TOWER OF LONDON

„Who possesses the greater evil, my mother? You who made me this way, or I who have to bare it?“

Tower Of London (Der Massenmörder von London) ~ USA 1962
Directed By: Roger Corman

London im Jahre 1483. Nachdem König Edward IV (Justice Watson) das Zeitliche gesegnet hat, schickt sich sein buckliger Bruder Richard (Vincent Price) an, Edwards Nachfolge als Monarch anzutreten. Zu diesem Zwecke entledigt er sich zunächst seines zweiten Bruders, des designierten Reichsberaters George (Charles Macauly), um dann gegen seine Schwägerin (Joan Freeman) und seine beiden kleinen Neffen, von denen einer (Donald Losby) der designierte König ist, zu intrigieren. Nachdem sein Versuch, die Jungen fälschlich als illegitime Königskinder zu denunzieren, scheitert, bringt er sie eigenhändig um. Doch die Geister seiner Opfer lassen Richard nicht los und treiben ihn weiter in den Wahnsinn bis zu seinem Tode in geistiger Umnachtung auf dem Schlachtfeld von Bosworth.

Inmitten seines farbenprächtigen, siebenteiligen Poe-Zyklus inszenierte Roger Corman mit seinem Star Vincent Price diesen wunderbaren, zwischen Shakespeare und Trivialhorror angesiedelten, kleinen Historienfilm, für den ihm zu seinem großen Bedauern nur kostengünstiges Schwarzweißfilm-Material zur Verfügung gestellt wurde. Tatsächlich schadet dies der Geschichte keineswegs, im Gegenteil: Vincent Price, sichtlich hingerissen von der Option, einen der großen shakespeare’schen Antihelden geben zu können, offenbart einen der schönsten Auftritte seiner gesamten Karriere. Mühelos oszilliert sein ganz privater Richard III. zwischen sadistisch-bösem Monster, machtgierigem Opportunisten, irrlichterndem Angsthasen und nach Liebe lechzendem Ausgestoßenen. Wenn er den Geistern seiner beiden Neffen bereitwillig in den Tod folgen will und, bereits auf den Zinnen des Towers stehend, lamentierend, dass die anderen Kinder ihn früher nie mitspielen ließen und wegen seiner Deformierungen gehänselt haben, dann wirkt das niemals bemüht oder lächerlich, sondern zeugt ernstlich von großer Schauspielkunst. Nicht minder souverän gibt Price sich in einer unbewussten Vorstudie seines Matthew Hopkins, wenn er lüstern dabei zuschaut, wie der Folterknecht ein schönes, unschuldiges Kindermädchen (Sandra Knight) zu Tode streckt, weil sie sich weigert, ein falsches Geständnis abzulegen. Auf Außenaufnahmen praktisch zur Gänze verzichtend, mögen Interieurs und Kostüme nicht die großartigsten gewesen sein. Sie stimmen aber nichtsdestotrotz und fügen sich nahtlos in das nur selten über Gebühr theatralisch wirkende Geschehen. „Tower Of London“ ist, wenngleich von seinem Regisseur selbstweniger gut gelitten, eines der schönsten Beispiele dafür, wie effektiv Corman es vor allem als Regisseur zu arbeiten verstand und welches Maximum an Wirkung er bei einem Minum an Etat zu erzielen vermochte.
Dunkel funkelnd, grausam schön.

8/10

DU BEI DAO

Zitat entfällt.

Du Bei Dao (Das goldene Schwert des Königstigers) ~ HK 1967
Directed By: Chang Cheh

Nachdem der Schwertkampf-Schüler Fang Kang (Wang Yu) wegen eines dummen Streits mit der Tochter (Yin Tze Pan) seines Adoptivvaters und Meisters Ru Feng (Tien Feng) seinen rechten Arm einbüßt, erachtet er sich selbst als nutzlos und schwört dem Kämpfen ab. Doch seine Bestrebungen, sich mit der ihn gesund pflegenden Xiao Man (Chiao Ciao) als Bauer zur Ruhe zu setzen werden durchkreuzt von Ru Fengs Kontrahenten, dem „langarmigen Teufel“ (Chi-Hing Yeung) und dem „grinsenden Tiger“ (Ti Tang), die nicht nur Xiao Man bedrängen, sondern auch Ru Fengs gesamte Schule des „Goldenen Schwertes“ zu vernichten trachten. Während Ru Feng plant, einen Nachfolger zu benennen, sorgen die beiden Finsterlinge dafür, dass seine besten Schüler mithilfe einer neuen Waffe, der „Schwertfalle“, dahingemordet werden. Fang, der von diesen Umtrieben Wind bekommt, trainiert eisern seinen verbliebenen linken Arm, bis er sich selbst zum unbesiegbaren Kämpfer gestählt hat. Nun kann er seine alte Schuld begleichen und gegen die Feinde seines Meisters antreten.

Die Veröffentlichungsgeschichte um „Du Bei Dao“ ist beinahe ebenso spektakulär wie der Film selbst. Immerhin handelt es sich um den ersten Vertreter einer neuen, reziprok vom Italowestern beeinflussten Spielart des Wuxia-Films, also des historisch ummantelten Martial-Arts-Kinos, das sich vor allem dadurch kennzeichnete, dass seine Helden und Schurken nicht auf physikalische Gesetzmäßigkeiten angewiesen sind und etwa aus dem Stand Bäume oder Hausdächer heraufspringen können. Zudem tritt hier mit Wang Yu oder Jimmy Wang Yu, wie er sich auch zu nennen pflegt, einer der Protagonisten des Wuxia-Genres auf den Plan, der sich nach einer Karriere als Wettkampfschwimmer und der darauf folgenden, mehr denn fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Shaw Brothers, den maßgeblichen Produzenten jener fernöstlichen Action-Spielart, selbstständig machte und bis heute als eine Gallionsfigur des Hong-Kong-Kinos gilt. Wang Yu, der sich gern als Autodidakt bezeichnet und zumindest laut der Interviews, die ich mit ihm gesehen habe, nicht müde wird, seinen heroischen Status selbst eifrig zu befeuern, entpuppt sich hier im feschen Jungspundsalter denn auch tatsächlich als hinreichend charismatisch, einen Großteil des Publikums auf seine Seite zu ziehen. Er leidet, trainiert und ficht mit solcher Inbrunst, dass es eine wahre Freude ist. Auch die anderen Kennzeichen der SB-Produktionen lassen sich anhand dieses Repräsentanten ausgiebig eruieren: Immenses Pathos, schlichte Motivationslagen, sehr schöne, theatralische Atelierkulissen. Wenn hier im pseudowinterlichen, nächtlichen Studiowald der Kunstschnee rieselt, dann ist das einfach schön anzuschauen. Ich muss gestehen, dass ich die späteren, blutigeren und exzessiveren Auswüchse der SB, so etwa die Semi-Fortsetzung „San Duk Bei Dao“, etwas mehr mag; das nimmt „Du Bei Dao“ jedoch natürlich nichts von seiner genuinen historischen Bedeutsamkeit.

7/10

3 WOMEN

„There’s gotta be somethin‘ wrong with you.“

3 Women (3 Frauen) ~ USA 1977
Directed By: Robert Altman

Palm Springs. Die junge Pinky Rose (Sissy Spacek) lässt sich als Betreuerin in Heilbad für Senioren anstellen. Sie ist fasziniert von ihrer exzentrischen Kollegin Millie Lammoreux (Shelley Duvall), die ein völlig verqueres Selbstbild hat, sich von aller Welt geliebt fühlt, wegen ihres schmerzfrei-anstrengenden bis aufdringlichen Auftretens tatsächlich von den meisten ihrer Mitmenschen geringgeschätzt und sogar ignoriert wird. Dennoch frisst Pinky mehr und mehr einen Narren an ihr und ist umso glücklicher, als Millie sie einlädt, bei ihr als Mitbewohnerin einzuziehen. Rasch beginnt Millie, Pinky wie ein dummes, kleines Anhängsel zu behandeln. Es kommt zur Katastrophe, als Millie eines Abends den betrunkenen, seine schwangere Frau Willie (Janice Rule) betrügenden Cowboy Edgar (Robert Fortier) mit nach Haus bringt und Pinky aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausquartiert. Pinky verübt einen Suizidversuch und erwacht erst nach Tagen, stark verändert und teilamnesisch, aus dem Koma. Ihre Eltern (Ruth Nelson, John Cromwell) mag sie nicht mehr erkennen, siw will nicht mehr bei ihrem Spitznamen gerufen werden und bendelt nun ihrerseits mit Edgar an. Als die einsame, stille Willie eine Fehlgeburt erleidet, konstituiert sich die seltsame Konstellation der drei Frauen ein letztes Mal neu.

Neben seinen von überlappenden Dialogen überbordernden Komödien, neben seinen doppeldeutigen Western, Sozialsatiren und Ensemblestücken, pflegte Robert Altman auch immer wieder seine dunkle, bizarre Seite als Filmemacher. Zwar sind diese Arbeiten ganz offensichtlich seine engagiertesten und persönlichsten, bezeichnenderweise aber zugleich jene, die in Kanonisierungsversuchen gern übersehen oder zumindest stiefmütterlich behandel werden. „3 Women“ demonstriert recht eindrucksvoll, woran das liegen könnte, denn leicht macht es dieser ebenso faszinierende wie hermetische Film eigentlich niemandem. Ironischerweise habe ich ihn etwa eine Woche vor dem bereits besprochenen „The Neon Demon“ geschaut, ohne von den offensichtlichen Parallelen zwischen beiden Werken auch nur Leisestes zu ahnen. Tatsächlich verdankt Winding Refns Jüngster „3 Women“ thematisch eine ganze Menge. Da wäre zunächst die Symbolik des Triangulären, die in „The Neon Demon“ ja ganz konkret und sogar bildlich ausgearbeitet wird: Auch die titelgebenden drei Frauen Pinky, Millie und Willie geben sich ein immer wieder aufs Neue variiertes Stelldichein, bei dem sie sich jeweils an anderen Enden eines nicht leicht zu dekodierenden Beziehungsdreiecks konstituieren, bis jenes über die Stationen Irrsinn, Tod und Gewaltakt seine endgültige Form angenommen hat. Auch Pinky kommt aus dem ländlichen Osten Hals über Kopf und unerfahren ins gelobte Kalifornien, um hier einen unbestimmten Neuanfang zu wagen. Und auch sie übertrumpft irgendwann ihren persönlichen Stabilisierungshaken Millie und tauscht mit ihr die Plätze. Höchst mysteriös nimmt sich derweil die zunächst stumm erscheinende Willie aus, die älteste und verschlossenste der drei. Von ihrem Mann, einem biertrinkenden, promisken Idioten, der sich gern in Schießübungen ergeht, völlig allein gelassen, entwickelt sie eine Obsession, die sich in der Gestaltung von Swimmingpoolkacheln mit seltsamen, mythologisch bis außerweltlich anmutenden Kreaturen entlädt. Während Pinky zunächst davon fasziniert ist, vergisst sie Willie und ihre Einsamkeit nach ihrer eigenen, komatösen Episode völlig, um Millies Idendität anzunehmen, die derweil einen starken Schuldkomplex entwickelt. Soweit die inhaltlichen Grundzüge von Altmans Frauenporträt, die mit der gewohnt erlesenen, breiten Bildsprache des Filmemachers einhergeht und ein weiteres Beispiel seiner widerspenstigen, höchst unikalen Arbeitsweise als Künstler und auteur liefert. Unumstößliche Tatsache scheint mir: Wer „3 Women“ nicht kennt, kennt auch Altman nicht zur Gänze. Und nach Letzterem sollten wir alle streben.

9/10

BLOOD FATHER

„I was running the fucking Coachella Valley before you were an itch in your daddy’s sack!“

Blood Father ~ F 2016
Directed By: Jean-François Richet

John Link (Mel Gibson), einst ein schwerer Junge, lebt als trockener Alkoholiker auf Bewährung in einem kleinen Trailer-Park am Rande der Wüste von New Mexico und verdient seine paar Kröten mit dem Stechen von Tattoos. Eines Tages meldet sich seine Tochter Lydia (Erin Moriarty) bei ihm, die er schon seit Längerem sucht. Das Mädchen hat Stress mit der mexikanischen Drogenmafia, weil sie im Koksrausch ihren Gönner und Liebhaber Jonah (Diego Luna) erschossen hat. Da Link noch aus Knastzeiten bestens mit den Gangstrukturen vertraut ist, weiß er, dass die Flucht nach vorn momentan das einzige Mittel zur Abhilfe darstellt. Allerdings kann er weder seinem alten Kumpel Preacher (Michael Parks) vertrauen, noch ahnt er, wer Lydia und ihm wirklich ans Leder will.

Ein erstaunlich gelungener Film, der einen sogar noch erstaunlicher dezidiert auftretenden Mel Gibson als Flaggschiff präsentiert. Der Franzose Richet verabreicht der ansonsten ziemlich banalen Geschichte eine formale Frischeinjektion, die zwar auch auf photographische (dramaturgisch immerhin sinnstiftend eingeflochtene) Wackeleskapaden nicht ganz verzichten mag, insgesamt jedoch von der unverbrauchten Genreperspektive des Mitteleuropäers zu profitieren scheint. Von den oftmals eher weichgespülten Charakteren der letzten Jahre steuert Gibsons Figurenzeichnung jetzt wieder mehr Richtung Max Rockatansky und frühem Martin Riggs – einem abgefuckten Solospieler, der besser nicht entfesselt werden sollte, weil man ihm nicht bei schlechter Laune begegnen mag. Es gibt schön erdige Wüstenbilder, wobei Richet mit einiger Bestimmtheit die alte Rocker- und Biker-Romantik frontal zu demystifizieren. Für jenes Unterfangen sucht er sich Michael Parks aus, der momentan tatsächlich wie kein anderer den alten, verrückten und widerlichen Knochen im Kino personifiziert und es schafft, dass man nicht müde wird, ihm dabei genussvoll zuzuschauen. Der von seiner „Gemeinde“ noch immer als Guru angehimmelte Preacher ist in Wahrheit nichts weiter als ein ausgebranntes Ekel, dass einen schnellen Dollar mit Waffenschiebereien und Nazi-Memorabilia macht und nicht zögert, frühere Freunde und einstige Ideale zu verraten. Nix mehr übrig von Freiheit und Weite. Durch diese zum amerikanischen Albtraum mutierte Welt muss John Link also seine Tochter in Sicherheit bringen – keine Frage, dass er das hinbekommt, wobei er offenbar eine Menge seiner eigenen, bekanntlich stark in Verruf geratenen Persönlichkeit in die schauspielerische Waagschale wirft und diverse Dialogzeilen in den Mund gelegt bekommt, die einer reumütigen Entschuldigung für begangene Fehler gleichen. Ich musste zwischendurch immer wieder daran denken, wie toll es doch gewesen wäre, Gibson auch in „Mad Max: Fury Road“ nochmal in Aktion in Aktion erleben zu dürfen – dass er nach wie vor das physsche Rüstzeug dafür besitzt, glaubt man nach „Blood Father“ nur allzu gern. Ich mag den alten Rumpler tatsächlich nach wie vor total gern, wie ich jetzt wieder festgestellt habe, und hoffe, dass er noch ein bisschen was wie dies hier auf den Weg bringt, so lange er kann.
Es sei mir noch gestattet, festzuhalten, dass ich als Synchronenthusiast es als sehr schade und sogar ein wenig schmerzlich empfand, nach langen Jahren nicht (mehr) Gibsons Stammsprecher Elmar Wepper genießen zu dürfen. Immerhin steht mit Martin Umbach ein hervorragender Ersatz parat, der zeigt, dass man sich hinsichtlich der deutschen Vertonung zumindest ein paar fruchtbare Gedanken gemacht hat.

8/10

THE NEON DEMON

„True beauty is the highest currency we have.“

The Neon Demon ~ USA/DK/F 2016
Directed By: Nicolas Winding Refn

Die hübsche Jesse (Elle Fanning), gerade süße 16, ist ein Landei, das nach eigenem Bekunden nichts kann, außer schön auszusehen. Fasziniert von der Großstadt und ihren Geheimnissen kommt sie nach Los Angeles, um dort als Fotomodel zu arbeiten. In Rekordzeit wird die Szene auf sie aufmerksam und hofiert sie als neuen Stern am Catwalk-Himmel. Als Jesse jedoch nicht nur flugs zur arroganten Nachwuchsdiva mutiert, sondern auch noch die lesbischen Avancen der ihr zugetanen Ruby (Jena Malone) abweist, wendet sich für sie das Blatt auf schreckliche Weise.

Fegefeuer der Oberflächlichkeiten. Dass ich Winding Refns jüngsten Film etwas weniger mochte als die meisten seiner früheren, liegt vor allem daran, dass ich für das vorgestellte Sujet faktisch keinerlei empathische Sensorik aufzubringen imstand bin. Ausgehöhlte Models, eitle Fotografen und gecke Modeschöpfer, das sind vermutlich allesamt Zeitgenossen, die auch ihre Existenzberechtigung haben, sich jedoch durchweg am entgegengesetzten Ende meines demoskopischen Spektrums tummeln. Entsprechend desinteressiert bis gleichgültig nehme ich ihre Schicksale wahr und auch „The Neon Demon“ schützt im Grunde nicht einen einzigen Charakter vor, dessen Werdegang mich über Gebühr tangierte. Der einzige Grund für mich, den Film anzuschauen, war also sein geschätzter Regisseur und wirklich enttäuschend ist auch sein Trip in die Abseitigkeiten der Schönheitsbranche nicht, obschon die überbordernde Metaphorik sich gegen Ende hin etwas betont undekodierbar gibt. Dennoch beschließen die ausgesucht ästhetischen Bildkompositionen in Verbindung mit Cliff Martinez‘ wie gehabt hypnotischen Klangflächen (die hier teils stark an Tangerine Dream erinnern) ein zumindest audiovisuell berückendes Werk, dessen spätere Bezüge zu Paraphilien, Kannibalismus und Irrsinn allerdings ein allzu  ungehindertes Abtauchen in den Rausch verhindert. Aber wir wären ja nicht bei Winding Refn, wenn nicht irgendwo zwischen seinen zunehmend spezifizierten Filmwelten immer auch dieses kleine Unwohlsein in der Magengegend zu spüren wäre, das sich allenthalben meldet und einen doch recht pessimistischen Blick auf die Welt entlarvt. Mag die relativ nüchtern subsummierte These des Films auch die sein, dass physische Schönheit mehr als alles andere bedeutet in unseren Tagen – ich freue mich, naiv genug zu sein, das anders zu sehen. Winding Refn polarisiert eben mit Passion. Insofern werde ich dem erfreulich stringent arbeitenden Dänen auch weiterhin gewogen bleiben.

7/10

LA CHIESA

Zitat entfällt.

La Chiesa (The Church) ~ I 1989
Directed By: Michele Soavi

Über einem bereits seit dem Mittelalter existenten Massengrab, voll von den toten Mitgliedern einer paganistischen Kultgemeinschaft, errichteten die für das Massaker zuständigen Ritter einst eine Kirche. In der Gegenwart öffnet der neugierige Bibliothekar Ewald (Tomas Arana) mithilfe eines zuvor von der Restauratorin Lisa (Barbara Cupisti) entdeckten Pergaments ein im Keller des Gemäuers befindliches Siegel, womit das unter ihm lauernde Böse freie Bahn erhält und umgehend von Ewald Besitz ergreift. Zugleich versperrt ein Automatismus sämtliche Türen der Kirche, so dass die momentan darin anwesenden Personen, darunter eine Schulklasse und eine Hochzeitsgesellschaft, eingeschlossen und mit den Mächten der Finsternis konfrontiert werden. Während die dämonischen Kräfte einem Virus gleich immer mehr der Gefangenen infizieren, gibt es für den alten Dompropst (Feodor Chaliapin Jr.) nurmehr die letzte Option, das vormalige Gotteshaus komplett zum Einsturz zu bringen, um die Ausbreitung des Bösen zur Außenwelt hin zu verhindern.  Ein junger Priester (Hugh Quarshie) tut derweil alles, um die Menschen in der Kirche zu retten.

Als offizielles Zweitsequel zu Lamberto Bavas „Dèmoni“ hat „La Chiesa“ mit diesem und dem ersten Nachfolger nicht mehr allzu viel gemein. Zu nennen wären da vielleicht die Mitwirkung Dario Argentos als einer Art grauer Eminenz im Hintergrund und Ideenlieferant, eine deutsche Großstadt als Handlungsort sowie eher zufällig freigesetzte Höllenmächte, die nach Weiterverbreitung streben. Darin erschöpfen sich bereits die Parallelen. Zumindest Argento-Eleve Michele Soavi, der vormals auch bei Joe D’Amato als 2nd-Unit-Director unter dem bärigen Pseudonym „Mike Soft“ gearbeitet hat, dürfte aber ohnehin als Letztes im Sinn gehabt haben, irgendeine fremdinstallierte Grundidee fortzuführen. Leider zerfällt sein Film, dem man die ihm innewohnende Ambition dennoch zu jeder Sekunde anmerkt, in zahllose kleine Splitter, die am Ende zu einem recht unförmigen Ganzen zusammengeleimt wurden. Laut der imdb haben nicht weniger als acht Autoren am Script zu „La Chiesa“gewerkelt, in der Regel kein gutes Zeichen. Dass Soavi selbst darunter noch nichtmal aufgeführt ist, lässt sich nicht minder ernüchternd an. Und tatsächlich schert sich der Film bald nicht mehr um atmosphärische Stringenz oder so etwas wie einen kompakten Anstrich; er löst sich, ebenso wie die von ihm verhandelte Realität innerhalb der Kirche, mehr und mehr auf und zerfasert in diverse, kleine Baustellen, die die Kognition des Zuschauers zusehends ignorieren und schließlich gänzlich erlahmen lassen. Stattdessen folgen Szenenmontage und Diegese willkürlichen Assoziationsketten und ziemlich selbsträsonistisch angelegten Bewusstseinstranszendierungen; der Rezipient wird darüberhinaus irgendwann im nebulösen Stich gelassen. Das ist speziell in diesem Falle besonders schade, denn so Vieles stimmt an „La Chiesa“, von dem titelgebenden, unheimlichen Sakralbau (die St.-Nikolai-Kirchenruine in Hamburg) über Soavis Geschick, Plätze und Kulissen zu inszenieren bis hin zum erlesenen Score und zur grandiosen Effektarbeit. Das entstandene Missverhältnis gilt es, zähneknirschend hinzunehmen, hieße es andernfalls doch, einen der interessantesten italienischen Genrebeiträge der Spätachtziger zu verbrämen.

6/10

FORSAKEN

„It’s time for me to do something right in my life.“

Forsaken ~ USA/CA/F 2015
Directed By: Jon Cassar

Gunman und Bürgerkriegsveteran John Henry Clayton (Kiefer Sutherland) kehrt in sein Heimatstädtchen zurück – zehn Jahre, nahdem er es verlassen hat. Sein Vater William (Donald Sutherland), der örtliche Reverend, betrachtet die Heimkehr des verlorenen Sohnes mit gemischten Gefühlen – eilt John Henry doch der Ruf des locker sitzenden Colts voraus. Doch hat John Henry die Waffe längst abgelegt und will auf der Suche nach Sühne ein ruhiges Leben leben. Man lässt ihn jedoch nicht – die Stadt wird beherrscht von dem gierigen Landaufkäufer McCurdy (Brian Cox), der die Menschen zwingt, ihm ihre Parzellen zu verkaufen und wegzuziehen, notfalls unter Anwendung roher Brutalität. John Henry müht sich, den grassierenden Konflikten fernzubleiben, als jedoch auch sein Vater, der McCurdy zur Vernunft bringen will, in den Strudel der Gewalt gezogen wird, schnallt John Henry den alten Sechsschüsser wieder um…

Nicht wesentlich mehr denn ordentliches Handwerk bietet „Forsaken“, der wohl vor allem deshalb sehenswert ist, weil hier zwei Generationen Sutherland in rührendem Zusammenspiel zu bewundern sind. Vater und Sohn bilden tatsächlich das intime Übergewicht des ansonsten überraschungsarmen, etwas pathetisch geratenen Western, der bei Licht betrachtet ohne seine beiden familiär eng verbundenen Hauptdarsteller sein hauptsächliches Qualitätsmerkmal hätte einbüßen müssen. Zwar ist mit der Triole Brian Cox, Michael Wincott und der überraschend attraktiven Demi Moore ein durchaus überzeugender Support am Start, die Rollen, die sie auszufüllen haben, entsprechen jedoch altbekannten Stereotypen. Ein Blick auf den Regisseur entlarvt: Der Mann kommt vom TV und kennt Sutherland Jr. von ihrer jahrelangen Zusammenarbeit bei dem Format „24“. Das erklärt Manches.
John Henry Claytons Auftauchen in seiner früheren Heimat spielt indes mit dem wohlbekannten „Shane“-Mythos: Zwar ist John Henry Clayton kein mysteriöser Unbekannter mit schummriger Biographie, eine Art gottgesandter Gerechtigkeitsstifter geht allerdings schon an ihm verloren. Wincotts Charakter, der zugleich in Pro- und Epilog den Off-Erzähler mimt, ordnet die Figur Claytons gar dem großen Reich der Wildwest-Mythologien zu: Nach seinem Einsatz gegen McCurdys Bande ist er nurmehr ein selten gesehener, bald schemenhafter Normalbürger, der irgendwann einfach verschwindet. Erinnerungen an Eastwoods „The Unforgiven“ werden wach – mit Regisseur und Werk als ohne Zweifel elementaren Vorbildern von und für „Forsaken“. So oder so – ich denke, dass die meisten Liebhaber des Westerngenres von Cassars schnörkellosem kleinen Film zumindest zufriedengestellt werden dürften, zumal er allein durch seine Existenz sicherstellt, dass diese uramerikanischste aller Filmkünste weiterlebt.

7/10

THE DEVIL’S BRIGADE

„At this point, I don’t care about making any more enemies.“

The Devil’s Brigade (Ein wüster Haufen) ~ USA 1967
Directed By: Andrew V. McLaglen

1942: Nach dem Eintritt der USA in das Kriegsgeschehen erhält der Militärstratege Lt. Col. Frederick (William Holden) den Auftrag, eine Geheimdivision aufzustellen und für einen Einsatz in Norwegen vorzubereiten. Die Männer setzen sich zu etwa gleichen Teilen aus verlotterten Angeklagten vor dem Militärgericht, deren Einsatz mit einer Amnestie vergolten wird sowie einem geschliffenen Bataillon kanadischer Soldaten zusammen. Nach diversen Animositäten zwischen den beiden höchst ungleichen Gruppen rauft man sich am Ende doch noch zusammen: Aus dem zuvor unförmigen Haufen wird die schneidige „1st Special Service Force“. Dummerweise wird der mittlerweile heiß erwartete Einsatz in Norwegen abgesagt; stattdessen gelingt es Frederick, die Kommandatur zu überzeugen, die Tauglichkeit seiner Männer in Italien unter Beweis zu stellen. Hier erobern sie zunächst verlustfrei ein von den Nazis besetztes Städtchen, um dann unter weitaus blutigeren Aufbietungen den umkämpften Monte La Difensa zu sichern.

Mit dem launigen Kriegsabenteuer „The Devil’s Brigade“ lieferte Ford-Schüler McLaglen eine etwas behauenere, aufwendigere Vorstudie zu seinem elf Jahre später entstandenen Meisterwerk „The Wild Geese“, in dem es dann auch gleich ein Wiedersehen mit Jack Watson gab, der hier bereits einen ähnlich emotional gewichtigen Heldentod zu sterben hat. Anders als das ruppige, im Süden Afrikas angesiedelte Söldnerepos zehrt der auf authentischen Personen und Fakten basierende „The Devil’s Brigade“ noch von der typischen typischen Koloratur, die den teuren Hollywood-Kriegsepen der Sechziger eigentlich durch die Bank zu eigen waren: Wirklich nachdenklich stimmende Akzente nehmen hier eher den Raum des notwendigen Übels ein, während das überwältigende Gros des Films sich mit dem Kriegswesen als unterhaltsam-komischem Männergeschäft befasst, das zwar für den einen oder anderen im Blechsarg endete, insgesamt jedoch Anlass für mannigfaltig-abenteuerliche Herrenabende und deftige Kameradschaftsbekundungen bot. Eine Starbesetzung gibt es hier gewissermaßen, diese ist jedoch nicht mit Großaufgeboten, wie sie etwa „The Longest Day“ oder „Battle Of The Bulge“ auszustellen vermochten, gleichzusetzen. Hier darf man mit Ausnahme von William Holden eher einer ganzen Riege famoser Darsteller aus der zweiten Reihe bei der Arbeit zusehen, die weniger für ihre prominenten Namen denn für die Vetrtrautheit ihrer Antlitze steht. McLaglen indes erweist sich als profunder, absolut solide arbeitender Techniker und guter Actionregisseur, dem sein Baby zu keiner Sekunde entgleitet und der stets imstande war, wenn auch keine Meisterklasse, so doch stabiles Handwerk beizubringen. Ich für meinen Teil hatte eine Menge moralisch fragwürdiger Freude mit „The Devil’s Brigade“ und würde ihn ohne zu zögern in die Phalanx der sehenswerten Kriegsepen einsortieren. Wenn auch vielleicht nicht auf den allervordersten Plätzen.

8/10

SOUTHBOUND

„Quit being so fucking mysterious!“

Southbound ~ USA 2015
Directed By: Radio Silence/Roxanne Benjamin/David Bruckner/Patrick Horvath

Eine öde Region im wüsten Südwesten der USA: Hier sind zwei Männer, Mitch (Chad Villella) und Jack  (Matt Bettinelli-Opin) auf der Flucht vor merkwürdigen, fliegenden Kreaturen; hat der Van der dreiköpfigen Girl-Band „The White Tights“, bestehend aus Sadie (Fabianne Therese), Ava (Hannah Marks) und Kim (Nathalie Love), einen Platten, woraufhin sich das Trio von einem merkwürdigen Paar (Susan Burke, Davey Johnson) mitnehmen und zu einem bizarren Dinner einladen lässt; wird die später flüchtende Sadie auf der nächtlichen Straße von dem Wagen des aufgeschreckten Lucas (Mather Zickel) überrollt, der sie daraufhin in ein seltsames Krankenhaus bringt; sucht der aufgebrachte Danny (David Yow) nach seiner seit Jahren vermissten Schwester Jesse (Tipper Newton), die jedoch überhaupt nicht von ihm gesucht werden will; wollen sich drei Maskierte, Shane (Damion Stephens) sowie die bereits bekannten Mitch und Jack, sich einen schuldbehafteten Familienvater (Gerald Downey) vorknöpfen, gehen mit ihrer Rache jedoch zuweit. Nach dem Massaker werden sie von geflügelten Wesen verfolgt…

Anthologie-Horrorfilme, so unter anderem die „V/H/S“-Trilogie und die beiden „The ABCs Of Death“-Stücke, feiern in den letzten Jahren ein fröhliches, geballtes Wiedergehen, nachdem diese kleine Unterart der Grauenskunst über einen langen Zeitraum zwar regelmäßig, aber insgesamt betrachtet doch eher selten ihre Freunde heimsuchte. „Southbound“ gibt sich betont mysteriöser und weniger trivial als das Gros des Subgenres, geht dabei allerdings leider auch etwas mittelbarer und somit distanzierter zu Werke und hält sich am Ende für cleverer als er wirklich ist. Die insgesamt vier Segmente halten von viel vom „old-fashioned creepydom“, wenngleich sie doch nicht ganz darauf verzichten mögen, s. etwa die zweite Episode um den vermutlich kannibalisch umgetriebenen Satanskult. Auch die „Reeker“-Filme scheinen mir ausgiebig zitiert, denn ebenso wie dort geht es hier um verirrte Menschheits-Repräsentanten in einem paradimensionalem Areal oder einer Art Vorhölle, in der allerlei nicht-greifbare und/oder dämonische Entitäten ihr Unwesen treiben und sie auf die eine oder Art heimsuchen, mit Schuld, Sühne und Verfehlungen konfrontieren. Das Ganze wird mittels betont elliptischer Narration serviert, die sich jedoch bereits nach kurzer Spielzeit insofern als Fehlgriff erweist, als dass sie zumindest den uninformierten Zuschauer von Anfang an auf eine Sinnsuche schickt, die sich auf eher unbefriedigende Weise entwickelt. Im Grunde verrät das gelungene, eingmatische Poster zum Film bereits alles, was man über ihn wissen muss bzw. kann: Darauf ist eine Straßenaufnahme in Form eines gigantischen, umgedrehten Pentagramms zu sehen. Ausweglosigkeit und ewiges Gefängnis lauten die beiden große Stichworte, die „Southbound“, dessen Titel natürlich doppeldeutig zu lesen ist, bestimmen. Über die Mittelpracht des Gesamtresultats mögen sie nicht hinwegtäuschen.

5/10

THE INCIDENT

„Where were you, buddy?“

The Incident ~ USA 1967
Directed By: Larry Peerce

Späte Sonntagnacht in New York. Während die meisten Einwohner der Stadt sich schlafend auf die kommende Arbeitswoche einstellen, fährt eine kleine, bunt zusammengewürfelte Gruppe von Bürgern mit der Bahn Richtung Grand Central Station. Normalerweise würde keiner der größenteils missgelaunten Passagiere den anderen auch nur von oben herab ansehen, heute Nacht jedoch verbindet sie alle etwas: Als letzte Fahrgäste steigen nämlich die zwei Schwerdelinquenten Artie (Martin Sheen) und Joe (Tony Musante) zu, die nichts anderes im Sinn haben, als ihre Mitmenschen „fertigzumachen“…

Larry Peerces „The Incident“ ist leider noch immer ein nur recht rar verfügbarer Film, dabei verdankt ihm das in den siebziger Jahren vielfach ausstaffierte Terrorszenario einer von wenigen Kriminellen drangsalierten, an Ort und Stelle festgehaltenen Personen so ziemlich alles. Ich selbst habe ihn einmal in den frühen Neunzigern im Nachtprogramm des ZDF gesehen, erlebte ihn damals zwar bereits als involvierend, aber auch recht karg und befremdlich und habe ihn dann, trotz eigentlich steter Präsenz im cineastischen Hinterkopf, bis dato ad acta gelegt. Umso begeisternder fiel die aktuelle Betrachtung aus.
Berühmte, spätere Titel wie „The Last House On The Left“, „Fight For Your Life“ oder „La Casa Sperduta Nel Parco“ bahnen sich während der Rezeption und danach unweigerlich den notorischen Weg zurück ins Gedächtnis des Zuschauers; Filme, deren dräuende Unbequemlichkeit sich vor allem durch herbe psychologische Attacken auf Protagonisten wie Zuschauer niedersetzt; wirkmächtige Werke, bei denen der Zuschauer wie seine „Leidensgenossen“ auf Leinwand oder Mattscheibe zur Passivität gezwungen ist, die Zähne knirschend aufeinandergepresst, die Fäuste bis zum Zerbersten in der Tasche geballt. Mehr noch als seine Nachfolger zeichnet „The Incident“ allerdings ein vielschichtiges Personenbild, indem er ein nicht weniger als sechzehn Personen umfassendes Charakter-Kaleidoskop feilbietet, von denen alle ohnehin gewaltige existenzielle Probleme mit sich herumschleppen: Das ewige Thema von Familie Wilks (Ed McMahon, Diana Van der Vlis, Kathleen Smith) ist das beklagenswerte, zu wenig Geld in der Hauskasse zu haben, um so freigiebig leben zu können wie andere; die befreundeten Privates Teflinger (Beau Bridges) und Carmatti (Robert Bannard) besuchen die Staaten – mutmaßlich im Zuge eines Fronturlaubs von Vietnam; Arnold Robinson (Brock Peters) ist ein afroamerikanischer Rassist, der am liebsten jeden Weißen  standrechtlich erschießen würde, was seine liberal positionierte Frau Joan (Ruby Dee) zunehmend abstößt; Senior Sam Beckerman (Jack Gilford) jammert seiner geduldigen Gattin Bertha (Thelma Ritter) unentwegt vor, wie verkommen und egozentrisch die junge Generation doch sei; Harry Purvis (Mike Kellin) leidet unter den hasserfüllten Beleidigungen seiner luxussüchtigen Frau (Jan Sterling), die ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit unterbreitet, einen Loser geheiratet zu haben; Douglas McCann (Gary Merrill) steht als arbeitsloser Alkoholiker kurz vor der Obdachlosigkeit; Kenneth Otis (Robert Fields) kommt mit seiner Homosexualität nicht zurecht; Der halbstarke Tony (Victor Arnold) ist stolz darauf, just die hübsche, etwas zugeknöpfte Alice (Donna Mills) erobert zu haben. Und ein volltrunkener Penner (Henry Proach) schläft seinen Rausch aus. Soweit der figurale Aufzug. Einmal in dem ausfluchtslosen Waggon zusammengepfercht sind sie alle den Repressalien und Attacken ihrer beiden, mit einem Stilett bewaffneten, zunehmend entfesselten Peiniger ausgeliefert. Niemand von ihnen bringt die Zivilcourage oder den Mut auf, die Gemeinschaft zur Gegenwehr aufzubringen, allzu groß die Misanthropien, Despektierlichkeiten und wechselseitig grassierenden Ressentiments. Dabei wird jeder zielgerichtet bei seiner jeweiligen, spezifischen Schwäche gepackt. Artie und Joe quetschen sämtliche der Kurzreisenden öffentlich und durch entwertende Beleidigungen gnadenlos aus, um sie entkräftet ihrer Pein zu überlassen. Erst als bei einem der beiden Soldaten sein Kriegstrauma ausbricht, ist es mit der asozialen Herrlichkeit vorbei – eine unnötige Wendung, die lediglich  durch ein wenig Demonstration gemeinschaftlicher Stärke hätte verhindert werden können, deren Mobilisierung jedoch, wie sich am Ende zeigt, ebenso undenkbar gewesen wäre wie eine vernünftige Diskussion mit den beiden ausgewiesenen Unruhestiftern.
„The Incident“ hat nach annähernd fünfzig Jahren kein Gran seiner zerreißenden, anklagenden und betroffen machenden Wirkung eingebüßt, er ist und bleibt eines Mindestmaßes physischer Gewaltaufwendung zum Trotze ein resignatives, schwarzes Meisterwerk des transgressiven Films. Stilistisch stark beeinflusst vom Cinéma vérité und vom frühen Cassavetes verweist er außerdem genealogisch betrachtet klar in Richtung des am Firmament aufziehenden New Hollywood.

10/10