„We have enough money to stop for good.“
The Sisters Brothers ~ F/E/RO/BE/USA 2018
Directed By: Jacques Audiard
Oregon, 1851. Die beiden Sisters-Brüder Eli (John C. Reilly) und Charlie (Joaquin Phoenix) betätigen sich als Laufburschen für den reichen Geschäftsmann „Commodore“ (Rutger Hauer), der sie stets dann mobilisiert, wenn es besonders dreckige Jobs ohne Nachfragen zu erledigen gilt. Aktuell sollen sie einen Chemiker namens Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed), der just auf dem Weg nach San Francisco ist, in die Zange nehmen. Der sich privat gern in melancholischer Schreiberei ergehende Privatdetektiv John Morris (Jake Gyllenhaal) wurde ebenfalls engagiert, um die Vorarbeit zu leisten, Warm also ausfindig zu machen und den Sisters seinen Aufenthaltsort zu übermitteln. Während die Brüder einen beschwerlichen Ritt voller Zwischenfälle in Richtung Kalifornien auf sich nehmen, schließen Warm und Morris Bekanntschaft und freunden sich an. Morris erfährt von Warm den tatsächlichen Grund für das Interesse des Commodore an seiner Person: Er hat eine stark ätzende Säure entwickelt, die Gold in Gewässern sichtbar macht. Warm ist jedoch mitnichten daran interessiert, sich mittels der Formel privat zu bereichern; sein eigentlicher Traum sieht vor, mit dem zu erwartenden Erlös in Texas eine Enklave zivilisierter Liberaler aufzubauen, die als Musterbeispiel für eine zukünftige Gesellschaftsform dienen könnte. Als die Sisters die beiden bereits auf Goldsuche befindlichen Partner treffen, lassen sie sich auf deren Seite ziehen und entscheiden sich gegen ihren vormaligen Auftraggeber. Der zögert nicht lange und hetzt ihnen seine Killer auf den Hals…
Internationaler als zuvor wurde Jacques Audiard bereits mit seiner letzten Regiearbeit „Dheepan“, in der es um tamilische Migranten in Frankreich ging. Für „The Sisters Brothers“, seinen achten Film und den ersten, dessen Script in englischer Sprache verfasst ist, konnte er nunmehr auf eine recht eindrucksvolle US-Besetzung zurückgreifen, mit der im Schlepptau er sich naheliegenderweise eines uramerikanischen Stoffes annahm – eines Western. Ausschließlich gedreht an europäischen Schauplätzen (wie es diverse kontinentale Regisseure auch in jüngerer Zeit, die sich dem Genre widmen, ebenfalls zu praktizieren pflegen), vornehmlich in Rumänien und Spanien, spiegelt „The Sisters Brothers“ dennoch diverse klassische Gattungstopoi in teils immens metaphorisierter Form wider. Allgegenwärtig zeichnet sich etwa der akuter werdende Konflikt ab zwischen dem abenteurlichen, maskulinen Hang, die atavistische Wildheit der frontier towns zu bewahren und dem der Zivilisation des Ostens entspringenden Bedürfnis, eine sichere Existenzgrundlage in Form einer streng demokratisch organisierten Gesellschaftsreform zu errichten. Hermann Kermit Warm, Wissenschaftler, Philosoph, Pazifist und Träumer, steht symbolisch für einen möglichen Aufbruch in eine solche Utopie. Er hat bereits konkrete Pläne entwickelt, wie diese zu realisieren wäre und dem eigenen Bekunden nach bereits eine umfassende Loge aus Geistesverwandten mobilisiert. Sein Schlüssel ist jene chemische Formel, um Gold zu finden, wohl eine Art Königswasser. Auf Warms Weg ins Sozialparadies liegen jedoch die unwägbaren Stolpersteine der von außen heranströmenden Gier und Gewalt; man will seiner Erfindung unter Anwendung von Gewalt zunächst habhaft werden und weiß später nicht, adäquat mit ihr Maß zu halten. Auftritt Sisters Brothers. Die beiden nicht gänzlich ungebildeten (sie sind immerhin alphabetisiert), aber doch recht tumben Brüder stecken voller psychischer Untiefen. Charlie hat einst den prügelnden, dauerbesoffenen Vater getötet und ist nun selbst halber Alkoholiker, dem Mord und Gewalt zur zweiten Natur wurden. Eli, der Ältere der beiden, einer verflossenen Liebe tief nachtrauernd, sehnt sich insgeheim nach Sesshaftwerdung und Bürgerlichkeit, fühlt sich jedoch für Charlie verantwortlich. Die Begegnung mit Warm und Morris, die bereits in langen Gesprächen ihrer mittlerweile gemeinsamen Vision nachhängen, wird für sie zu einer biographischen Zäsur. Tatsächlich entwickeln die Brüder Verständnis und Sympathie für die beiden Gewalt verabscheuenden Männer und sind bereit, zu ihren Gunsten der vormaligen Loyalität zu entsagen. Eine ganz wunderbare Szene zeigt Eli und Morris, wie sie sich bei der morgendlichen Zahnpflege begegnen. Eli hat seine Zahnbürste nebst Fluorpulver erst vor kurzem in einem Krämerladen erworben und ist noch ganz verzückt von der ungewohnten, neuen Oralhygiene. Seine Reaktion, als er Morris ebenfalls beim Zähneputzen erblickt, spricht Bände – er fühlt sich, überglücklich lächelnd, dem traurigen Poeten nun inniglich verbunden, während jener lediglich ein kurzes Kopfnicken für Eli erübrigt.
Charlies Gier durchkreuzt schließlich alle Träume und mündet in ein humanes und ökologisches Fiasko, als er die Indikatorsäure maßlos in das gestaute Flussbett kippt. Nach dieser schlimmen Schlappe bleiben zudem noch die Häscher des Commodore, die den Sisters keine ruhige Minute mehr lassen. Ironischerweise führt sie am Ende, nach getaner Arbeit, der Weg wieder zurück ins heimische Nest, zur Mutter (Carol Kane), wo ein letztes kleines Sanktuarium des Friedens und der Harmonie wartet.
So wandelt „The Sisters Brothers“ leicht, sanft ironisch und behende zwischen finsterem Humor und Tragödie, wenn er seine beiden liebens- zugleich aber zutiefst bemitleidenswerten Protagonisten durch eine mit Irrwegen gepflasterte Welt schickt, zu deren nachhaltiger Mitbestimmung sie trotz aller ungestümen Versuche keine noch so winzige Nuance beitragen können.
8/10
Hm, bei „Hermann Warm“ denke ich an den Set Designer, der bei DAS CABINET DES DR. CALIGARI, DER MÜDE TOD und LA PASSION DE JEANNE D’ARC Hand angelegt hat, und bei „Kermit“ denke ich, nun ja, an Kermit. Wie passt das zusammen“ Wahrscheinlich gar nicht, weil es eh nur Zufall ist. Oder doch nicht? 🙂
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Zufall dürfte das kaum sein.
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