THE STRANGLERS OF BOMBAY

„Whoever rules decides the truth.“

The Stranglers Of Bombay (Die Würger von Bombay) ~ UK 1959
Directed By: Terence Fisher

Bombay in den 1830er Jahren. Captain Harry Lewis (Guy Rolfe), aufrechter Offizier der Britischen Ostindien-Kompanie, wird immer wieder mit unerklärlichen Fällen von spurlosem Verschwinden konfrontiert: Nicht nur Hunderte von Einheimischen, selbst ganze Handelskarawanen sind urplötzlich unauffindbar. Nähere Nachforschungen Lewis‘, die immer wieder von seinem schnöseligen Rivalen Connaught-Smith (Allan Cuthbertson) torpediert werden, führen ihn zu einer Sekte fanatischer Kali-Anbeter, die Andersgläubige mit Seidentüchern erdrosseln und deren Gefolgsleute selbst noch in höchsten Kreisen aktiv sind.

Das Phänomen der Thuggees oder kurz Thugs, einer umfassend tätigen, fanatischen  Mörderbande, die in der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts Indien unsicher machte, bildet den historischen Hintergrund dieser erwartungsgemäß tollen Hammer-Produktion, in der man neben Christopher Lee allerhöchstens noch die Farbe vermisst, die – und ich bin bekanntlich sonst überhaupt kein Vertreter solcher Andeutungen – diesem Abenteuerfilm ganz bestimmt wohl getan hätte. In diesem Falle dürften allerdings weniger kreative Freiheit denn budgetbedingte Einschränkungen für die entsprechende „künstlerische“ Entscheidung Sorge getragen haben. Was einmal mehr nach exotischer Ferne ausschaut, wurde komplett in den Bray Studios respektive in Surrey auf Zelluloid gebannt und in denkbar knapper Erzählzeit von rund 80 Minuten abhgehandelt – und doch präserviert auch dieser Hammer-Film die speziell jenem Studio zueigene, britische Erhabenheit und seine rundum seriös wirkende Herangehensweise, die es etwa von weniger sorgfältig arbeitenden Konkurrenten wie Harry Alan Towers abhob.
Manchmal ging es mit Hammer nun nicht nur in historische, sondern zudem noch in kolonialistische Sphären, so in „The Stranglers Of Bombay“, die der authentischen Figur William Henry Sleemans, der ehedem hauptverantwortlich war für die Zerschlagung der Thuggee-Bruderschaft, ein inoffizielles Denkmal setzt. Große Massenszenen darf man natürlich nicht erwarten; was man bekommt, macht solche jedoch ohnehin mehr als wett: Den hochgewachsenen Guy Rolfe in der Heldenrolle nämlich, eigentlich ein klassischer Darsteller übler Bösewichte, der in späten Jahren noch einen dritten Frühling bei Full Moon als Vize-Vize-Andre Toulon bzw. „Puppet Master“ erleben sollte. Dazu hat es gleich zwei Fieslinge: Marne Maitland und George Pastell, infolge ihrer südländischen Physiognomie beide immer wieder gern von der Hammer als hundsföttische Spitzbuben an den Start gebracht und auch sonst ganz tolle Schauspieler. Den obligatorischen Fight zwischen Mungo und Kobra gibt’s noch obendrauf, ebenso wie ein klein wenig spitze Imperialismuskritik, so in allen Ehren quasi. Eine durchweg runde Sache somit.

8/10

BLUE CHIPS

„I quit!“

Blue Chips ~ USA 1994
Directed By: William Friedkin

Der knarzige Coach Pete Bell (Nick Nolte) trainiert die „Dolphins“, das Basketball-Team der Western University in L.A.. Nachdem seine Mannschaft die letzte Saison auf den mittleren Rängen beschloss, hält Bell nun landesweit Ausschau nach vielversprechenden Nachwuchstalenten. Gleich drei davon findet er in Neon (Shaquille O’Neal), Butch (Anfernee Hardaway) und Ricky (Matt Nover), allesamt Kids aus mittleren bis prekären Verhältnissen, aber großartige Basketballer. Um sowohl die Jungs als auch ihre Eltern zu einer raschen Immatrikulationsentscheidung und damit zur Aufnahme ins Team zu bewegen, lässt sich Pete mit dem eigentlich verhassten, öligen Gauner Happy (J.T. Walsh) ein. Dieser steht einer semioffiziellen Organisation vor, die die Studierenden der Sportmannschaften und ihre Familien mit monetären Zuwendungen schmiert. Als herauskommt, dass dies längst nicht der einzige von Happy initiierte Korruptionsfall in Petes Werdegang bei den Dolophins ist, ringt sich Pete zu einer schweren Entscheidung durch.

Als Amerikaner begreift man die einem Film wie „Blue Chips“ inhärente Dramatik wahrscheinlich wesentlich besser. Dort gelten die College-Mannschaften in den großen Nationalsportarten wie Football, Baseball und eben Basketball nämlich nicht nur als unerlässlicher institutioneller Renommee-Baustein des jeweiligen Hauses, sondern zudem als wichtige Sprungbretter für anschließende Karrieren im Profisport. Das rigorose Talentfischen der Unis führt nur eben zwangsläufg dazu, dass manche Spielergröße im Prinzip überhaupt nichts in Vorlesungen oder Seminaren zu suchen hätte, sondern bloß wegen seiner Muskelkraft oder ähnlicher Geschicke eingeschrieben ist. Aus diesem Grunde gelten auch strenge Vorschriften, was etwa materiell basierte Lockungsversuche anbelangt – diese sind nämlich verboten. Und das aus gutem Grund: Wer primär eines dicken Portemonnaies oder eines schicken Sportwagens wegen spielt, der spielt mit halbem Herzen. Für einen Coach wie Pete Bell, dessen Herz das Aussehen eines Basketballs hat, eine nur allzu logische Kausalität. Dennoch liebt er das Gewinnen fast ebenso sehr wie den Sport selbst, was ihn schließlich in den Integritätsverrat treibt – um besser zu werden, braucht es besserer Spieler und die wachsen nicht auf Bäumen.
Ob ich „Blue Chips“ angeschaut hätte, wenn nicht William Friedkin der Regisseur wäre, weiß ich nicht; tatsächlich würde ich Selbiges sogar eher bezweifeln. Im Œuvre dieses wandlungsfähigen und -vollen Filmemachers nimmt „Blue Chips“ nun wohl eher eine Rolle im letzten Drittel ein. Vier Jahre nach seinem schönen Horrorstück (und nach meinem persönlichen Dafürhalten letzten wirklich bravourösen Film) „The Guardian“ entstanden, beweist Friedkin zwar nicht zuletzt via die bravourös choreographierten und montierten Spielsequenzen, dass mit ihm als Profi seiner Zunft noch immer gerechnet werden darf; von der umfassenden Tragweite, der Kunstfertigkeit und dem eisernen Zugriff früherer Werke jedoch ist dieses mäßig aufregende Sportdrama allerdings ein gutes Stück weit entfernt. Tatsächlich sind es einzig und allein Friedkins Regie und Nick Noltes hochemotionales, involvierendes Spiel, die den mit diversen Cameos echter Profis gepflasterten „Blue Chips“ von ähnlich geprägten Genrefilmen zumindest für den eher kino- denn ballsportinteressierten Beobachter bestenfalls leicht abheben. Das Script von Ron Shelton indes – einem Mann, der mit wenigen Ausnahmen vornehmlich Drehbücher um Sportgeschichten verfasste und inszenierte – bleibt so bodenständig wie routiniert.

6/10

BILLY THE KID

„I’m saving my right to shake hands with friends.“

Billy The Kid (Der letzte Bandit) ~ USA 1941
Directed By: David Miller

New Mexico in den frühen 1880ern. Nachdem der von dem Ganoven Dan Hickey (Gene Lockhart) gedungene Outlaw William Bonney (Robert Taylor), genannt „Billy The Kid“, in der Prärie seinen alten Freund Jim Sherwood (Brian Donlevy) wiedertrifft, wendet er Hickey den Rücken zu und lässt sich als Cowboy von dessen schärfstem Konkurrenten, dem Rancher Eric Keating (Ian Hunter) anstellen, für den auch Jim als Vormann arbeitet. Während Keating, der für Billy bald zum väterlichen Ratgeber und Freund avanciert, offziell zum Justizbeauftragten ernannt wird, setzt Hickey nun erst recht alles daran, seinen Erzfeind zu schwächen. Er lässt Keating erschießen, woraufhin Billy trotz der Mahnung Jims wieder zum Revolver greift und eiskalt mit Hickey und seinen Leuten abrechnet.

Obschon historisch extrem ungenau und bewusst verfälscht, ist dies einer der schönsten Hollywood-Western um den Gesetzlosen William Bonney. Robert Taylor, zum Entstehungszeitpunkt des Films bereits gute acht Jahre älter als der historische Bonney bei seinem Tod,  interpretiert seinen Antihelden in einem denkwürdigen Auftritt auf brillante Weise als einen ewig auf der Flucht befindlichen, moralisch verlorenen Charakter, der zwischen den Extremen umherpendelt und nirgends (s)ein Zuhause findet. Als einzigen Freund und „Maskottchen“ dichtet das Script ihm den mexikanischen Tagelöhner Pedro an (ebenfalls wunderbar: Frank Puglia), der Billy, wie eine treffliche, symbolstarke Szene, in der beide gemächlichen Schrittes und rücklings aneinandergelehnt durch die Steppe reiten, als einzig verlässliche, freundschaftliche Stütze dient. Als Pedro hinterrücks ermordet wird, ahnt man bereits, dass die Geschichte auch für die Titelfigur kein gutes Ende nehmen kann. Billys finaler Schritt hin zum gnadenlosen Racheengel – eine sehr konsequente und ungewohnt harte Entwicklung für eine Studioproduktion dieser Ära – ist gleichermaßen Zeichen seiner maßlosen Enttäuschung angesichts der verzweifelten Versuche des gutmütigen Keating, den Westen zu zivilisieren und Symbol der eigenen Todessehnsucht. Wenngleich Billy nicht anders kann, als mit den feigen Schurken abzurechnen, weiß er, dass die Zeit für Männer wie ihn ihren Zenit längst überschritten hat. Fast jeder, der ihm etwas bedeutete, ist tot und die einzige Frau (Mary Howard), die sein rastloses Herz noch hätte befrieden können, ist längst dem besten Freund versprochen. Er lässt sich daraufhin von Jim Sherwood, der Keatings Nachfolge antritt, erschießen, ohne sich ernstlich gegen ihn aufzulehnen (er zieht mit der Rechten, statt mit links, wie er es als Linkshänder eigentlich stets zu tun pflegte). Insofern ist der in prächtigem, augenzuckerndem Technicolor photographierte Film bereits ein früher Abgesang auf die grassierenden Romantizismen der Western-Kultur, lange, bevor Termini wie „Spätwestern“ oder „Postwestern“ die Runde machten.

9/10

LUKE CAGE: SEASON 1

„Sweet Christmas.“

Luke Cage: Season 1 ~ USA 2016
Directed By: Paul McGuigan/Phil Abraham/Andy Goddard/Marc Jobst/Clark Johnson/Magnus Martens/Sam Miller/Vincenzo Natali/Guillermo Navarro/Tom Shankland/Stephen Surjik/George Tillman Jr.

Einige Monate nach seiner Trennung von der superstarken Privatdetektivin Jessica Jones ist der mit ebenfalls beachtlicher Körperkraft und einer nahezu unverletzbaren Haut ausgestattete Luke Cage (Mike Colter) bei dem alten Harlemer Barbier Pop Hunter (Frankie Faison) untergekommen, wo er sich incognito ein paar Dollar verdient. Zeitgleich arbeitet Luke noch nächtens als Küchenkraft für den Clubbesitzer, Gernegroß und Waffenschieber Cornell Stokes (Mahershala Ali), genannt „Cottonmouth“. Als ein paar Kids, die häufig auch in Pops Salon herumhängen, einen Waffendeal von Cottonmouth überfallen, bricht in Harlem die Hölle los. Nachdem Pop zum Opfer von einem von Cottonmouths blindwütigen Schlägern wird, sieht sich Luke gezwungen, einzugreifen. Dabei gerät er nicht nur an die harte Polizistin Misty Knight (Simone Missick), die Cottonmouth auf den Fersen ist, sondern auch an dessen in der Lokalpolitik tätigen Cousine Mariah Dillard (Alfre Woodward), den Gangster Shades (Theo Rossi) und den großen Strippenzieher im Hintergrund, Willis „Diamondback“ Stryker (Erik LaRay Harvey), mit dem Luke eine gemeinsame Kindheit verbindet. Zudem begegnet er der in Superheldenfragen mittlerweile erfahrenenen Krankenschwester Claire Temple (Rosario Dawson) wieder, die gemeinsam mit Luke tief in dessen Vergangenheit eintaucht.

Wortwörtlich eine Serie mit Soul. „Luke Cage“, das nächste von Netflix produzierte Marvel-Format, macht die kleineren Schwächen, die „Jessica Jones“ hier und da etwas ausbremsten, wieder vergessen und entwickelt eine veritable Eigenkraft, die die erstmals 1972 in Erscheinung getretene Comicfigur zurück zu ihren einst von Archie Goodwin und John Romita Jr. kreierten Wurzeln führt. Luke Cage, der als Superheld „Power Man“ debütierte, wurde in seiner Eigenschaft als einer der ersten afroamerikanischen Helden als Comicpendant zur Blaxploitation-Welle im Kino erschaffen. Nach dem gebürtigen Zentralafrikaner T’Challa alias „Black Panther“ und dem Captain America – Sidekick Sam „Falcon“ Wilson debütierte Luke Cage ferner als erster farbiger Superheld mit eigenem Serienlabel. Heute tritt er, zwischenzeitlich Mitglied der „Avengers“, freilich ohne seinen kaum mehr zeitgemäßen, damals typischen Dress auf, zu dem sich die Serie jedoch einen liebevollen Gag leistet. Auch sonst ist die dreizehn Episoden starke Staffel reich an geschickten Querverweisen und Hintertürchen nicht nur zu Cages eigener Comic-Historie, sondern ebenfalls zu den bisherigen Entwicklungen im MCU und natürlich den beiden bereits etablierten Formaten. So gibt es ein Wiedersehen mit dem schmierigen, nach wie vor stets auf der Verliererspur befindlichen Kleingangster Turk Barrett (Rob Morgan). Die wunderbare Rosario Dawson als „Night Nurse Claire Temple wird jetzt – endlich und verdient – wesentlich prominenter inszeniert als bis dato und erwächst in den späteren Episoden zu einer der wichtigsten Figuren des Serials. Der bibelfeste, schwer gewalttätige und ziemlich verrückte Diamondback setzt die junge Tradition der First-Class-Villains nach Wilson Fisk und dem „Purple Man“ Kilgrave nahtlos fort, nachdem der zunächst als Hauptschurke aufgebaute Cottonmouth Stokes mehr oder minder überraschend das Zeitliche segnen muss. Überaus viel Wert legt „Luke Cage“ auf das Lokalkolorit: Harlem und seine schwarze Kultur sind ein wichtiges Sujet für die Reihe; immer wieder kommt es zu ausführlichen Zitaten und name droppings betreffs dunkelhäutiger Künstler und Vordenker, die die Seele des Stadtteils jenseits der 110ten so geprägt haben. Einige von ihnen, so die Rapper Method Man und Fab 5 Freddy, geben sich dann gleich auch höchstpersönlich die Ehre mittels einer Stippvisite. Und erst recht der Musikeinsatz: Gerade diesbezüglich bildet die Serie eine wahre Schatztruhe. Von Jazz und Soul über Funk bis hin zum Hip Hop kredenzt man dem Rezipienten Formidables, nicht zuletzt dank der motivstiftenden Idee, einen musikbesessenen Gangster und Clubbesitzer zu installieren, der in seinem Laden ein stetes Forum für Acts aller Couleur bietet. So kommt man in den Genuss, nahezu komplette Live-Nummern von Charles Bradley, der erst kürzlich verstorbenen Sharon Jones oder den unkaputtbaren Delfonics zu bewundern.
Jetzt schon legendär dürfte insbesondere die Szene am Ende der von Vincenzo Natali inszenierten Episode 4 sein, in der Luke zum privaten Kopfhörer-Sound „Bring Da Ruckus“ vom Wu-Tang Clan den inoffiziellen Geldspeicher seines Widersachers auseinandernimmt. Traumhaft.

9/10