AVENGERS: ENDGAME

„Everything’s gonna work out exactly the way it’s supposed to.“

Avengers: Endgame ~ USA 2019
Directed By: Anthony Russo/Joe Russo

Nach Thanos‘ (Josh Brolin) das gesamte Universum in Mitleidenschaft ziehendem Sieg macht der gemeinsam mit Nebula (Karen Gillan) im All treibende Tony Stark (Robert Downey Jr.) sich zum Sterben bereit, wird jedoch in allerletzter Sekunde von der zur Hilfe eilenden Carol Danvers (Brie Larson) gerettet. Die nunmehr verbliebenen Avengers machen den wahnsinnigen Titanen auf seiner Zufluchtswelt ausfindig, nur um von ihm zu erfahren, dass dieser die Infinty-Steine nach der erfolgreichen Ausführung seiner Pläne samt und sonders zerstört hat. Der kurzgeschlossene Thor (Chris Hemsworth) enthauptet Thanos daraufhin.
Fünf Jahre später versuchen die Menschen der Erde noch immer verzweifelt, mit ihren Verlusten zurecht zu kommen und auch die Avengers haben sich sehr verändert. Tony und Pepper (Gwyneth Paltrow) haben geheiratet und leben mit ihrer kleinen Tochter (Lexi Rabe) abgeschieden auf dem Land. Steve Rogers (Chris Evans) betreibt unermüdliche Trauerarbeit für Kleingruppen, der aus dem Leim gegangene Thor entlädt seinen Frust in Alkohol und irdischem Slackertum. Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) kümmert sich gemeinsam mit den auf der Erde gestrandeten Rocket und Nebula sowie Jim Rhodes (Don Cheadle) und T’Challas (Chadwick Boseman) überlebender Kriegerin Okoye (Danai Gurira) um die internationale Sicherheit und sucht parallel dazu nach Clint Barton (Jeremy Renner), der sich nach dem Tod seiner kompletten Familie als global operierender Vigilant im Untergrund bewegt. Bruce Banner (Mark Ruffalo)  hat indes seine „Hulk“-Persönlichkeit gezähmt und sie zum festen Bestandteil seines menschlichen Wesens gemacht. Der erst nach all dieser Zeit aus der Quantenrealität zurückkehrende Scott Lang (Paul Rudd), dessen Aufenthalt in der Mikrowelt ihm wie fünf Stunden erschienen, sucht die Avengers auf und legt ihnen eine letzte Möglichkeit nahe, Thanos‘ Auslöschungen rückgängig zu machen: die Zeitreise. Der unter Behelf von Tony Starks Genie bald entwickelte Plan sieht vor, in Kleinteams zu jenen Punkten in der Vergangenheit zurückzugehen, an denen man der Infinity-Steine am Günstigsten habhaft werden kann. Doch lauern in der Vergangenheit auch Thanos und dessen ihm damals noch ergebene Tochter Nebula, die durch deren zukünftiges Pendant um die Pläne der Avengers erfahren und Gegenmaßnahmen ergreifen…

Erwartungsgemäß endet diese „Phase 3“ des MCU nicht nur mit einem ausgedehnten Knall, sondern markiert weiterhin gewissermaßen einen Endpunkt der gesamten bisherigen MCU-Historie seit „Iron-Man“, in ihrer Gesamtheit auch als „Infinity-Saga“ bezeichnet. Zu diesem Zweck greift der Plot von „Avengers: Endgame“ geschickt zurück in die Ereigniswelten der zurückliegenden Abenteuer und stellt damit nochmals die größte narrative Stärke des MCU heraus, die ihre Kraft eben auch der nochmals sehr viel ausufernderen Konzeption der Comic-Welten verdankt: Die Verknüpfung inhaltlicher Details und Momente aus 21 Filmen in elf Jahren, einem gewaltigen, in der Geschichte des Kinos in dieser Form bislang einzigartigen Erbe. Die Sorge dafür, dass jene Brückenschläge sinnvoll und reibungslos ablaufen, wäre wiederum ein hervorzuhebendes Qualitätsmerkmal des MCU, dass sich spätestens mit „Endgame“ zu einem geschlossenen (wenngleich nicht abgeschlossenen), bunten Fresko ausweitet, das nunmehr, da es vollendet wurde, beinahe den Anschein einer seit Anbeginn minutiösen Planung hinterlässt.
Gewiss ist der Film zuvorderst ein direktes Sequel zu „Infinity War“, dessen brutales Finale ja bekanntermaßen ein großes Quantum an liebgewonnenem Figureninventar zu Staub zerfallen ließ und das weder die Fans noch die Avengers in solch „finiter“ Konsequenz auf sich sitzen lassen konnten. So geht nun „Endgame“ als zwangsläufig aufgefächerter Mehrakter in sein Endspiel: Nach der ersten Berappelung und der Rache an Thanos folgt  ein Zukunftssprung um fünf Jahre, die nur wenige Wunden zu heilen vermögen. Dank Scott Lang reifen dann die Pläne um einen doch noch optionalen Sieg über die Endgültigkeit des Schicksals. Mittels eines – wie könnte es anders sein – etwas wackeligen Zeitreiseplots reisen die Helden dann zu zwei bzw. drei Punkten in der Vergangenheit, um sich in den Besitz der Steine, nach wie vor klassische MacGuffins, zu bringen und stolpern dort natürlich über turbulente (New York) bis dramatische (Kosmos) Unwägbarkeiten. Es folgt die Mutter aller Superheldenschlachten, quasi ein filmgewordenes Gemälde von John Buscema, Jim Starlin, Ron Lim, George Pérez und Alan Davis in kombinierter Reinkultur, auf den Ruinen des von Thanos in Asche gelegten Avengers-Hauptquartiers. Die Gänsehäute überbieten sich, wenn nunmehr endlich sämtliche der bekannten (wiedererweckten) Heroinen und Heroen, inklusive einer gerüsteten Pepper Potts und einer wiederum im letzten Augenblick auftauchenden Captain Marvel, mitsamt ihren Armeen aus asgardianischen Walküren und Wakanda-Kriegern, um den neuen Infinity-Handschuh kämpfen und Thanos‘ Streitmacht eine herbe Schlappe zufügen. Leider versäumte man in diesem doch so naheliegenden Zusammenhang die Chance, die Defenders aus den Netflix-Serials zumindest für ein Cameo mit ins Boot zu holen – ein solcher hätte gewiss für (berechtigte) frenetische Ekstaseschreie zu sorgen vermocht. Bei mir zumindest. Natürlich gibt es in der Folge ein, um nicht zu sagen das große(s) Heldenopfer zu beklagen, dessen Trauerfeier und Auswirkungen den letzten, tränenschürenden Abschnitt des Films bestimmen. Die Wunden wollen geleckt sein, doch die Türen für die nächste, große Saga nebst den noch Aktiven und ihren Nachfolgern finden sich bereits leise und ganz wie nebenbei geöffnet.
Darüber, dass „Endgame“ zumindest für den Moment „Avatar“ als den bis dato erfolgreichsten Blockbuster abgelöst hat, mag ich, auch wenn es mich aus mehrerlei Gründen in Hochstimmung versetzt, keine weiteren, grübelnden Worte verlieren. Allein die Tatsache, das MCU infolge eines seiner schönsten Produkte weiterhin derart kassenstark und damit zukunftsgewappnet zu wähnen, genügt mir für den Moment. Ich für meinen Teil werde mit ganz viel aufrichtiger Liebe für das Erreichte und ebenso für das noch zu Erreichende am Ball bleiben. Bis hierher: Danke.

10/10

MURDER MYSTERY

„You got to be the bad guy.“

Murder Mystery ~ USA 2019
Directed By: Kyle Newacheck

Weil er sich zum wiederholten Male als zu unfähig erweist, die Prüfung zum Police Detective zu meistern, schwindelt der New Yorker Cop Nick Spitz (Adam Sandler) seiner Gattin Audrey (Jennifer Aniston) kurzerhand vor, dass er sie längst bestanden habe. Zudem zwingt eine dumme Situation dazu, Audrey die seit Jahren versprochene Europareise zum jüngsten Hochzeitstag zu verehren. Aus der geplanten Bustour zu den großen südeuropäischen Schinkenräuchereien wird jedoch nichts, da Audrey im Flieger die Bekanntschaft des Milliardenerben Charles Cavendish (Luke Evans) macht. Dieser lädt die Spitzens – nicht ganz uneigennützig – zur Hochzeitsparty seines Onkels, des superreichen Malcolm Quice (Terence Stamp), auf dessen Luxusyacht ein. Nachdem dieser sämtlichen anwesenden Erbschleichern eröffnet, dass sie nichts von seinem Nachlass zu erwarten hätten, wird er umgehend ermordet. Der ebenso übereifrige wie inkompetente Polizist de la Croix (Dany Boon) hält trotz eindeutig fehlenden Motivs die Spitzens für die Täter, was diese in die Zwangslage setzt, ihre Unschuld zu beweisen.

Zumindest für des Sandmans Freunde durchaus liebenswert, wenngleich qualitativ eher in seinem mittleren Filmsektor schwimmend, entpuppte sich diese sechste und jüngste Netflix-Produktion als die bislang erfolgreichste Zusammenarbeit des Senders mit dem quirligen Adam. Angenehmerweise versucht „Murder Mystery“ erst gar nicht, sich zu etwas Besserem zu deklarieren als er es letzten Endes darstellt, sondern gibt sich mit seinem Status als gut gelaunte, in Teilen durchaus witzige Krimikomödie ohne besondere Ausreißer nach oben oder unten zufrieden. Für Sandler, der ausnahmsweise mal an der Riviera sein Unwesen treiben darf, ist das Ganze derweil eine sichtlich laxe Fingerübung, die ihn gut gelaunt und wie gehabt auch mal über die eigenen Gags lachen lässt. Garantiert überraschungsfrei, aber sympathisch wie immer. Das matte Fünkchen Reverenz an Agatha Christie und anverwandte Literatur bleibt schließlich bloße Behauptung.
Der kriminalistisch überbaute Hauptplot lässt sich, wie die Inszenierung in ihrer Gesamtheit, insofern völlig vernachlässigen; ganz ähnlich wie seinerzeit Woody Allen in seinem nicht nur titulär verwandten „Manhatten Murder Mystery“, geht es vielmehr darum, die eingeschlafene Liebe eines nurmehr gewohnheitsmäßig verheirateten Paares durch die Involvierung in einen – bzw. mehrere – Mordfall/-fälle sich neu entflammen zu lassen und alten Beziehungsballast somit beiseite zu schieben, im vorliegenden Stück natürlich betont unsophisticated. Dennoch und überhaupt sollte man die mir zunehmend offenkundigen Parallelen zwischen den Gesamtwerken von Allen und Sandler einmal näher untersuchen.

6/10

DER GOLDENE HANDSCHUH

„Stinke bei dir bis nix mehr geht!“

Der Goldene Handschuh ~ D/F 2019
Directed By: Fatih Akin

Hamburg, die frühen siebziger Jahre. Der Junggeselle und Schwerstalkoholiker Fritz Honka (Jonas Dassler), genannt „Fiete“, führt ein armseliges Leben in der Elbstadt. Seine Existenz pendelt zwischen seiner miefigen Mansardenwohnung in Altona, kärglichen Aushilfsjobs und der Absturzkneipe „Der Goldene Handschuh“ auf St. Pauli. Honkas seit Kindheitstagen entstelltes Gesicht ist nicht der einzige Grund, warum die meisten Damen sich nicht mit ihm abgeben mögen. Lediglich die ganz unten Gestrandeten kann er mit einer Flasche Korn zu sich nach Hause locken, doch nicht jede seiner Bekanntschaften überlebt diese Stelldicheins.

„Der Goldene Handschuh“ ist ein neuerlicher Beweis dafür, dass der Filmemacher und auteur Fatih Akin das deutsche Kino lebendig hält wie gegenwärtig nur wenige außer ihm. Der Romanvorlage von Heinz Strunk, mit der man Akins Adaption, ebenso wie jede andere Literaturverfilmung mit ihrem Ursprung, in Kenntnis beider zwangsläufig vergleicht, erweist das Werk nicht nur alle Ehre, gekonnt ergänzt, entschlackt, transponiert es sie. Die im Buch parallelisierte Geschichte des Patrizierenkels Wilhelm Heinrich von Dohren (Tristan Göbel) und dessen im Derangieren begriffene Familiendynastie reduziert das Script auf wenige Sequenzen, die, und darin liegt die einzige, kleine Schwäche des Films, letzten Endes ein reines Zugeständnis an die Kenner der Vorlage darstellen. Vielleicht hätte man Willi (oder WH3, wie Strunk ihn lakonisch abkürzt), schlichtweg komplett streichen sollen. Immerhin fungiert Willis Angebete Petra (Greta Sophie Schmidt) für den Rezipienten als eine Art „Agentin des Normativen“ sowie gewissermaßen als personifizierte narrative Klammer, die auch für den Film-Honka zu einer Art Leitfigur wird.
Doch das sind Marginalitäten. In zweierlei weiterer Hinsicht entwickelt „Der goldene Handschuh“ jeweils außerordentliche Meisterschaft. Da wäre zum einen die kongeniale, bald dokumentarisch anmutende Porträtierung der bundesdeutschen Alkoholiker- und Kneipenszene der Ära Honka, für die der titelgebende „Goldene Handschuh“ letzten Endes einen Repräsentativstatus einnimmt. Heruntergekommene und in all ihrer Widerborstigkeit irgendwie doch stolze Spelunken wie diese gab und gibt es in jeder Stadt; Horte der Einsamen, Gestrandeten, Desillusionierten, Rentner, Verarmten, Gestörten, die hier ihren schalen und ironischerweise immens kontraproduktiven Ersatz für fehlende Zwischenmenschlichkeit suchen. Doch auch den filzigen Charme dieser Zeit macht Akin greifbar; die Jukebox spielt Bata Illic, Freddy Quinn und Michael Holm; Honkas auf Dauerrotation gedudeltes Lieblingsstück ist von Adamo. Die besoffenen, verbrauchten Huren heulen, wenn Heintje seine Mama bekniet, sie solle nicht weinen. Inmitten dieser seelischen Massenkarambolagen wirken selbst Honkas Bluttaten kaum mehr sonderlich exotisch. Womit der andere, große, natürlich offensichtlichste Komplex des Films bei der Hand wäre – das Psychogramm eines Serienmörders. Dieses erschließt sich im Falle Honka selbst für den Laien sehr rasch. Zeitlebens erfahrene Ablehnung und Gewalt sowie die ewige Vorenthaltung von Liebe und Zärtlichkeit entladen sich schließlich in akuter Misogynie sowie in einer grotesk gestörten Sexualität, die in Kombination mit Alkoholmissbrauch zuweilen in tödliche Raserei umschlägt. Die spätere Entsorgung der Leichen geschieht ebenso mechanisch wie unsinnig; Honka versteckt die Körperteile in einem unzureichend getarnten Hohlraum hinter der mit Isolierband notdürftig verklebten Wand. Aus dem Blick, aus dem Sinn. Wie in den meisten großen Serienkiller-Filmen scheint sich jedoch auch für Honka irgendwann kurzzeitig so etwas wie ein erlösendes Moment einzustellen. Nach einem Unfall und daran anschließender, erfolgreicher Selbstentgiftung erlangt er einen halbwegs stabilen Job als Nachtwächter und findet in dem Ehepaar Denningsen (Katja Studt, n.n.) zumindest oberflächliche Freunde. Doch der Schnaps kommt ihm wieder in die Quere und damit auch die Entgleisungen zurück.
„Der goldene Handschuh“ hält insbesondere durch seine absolut zwingende, gradlinige Perspektivierung beinahe mühelos mit den großen amerikanischen Serienkiller-Klassikern von „The Boston Strangler“ bis „Henry: Portrait Of A Serial Killer“ Schritt und versetzt sie immer wieder mit dem lakonischen Säufergestus eines „Barfly“, wenn auch freilich ohne dessen liebenswerten Anarchoexistenzialismus. Damit wird er zu einem ungeheuer intensiven und auf heimischem Kinoacker einzigartigen Gewächs, einem instant classic gar, der neben „Gegen die Wand“ Fatih Akins bisheriges Werk krönt.

10/10

OPERAZIONE KAPPA: SPARATE A VISTA

Zitat entfällt.

Operazione Kappa: Sparate A Vista (Kidnapping …ein Tag der Gewalt) ~ I 1977
Directed By: Luigi Petrini

Paolo (Mario Cutini), ein junger römischer Tagedieb, der die Oberklasse vor allem dafür hasst, dass er selbst nichts im Portemonnaie hat, freundet sich am Morgen nach einer für beide frustrierenden Luxusparty mit dem irrlichternden Professorensohn Giovanni (Marco Marati) an. Ein brüderlich geteilter Joint – und Giovanni weicht Paolo nicht mehr von der Seite. Das Paar bildet eine explosive Mischung, wie sich umgehend zeigt. Infolge einer kurzerhand exerzierten, zweifachen Vergewaltigung, deren eines Opfer (Linda Sini) die Tat nicht überlebt, werden die beiden von der Polizei gesucht. Nachdem sie sich über Umwege Waffen besorgt haben, nehmen sie die Gäste eines Nobelrestaurants als Geiseln – eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Aktion.

Marodierende Kids oder gemeinhin jüngere Leute zwischen Gammlertum, psychischer Labilität und wütender Perspektivlosigkeit bildeten eine beliebte Zielscheibe der späteren, zunehmend reaktionärer werdenden Ausprägung des italienischen Genre- und Sleaze-Fachs. Ähnlich dem letzthin in Augenschein genommenen, allerdings wesentlich differenzierter zu Werke gehenden „Fango Bollente“ zentriert sich auch „Operazione Kappa: Sparate A Vista“ um zwei „gemischtschichtige“ Taugenichtse, die das Schicksal zusammenführt, um sie eine blutige Spur der Gewalt zeichnen zu lassen. Inhaltliches Herzstück ist die kopflose Kidnapping-Operation der beiden sich mit Drogen bei Laube haltenden Burschen, die sich, abseits von ihrer gemeinsamen Aggression wider das Establishment, dann doch ein wenig unterscheiden. Zumindest in seiner, wenngleich armseligen, Rebellion gegen die Gesellschaft bewahrt Paolo gewissermaßen ein authentisches Wesen; Giovanni derweil ist ein angesichts seines ewig fordernden Elternhauses deprimierter, zudem sexuell gehemmter Hänfling, der in Paolo ein lang herbeigesehntes Idol und somit eine personifizierte Sublimierungsoption für seine Minderwertigkeitskomplexe findet. Erst ihr fataler Schulterschluss ermöglicht die spätere Eskalation.
Luigi Petrini, der ansonsten eher im Komödien- und Romantik-Segment umtriebig war, hat sich mit „Operazione Kappa: Sparate A Vista“ offensichtlich selbst ein gehöriges Maß an Frust von der Seele geschrieben. Der Film entpuppt sich als ziemlich offensiver Exploiter mitsamt recht unappetitlichen Sexszenen und einem analog dazu wenig schmeichelhaften Frauenbild, das sogar in einen ziemlich wilden „Stockholm-Syndrom“-Strang mündet – eine der Geiseln (Maria Pia Conte) entdeckt Gefühle für den rüpelhaften Paolo (der im Laufe der Geiselaffäre natürlich doch noch manch weichen Zug offenbart). Ein veritabler italienischer Kidnapping-Reißer wäre ferner nichts ohne wackeren, natürlich immens coolen Ispettore, hier gegeben von keinem Geringeren als dem sonst vornehmlich höchstselbst als Regisseur tiefenschmieriger Sleaze- und Pornokost umtriebigen Mario Bianchi als ziemlich armseligem Maurizio-Merli-Substitut. Die offenbar Bianchi zu Gefallen ins Script gesetzten Sequenzen, in der der Inschpektor seiner höchst besorgten Freundin (Maria Francesca) erläutert, warum vor allem kernige Typen wie er diesen beschissenen Job auszuüben haben, sollten offenbar als kleine Atempausen von dem zerberstend spannenden Restaurant-Szenario fungieren, sind aber bloß völlig alberne Bremsklötze.
Absolut und unbedingt hervorzuheben wäre schließlich noch die exorbitante Berliner Synchronfassung um die zwei Stimmenstars Ulrich Gressieker und Michael Nowka, die nicht nur diese beiden mittels eines Gossensprechs parlieren lässt, der in jenen Tagen sonst nur im übelriechendsten Saal des Bahnhofskinos zu hören war.
Ergo ein ganz großer Lumpenfeudel allerbester, leuchtender filmischer Schimmelpilzkultur!

7/10

O ANIMAL CORDIAL

Zitat entfällt.

O Animal Cordial (The Friendly Beast) ~ BR 2017
Directed By: Gabriela Amaral

Das gehobene Restaurant „La Barca“ des Gastronomen Inácio (Murilo Benício), kurz vorm allabendlichen Schließen: Ein angetrunkenes, wohlbetuchtes Pärchen (Camila Morgado, Jiddu Pinheiro) will zu dieser späten Stunde unbedingt noch ein üppiges Mahl zu sich nehmen, ganz zum Unwillen des feierabendbedürftigen Küchenpersonals, allen voran des enervierten, bisexuellen Chefkochs Djair (Irandhir Santos). Neben dem Paar nimmt soeben noch ein älterer Herr (Ernani Moraes) seinen letzten Drink. Da versuchen zwei schlecht vorbereitete Straßenganoven (Ariclenes Barroso, Eduardo Gomes), den Laden zu überfallen und die Kasse zu leeren. Sie rechnen jedoch nicht mit Inácio, dem eine Sicherung durchbrennt, und der, mit der Unterstützung seiner ihm ergebenen Wirtin Sara (Luciana Paes), den Spieß kurzerhand umdreht…

Ein intensiver, augenzwinkernder Terrorfilm aus Brasilien – nicht unbedingt das, was dem gemeinen Mitteleuropäer zur regelmäßigen cinephilen Goutierung a priori zur Verfügung steht. Umso erfreulicher, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.
„O Animal Cordial“ („Das herzliche Tier“) markiert das wilde, triebaffine Langfilmdebüt der somit überaus vielversprechenden Regisseurin Gabriela Amaral. Für ihren deftigen Feature-Einstieg nahm sie sich, unter strikter inhaltlicher und inszenatorischer Beschränkung auf die Räume des Restaurants als singulären, hermetischen Spielort, gleich zwei miteinander verwobene, messerscharf ausgearbeitete Psychogramme vor – das des getriebenen Restaurantchefs Inácio und das seiner Oberkellnerin Sara, wobei insbesondere letzterer Amarals vordringliche Aufmerksamkeit gehört, von Frau zu Frau, sozusagen. In einer explosiven Nacht erleben die beiden sämtliche Höhen und Tiefen einer fatalistischen, toxischen Beziehung von A bis Z, das heißt, von Anfang bis Ende. Für Inácio nehmen die privaten Krisen in jüngster Zeit offenbar Überhand; schwelende Konflikte mit seiner Belegschaft, die Angst vor Kritikerbesuchen, Trubel mit der ihn telefonisch drangsalierenden Gattin – ansonsten gibt es keinerlei wirklich fassbare Erklärung für seine kurze, eskalative Reise in den anarchischen Atavismus. Der von vornherein kopflose, vergleichsweise pubertäre Überfall der beiden Kleingauner fungiert als finaler in einer vermutlich längeren Reihe psychischer Trigger, um ihn vom Sockel der Sozialisiertheit zu stoßen und in den kommenden Stunden ebenso lustvoll wie ausgiebig diverse zivilisatorische Tabus bis hin zum Kannibalismus genießen zu lassen. Dabei scheint von vornherein offensichtlich, dass jene barbarische, eben zum Scheitern verurteilte Reise durch die Nacht ebenso rasch beendet sein wird, wie sie beginnt. Sara, deren verzweifelter Ausbruch aus einer devoten Form patriarchalisch dominierter Weiblichkeit mit ebensolch fieberhafter Konsequenz abläuft, muss am Ende derweil erkennen, dass es ihr keinesfalls vergönnt ist, als Inácios vollwertiges feminines Pendant zu bestehen, obgleich es zwischenzeitlich kurz danach aussieht. Der zum maßlosen Morder gewordene Biedermann folgt schließlich doch nurmehr seinem chauvinistischen Naturell, die zwischenzeitlich gesponnen Pläne von einer gemeinsamen Existenz sind nicht mehr denn spannungslockernde Seifenblasen. Und die übrigen Beteiligten? Die sind kaum mehr denn Randfiguren, um Hass und Aggression zu kanalisieren und durchleiden umso furchtbarere Enden. Nur einer darf das buchstäbliche Schlachtfeld aufrecht und erhobenen Hauptes verlassen: Der um seine schönen, langen Haare erleichterte, aber nichtsdestotrotz durchweg stolz und integer gebliebene Djair. Allein für diese heroische Wahl gebührt „O Animal Cordial“ höchster Respekt.

8/10

INCENDIES

Zitat entfällt.

Incendies (Die Frau die singt) ~ CA/F 2010
Directed By: Denis Villeneuve

Nachdem Nawal Marwan (Lubna Azabal), die einst aus einem kriesengeplagten Nahost-Staat nach Montréal emigrierte Mutter der beiden Zwillinge Jeanne (Mélissa Désormeaux-Poulin) und Simon (Maxim Gaudette), gestorben ist, verliest ihr Notar Lebel (Rémy Girard) ein höchst rätselhaftes Testament. Darin fordert Nawal die Geschwister auf, sich auf eine mühselige Suche zu begeben: Jeanne soll ihren den beiden zeitlebens unbekannten Vater ausfindig machen, derweil Simon mit der Recherche nach einem älteren Bruder betraut wird, von dem sie bislang nichts wussten. Vater und Bruder sollen dann jeweils einen von Nawal verfassten und an sie adressierten Brief erhalten. Zu Simons Unwillen begeben sich beide an ihre entbehrungsreichen Ermittlungen und machen sich in diesem Zusammenhang mit der Biographie ihrer Mutter vertraut, einen von den unbeschreiblichen Gräueln eines Bürgerkriegs geprägten Leidensweg…

Neben seinem makellosen Meisterwerk „Sicario“ ist „Incendies“ der bislang beste Film von Denis Villeneuve. In einer im Vergleich zu seinen späteren, sehr viel glamouröseren Hollywood-Arbeiten schmucklos gehaltenen Bildsprache begnügt sich der Regisseur hier noch damit, als auktorialer Inszenator vollkommen in den Hintergrund zu treten und seiner auf einem Stück des Dramatikers Wajdi Mouawad basierende Geschichte die gänzliche Führungsrolle abzutreten. Die erzählerische Perspekive changiert dabei primär zwischen den Erlebnissen von Mutter Nawal und Tochter Jeanne, wobei erstere sich in ihrer gezwungenermaßen stark gerafften Form etwa zwischen den Spätsiebzigern und Frühneunzigern datieren lassen. Das handlungsspendende Land, dessen Name nie erwähnt wird und das sich unschwer als der von den Wirren des Bürgerkriegs tief gezeichnete Libanon entschlüsseln lässt, erweist sich dabei auch in der filmischen Gegenwart noch als von unnachgiebiger Religiosität und Mentalität geknechteter Fleck Erde, innerhalb dessen blutgetränkter Geschichte das Schicksal Nawals am Ende doch nur eines von vielen ist, und an dem eine Überlebende, der eine entsetzliche Wahrheit selbst viele Jahre lang verborgen bleibt, zugrunde gehen muss zudem.
Auf narrative Details einzugehen, bedeutete, der geschätzten Leserschaft das potenzielle (unbekannte) Filmerlebnis seiner unglaublichen Kraft und erschütternder Wirkmacht zu berauben, daher halte ich mich diesbezüglich an gegebener Stelle ausnahmsweise streng zurück. Was mir insofern nurmehr am Herzen liegt und loszuwerden bleibt, wäre Folgendes: „Incendies“ ist einer jener raren Filme, die man uneingeschränkt als Pflichtveranstaltung für jedermann flankieren und bewerben muss, ein ungebrochen starkes kulturelles und philosophisches Großereignis; angetan zu schockieren, zu läutern und in meditative Klausur treten zu lassen; und mehr noch ein Fanal für Frieden und Vergebung; unvergesslich und uneingeschränkt randios. Wer glaubt, all diese Superlativen seien übertrieben, der möge versuchen, sich eines Besseren zu belehren. Er wird es nicht bereuen.

10/10

BOMB CITY

„They’ve gone too far, man.“

Bomb City ~ USA 2017
Directed By: Jameson Brooks

Amarillo, Texas, 1997: Nach einem Trip an die Ostküste kehrt Punk Brian (Dave Davis) in seine Heimatstadt und zu seiner Familie zurück. Die Subkultur und seine alten Kumpels empfangen ihn mit offenen Armen, doch ein friedliches Auskommen ist Brian nicht vergönnt: die Jocks des lokalen High-School-Football-Teams, allen voran der latent aggressive Cody Cates (Luke Shelton) akzeptieren das unangepasste Auftreten und die Verweigerungshaltung der Punks nicht. Damit erfreuen sie sich immerhin der Sympathie der Polizei, die die beiden Cliquen mit höchst unterschiedlichen Handschuhen anfasst. Immer wieder kommt es zu sich intensivierenden Scharmützeln zwischen den jungen Leuten, bis Cody eine Sicherung reißt und die Katastrophe da ist.

Der Mord an Brian Deneke, einem neunzehnjährigen, ursprünglich aus Wichita stammenden Punk, bewegte und bewegt nicht nur die globale Szene der bunten Mohawks und abgewetzten Lederklamotten. Er ist ein bleibendes Beispiel dafür, mit welcher Bigotterie in den USA Minoritäten jedweder Kuleur behandelt und auch bestraft werden. Am 12. Dezember 1997 wurde Brian Deneke von dem zwei Jahre jüngeren Nachwuchs-Football-Star Dustin Camp nach einer Auseinandersetzung zwischen seinen und Brians Freunden gezielt überfahren. Vor, während und nach der Tat stieß Camp triumphierende Sprüche betreffs seiner Aktion aus, die mit ihm im Wagen sitzende Freunde gerichtlich bezeugten und die seine absichtsvolle Handlungsweise nachwiesen.
Jameson Brooks spinnt seine Geschichte um dieses erschütternde Ereignis und widmet sich dabei auch der nachfolgenden Gerichtsverhandlung und den sich daraus ergebenden Folgen für Dustin Camp, indem er die zu Brians Ermordung führenden Ereignisse in Rückblenden nacherzählt. Rasch wird eines offensichtlich: Camps Verteidigung bestand vor allem in der Strategie, Brian trotz seiner Ermordung nachträglich noch sozial zu diskreditieren, ihn aus Gründen der möglichen späteren Urteilsaufweichung unmöglich zu machen. Dieser Plan ging gründlich auf – Camp wurde wegen „Totschlags im Affekt“ zu einer lächerlich niedrigen Geldbuße und einer Bewährungsstrafe verurteilt. 2001 verstieß er infolge von Alkoholkonsum als Minderjähriger gegen die Auflagen, wurde inhatiert und wiederum verfrüht aus der Haft entlassen.
Brooks‘ Hauptverdienst besteht, neben den Tatsachen, das spannende Portrait einer sich in widerborstigem Umfeld behauptenden Jugend-Subkultur geliefert und die ohnehin allzu spärlich besetzte Gattung der punk movies um einen eminenten Beitrag bereichert zu haben, darin, Brian Denekes Geschichte zwanzig Jahre nach ihrem traurigen Ende nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen, sondern sie in dieser besonders haltbaren Kunstform für künftige Generationen konserviert zu haben. Chapeau! dafür.

8/10

KIND HEARTS AND CORONETS

„After using the silken rope… never again be content with hemp.“

Kind Hearts And Coronets (Adel verpflichtet) ~ UK 1949
Directed By: Robert Hamer

Weil seine Mutter (Audrey Fildes) einst einen nicht standesgemäßen, italienischen Tenor (Dennis Price) geheiratet hatte, muss Louis Mazzini (Dennis Price), Spross der adligen D’Ascoyne-Sippe, erleben, dass sie, ebenso wie er selbst, von dem Rest der Familie, allen voran von dem altehrwürdigen Duke (Alec Guinness), verstoßen wurde. Nicht mal eine Grabstätte in der Familiengruft billigt man Louis‘ Mutter zu, obschon dies ihrem letzten Wunsch entsprochen hätte. Dass dem als kleinen Miederwarenverkäufer arbeitenden Louis zudem auch seine Jugendliebe Sibella (Joan Greenwood) entsagt, bringt den jungen Mann noch mehr in distinguierte Rage. Er beschließt, sich für die erlittene Schmach an sämtlichen noch lebenden Mitgliedern der D’Ascoynes zu rächen, indem er sie einen nach dem anderen ermordet…

Robert Hamers schwarze Komödie gilt als einer der besten und schönsten britischen Filme überhaupt und verzeichnet eine entsprechend große Zahl an Liebhabern – berechtigterweise, denn „Kind Hearts And Coronets“ kommt dem, was man als „perfekten Film“ zu bezeichnen geneigt ist, beträchtlich nahe. Bewundernswert elegant, konzentriert und voll von geistreichen AperçusParvenu berichtet Hamer Biographie und Werdegang des bereits zu Beginn der Geschichte in der Todeszelle sitzenden Louis Mazzini, gewandet in ein geschliffenes Memoiren-Voice-Over. Daran, dass Mazzini, der als Serienmörder eine stattliche Anzahl an Familienmitgliedern und Unbeteiligten mittels inszenierten Unfällen, Vergiftungen, Bombenattentaten und Erschießungen (zweimal kommt ihm der Zufall zur Hilfe) zu verzeichnen hat, in Kürze gerechtermaßen dem Scharfrichter (Miles Malleson) vorgeführt werden wird, hat der Zuschauer bereits nach dem ersten Akt keinen Zweifel mehr; dass er just für einen Tod, an dem er keine Schuld trägt und für den er lediglich infolge eifersüchtiger Intriganz verurteilt wurde, zieht einen aber dennoch auf seine Seite. Eine weitere brillante Geschicklichkeit: Price spielt Mazzini nämlich als einen überaus sympathischen, formvollendeten Gentleman voller noblesse oblige, dessen sich sukzessive steigernde Gier als Emporkömmling ein Widerhall des ihn seit Anbeginn seiner Geburt heimsuchenden Standesdünkels ist und somit zumindest in Ansätzen eine Art sozial gerechtfertigter Zorn. So sind die von ihm beseitigten, durch die Bank von Alec Guinness gespielten D’Ascoynes auf die eine oder andere Weise allesamt mehr oder weniger große Nervensägen und gewissermaßen von humanistischer Redundanz; eingebildete Filous, trinkende Pantoffelhelden, halbidiotische Geistliche, verkrachte Bonzen, radikale Suffragetten, eiserne Kommissköpfe oder schlicht arrogante Aristokraten finden sich darunter und der Tod jedes Einzelnen von ihnen markiert ein höchst vergnüglich inszeniertes Kabinnettstückchen. Wie bereits angedeutet, geht Hamer keineswegs so verlockend oberflächlich zu Werke, nicht auch seinem Protagonisten einen bitteren Spiegel vorzuhalten. Im Laufe seiner kriminellen Karriere entwickelt sich Mazzini selbst zu dem, was er zuvor so sehr verachtete – einem zynischen Snob und Parvenu, dem Geld und Stellung bald zumindest mit seiner vormaligen privaten Agenda gleichauf sind.
Ob er am Ende Engelchen oder Teufelchen wählt, die beide in einem Einspänner auf ihn warten, oder seine verschriftlichten Memoiren ihm doch noch den Strick drehen, überlässt „Kind Hearts And Coronets“ schließlich, ganz seiner übrigen Hellsichtigkeit entsprechend, der moralischen Sensitivität seines Publikums.

10/10

ALLA RICERCA DEL PIACERE

Zitat entfällt.

Alla Ricerca Del Piacere (Haus der tödlichen Sünden) ~ I 1972
Directed By: Silvio Amadio

Die Londoner Sekretärin Greta Franklin (Barbara Bouchet) wird von ihrer Agentur an den exzentrischen Autoren Richard Stuart (Farley Granger) vermittelt, der eine feudale Villa auf einem kleinen Eiland nahe Venedig bewohnt. Greats Vorgängerin und Freundin Sally Reece (Patrizia Viotti), die ebenfalls für Stuart garbeitet hatte, ist derweil spurlos verschwunden. Kaum dass Greta die Bekanntschaft des egomanen Stuart und seiner nicht minder exaltierten Gattin Eleonora (Rosalba Neri) gemacht hat, beginnt sie den Verdacht zu hegen, dass die beiden wesentlich mehr über Sallys Verbleib wissen als sie zugeben möchten. Geschürt wird Gretas Verdacht noch durch diverse Indizien und Stuarts offen-ominöse Andeutungen in der Sache. Dass das Ehepaar zudem ein höchst lockeres bis befremdliches Sexualgebahren pflegt und Greta insgeheim bewusstseinstrübende Drogen verabreicht, steigert das Misstrauen der jungen Frau nochmals beträchtlich…

Von Silvio Amadio kenne ich bislang lediglich diesen Film, was mir, insbesondere angesichts späterer Arbeiten mit Früchtchen Gloria Guida, doch ein relatives Verlustgeschäft zu sein scheint und sich vielleicht demnächst ändert.
Auf der Habenseite des vorliegenden Werks gibt es eine ausgesprochen kostbare, hochästhetische Visualität, die die Lagunenstadt und ihre Umgebung, darunter die Insel mit der Villa und das Schilfmoor, in leuchtenden Farben und das Auge wunderprächtig verwöhnenden Scope-Bildern einfängt und bereits für sich stehend den angetanen Zuschauer bei der Stange hält. Barbara Bouchets um diese Zeit übliche Freizügigkeiten finden sich nicht minder ansprechend inszeniert und schließlich breitet sich die anrüchige, höchst triviale Atmosphäre um den spinnerten Intellektuellen und seine lüsterne Ehefrau und Hausmuse, die sich ganz nebenbei einen willfährigen Lustknaben (Dino Mele) halten, wie ein behaglich-luftiges Kolportagelaken über dem Rezipienten aus. Farley Granger ist als einnehmender Finsterling dementsprechend ebenso sehenswert wie die Neri als sein paraphiles Weib.
Dem gegenüber steht allerdings eine nunmal nicht ignorierbare, extrem sleazige Oberflächenabhandlung der Story auf wiederum unterem Groschenromanniveau, weshalb Stuarts/Grangers höhnische Anmerkung, er werde als nächstes einen Giallo schreiben, sich als durchaus arrogant begreifen lässt, auch von Seiten Amadios, der nicht umhin wollte, einen tumben Riesen als mörderisches Sexmonster und dabei unschuldigen Erfüllungsgehilfen als gewissermaßen entschlüsselndes Element in die Geschichte einzuweben. Rocco, wie der von dem etwas primatenhaft anzusehenden Peter Martinovitch gespielte, ungeschlachte Fischer heißt, hat nämlich das filminhärente Pech, in verhängnisvoller Ergänzung zu seinem massigen Körper einem genetisch bedingten Schwachsinn aufzusitzen, der ihn in Verbindung mit Alkohol und sexueller Erregung hübsche Damen erwürgen lässt, was das Ehepaar Stuart wiederum ziemlich geil findet. In Kombination mit Stuarts nietzsche’schem Übermenschengeschwafel zu Beginn des Films erhält dies ein gewisses, unangenehmes, ich nenne es mal: „Geschmäckle“, welches mich in derlei Fällen normalerweise wenig tangiert, dieses spezielle Exempel aber, ohne, dass ich genau sagen könnte, weshalb, zumindest gelinde abwertete.

6/10

PARIS, BRÛLE-T-IL?

„What’s going on with that Paris?“

Paris, Brûle-T-Il? (Brennt Paris?) ~ USA/F 1966
Directed By: René Clement

Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 schmilzt Hitlers (Billy Frick) Vertrauen in seine führenden Wehrmachtsoffiziere rapide dahin. Er ernennt daher den linientreuen Dietrich von Choltitz (Gert Fröbe) zum Kommandierenden General des besetzten Groß-Paris mit der ausrücklichen Order, die Stadt im Zweifelsfalle besser zu zerstören, als sie dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Vor Ort ist die Situation bereits extrem gespannt; Gestapo und SS agieren typisch kopflos und schüren den Hass der Zivilbevölerung immer mehr. Als trotz Insistierung durch den schwedischen Botschafter Nordling (Orson Welles) ein führendes Résistance-Mitglied (Tony Taffin) erschossen wird und kurz darauf eine größere Gruppe junger Widerständler von der Gestapo in die Falle gelockt und erschossen wird, bündeln die vormals zerstrittenen Lager der Kommunisten und Gaullisten ihre Kräfte und gehen entschieden gegen die Nazis vor. Dem linken Major Gallois (Pierre Vaneck) obliegt schließlich die schwierige Mission, zu den Alliierten durchzudringen und sie zum Einmarsch in Paris und zur Unterstützung der Résistance zu bewegen, bevor die Stadt dem Erdboden gleichgemacht werden kann…

Die sechziger Jahre, das Jahrzehnt der monumentalen Kriegsfilme. Auch „Paris, Brûle-T-Il?“, international verliehen und co-produziertt von der Paramount und entstanden unter französischer Produktionsägide, zählt zu der umfangreichen Gruppe überlanger, stargespickter Historienaufbereitungen, deren logistischer Aufwand noch heute repräsentativ dasteht für die Ausstellung des damals technisch Machbaren.
Besonders in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts kamen auch europäische Financiers auf den Geschmack und kollaborierten mit den großen Hollywood-Studios, um gewaltige Spektakel rund um die Invasion aus dem Boden zu stampfen. Clements Film bildet dafür ein vorzügliches Exempel. Nach dem strukturellen Beispiel des fünf Jahre zuvor entstandene D-Day-Prestigefilm „The Longest Day“, den immerhin noch drei Regisseure gemeinsam stemmen durften, widmet sich „Paris, Brûle-T-Il?“ der Befreiung und Rettung der vier Jahre lang besetzten Metropole, die zugleich ein markiges Symbol für die dräuende deutsche Niederlage und den zusehends schwindenden Einfluss Hitlers auf seinen vormaligen Machtradius bildete. Wie bei Wicki, Annakin und Marton setzt sich auch das Narrativ dieses Films aus vielen episodisch gehaltenen Momentaufnahmen zusammen, deren Vorteile auf der Hand lagen – zum einen gestattete diese Erzählsweise einen multiperspektivische, auch historisch umfassendere Einblicke in die vielen beteiligten Gruppen, Lager und Einzelschicksale, zum anderen ermöglichte sie den gorreichen Einsatz des gewaltigen, internationalen Staraufgebots, ohne die geballte (und vor allem teuere) Prominenz für allzu viele Drehtage an das Projekt zu ketten. Gewissermaßen bildet General von Choltitz, dessen Rolle im Rahmen der Befreiung stark umnstritten ist, den charakterlichen Roten Faden des Films. Vor allem für den gewohnt wundervoll aufspielenden Gert Fröbe dürfte diese Tatsache ein besonderes Geschenk gewesen sein – er spielt jenen zwischen Pflichterfüllung und Menschlichkeit changierenden Wehrmachtsoffizier, wie er seit eh und je vor allem im (internationalen) Gattungsfilm immer wieder anzutreffen ist; jenen Typus Soldaten, der in späteren Kriegstagen längst darüber im Bilde befindlich war, dass der Führer verrückter war als eine Scheißhausratte, darüber hinaus jedoch mit dem militärischen Treueeid zu hadern hatte. „Schadensbegrenzung“ lautete die obliegende Devise, die Choltitz/Fröbe zum ausgesprochenen Gegner der SS macht und ihn sogar insgeheim mit der Résistance verhandeln lässt.
Obschon es 1966 noch nicht ungewöhnlich war, selbst von großem Publikumserfolg abhängige Großproduktionen wie diese in Schwarzweiß ins Kino zu bringen, hatte auch jene technische Entscheidung sehr konkrete Gründe: Clément nutzte etliche authentische Archivaufnahmen von relativ lädierter Qualität, deren zäsurischer Gebrauch sonst allzu stark ins Auge gefallen wäre. Zudem wurde nur der Einsatz farbverfremdeter Hakenkreuzflaggen am Drehort Paris gestattet, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen.
„Paris, Brûle T-Il?“ gliedert sich relativ nahtlos ein in die Formation seiner zeitgenössischen Kriegsfilme und teilt deren Habitus ebenso behende. Wer also eine Vorliebe für martialischen Kinomilitarismus pflegt, gern viele Stars an und zwischen Panzern, Waffen und Explosionen betrachtet und es zudem mag, zu sehen, wie Nazis verlieren, der ist mit der Wahl von Clements prallem Werk bestens aufgehoben.

8/10