein Protagonistenpärchen, von zwei international beliebten DarstellerInnen interpretiert, fußt im Gegensatz zu der übrigen, geschlossenen Historizität des Films nämlich nicht auf authentischen Vorbildern. Daniel und Lena und ihre jeweilige Erlebnisse gestatten Gallenberger letztlich, einen mitreißenden und spannenden Leidensbericht über zwei zufälig in Schäfers totalitäre Mühlen geratene Opfer auszubreiten und vieles von dem Unaussprechlichen, das in der Kolonie stattfand, in gefälliges Unterhaltungskino zu kleiden – was dem Autor und Regisseur absolut zukommt, denn er hievt damit ein wichtiges Kapitel pan- (sprich: deutsch-)lateinamerikanischer Geschichte ins potenzielle Massenbewusstsein und sorgt somit dafür, dass etliche in dieser Sache zuvor vielleicht komplett unbedarfte Menschen sich mit Schäfer und der Colonia, möglicher- und folglicherweise darüberhinaus auch mit Chile, Pinochet und Junta-Diktaturen im Allgemeinen befassen und somit ihre Kenntnisse hinsichtlich faschistischer Regimes erweitern. Denn nichts anderes stellte die „Colonia Dignidad“ dar – eine Kleinstdiktatur innerhalb einer großen Diktatur, ein Exempel dafür, wie Macht und ihre Prinzipien funktionieren. Vielleicht – was zusätzlich besonders wünschenswert wäre – erweitert der eine oder andere junge Zuschauer zusätzlich noch seinen filmischen Horizont und greift zu Costa-Gavras. An den reicht Gallenberger nämlich (noch?) nicht ganz heran.

8/10

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