JACK REACHER: NEVER GO BACK

„I woke up one morning and the uniform didn’t fit.“

Jack Reacher: Never Go Back (Jack Reacher: Kein Weg zurück) ~ USA/CH 2016
Directed By: Edward Zwick

Der eigentlich in romantischer Erwartung nach Virginia kommende Jack Reacher (Tom Cruise) muss sich um seine Informantin beim Militär, Susan Turner (Cobie Smulders), kümmern. Diese ist nämlich zu Unrecht wegen Spionageverdachts und weil sie angeblich im ZUsammenhang mit zwei ermordeten Soldaten in Afghanistan steht, verhaftet worden und sitzt im Gefängnis. Kurzerhand von Reacher befreit, fliehen die beiden vor den uniformierten Häschern und suchen nach Beweisen für Susans Unschuld Zudem muss Reacher sich um seine mutmaßliche Tochter Samantha (Danika Yarosh) kümmern, von der er eben erst erfahren hat. Die Killer, wie sich herausstellt, eine Organisation von militärisch hochrangigen Waffenschiebern, nutzen Samantha als Druckmittel…

Der bereits achtzehnte Roman um den Ex-Soldaten Jack Reacher wurde für das erste Kino-Sequel ausersehen, wobei die Wahl der Vorlage ohnehin eine untergeordnete Rolle spielen dürfte. Auch der zweite „Jack Reacher“-Film ist nicht mehr als pures Kino glänzender Oberflächen, sich dieser einschränkenden Tatsache allerdings völlig bewusst und damit absolut aufrichtig zu sich selbst und seinem Publikum. Was hier wie und vor allem warum passiert, ist nebensächlich und lediglich den Gesetzen der halbwegs logischen Stringenz geschuldet, ansonsten geht es lediglich darum, Reacher bzw. Tom Cruise in seiner ersten Zusammenarbeit mit Hochglanz-Routinier Edward Zwick (für dessen Arbeit ich eine klitzekleine Schwäche habe, ohne genau zu wissen, warum eigentlich…) dabei zuzuschauen, wie er sich in allerlei problematische Situationen hinein- und dann wieder herauslaviert. Jack Reacher ist ja einer dieser momentan wieder ganz angesagten Action-Tausendsassas, deren Reaktionsgeschwindigkeit allerhöchstens von der Präzision der Atomuhr übertroffen wird und die flotter zwanzig Kehlköpfe eingedrückt haben als der Blitz herniederzuckt. Als solcher wird er hier denn auch wieder stilisiert, wobei sich mit seiner unehelichen Tochter, die dann doch keine ist, eine gemeine Achillesferse einschleicht, die jedoch hinreichend eigene Schlagfertigkeit entwickelt. Das Prinzip Patchwork-Familie bekommt Zwicks Film weniger gut und macht ihn im Mittel etwas duselig; eine Eigenschaft, die ausgewiesener Genreware wie dieser nicht unbedingt zur Goldmedaille gereicht. Ähnliches gilt für den Ober-Antagonisten Robert Knepper, der zuletzt in „Hard Target 2“ sehr viel mehr Gelegenheit zum Reüssieren hatte. Vielleicht besinnt man sich bis zum nächsten Mal wieder, lässt die Girlys weg und holt sich stattdessen nochmal Werner Herzog als Bösewicht. Könnte ja der filminterne Zwillingsbruder sein.

6/10

SPLIT

„The broken are the more evolved.“

Split ~ USA 2016
Directed By: M. Night Shyamalan

Kevin Wendell Crumb (James McAvoy) leidet unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Ganze 23 Charaktere beherbergt seine zersplitterte Seele und einzig seine Therapeutin Dr. Fletcher (Betty Buckley) weiß um die tatsächliche Komplexität von Kevins Leiden. Ihre langjährigen Forschungen hinsichtlich der psychischen Krankheit „Dissoziative Identitäts-Struktur“ haben bereits Erstaunliches zutage gefördert, so glaubt Dr. Fletcher, dass die unterschiedlichen Personen innerhalb eines Menschen sogar ganz verschiedene physiologische Ausprägungen mit sich bringen können. Als sie in den Medien davon hört, dass drei junge Studentinnen, Casey (Anya Taylor-Joy), Claire (Haley Lu Richardson) und Marcia (Jessica Sula), entführt wurden und spurlos verschwunden sind, regt sich sogleich ein unguter Verdacht in ihr, der mit nächtlichen E-Mails von Kevin, in denen er um sofortige Hilfe bittet, korrelliert. Tatsächlich haben sich drei von Kevins Unterpersönlichkeiten, Patricia, Hedwig und Dennis, in den Vordergrund gedrängt, um die Ankunft einer 24. Wesenheit, der „Bestie“, vorzubereiten und zu diesem Zwecke die Mädchen gekidnappt. Die Gefangenen wissen derweil kaum, wie sie mit ihrem irren Entführer zurechtkommen sollen, mit Ausnahme von Casey, die eine ähnlich problematische Kindheit hinter sich hat wie Kevin…

Shyamalan ist wieder bei Kräften und knüpft scheinbar verlustfrei an vergangene Großtaten an (die letzten drei Vorgängerfilme habe ich bis dato bewusst ausgespart, fühle mich jetzt jedoch hinreichend gewappnet, dies zu ändern). Gekonnt steigert er im Verlaufe der Narration sukzessive das Interesse um den Zerfall (bzw. die Evolution, je nach Auslegung) seines Protagonisten, dessen manischen Volten man anfangs ebenso hilflos gegenübersteht wie die drei armen Kidnapping-Opfer. Als aufklärerisches Element und agente sage bietet die Geschichte uns dann die (alters-)weise Analytikerin und ihre anscheinend genaue, sich dann aber natürlich doch als lückenhaft entpuppende Kenntnis des Patienten Crumb. Dessen mehr und mehr verhallende Hilferufe wagt sie sich nicht bis zur letzten Konsequenz zu interpretieren, obwohl sie es doch eigentlich besser wissen müsste. Hinreichend Gelegenheit für eine darstellerische tour de force James McAvoys, dessen Leistung schon jetzt in die Annalen der großen Kino-Irren gehört, zumal der Ansatz, das Prinzip der „DIS“ anders etwa als James Mangold in „Identity“, auf einen Akteur zu beschränken, sich hier als völlig zweckmäßig erweist. Zwar liebäugelt Shyamalan mit dem einen oder anderen Einfluss von offensichtlichen Vorbildern, besitzt jedoch immer noch genug eigene Kreativkraft, um sein Werk stets als originell und spannend durchgehen zu lassen. Das Ende, das „Split“ dann im gleichen erzählerischen Universum wie Shyamalans bisheriges Meisterwerk „Unbreakable“ verortet, ein Mini-Cameo von Bruce Willis als David Dunn bereithält, dessen alten Antagonisten Mr. Glass erwähnt und insofern die Neugier auf große Dinge schürt, derer es nunmehr zu harren gilt, ist natürlich eine veritable, nerdige bombe surprise.

8/10

BIJO TO EKITAI NINGEN

Zitat entfällt.

Bijo To Ekitai Ningen (Das Grauen schleicht durch Tokio) ~ J 1958
Directed By: Ishirô Honda

Nachdem infolge von Atombombentests nuklear verseuchter Ascheregen auf einen japanischen Fischkutter gefallen ist, verwandelt sich dessen Besatzung in wahlweise flüssige oder nebelhaft-kristalline Kreaturen, die bei Berührung jedes Lebewesen sogleich ebenfalls verflüssigen und in sich aufnehmen können. Als die Monster Tokio attackieren, gerät die Nachtclubsängerin Chikako (Yumi Shirakawa) in Bedrängnis: Deren Freund, der kleine Rauschgiftschieber Misaki (Hisaya Itō), zählt zu den ersten Opfern der Flüssigwesen…

Meine Geduld immens strapazierender Japano-Monsterheuler, in dem statt riesiger Gummikreaturen oder Aliens mit Eroberungsdrang ausnahmsweise ein paar molten men auf Mordtour sind, die als dicke Pfützen aus Wick Medinait durch die Tokioter Kanalisation quillen, ab und zu mal ans Mondlicht kommen und sich ein Opfer holen, das sich dann wiederum liquidiert und flugs aus seinen Textilien herausfließt. Dieser pittoreske Effekt wird gleich mehrfach vorgespielt, während wie gehabt ein alter (Kenji Sahara) und ein junger Wiussenschaftler (Koreya Senda) sowie ein tapferer Polizist (Akihiko Hirata) sofort schnallen, wo das Problem liegt und den Beweis anhand von Versuchsfröschen erbringen, die im Labor das gleiche Schicksal wie zuvor die Matrosen zu erleiden haben. Am Ende rücken, auch das obligatorisch, zu heroischer Marschmusik die Uniformierten an und machen den Monstern mit Flammenwerfern den Garaus. Zu Dehnungszwecken gibt es parallel noch eine kleine Gangsterstory und mehrere Auftritte von Yumi Shirakawa in deren Nachtclub, in deren Zuge sie mit völlig unpassender, supersouliger Stimme akzentfrei amerikanische Songs zum Besten gibt. Ohnehin eher des Komplettierungszwecks wegen angeschaut, reicht mir diese einmalige Begegnung zumindest vorerst gänzlich aus.

4/10

DELIRIA

Zitat entfällt.

Deliria (Aquarius – Theater des Todes) ~ I 1987
Directed By: Michele Soavi

Wege eines verstauchten Knöchels verschwindet Alicia (Barbara Cupisti) kurz von ihrer ohnehin enervierenden Theaterprobe und sucht ambulante Hilfe im nächstgelegenen Krankenhaus. Dieses erweist sich als psychiatrische Klinik, in dem der wahnsinnige Mörder Irving Wallace (Clain Parker) einsitzt. Als Wallace Alicia sieht, bricht er aus und folgt ihr bis zum Theater, wo er Alicias Freundin Betty (Ulrike Schwerk) tötet. Regisseur Peter Collins (David Brandon) wittert sogleich kräftige Publicity für sein Stück und nötigt seine Besetzung, trotz des Mordes weiterzuproben, nachdem er den Schlüssel zur Haupttür wohlweislich hat verstecken lassen. Doch Wallace ist bereits im Gebäude und schlachtet die Anwesenden nach und nach ab.

Bretter, die den Tod bedeuten: „Deliria“, dessen Einworttitel sich fraglos an den nicht minder einprägsamen des Kollegen Dario Argento orientiert, markiert einen schicken Slasher-Giallo von Michele Soavi, der sich anfangs etwas zu viel Mühe gibt, sein ohnehin bloß der Verwurstung dienendes Ensemble vorzustellen und entsprechend gemächlich in die Gänge kommt, dann jedoch profund Gas gibt. Als der unter einer prächtigen (von Giovanni Lombardo Radice geklauten) Eulenmaske verborgene Mörder (als solcher von dem stattlichen George Eastman in Aktion gehalten) einmal Blut geleckt hat, gibt es für ihn kein Halten mehr – mit Drillbohrer, Kettensäge und Axt fordert er seinen Tribut bis hin zum final girl, das die ganze Chose psychisch immerhin halbwegs unbeschadet übersteht und sogar noch ein Post-Finale am nächsten, sonnigen Morgen zu meistern hat (Hausmeister Willys in der Folge mantraartig vorgetragener Text eignet sich gut für Saufspiele: „Right between the eyes…“).  Auch wenn die visuelle Finesse eines Maestro Argento trotz offenkundiger Inspiration auch über den Filmtitel hinaus vielleicht nicht ganz erreicht wird, bietet „Deliria“ zeitgenössisch-amtliches italienisches Horrorkino ohne redundantes Getöse, dessen hermetischer Schauplatz sich für einen Slasher trefflich ausnimmt und von Soavi, der diese spezielle Genre-Spielart ohnehin beherrscht, gekonnt genutzt wird.

7/10

DER REST IST SCHWEIGEN

„Er benimmt sich höchst seltsam.“

Der Rest ist Schweigen ~ BRD 1959
Directed By: Helmut Käutner

John H. Claudius (Hardy Krüger), Firmenerbe der Essener Claudius-Werke, kommt nach langen Jahren aus den USA zurück ins Ruhrgebiet, um seinem Onkel Paul (Peter van Eyck), mittlerweile Generaldirektor des Betriebs und neuer Ehemann von Johns verwitweter Mutter Gertrud (Adelheid Seeck), die Vollmacht für die Werksleitung zu übertragen. Vermeintlich zumindest, denn John hegt einen akuten, furchtbaren Verdacht: Er glaubt, dass Paul und Gertrud einst gegen den Vater (Siegfried Schürenberg) paktiert und dessen offiziellen Unfalltod zu verantworten haben. Während Johns Nachforschungen ihn der schrecklichen Wahrheit immer näher bringen, versucht Paul, den unliebsamen Neffen mit allen Mitteln für verrückt und somit unmündig erklären zu lassen…

Basierend auf Shakespeares monumentalem Drama „Hamlet“ (der Filmtitel entspricht Hamlets letzten Worten vor seinem Tode) übertrug Käutner jene Geschichte in stark entschlackter Form auf die Dynastie Krupp und ihre unrühmliche Geschichte als Waffenproduzent während des Dritten Reichs. Etliche Namen wurden von Shakespeare übernommen;  so gibt es neben den Hauptpersonen der Claudius-Familie einen Vertrauten Horace („Horatius“ Rainer Penkert), die Ballettmeister Krantz und Goulden („Rosenkranz“ Boy Gobert und „Güldenstern“ Richard Allan) oder eine psychisch labile Fee von Pohl („Ophelia“ Ingrid Andree). Dass sich das Ganze zum Ende hin weg von seinem historizistischen Ansatz hin zu einem relativ ordinären Kriminalfilm wandelt, stört wider Erwarten nicht weiter – es gelingt Käutner trotzdem, Pessimismus und Bitterkeit zu präservieren. John hat zwar dafür sorgen können, dass der Gerechtigkeit genüge getan und die schändliche Intrige seines Onkels aufgedeckt werden konnte; seine Familie jedoch und mit ihr alles, was sie einst groß machte, ist nun endgültig ruiniert und das weit über die zu zahlenden Reparationsleistungen infolge ihrer Kriegsschuld hinaus. Sanitätsrat von Pohl („Polonius“ Rudolf Forster) ist tot, Gertruds bleierne Schuld erwiesen, Fee ist ob des Todes ihres Vaters dem Wahnsinn anheim gefallen; John steht einsam und verlassen vor der winterlichen, leeren Villa seiner Ahnen. Und von Edgar Wallace schauen neben Siegfried Schürenberg noch Charles Regnier und Heinz Drache vorbei. Zumindest personell überschaubar war der Deutsche Film da noch.

8/10

PARDNERS

„There’s no „we!“ There’s „me“ and there’s „you,“ and „you“ I don’t want to see anymore!“

Pardners (Wo Männer noch Männer sind) ~ USA 1956
Directed By: Norman Taurog

Muttersöhnchen Wade Kingsley (Jerry Lewis) möchte nicht nur unbedingt in die Fußstapfen seines Vaters (Jerry Lewis) treten und in den Westen gehen, sondern wie weiland sein Dad mit dessen besten Freund Slim Mosely (Dean Martin) auch mit Slims Sohn (Dean Martin) eine echte Männerfreundschaft aufbauen. Slim jedoch ist bei einem Besuch in New York alles Andere als angetan von dem linkischen Tolpatsch. Dennoch gelingt es Wade, sich bei Slim einzuschmeicheln und diesen zu belatschern, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Zurück in Texas müssen die beiden sich gegen den bösen Bankier Dan Hollis (John Baragrey) und dessen Outlaw-Bande zur Wehr setzen.

„Pardners“, der vorletzte gemeinsame Film von Martin & Lewis, lässt im Nachhinein bereits erahnen, dass es zu jenem Zeitpunkt mit der einstmals gefeierten Bühnen- und Filmfreundschaft der beiden nicht mehr allzu weit her sein konnte, auch wenn das wie üblich versöhnliche Ende dem Publikum noch etwas ganz Anderes zu suggerieren versucht. Die praktisch unentwegt genervte Attitüde von Martins Filmcharakter spricht Bände und kostete den notorischen Whiskey-Liebhaber vermutlich kein allzu intensiv vorbereitetes Spiel: Wade versucht mit allen Mitteln, Slims Freundschaft und Respekt zu erlangen, während dieser den depperten Trottel am Liebsten ganz weit weg wünschte. Die Gags sind über alle Maßen infantil und erreichen somit bestenfalls Kindergeburtstagsstandards,; das Western-Setting steht dem Team und seinen obligatorischen Musiknummern nicht sonderlich gut zu Gesicht. Selbst dem Profi Norman Taurog merkt man an, dass er sich vor dieser Kulisse nicht zu Hause fühlte. Einzig die wie gewohnt strahlend schönen VistaVision-Bilder katapultieren den Zuschauer zumindest in die Reichweite dessen, was er bei einem Martin-/Lewis-Film sucht. In der Rangliste der gnadenlos ihrem Sonnenuntergang entgenreitenden „Pardners“ jedoch markiert dieses Stück allerdings eher ein Schlusslicht vor dem letztmaligen Aufbäumen „Hollywood Or Bust“.

6/10

THE LAST HORROR FILM

„Oh Vinny, you’re such a dreamer!“

The Last Horror Film (Love To Kill) ~ USA 1982
Directed By: David Winters

Vinny Durand (Joe Spinell) ist Taxifahrer in New York, leidenschaftlicher Filmfan und lebt bei seiner treusorgenden Mama (Filomena Spagnuolo). Außerdem ist er besessen davon, mit dem berühmten Horror-Starlet Jana Bates (Caroline Munro) einen eigenen Film zu inszenieren. Die große Chance, Jana für seine Idee zu begeistern, wittert er beim Filmfestival in Cannes, wo auch die schöne Scream Queen erwartet wird. Vinny reist kurzerhand an die Côte d’Azur und mischt sich unters Volk, Jana stets auf den Fersen. Doch zeitgleich mit Vinnys Ankunft beginnt ein irrer Serienkiller sein Tagwerk – steckt vielleicht doch mehr hinter Vinnys allseits belächelter Manie?

Mehr denn grundsymathischer Indie mit dem Herzen am goldrechten Fleck, der nachträglich ins Troma-Portfolio aufgenommen wurde, dort jedoch eigentlich nicht besonders gut hineinpasst. Der wie immer göttliche Joe Spinell und Caroline Munro, Biest und Schöne, begegneten sich hier abermals zu einem Stelldichein, wobei ihr ohnehin augenzwinkernd wirkender Status als Szene-Albtraumpaar sich hier noch zusätzlich durch die saftige Ironie des Scripts untermauert findet. Als Meta-Horrorfilm, der zudem mit dem Status des von der Kunst- undSzenewelt als drittklassig und schundig abgetanen Genres spielt, überzeugt „The Last Horror Film“ auch nach all den Jahren noch. Etliche guerillaartig entstandene Einblicke in und um die Cannes-Schickeria erweisen sich als kostbares Dokumentarmaterial; überall wird man etwa diverser Plakate und Aushänge zeitgenössischer Groß- („Mephisto“, „For Your Eyes Only“, „Chariots Of Fire“ etc. pp.) und Kleinproduktionen („Cannibal Holocaust“, „Possession“, „Horror Safari“ et. al.) oder sogar Stars (Isabelle Adjani, Marcello Mastroianni, Kris Kristofferson) gewahr. Spinell gibt sich ein paar Takte nach „Maniac“ wiederum redlich Mühe, den Publikumsverdacht hinsichtlich des Psychopathen auf seine Figur zu lenken, was infolge einschlägiger Vorerfahrung natürlich auch recht umweglos gelingt. Dass am Ende jedoch nicht seine Figur, sondern Janas Ex-Ehemann (Glenn Jacobson) sich als Bösewicht entpuppt und darüber hinaus das Ganze zuvor Gesehene als bereits fertiggestellter Film Vinnys vorgestellt wird, was Spinell und seine (auch tatsächliche) Mutter mit dem entspannten Konsum eines Joints „kommentieren“, entbietet einen grandiosen Kommentar aller am Film Beteiligten, den man auch als liebevoll gereckten Mittelfinger verstehen kann: „Wir beißen nicht. Wir wollen auch bloß ein bisschen Spaß haben.“
Toll!

9/10

THE ACCOUNTANT

„I like incongruity.“

The Accountant ~ USA 2016
Directed By: Gavin O’Connor

Der mit einer Autismus-Störung hadernde Christian Wolff (Ben Affleck) ist gar kein leicht angeknackster Steuerberater, wie die meisten Leute glauben, sondern in Wahrheit ein incognito arbeitender Buchhalter für extrem exklusive Kunden, darunter auch etliche Schweinehunde von der Mafia sowie milliardenschwere Drogen- und Waffenhändler. Und doch folgt Wolff in Wahrheit einer streng moralischen Agenda: Seine Klienten kommen keinesfalls ungeschoren davon, wenn sie wirklich Dreck am Stecken haben. Wolff ist nämlich nicht nur ein verbissenes Zahlen- und Rechengenie, sondern auch ein vollendet ausgebildeter Einzelkämpfer und Waffenexperte, der seine Gegner mit ebensolcher Präzision vom Erdboden tilgt wie er Zinsaufgaben löst. Wolffs aktueller Auftrag führt ihn zu der Firma „Living Robotics“, deren Buchführung einige Löcher aufweist. Hinter den abgezwackten Geldsummen steckt jedoch viel mehr als Wolff zunächst erkennt. Als problematisch erweisen sich zudem der Steuerfahnder King (J.K. Simmons) und seine zwangsrekrutierte Assistentin Marybeth Medina  (Cynthia Addai-Robinson), die sich an Wolffs Fersen heften.

Während Marvel und DC in Kino und Serienformaten ihre kostümierten Comichelden antreten lassen, bildet sich klammheimlich ein weiteres, ununiformiertes Superhelden-Subgenre heraus, das mit dem Punisher Frank Castle und, weiter zurück, in dem grenzmythischen „Shane“ gewissermaßen zumindest auch eine gemeinsame, popkulturelle Genealogie aufweist: Die der im Untergrund operierenden Rächer, Superprofis, Geraderücker. Denzel Washington konnte man als bezeichnenden „Equalizer“ genießen, Keanu Reeves als „John Wick“ und Tom Cruise als „Jack Reacher“, wobei die letzteren beiden mittlerweile bereits Zweiteinsätze auf der Leinwand verbuchen können. Ben Affleck gesellt sich als „The Accountant“ heuer als neuestes Familienmitglied hinzu. All diesen Figuren ist eine ziemlich deutliche charakterliche Schnittmenge gemein. Da wäre zunächst ihre kombattante Qualität. Vollprofis in jedweder Methode, den Gegner auszuschalten sind sie. Ob mit Schuffwaffen, Schlag- oder Stechwerkzeug spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Alle gehen sie leise, unspektakulär und blitzschnell zu Werk. Alle sind hochintelligente, dabei jedoch einsame und wortkarge Solisten, die sich am wohlsten fühlen, wenn sie von der Öffentlichkeit unbemerkt agieren können. Alle sind Ex-Profis mit militärischer und/oder polizeilicher Ausbildung, die nunmehr jedoch, von der sie zuvor beschäftigenden Organisation enttäuscht oder zumindest zurückgezogen, als eigene Faust agieren. Alle teilen eine hochpreisige Privatagenda, seien es persönlicher Verlust, Traumata, psychische Unebenheiten. Alle kommen, helfen, siegen, verschwinden wieder. Bis zum nächsten Mal. Superhelden, gewissermaßen, wenngleich ohne Metafähigkeiten und Masken. Ben Affleck als Christian Wolff weist innerhalb jenen Quartetts das bislang signifikanteste Problem auf; er ist gleichfalls Autist und damit unfähig zu romantischer Bindung, algebraisches und logisches Superhirn, Kunstliebhaber, Zwangsneurotiker und Killermaschine. Naheliegend dass ihm seine Defizite im Ernstfall nicht in die Quere kommen und er trotz seiner vermeintlichen „Schwächen“ (die ja gerade seine besonderen Qualitäten bedingen und ausbalancieren) jedem Widersacher stets einen Schritt voraus ist.
Dies gilt weniger für O’Connors Film. Jener verliebt sich über weite Strecken  allzu sehr in seinen semi-gehandicapten Protagonisten und baut für ihn eine sehr viel umfangreichere narrative Basis auf als notwendig. Das Script hätte ein deutliches Plus an Konzentriertheit respektive Ökonomie vertragen und die eine oder andere Enthüllung vielleicht für ein (vermutlich ohnhein längst designiertes) Sequel aufheben sollen. Ich hätte mir mehr John Lithgow gewünscht und dafür etwas weniger introspektive Vergangenheitsaufbereitung, zumal die zuweilen an „American Ninja“ erinnernden Rückblicke nicht zwangsläufig glücklich geraten sind. Auch wenn die wahrscheinlich zufällige Tatsache, dass Wolffs Bruder vom aktuellen Punisher Jon Bernthal gespielt wird, einen netten Querverweis ergibt, reicht „The Accountant“, zumal in seinem augenfälligen Bestreben nach emotionaler Publikumsinvolvierung, keinesfalls an O’Connors „Warrior“ heran.

7/10

HIGH-RISE

„I don’t work for you, I work for the building!“

High-Rise ~ UK/BE 2015
Directed By: Ben Wheatley

Robert Laing (Tom Hiddleston), Arzt von Beruf, zieht in einen von dem exzentrischen Stararchitekten Anthony Royal (Jeremy Irons) erbauten Hochhauskomplex in der Londoner Hafengegend. Während um ihn herum noch weitere von den massigen Gebäude-Ungetümen entstehen, lernt Laing einige seiner Mitbewohner kennen. In dem seinen Mietern jedwede Art von Komfort bietenden und auf völlige Autarkie hin ausgerichteten Haus gibt es eine strenge hierarchische Ordnung: In den unteren Etagen wohnen gewöhnliche Angestellte mit mehrköpfigen Familien, in den mittleren Alleinstehende und Ehepaare mit höherem sozialen Status wie Laing selbst und in den oberen Prominente und Snobs, die sich gern bei exaltierten Exklusiv-Partys amüsieren. Die luxuriöse Dachetage ist Royal selbst vorbehalten. Als es Probleme mit der Müllentsorgung gibt und zu Stromausfällen kommt, beginnen sich die Fronten zu verhärten und es kommt zu gewalttätigen Übergriffen unter den einzelnen Etagen, die schließlich in offener Anarchie kulminieren.

Diese scharfe, auf einem Roman von J.G. Ballard basierende Sozialsatire weist trotz ihres dystopischen Charakters klare Gegenwartsbezüge auf: Um die Mitte der siebziger Jahre, der Erstveröffentlichungszeit von Ballards grotesker Allegorie, bildete sich in diversen europäischen Metropolen die postmoderene Tendenz, nach architektonischer Höhe zu streben. Die grassierende Angst vor zunehmender Bevölkerungsexplosion veranlassten Stararchitekten wie Hans Schwippert und Le Corbusier zu funktionalistischem Umdenken; möglichst viele Wohneinheiten auf möglichst wenig Raum waren plötzlich Trumpf und Chic, freilich nicht ohne den Bewohnern die nachhaltige Illusion von Exklusivität und Luxus zu verleihen, um vor allem wohlhabende Mieter und Käufer anzulocken. Ballard spitzte dieses Konzept zu, indem er sein Gebäude als Spiegel der urbanen sozialen Klassen und darüber hinaus noch als Symbol für freudsche Metapsychologie formulierte, das man im „besten“ Fall überhaupt nicht mehr zu verlassen brauchte. Immerhin bietet das Hochhaus nicht nur Wohnkomfort, sondern auch Einkaufsmöglichkeiten sowie etliche Optionen zu Freizeitgestaltung und Sport. Über allem thront der Ersinner des an sich utopisch-idealistisch gemeinten Sozialexperiments wie sein höchsteigener Autokrat wider Willen: Anthony Royal, dessen frustrierte Gattin (Keely Hawes) gern mit ihrem Pferd durch den Penthouse-Park galoppiert. Dass die explosive Grundstimmung – die in der Tiefe lebenden Familien leiden mehr und mehr unter Müllbergen, Netzstörungen und vor allem Frust gegenüber der Champagner saufenden, moralentfesselten Dekadenz diverse Etagen über ihnen – sich bald entlädt, ist da keine minder erwartbare, historisch vorbelastete Reaktion.
Ich musste in Anbetracht dieses auch formal vollendeten Fait-accompli (das tatsächlich den offensichtlichen Fehler ausspart, sein Sujet ins Heute zu transponieren, sondern in Ballards Zeit verbleibt) wohl nicht von ungefähr an David Cronenbergs „Shivers“ denken, der ganz offensichtlich von Ballards Ideen beeinflusst war, dem Publikum mit den Parasiten jedoch einen handfesten Anlass für die sich ausdehnenden Ausschweifungen feilbot, damit die Metaebene des Romans verließ und zu Genrezwecken konkretisierte. Dass Cronenberg rund zwanzig Jahre später mit „Crash“ nominell eine eigene Ballard-Adaption vom Stapel ließ, kam somit einem Kreisschluss gleich. Doch Ballard hin, Cronenberg her: Ben Wheatley ist mit „High-Rise“ ein Meisterwerk und vielleicht der Film 2015 geglückt. Muss unbedingt bald „A Field In England“ nachlegen.

10/10