„Let’s cook.“
Breaking Bad ~ USA 2008-2013
Directed By: Michelle MacLaren/Adam Bernstein/Vince Gilligan/Colin Bucksey/Michael Slovis/Bryan Cranston/Terry McDonough/Johan Renck/Rian Johnson/Scott Winant/Peter Gould/Tricia Brock/Bronwen Hughes/Tim Hunter/Jim McKay/Phil Abraham/John Dahl/Félix Enríquez Alcalá/Charles Haid/Peter Medak/John Shiban/David Slade/George Mastras/Thomas Schnauz/Sam Catlin
Walter White (Bryan Cranston) ist Ende vierzig, Lehrer an einer örtlichen High School in Albuquerque, New Mexico, ein Chemie-Ass, Vater eines Sohnes (RJ Mitte) im Teenager-Alter, der unter einer zerebralen Störung leidet, verheiratet mit seiner erneut schwangeren Frau Skyler (Anna Gunn), deren jüngere Schwester Marie (Betsy Brandt) mit dem geradlinigen DEA-Beamten Hank Schrader (Dean Norris) verheiratet ist. Um etwas nebenher zu verdienen, jobbt er nachmittags zudem als Aushilfe in einer Autowaschanlage. Walters Leben verläuft in überaus biederen, unspektakulären Bahnen, bis er eines Tages die Diagnose „Lungenkrebs“ erhält. Da Walter weder die nötige Therapie löhnen kann, noch weiß, wie er seine Familie nach seinem möglichen Ableben versorgt zurücklassen soll, wächst in ihm ein wahnwitziger Plan heran: Während er Schwager Hank auf dessen Einladung hin bei einer Drogenrazzia begleitet, wird er auf seinen Ex-Schüler Jesse Pinkman (Aaron Paul) aufmerksam, der den Cops gerade eben entkommen kann. Walter beschließt, sein chemisches know-how mit Pinkmans krimineller Energie zu kreuzen, Methamphetamin zu kochen und – zunächst im kleinen Stil – zu verkaufen. Der Beginn einer irrsinnigen, sich immer weiter zuspitzenden Odyssee durch Wirrnisse aus Lügen, Versteckspielereien, Gier, Fanatismus, Verrat und Gewalt.
Aufstieg und Fall des Walter White: das Phänomen „Serie“, das sich ja seit den „Sopranos“, also im Prinzip seit rund zwanzig Jahren ganz neuen Beliebtheitsgraden und Qualitätssteigerungen erfreut, habe ich aus höchst persönlichen Gründen nur sehr zögerlich bis zu mir vordringen lassen. Freunde und Bekannte, die mir seit Jahr und Tag von allem Möglichen aus jenem Sektor vorschwärmen, wissen ein Lied davon zu singen. Die erste und eigentlich gleich vordringlichste Crux liegt darin, keine Bereitschaft für ellenlange Pausen zwischen den einzelnen seasons aufzubringen. Wichtige Details geraten so möglicherweise in Vergessenheit, neuerlicher Zugang muss gefunden werden. Zumindest dieses Problem lässt sich lösen durch stoisches Abwarten. Ist die ganze Reihe erst durch und auf einem Heimmedium verfügbar, steht dem kontinuierlichen Genuss nichts mehr im Wege. Bis auf ein paar winzige Unwägbarkeiten, versteht sich. Nehmen wir „Breaking Bad“. 5 Staffeln, 62 Episoden, jede davon mit einer Durschnittslänge von rund 48 Minuten versehen. Das sind summarum knapp 3000 Minuten, sprich 50 Stunden an Erzählzeit. Kein Pappenstiel und in Anbetracht des unbedingten Bedürfnisses, am Ball und in der Geschichte zu bleiben, ein zudem immens bindender Zeitraum. Das Sehen wird zur Verpflichtung, die Kontinuität zur Zwanghaftigkeit das Dranbleiben zur Aufgabe. Höchst persönliche Gründe, wie erwähnt. Ich habe für „Breaking Bad“, weil ich den Löwenanteil infolge einer netten, kleinen Influenza in eine zur Häuslichkeit und Bettruhe verdammten Woche legen konnte, etwa 18 Tage gebraucht. 18 ziemlich obsessive Tage ohne jede andere audiovisuelle Ablenkung, Mußezeit oder Aufmerksamkeitsverlagerung. 18 Tage Walter White und Jesse Pinkman mit knapp drei Stunden pro Tag. Eine solche Ochsentour kann und will ich mir gar nicht öfter als einmal pro Jahr gestatten, man möge also nicht erwarten, auf diesen Seiten künftig ein deutliches Mehr an Serienhermeneutik anzutreffen. Zudem gestaltet die klare Trennung der beiden Medien „Film“ und „Serie“ für mich jetzt noch wesentlich fassbarer als bislang. Die konzentrierte Betrachtung „Breaking Bad“ war also vor allem fordernd, zuweilen sogar zehrend, wenngleich immerhin so lohnenswert, dass sich am Ende und mit gebotenem Abstand recht sicher von Bereicherung sprechen lässt.
Über die von Vince Gilligan konzipierte, sich ja einer unglaublichen globalen Beliebtheit erfreuenden Reihe ist mittlerweile sowiel an Analytischem und Deutungshoheitlichem verfasst worden, dass sich nahezu alles weitere Diesbezügliche als obsoletherausstellen muss. Dennoch sei mir zumindest gestattet, nachhaltigste Eindrücke festzuhalten. Am Großartigsten gefiel mir die bei allen Querverweisen und Genreliebäugeleien unbeirrbar durchgehaltene Darstellung des westlichen Mittelständlers in der Existenzkrise. Walter White, der im Laufe der Geschichte nicht nur immer wieder auf sein selbstgewähltes Szene-Pseudonym des Quantenphysikers Heisenberg, sondern auch auf seine wunderbar beliebig gewählten Initialen (nicht ganz zufällig dieselben wie die des Dichters Walt Whitman) „reduziert“ wird, entpuppt sich gleich zu Beginn als symbolischer WASP-Anonymous in Nöten. Aus einem ehemals vielversprechenden Forscherkopf ist wegen privater Übervorteilung einstmals ein biederer Schullehrer geworden, der sein Fachgebiet nach wie vor abgöttisch liebt, sich parallel dazu jedoch tagtäglich mit dem diesbezüglichen Desinteresse seiner Schülerschaft konfrontiert sieht. Seine schwangere Frau ist zu Beginn noch eine eher rechthaberische Person, die zu Haus den explizit liberalen Ton angibt, sein in der Pubertät befindlicher Sohn leidet zugleich an seiner ihn von den meisten peer groups zwangsexkludierenden Behinderung. Die Krebsdiagnose schließlich bringt das Fass zum Überlaufen: der Beginn einer Entwicklung hin zur Verzweiflung und zum Ausbruch, der nach rund zwei Jahren erzählter Zeit zu einer verheerenden conclusio führt. Anders als die meisten legendären Mafia-, Gangster- und Drogenbosse der Pop-Historie erfährt Walter White trotz diverser strategischer Erfolge und Coups nicht einen einzigen Moment des wirklich kostbaren, privaten Triumphs. Das Damoklesschwert der Entdeckung, personifiziert durch seinen immer weiter von ihm fortrückenden Schwager, senkt sich beinahe unmerklich. Walters steter Kampf gegen konkurrierende Kriminelle wird zunehmend von Leichen gesäumt; bald gibt es die ersten Kollateralschäden durch unschuldige Opfer, an deren Tod White durchweg die, wenngleich hier und da mittelbare, Schuld trägt. Seine „Karriere“ gestaltet sich zwar immer wieder als von Pyrrhus-Siegen gekrönt, fordern zugleich jedoch stets und immer wieder den Preis eines wesentlichen Stücks persönlicher Integrität.
Daher erscheint mir „Breaking Bad“ trotz etlicher, dramaturgisch einfallsreich komischer bis grotesker Momente vor allem als intime Tragödie. So schwärzt sich die Grundierung der Story sukzessive, bis der Rezipient mit den letzten Folgen keine Möglichkeit mehr erhält, den immer tiefer fallenden Walter White auch nurmehr als Antihelden wahrzunehmen. Als ihm schließlich auch noch sein letzter menschlicher Halt, nämlich Filius Walter jr., am Telefon entgegenbellt, was er heuer von seinem Dad hält, bleibt kein Zweifel mehr bestehen: Der Mann hat, bei allem Verständnis hinsichtlich seiner vormals schweren multiplen Krise, gründlich verschissen. Was aus dem vormals eher ironisch als deppenhaften Pothead gezeichneten Jesse Pinkman, dessen komplexe Beziehung zu Walter wohl am ehesten der eines funktionalisierten Ziehsohnes entspricht und der infolge seines verhängnisvollen Kontakts zu ebenjenem Mentor gleich mehrfach quer durch die siebente Hölle gescheucht wird, erfahren wir nicht. Vielleicht ist es zumindest ihm vergönnt, einen Neuanfang zu wagen. Weg von Albuquerque, weg von der Grenze, weg vom Meth und vor allem: weg von Walter White.
9/10
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