THE NAVY VS. THE NIGHT MONSTERS

„It’s hard to imagine. Carnivorous trees that move on their own roots.“

The Navy Vs. The Night Monsters (Verhängnisvolle Fracht) ~ USA 1966
Directed By: Michael A. Hoey

Ein aus der Antarktis kommendes Flugzeug mit prähistorischen Vegetationsproben an Bord steuert den Navy-Stützpunkt Gow Island im Südpazifik zur Zwischenlandung an. Einem unterbrochenen Notruf folgt eine Bruchladung auf der Insel und mit Ausnahme des katatonischen Piloten sind sämtliche Passagiere offenbar noch in der Luft von Bord gesprungen. Während die Pflanzenproben aufgetaut werden, sieht sich der stellvertretende Basiskommandant Brown (Anthony Eisley) bereits mit der Situation überfordert. Doch es kommt noch dicker: Die Bäumchen vom Südpol verwandeln sich in mannshohe Fressmaschinen, die einen besonderen Appetit auf Menschen entwickeln und in der Lage sind, sich eigenmächtig fortzubewegen…

Dieser eilends heruntergekurbelte Charmebolzen von einem Monsterfilm genießt in erlesenen Kreisen ein durchaus ansehnliches Renommee als Vorzeige-Schlock und bildet für jeden Freund billiger Gummikreaturen aus den fünfziger und sechziger Jahren gewissermaßen eine Pflichtveranstaltung. Der nominelle Regisseur und Autor Michael A. Hoey und seine (unkreditierten) Aushilfskräfte Jon Hall und Arthur C. Pierce lassen so ziemlich ziemlich kein einziges Don’t unberücksichtigt, das sich für eine Produktion wie diese nur befleißigen lässt, von statischen Bildern über den misslungenen Einsatz der DeLuxe-Kamera und die heillos überforderten Knallchargen (allen voran Busenwunder, Botoxschreck und Hobbywinzerin Mamie van Doren) nebst ihrer haarsträubenden Dialogzeilen bis hin zu den de facto alles andere als angsteinflößenden Baummonstern, vor denen jedes nicht vollends verblödete Opfer eigentlich problemlos im Spazierschritt fortlaufen könnte. Doch – wir wissen es alle leider nur zu gut – lässt die Panik im Angesicht tödlicher Gefahr einen mitunter zur Salzsäule erstarren. Zwischendrin gibt’s einen unerwarteten Goreeffekt, wenn einer der Soldaten seinen Arm abgerissen bekommt, dann ist es aber auch schon wieder vorbei mit jedweder Schrecknis. Am Ende kommt die Navy im Zuge einer gewaltig-pompös pronocierten Hurra-Aktion und macht den wandelnden Bäumen mit Napalm den Garaus. Die Pflanzenkreaturen nun als frühe Allegorie auf den im Unterholz lauernden Vietcong zu betrachten, wäre möglicherweise etwas weit hergeholt, dennoch drängen sich entsprechende Parallelen in Anbetracht des zeitgeschichtlichen Kontextes um die Entstehungszeit von „The Navy Vs. The Night Monsters“ zumindest unterschwellig auf.
Glücklicherweise erreicht der Spuk die 90-Minuten-Marke nicht ganz, so dass man sich gerade noch rechtzeitig entlassen wähnt. „Wähnt“, weil man zu diesem Zeitpunkt bereits selbst zum mehr oder minder willfährigen Opfer der Nachtmonster geworden ist. Sie kommen, um dich zu holen…

4/10

5 BAMBOLE PER LA LUNA D’AGOSTO

Zitat entfällt.

5 Bambole Per La Luna D’Agosto (Five Dolls For An August Moon) ~ I 1970
Directed By: Mario Bava

Der Millionär und Unternehmer George Stark (Teodoro Corrà) lädt drei befreundete Ehepaare auf seine Privatinsel nebst modernst durchgestylter Villa ein. Hinter dem als „feucht-fröhlich“ avisierten Aufenthalt steckt in Wahrheit jedoch ganz nüchternes, berufliches Interesse: Einer der Gäste, der Wissenschaftler Professor Farrell (William Berger), hat eine Formel für Kunstharz entwickelt, die Stark ihm um jeden Preis abkaufen möchte. Doch nicht nur er, auch die ebenfalls anwesenden Jack Davidson (Howard Ross) und Nick Chaney (Maurice Poli) sind immens an der Formel interessiert. Da taucht auch schon die erste Leiche auf: Hausboy Charles (Mauro Bosco), kurz zuvor noch Chaneys sexuell unersättlicher Gattin Marie (Edwige Fenech) zu Diensten, wird ermordet aufgefunden. Und bei dem einen Toten bleibt es nicht. Gottlob hat Stark eine ausladende Kühlkammer im Hause…

Lange aufgeschoben, jetzt endlich einmal nachgeholt: Dass ich „5 Bambole Per La Luna D’Agosto“ so lange entbehrt habe, bereue ich nicht unbedingt. Wenngleich Bavas Werks-Intimus Tim Lucas den Film als einen von des Maestros „besten und innovativsten“ bezeichnet, mangelt es mir persönlich hier doch an Manchem. Der sich stark von Agatha Christies Krimis und speziell von „Ten Little Indians“ inspiriert zeigende Plot bugsiert sich nur höchst selten in ein Stadium, das man als „fesselnd“ bezeichnen möchte; nahezu sämtliche der darin agierenden Figuren tun sich als Abziehbilder und Knallchargen hervor – reich, gierig, opportunistisch frustriert, dekadent. Ihr Schicksal ist dem Rezipienten dementsprechend von Herzen gleichgültig, respektive würde man sich möglichst deftiger Mordesquenzen eher noch erfreuen. Doch auch hier übt sich Bava noch in recht pietätvoller Zurückhaltung, die sich nur kurz darauf für „Reazione A Catena“ in ihr diametrales Gegenteil verwandeln wird. Stattdessen setzt „5 Bambole“ auf einen etwas hochnäsigen, sozialistisch gefärbten Salonhumor: Das Kapital frisst sich selbst; reich zu sein, heißt in gerechter Angst leben zu müssen und die Leichen werden, ein mehr oder weniger komischer running gag, eine nach der anderen zwischen Schweinehälften gehängt, während die Überlebenden sich kaum um die Toten scheren und weiterhin ihre kostspieligen Drinks saufen. Erst am Ende, als Wahrnehmungs- und Zeitebenen etwas durcheinanderzugeraten scheinen, erhebt sich „5 Bambole“ ganz kurz über sein gepflegt gelangweiltes Timbre hinweg, nur um es sich dann flugs doch wieder darin bequem zu machen.

5/10

TERRORE NELLO SPAZIO

Zitat entfällt.

Terrore Nello Spazio (Planet der Vampire) ~ I/E 1965
Directed By: Mario Bava

Die beiden Zwillingsraumer „Galliott“ und „Argos“ landen auf dem öden Planeten Aura, nachdem sie von dort ein Notsignal empfangen haben. Außer wabernden Nebeln und einer Geröllandschaft entdeckt man zunächst nichts auf dem Planeten, doch das Verhalten einiger der Crew-Mitglieder ändert sich rasch auf fatale Weise – sie scheinen zu emotionslosen Wesen zu werden, die sich blind attackieren. Nur Captain Markary (Barry Sullivan) von der Argos bleibt besonnen. Bald entdeckt man, dass die Besatzung der Galliott, zu der unterdessen der Kontakt abgebrochen ist, ebenfalls einem kollektiven Amoklauf anheim gefallen ist und sich gegenseitig getötet hat. Kurz darauf verschwinden die Leichen, erwachen jedoch schon bald zu unheilvollem, neuen Leben – auf Aura sind nämlich geisterhafte, ätherische Wesen beheimatet, die die Fähigkeit haben, menschliche Wirtskörper nebst deren Verstand zu übernehmen. Bereits skelettierte Aliens an Bord eines alsbald entdeckten, außerirdischen Raumschiffwracks sind den Auraniern offenbar bereits vor langer Zeit unter ganz ähnlichen Bedingungen zum Opfer gefallen. Bald klärt sich ihr Motiv – die Auranier suchen fieberhaft nach einer Möglichkeit, ihren unbewohnbar gewordenen, kaputtgewirtschafteten Planeten zu verlassen und die Bevölkerung eines anderen zu unterjochen.

Nicht nur zum besten italienischen Science-Fiction-Film der sechziger Jahre ist diese rundum wunderhüsche Phantasmagorie von Maestro Bava geraten, sondern auch zu einem sich für das Genre gemeinhin als unerschöpflicher Inspirationsquell erweisendes Gesamtkunstwerk. „Terrore Nello Spazio“ blieb Mario Bavas einziger Ausflug ins Interstellare, Futuristische, was angesichts der rundgeschlossenen Erscheinung seines Weks kaum weiter verwundern sollte – hier hatte ein Filmemacher möglicherweise alles aus seiner Sicht Erschöpfende zum Thema gesagt und brauchte sich erst gar nicht weiter daran abzuarbeiten. Der erzählerische Einfluss auf etwa Ridley Scotts „Alien“ ist tatsächlich besonders eklatant, wenngleich zumindest das Paranoiaelement, dass „Terrore“ noch dicht bei den vor allem in den Fünfzigern entstandenen Gattungsvertretern verortet, darin entfällt. Doch es ist nicht allein der Status von Bavas Film als Tropenfundus, der ihn zu etwas ganz Besonderem macht, sondern vor allem seine unbändige Kreativität: Einen Film mit solch monetär geringen production values niemals einfältig, käsig oder plüschig wirken zu lassen, sondern ihm eine zeitlose Wirksamkeit an die Hand zu geben, sprich: ihn ernstzunehmen, daran haperte es damals ja beinahe schon im Regelfall. Für den zeitgenössischen Genreregisseur war es vielmehr gang und gäbe, sein Minimalbudget in eine der vorgefertigten Formen zu gießen und lieber mit wahllos freiwilligem oder (scheinbar) unfreiwilligem Humor zu jonglieren; sich gewissermaßen also der dezidierten Billignatur des Sujets bereitwillig auszuliefern, um sein popcornfressende teenage drive-in audience bloß nicht allzu häufig vom Knutschen abzulenken. Nicht so Bava – der investierte Ideen, Schöpferkraft und Geist und erwies sich insbesondere in diesem speziellen Falle als Regisseur von Weltformat. Die Schlusspointe trägt dem Ganzen nochmals Rechnung; hier holt man uns geradezu epiphanisch aus selbstsuggerierten Automatismen zurück. Zukunft? Erdastronauten? Wer hat davon eigentlich je etwas gesagt?

9/10

LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO

Zitat entfällt.

La Ragazza Che Sapeva Troppo (The Girl Who Knew Too Much) ~ I 1963
Directed By: Mario Bava

Die sich für schundige Kriminalromane begeisternde, junge US-Amerikanerin Nora Davis (Letícia Róman) kommt nach Rom, um ihre alte, kranke Tante Ethel (Chana Coubert) zu besuchen. Doch gleich Noras erster Nacht vor Ort segnet Tante Ethel das Zeitliche. Damit nicht genug wird das verstört aus dem Haus laufende Mädchen sogleich noch Opfer eines rabiaten Taschendiebs und Zeugin eines Mordes. Am nächsten Tag will ihr zunächst niemand glauben; zumindest in dem jungen Arzt Marcello Bassi (John Saxon), der auch Noras Tante behandelte, findet die junge Frau einen Vertrauten. Nachdem sich die mysteriösen Ereignisse mehren – eine Sammlung von Zeitungsausschnitten um den sein Unwesen treibenden „Alphabet-Killer“, ein bedrohlicher Telefonanruf, eine merkwürdige Einladung in eine leerstehende Wohnung, ein Tonbandgerät mit seltsamem Inhalt, schließlich die Bekanntschaft mit dem verängstigten Journalisen Landini (Dante DiPaolo) kann schließlich auch Bassi nicht länger behaupten, dass Nora lediglich unter einer überspannten Phantasie leidet…

Die historischen Meriten von und um „La Ragazza Che Sapeva Troppo“ dürften hinlänglich bekannt sein – Bavas von seinen diversen Aushilfs- und Kollaborationsengagements abgesehen vierte Regiearbeit (und seine letzte in schwarzweiß) darf sich nämlich rühmen, den Giallo aus der Taufe gehoben zu haben. Die enge Beziehung zum gleichnamigen, trivialen Kriminalroman pflegt der Film bereits in der Eingangsszene, der die Protagonistin im anreisenden Flugzeug bei der gespannten Lektüre just eines solchen literarischen Artefakts zeigt. Überhaupt kommen zumindest zu Beginn nicht selten auch beim Zuschauer berechtigte Bedenken auf, ob die putzige Nora nicht vielleicht einen oder zwei zuviel der entsprechenden Ergüsse aufgesogen hat. Unanhängig von der sich mehr oder weniger überraschend gestaltenden, finalen Auflösung der tatsächlichen Serienmörderidentitätsind ist es vor allem Bavas Bildsprache, die zu fesseln und zu begeistern vermögen. Der bei seinen Filmen auch immer wieder selbst als dp agierende Maestro erzählt seine Geschichte in formvollendeten Tableaus, die man in dieser Perfektion – zumal zur Entstehungszeit des Films – nicht zwangsläufig mit  einem Genrestück zu assoziieren geneigt war. Von dem gruseligen Ableben der alten Tante Ethel über die prominente Verwendung der Spanischen Treppe nebst der Piazza di Spagna als immer wiederkehrende visuelle Motive bis hin zur zur Gestaltung und Inszenierung der Innenräume lässt Bava eine Meisterschaft durchblicken, die den manch einen seiner vielen Connaisseure und Enthusiasten ihn im Nachhinein als italienisches Hitchcock-Pendant würdigen ließen.
Im Zuge des etwaigen Rezeptionswunschs gilt es allerdings darauf zu achten, die „korrekte“ Fassung zu bevorzugen, nämlich die unverfälschte, nicht von dem amerikanischen distributor AIP, die mittlerweile ohnehin eher einen exotischen „Komplettierungs-„Status genießt. Diese „The Evil Eye“ betitelte Fassung wurde an vielen Stellen, so etwa an jenen, die um Marihuana-Schmuggelei kreisen, geschnitten und stattdessen um mehrere romantisch-komödiantischen Szenen um Róman und Saxon „ergänzt“, die die kriminalistische Grundierung und Atmosphäre des Films erheblich stören. Zudem wurde der Jazz-Score durch einen alternativen Soundtrack von Les Baxter ersetzt. Zwar ist „The Evil Eye“ letzten Endes die etwas längere der beiden Versionen, für Nichthistoriker jedoch bildet sie die müßige.

8/10

NIGHTWING

„One man’s superstition is another man’s religion.“

Nightwing (Schwingen der Angst) ~ USA 1979
Directed By: Arthur Hiller

In einem Indianerreservat in Arizona trägt sich Mysteriöses zu: Nicht nur, dass Viehkadaver mit kleinen, rasiermesserscharfen Wunden aufgefunden werden, scheint auch der mächtige Priester Abner Tasupi (George Clutesi) im Wissen um heimliche, ungeheuerliche Entwicklungen zu sein. Während der lokale Sheriff Youngman Duran (Nick Mancuso) damit beschäftigt ist, die Geldgier des geschäftstüchtigen Walker Chee (Stephen Macht), der in den Bergen riesige Ölvorkommen wittert, im Zaum zu halten, taucht dann auch noch ein englischer Vampirfledermausjäger namens Phillip Payne (David Warner) auf, der Duran zunächst nicht ganz koscher erscheint. Als jedoch Durans Freundin Anne (Kathryn Harrold) eines Nachts beinahe von den blutgierigen Flugnagern getötet wird, sieht sich Duran zu einer Allianz mit Payne gezwungen…

Grundtypischer Tierrhorror seiner Ära, der sich relativ nahtlos in die umfassende Anthologie rund um eine sich ihren modernen Ausbeutern entgegenstellende Natur einpflegt. Nebenbei lassen sich noch Parallelen zu William Girdlers „The Manitou“ und dem etwa zeitgleich gestarteten „Prophecy“ von John Frankenheimer ziehen, in denen indianische Weissagungen und Mystizismus ebenfalls elemetare Motive bilden.
Auch „Nightwing“ zehrt von jenen folkloristischen Triebfedern, die an den omnipräsenten historischen Schuldkomplex der ausbeuterischen, weißen US-Bevölkerung gemahnten und diese zugleich mit einer für sie als „Zivilisationsmenschen“  nicht fassbaren Bedrohung konfrontierten. Hier ist es eine Kolonie von Vampirfledermäusen, die ihre Opfer nicht nur unbarmherzigst zur Ader lassen, sondern zudem noch Überträger der Pest sind und somit die potenzielle Gefahr einer unkontrollierbaren Pandemie mit sich tragen. Stimmt die Ankündigung des alten Abner, so hat dieser sich mit einem alten indianischen Dämon verbündet, um das Ende der Welt einzuläuten. Da Duran Übersinnliches oder Geister jedoch nur dann zu sehen vermag, wenn er vom Peyote genascht hat, bleibt der Film eine zufrieden stellende Verifizierung dieses gehörig irrationalen Umstands schuldig. Im Endeffekt spielt dies allerdings ohnehin eine untergeordnete Rolle, ebenso wie Hillers Werk nachhaltig darin versagt, beim Publikum so etwas wie Angst zu evozieren. Seine Fledermäuse bleiben, trotz David Warners unaufhörlicher Beteuerungen, dass sie des Satans irdische Repräsentanten seien, vergleichsweise possierlich. In dieser Hinsicht zeigt sich eine engere Verwandtschaft zu obskureren Gattungsgenossen wie Claxtons „Night Of The Lepus“. Doch bekanntermaßen musste ja irgendwann während der Siebziger einmal jede greifbare Tiergattung in die Bresche springen, wenn es darum ging, das Armageddon einzuläuten, auch, wenn der eine oder andere Sciptautor (im Falle „Nightwing“ war das Martin Cruz Smith) sich gehörig verzettelte.
Das entpuppt sich jedoch als nicht weiter wild. Hillers Stück zehrt von seiner formalen Kompetenz, er ist unverkennbar ein Kind seiner Zeit und als solches insbesondere für Liebhaber des von ihm repräsentierten Subgenres einen Blick wert. 

6/10

BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS

„You will drink the black sperm of my vengeance!“

Beyond The Valley Of The Dolls (Blumen ohne Duft) ~ USA 1970
Directed By: Russ Meyer

Kaum in Hollywood angekommen, begibt sich das  aus den drei steilen Zähnen Kelly (Dolly Read), Casey (Cynthia Anderson) und Petronella (Marcia McBroom) bestehende Girlband-Trio „The Kelly Affair“sogleich unter die Fittiche des schwerst überkandidelten Rockmanagers Ronnie Barzell (John Lazar), genannt „Z-Man“. Nach ihrer Umtaufe in „The Carrie Nations“ erwartet die Drei eine ebenso erfolgsverwöhnte wie turbulente Zeit, die vor Partys, Sex, Drogen und Alkohol nur so strotzt, bis Barzells Verstand sich eines Nachts völlig verabschiedet und er Amok läuft…

Obschon der Film gleich zu Beginn mittels einer Schrifttafel erläutert, dass zu der drei Jahre zuvor entstandenen Susann-Adaption „Valley Of The Dolls“ keine Verwandtschaft bestehe, geschweige denn hier ein Sequel vorliege, kann Mark Robsons ebenfalls für die Fox entstandene Verfilmung ihren Einfluss nicht verleugnen. Wobei dieser natürlich überaus verquer aufgegriffen, durch den Wolf gedreht und ausgespien ward – „Beyond The Valley Of The Dolls“ dürfte nämlich jedem wohlerzogenen, amerikanischen Mädchen, das die Ereignisse in Robsons „Valley“ womöglich als nachgerade erschütternd wahrgenommen hatte, wie eine infernalische Höllentour ohne Rückfahrkarte vorgekommen sein!
Für die Regie dieses von Kritikerpapst Roger Ebert gescripteten, zelluloidgewordenen Irrsinns sicherte sich die Fox, infolge der Ära New Hollywood risikofreudig wie nie zuvor, die Mitarbeit des anarchischen Indie-Filmemachers Russ Meyer, der hier urplötzlich mit einem Millionenbudget hantieren durfte, seine persönliche Handschrift jedoch, und darin liegt das ganz besondere Bonbon, zu keiner Sekunde denunzierte. „Beyond The Valley Of The Dolls“ ist experimentell, rasant, schillernd, urkomisch, originell – kaum ein anverwandtes Adjektiv, das sich nicht auf ihn münzen ließe. Er greift – vielleicht die eine, hervorstechende Konnexion zum „Original“ – Personal und Ereignisse auf, die die Welt der Showbiz-Prominenz nunmehr endgültig ihrer Unschuld entledigt hatten – Phil Spector, den weder Ebert noch Meyer persönlich kannten, soll für die Figur des sich schließlich als transsexuell entpuppenden Z-Man Pate gestanden haben, wie das finale Massaker, das mit unerwarteter, dem Film aber dennoch völlig zupass kommender Brutalität einschlägt, möglicherweise inspiriert war von dem furchtbaren Mordzug der Manson-Family, der neben der hochschwangeren Sharon Tate (ein weiterer Kreisschluss) noch vier weitere Menschen zum Opfer gefallen waren. Allerdings übertüncht der relative Schock, mit dem man aus „Beyond“ entlassen wird, nicht den ursprünglichen Eindruck, mit dem Film ein unvergleichliches Zeitporträt geliefert bekommen zu haben und fürderhin eine derbe Selbstentlarvung, die von dem hausmütterlichen Credo des Vorbilds eigentlich gar nicht weiter entfernt sein könnte. Denn bei aller dargestellten Wahnhaftigkeit – „Beyond The Valley Of The Dolls“ liebt seine Zeit, sein Sujet, sein Milieu und vor allem sich selbst, ohne Rücksicht auf Verluste.

9/10

VALLEY OF THE DOLLS

„I’ll plant my own tree. My own tree! And I will make it grow!“

Valley Of The Dolls (Das Tal der Puppen) ~ USA 1967
Directed By: Mark Robson

Die drei jungen Damen Anne (Barbara Parkins), Neely (Patty Duke) und Jennifer (Sharon Tate) lernen sich in New York kennen und werden Freundinnen. Ihre Schicksale, die sie allesamt zur Westküste und nach Hollywood führen, werden in den kommenden Jahren von immer größeren Krisen und Sturmtiefs durchgeschüttelt, bis zumindest Anne begreift, dass wahres Glück nichts mit Glanz und Glamour zu tun hat.

Jacqueline Susanns ein Jahr zuvor entstandener, gleichnamiger Roman wurde ein solch gewaltiger Bestseller, dass eine Filmadaption flugs zur beschlossenen Sache wurde. In ihrem Buch zeichnet die selbst showbiz-erfahrene Susann den zerstörerischen Einfluss insbesondere der Filmmetropole Hollywood auf junge, naive Damen nach, wobei sie auf diverse, inoffiziell zu Bewusstsein kommende Vorbilder von Frances Farmer über Betty Hutton, Judy Garland, Marilyn Monroe, Carole Landis und Ethel Merman, zurückgreift deren Personae und Biographien allesamt zumindest teilverwurstet wurden. Das Script veränderte allerdings das zeitliche Setting der Vorlage und versetzte es um zwei Dekaden in die Zukunft, um eine dichtere, realitätsnähere Anbindung zu schaffen.
Mit Ausnahme der als Erzählerin fungierenden Anne Welles, die als Provinzblümchen von Neuengland über New York nach Hollywood und wieder zurück tingelt und deren private Medienkarriere sich auf eine kurze Karriere als Werbemodel beschränkt, erleben die Protagonistinnen reichlich Schaden an Leib und Seele; die stimmgewaltige Neely O’Hara avanciert nach ihrer „Veredelung“ zum Superstar zu einer herrischen, selbstsüchtigen und medikamentenabhängigen Trinkerin, die sich von ihrem Jugendfreund (Martin Milner) trennt und schließlich in einer Entzugsklinik landet; Jennifer Norths einziges Kapital besteht derweil in ihrer physischen Schönheit und speziell ihren wohlgeformten Brüsten. Zunächst erkrankt ihr Mann, der Starsänger Tony Polar (Tony Scotti), an einer geisteszersetzenden Krankheit, dann erhält sie selbst die Diagnose Brustkrebs und nimmt sich das Leben.
Es geht also höchst turbulent zu in „Valley Of The Dolls“, der sein autoritäres Ausrufezeichen permanent über den gar so schrecklichen Ereignissen aufleuchten lässt und dabei mit zunehmender Erzählzeit immer mehr wie eine schulmeisterliche Warnung für potenzielle Starlets daherkommt. Formvollendete, naive Kolportage ist das und nicht selten fühlt man sich an ministerial subventionierte „Aufklärungsfilme“ für Schulen erinnert. Camp ist das, nicht ganz freiwillig vielleicht, dafür reinkulturell in Form und Finish, von einem Regisseur, der zum Entstehungszeitpunkt von „Valley Of The Dolls“ seine originären künstlerischen Wurzeln, die zu Orson Welles und Val Lewton zurückreichen, bereits weit hinter sich gelassen hatte und insbesondere in Anbetracht seiner einstmaligen Meriten eher bizarres Kinogut inszenierte. Was nicht bedeutet, dass es deshalb weniger sehenswert wäre – es ist bloß… anders.

7/10

HOUNDS OF LOVE

„Don’t let him go down on you.“

Hounds Of Love ~ AUS 2016
Directed By: Ben Young

Perth, 1987. Das in recht desolaten Zuständen lebende Ehepaar Evelyn (Emma Booth) und John White (Stephen Curry) entführt junge Mädchen im Teenageralter, quält und missbraucht sie sexuell, um sie schließlich zu ermorden und irgendwo in der Weite des Outback zu verscharren. Aktuell gerät die von daheim ausgebüchste Vicki Maloney (Ashley Cummings) in ihre Fänge. Vicki, deren Eltern (Susie Porter, Damian de Montamas) sich haben scheiden lassen, und die vornehmlich bei ihrem wohlhabenden, sie verwöhnenden Vater lebt, durchschaut bald das Abhängigkeitsgefälle zwischen Evelyn und John: Sie lebt als völlig devote Erfüllungsgehilfin unter der perversen, psychopathischen Fuchtel des gewalttätigen Ehemanns und findet nicht die Kraft, sich gegen seine übermächtige Persönlichkeit zur Wehr zu setzen. Stattdessen spielt sie seine mittlerweile zum Serienmord avancierten Riten kritiklos mit. Vickis einzige Überlebenschance besteht somit darin, die psychisch höchst vulnerable Evelyn auf ihre Seite zu ziehen…

Was oberflächlich anmutet wie ein weiterer Kidnapping- und Folterfilm offenbart bereits im frühen Verlauf eine deutlich differenzierteren Ansatz bei höchst dramatischer Intensität. Geschickt umschifft der vielversprechende Debütregisseur Ben Young die meisten Verlockungen handelsüblicher Klischees und entwickelt eine gleichsam bedrückende und schwebende Grundstimmung, die ihre monströse Immanenz mit Ausnahme gezielter Gewalttupfer unter der brodelnden Oberfläche behält.
„Hounds Of Love“ erzählt im Grunde zwei parallel ablaufende Geschichten. Einerseits berichtet er von Vickis furchtbarem Leidensweg als zur Hilflosigkeit verdammtes Spielzeug ihrer Entführer, andererseits, und hier bringt Young die eigentliche Tragfähigkeit seines Films zur Geltung, obduziert er die toxisch-dysfunktionale, pathologische Beziehung des Kidnapperpärchens, zweier bildungsferner, zum Subproletariat zählender Menschen, die sich immer weiter weg von den gängigen sozialen Wertmaßstäben bewegen, „white suburban trash“, wie man sie zu bezeichnen geneigt ist. Evelyns Kinder leben bei einer Pflegefamilie, wobei die Gründe dafür nie zur Gänze offengelegt werden. Mutmaßlich tragen jedoch auch hieran John und sein obsessiver Hang zur Gewaltausübung an Wehrlosen die Schuld. Nichtsdestotrotz hat die verzweifelt nach Nähe und Zärtlichkeit strebende Evelyn längst den Überblick und vor allem die Fähigkeit zur Rechtsgewichtung verloren; stattdessen hilft sie John, seine Entführungsopfer auszuwählen, gefangenzuhalten, sexuell auszubeuten und schließlich verschwinden zu lassen. Insbesondere im Zuge der Zeichnung dieses Abhängigkeitsverhältnisses entwickelt „Hounds Of Love“ seinen oftmals nur schwer erträglichen Sog. Dabei erweist sich Youngs Gespür für dramaturgische Komposition als beachtlich: Er gliedert die Ereignisse in drei Hauptakte, die jeweils von einem passenden, höchst prägnanten (und komplett ausgespielten) Musikstück klimaktisch gekrönt und geschlossen werden: „Nights In White Satin“ von The Moody Blues, Cat Stevens‘ „Lady D’Arbanville“ und zum kathartischen Abschluss „Atmosphere“ von Joy Division, ohnehin einem der schönsten Popsongs aller Zeiten, der hier einen ganz wunderbar prominenten Einsatz erfährt.
Auf Youngs nächstes (Lang-)Werk, einen SciFi-Film, zu dem er leider nicht selbst das Script beisteuert, darf man nach dem unbequemen Genuss des vorliegenden Films bereits sehr gespannt sein.

8/10

JEEPERS CREEPERS

„It has eaten too many hearts for its own to ever stop!“

Jeepers Creepers ~ USA 2001
Directed By: Victor Salva

Die Geschwister Trish (Gina Philips) und Darry Jenner (Justin Long) befinden sich auf dem Heimweg vom Spring Break, als ihnen mitten in der Einöde ein merkwürdiger, vor Rost starrender Lastwagen auffällt, dessen Fahrer sich höchst aggressiv verhält. Kurz darauf entdecken Trish und Darry das Gefährt in der Nähe einer alten Kirche, wo jemand etwas, das nach gefüllten Leichensäcken aussieht, in ein unterirdisches Gewölbe hinablässt. Dabei handelt es sich wiederu um den Fahrer des Lasters, der sich sogleich aufmacht, die Geschwister zu verfolgen. Es entbrennt ein Katz-und Maus-Spiel, im Zuge dessen Darry und Trish erfahren müssen, dass es sich bei ihrem Verfolger um den „Creeper“ (Jonathan Breck) handelt, ein Monster, dass sich immer wieder durch die Körperteile seiner Opfer erneuert und bei seiner Jagd vor nichts und niemandem zurückschreckt.

„Jeepers Creepers“ lief beinahe zeitgleich mit John Dahls ganz ähnlich gewebtem „Joy Ride“ in den Kinos, wobei sein Einspielergebnis das der wesentlich teureren Studioproduktion langfristig überflügeln konnte. Und tatsächlich erweist Salvas durchaus altmodisch angegangene Monstermär sich im Direktvergleich als der schönere und vor allem phantasievollere der beiden Filme. Hier wie dort geht es um die beiläufige, eher im Scherzhaften initiierte Entfesselung einer diabolischen Macht, die sich dann jeweils als mysteriöser Fahrer eines LKW entpuppt, der ein paar vormals gut aufgelegten, jungen Leuten das Leben schwermacht und deren unerbittliche Verfolgung mit offener Mordabsicht zu einem zunehmend harschen Höllenritt werden lässt. Gedanklicher Schirmherr dieses Motivs ist fraglos Spielbergs „Duel“, doch auch Robert Harmons „The Hitcher“ darf sich einer unübersehbaren, ideellen Patenschaft erfreuen. All diesen Werken gemein ist die genrefreudige Kultivierung der mehr oder weniger irrationalen Angst vor den endlos verlaufenden, ruralen Straßennetzen der USA, auf deren staubigen Meilen sich unfassbare Bedrohungen verbergen, die eine mögliche Begegnung mit sich nicht verzeihen wollen. „Jeepers Creepers“ formuliert seine diesbezüglich Sache da sogar besonders konsequent aus: Anlass zur Panik ist hier weder ein mörderischer Anhalter, noch ein psychopathischer Trucker, sondern eine dämonische Kreatur unbekannter Herkunft, die offenbar bereits seit langer Zeit die Gegend unsicher macht; eine inkarnierte Lagerfeuergeschichte sozusagen. Was den Creeper neben seiner ruhelosen Agenda umtreibt oder wo er herkommt, bleibt ein Mysterium. Wir erfahren lediglich, dass er in regelmäßigen Zeitabständen, nämlich alle 23 Jahre, für 23 Tage Jagd auf besonders angsterfüllte Opfer macht, um sie dann als Ersatzteillager für seinen verrottenden Körper zu missbrauchen. Dabei ist das Monster sehr hübsch gestaltet. Den LKW, Mantel und Hut nutzt es lediglich, um nicht gleich jedem aufzufallen, es verfügt nämlich über riesige Schwingen und hat gewisse Ähnlichkeit mit einer Kragenechse. Als sehr konsequent empfand ich, dass der Creeper seinen anfänglichen, filminternen und handelsüblichen Status als Hirngespinst überspannter Teenager rasch verliert und es im weiteren Verlauf sogar mit der State Police aufnimmt, was wiederum Anlass für reichlich spektakuläre Augenblicke mit sich bringt.

8/10

MOTHER NIGHT

„All the best writers are dead.“

Mother Night (Schatten der Schuld) ~ USA 1996
Directed By: Keith Gordon

Howard W. Campbell Jr. (Nick Nolte) sitzt in einem Jerusalemer Gefängnis und wartet auf seinen Prozess, gleich in der Zelle über sich den in derselben Situation befindlichen Adolf Eichmann. Campbell war während des Zweiten Weltkriegs als Schriftsteller und Dramatiker in Deutschland und dort für eine vielbeachtete Radiopropaganda-Reihe der NSDAP zuständig als Autor und Verleser antiamerikanischer und antisemitischer Essays. Was weder die Nazis noch irgendjemand sonst ahnen konnte: Campbell arbeitete, rekrutiert von dem geheimnisvollen Frank Wirtanen (John Goodman), im Auftrag des US-Geheimdienstes und brachte im Zuge seiner Radioauftritte verschlüsselte Geheimbotschaften in den Äther, die ihm jeweils vorab heimlich zugeschoben wurden. Campbells Spionagestatus wurde jedoch nie öffentlich gemacht und so gilt er auch nach Kriegsende und zurück in New York weiterhin als „Stimme der Nazis“. Seine geliebte Frau Helga (Sheryl Lee) kam noch während der Kriegswirren zu Tode und mit ihr der größte Teil von Campbells eigenem Lebenswillen. In Greenwich Village lernt er dann seinen Nachbarn George Kraft (Alan Arkin), einen nicht minder verzweifelten Maler, der zu Campbells bestem Freund wird. Später taucht Helgas kleine Schwester Resi (Sheryl Lee) auf, die, mittlerweile erwachsen, Helga wie aus dem Gesicht geschnitten ist und sich zunächst als die Verstorbene ausgibt. Auch ein verquerer, rassistischer Geheimbund tritt an ihn heran, der angeblich den entdeckungsgefährdeten Campbell, Kraft und Resi die Flucht nach Mexiko ermöglichen will. Was Campbell nicht ahnen kann: All diese merkwürdigen Fügungen geschehen keineswegs zufällig…

Keith Gordons (antizipierbar) kommerziell bös gefloppte Vonnegut-Adaption ergreift und transponiert den stets etwas mysteriösen Duktus des bedienten Autors auf brillante Art und Weise und macht daraus eine der vorrangigsten Literatur-Verfilmungen mindestens der neunziger Jahre. An „Mother Night“, dem Film, gibt es nichts, was nicht passgenau wäre; das gesamte Geschehen schwebt, es sich stets bequem machend auf einer leicht federnden Wolke aus Surrealismus und leiser Ironie, mit aller gebotenen Entschleunigung vor sich her. Nicht nur George Roy Hills brillanter „Slaughterhouse-Five“ blitzt durch seine nebulösen Astlöcher, auch den bitter-transzendenten, jüdischen Humor großer Comic-Autoren wie Will Eisner oder Art Spiegelman ist man versucht, nahezu pausenlos herauszuspüren. Als Soldat, Kriegsteilnehmer und Überlebender der Bombardierung von Dresden hatte Vonnegut es kaum nötig, über das Wesen des Krieges zu schreiben. In „Mother Night“ ging es ihm vielmehr um das nicht minder eigenartige Echo jener Weltzäsur und ebenso um das komplexe Verhältnis von Schuld, Geständigkeit, Reue und die nahezu aussichtslose Möglichkeit der Weiterexistenz mit alldem. Howard Campbell Jr. mag ein Spion sein; seiner Faszination für das nazifierte Deutschland, für Führerkult und Drittes Reich, das ihn als „Überläufer“ hofiert und ihm Zugang zur höchsten Systemspitze ermöglicht, tut dies keinen Abbruch. Möglicherweise ist sein geheimer Einsatz für die Alliierten auch bloß eine reine Kopfgeburt; eine dem intellektuellen Rest an Vernunft entstammende Rechtfertigung für die Gewissheit, als Adlatus des Grauens zu fungieren. Mit Glanz und Glamour ist es nach dem Krieg vorbei. Depressiv und sich nutzlos wähnend vegetiert Campbell einsam und verlassen in New York dahin. Seine Nachbarn sind neben Kraft zwei Auschwitz-Überlebende, Mutter (Anna Berger)  und Sohn (Arye Gross). Während die ältere Dame Campbell, der seinen Namen trotz seiner zweifelhaften Popularität nicht geändert hat, zu erkennen glaubt und ihm die Pest an den Hals wünscht, will ihr als Mediziner tätiger Sohn von dem Kapitel „Holocaust“ am liebsten gar nichts mehr wissen. Eine weitere der vielen Ambivalenzen, die sich durch „Mother Night“ ziehen und die ihren satirischen Höhepunkt gewissermaßen in einem verrückten, farbigen Nazi (Frankie Faison) finden, der die Gruppe von „white supremacists“ lauthals unterstützt. Schein und Sein bleiben in Vonneguts Welt nie ganz  säuberlich getrennt, einer permanenten Wellenbewegung gleich nähern sie sich immer wieder tangential an und stoßen sich dann mit umso kräftigerer Vehemenz wieder voneinander ab. Am Ende dann, als das Schicksal im Begriff ist, Campbell erneut einen Ausweg zu offerieren, sieht er keinen anderen Ausweg mehr als den der Selbstrichtung. Auch hier bleibt Gordons Regie noch meisterhaft und lässt und, gemeinsam mit der Kamera, wegsehen. Wie Campbell selbst bis zu diesem finalen Schuldeingeständnis Wegsehen und Ignoranz kultiviert hat, jahrzehntelang.

9/10