„I need time to grow up.“
Léon (Léon – Der Profi) ~ F 1994
Directed By: Luc Besson
Als einsamer Auftragskiller fristet der italienische Emigrant Léon (Jean Reno) ein anonymes Leben in New York. Mit der existenziellen Unverbindlichkeit ist es allerdings vorbei als der korrupte Bulle Stansfield (Gary Oldman) infolge eines verpatzten Drogendeals mit seinen Leuten beinahe Léons komplette Nachbarsfamilie auslöscht. Deren zwölfjährige Tochter Mathilda (Natalie Portman) sucht als einzige Überlebende bei Léon Unterschlupf und bietet ihm an, sich um seinen Haushalt zu kümmern, wenn er der Rachsüchtigen im Gegenzug beibringt, wie man effektiv Menschen tötet. Es entsteht eine merkwürdige Beziehung irgendwo zwischen Romanze und väterlicher Freundschaft, die blutig endet.
Bessons unübertroffenes Meisterwerk ist „Léon“, den der Regisseur eigens für seinen Lieblingsschauspieler Jean Reno geschrieben hat und der gleichsam eine spielfilmlange Hommage an den Kurzauftritt des Cleaners in „La Femme Nikita“ darstellt.
Es ist ja so, dass jede Dekade ihre zwei bis drei großen Profikiller-Stücke vorweist, wobei die Franzosen oftmals darin involviert waren und sind. In „Le Samouraï“ legte Jean-Pierre Melville einst die Eckpfeiler für das Subgenre fest: Der für Geld tötende Killer ist auf Anonymität, Einsamkeit und streng ritualisierte Tagesabläufe angewiesen, um sein Handwerk tadellos und unbehelligt erledigen zu können. Emotionale Öffnung ist zwangsläufig gleichzusetzen mit Verwundbarkeit und bedeutet somit die einzige wirkliche Achillesferse für den professional. Jener ist infolge dessen zugleich auch stets ein höchst bemitleidenswerter, melancholischer Charakter. Mit Ausnahme seines destruktiven Könnens gibt es nichts, das seiner Existenz Wertigkeit oder gar Berechtigung verleiht, niemanden, dem er sich anvertrauen könnte oder dem er etwas abseits seines Marktwerts bedeutet. Daher sind beinahe sämtliche Profikiller-Geschichten zugleich und zwangsläufig auch Geschichten des Niedergangs, der Flucht, des Verlustes und meist auch der Katastrophe. „Léon“ nimmt sich jenes Topos auf besonders bittersüße Weise an. Mit Ausnahme seiner albernen Zimmerpflanze ist die kleine Mathilda nach vielen Jahren der Isolation erst das zweite organische Wesen, das der Titelheld an sich heran lässt. Ein unmögliches Verhältnis entsteht zusehends: Während sie, durch ihr bislang geführtes Leben in einem höchst asozialen, dysfunktionalen Familienumfeld viel zu frühreif, glaubt, sich in ihn verliebt zu haben und ihm sogar erotische Avancen macht, ist er nicht zuletzt infolge seiner intellektuellen und emotionalen Rückständigkeit mit der Situation völlig überfordert und läuft daher auch erst gar nicht Gefahr, etwas Falsches zu tun. Dass Mörder und Mädchen bereits aufgrund jener chaotischen Ausgangslage eine wie auch immer geartete, aussichtsreiche Koexistenz verwehrt ist, löst sich am Ende durch die Tatsache, dass Léon bereit ist zur Sühne und dazu, sich für Mathilda zu opfern. Trotz seiner augenscheinlichen Desensiblisierung (die in Wahrheit natürlich dem hundertprozentigen Gegenteil entspricht) weiß er sicher, dass sie nur dann in Frieden wird aufwachsen können, wenn er selbst sich dem Tode stellt, was gleichfalls seinen bereitwillig durchkalkulierten, finalen Abgang erklärt. Im Gegenzug jedoch findet seine Seele Frieden: Mathilda gräbt, bevor sie bereit ist, ein adäquates Leben zu beginnen, als symbolischen Akt der Niederlassung Léons schmucklos erscheinendes Pflänzchen in einem Park ein, auf dass es dort Wurzeln schlage. Dazu läuft, wunderbar eingesetzt, Stings todtrauriges „Shape Of My Heart“, das von der Unfähigkeit zur Nähe berichtet.
10/10
3 Gedanken zu “LÉON”