THE PROFESSOR AND THE MADMAN

„Every word in action becomes beautiful in the light of its own meaning.“

The Professor And The Madman ~ IE/UK/USA/F/IS/BE/HK/MEX 2019
Directed By: Farhad Safinia

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzt sich der Philologe James Murray (Mel Gibson) das ehrgeizige Ziel, mit dem „Oxford English Dictionary“ das erste, umfassende Wörterbuch der englischen Sprache abzufassen und herauszugeben – ein ungeheuer ehrgeiziger Plan, der, wie sich rasch herauskristallisiert, selbst für ein größeres Mitarbeitergremium kaum zu bewältigen ist. Ein öffentlicher Beteiligungsaufruf erreicht schließlich auch den nach einem Mord in geistiger Umnachtung in der Broadmoor-Psychiatrie einsitzenden, ehemaligen Militärarzt William C. Minor (Sean Penn). Der nach Feldeinsätzen im Sezessionskrieg unter einem schweren, sich in Psychosen und schizophrenen Episoden äußerndem PTBS leidende Minor erweist sich als einer der wertvollsten Lieferanten für Murrays Wörtersammlung. Die beiden ungleichen Männer treffen und freunden sich an. Während Minor sich bei der Witwe (Natalie Dormer) seines vormaligen Opfers (Shane Noone) entschuldigen und schließlich sogar deren Verständnis und Liebe für sich erobern kann, schlimmern sich seine Leiden und Schuldkomplexe zusehends, was wiederum die kontraproduktive Hilflosigkeit seines Therapeuten Dr. Brayn (Stephen Dillane) verstärkt. Unter Murrays Mithilfe kann Minor schließlich entlassen und in die USA überstellt werden.

Das von Mel Gibson bereits seit langen Jahren vorbereitete, auf Simon Winchesters 1998 erschienenem „The Surgeon Of Crowthorne“ basierende Biopic endete in einer sehr unrühmlichen Postproduktionsphase und in diesbezüglichem Zusammenhang sogar vor Gericht. Weil die beteiligte Produktionsgesellschaft Voltage Pictures Gibson und seinem Regisseur Safinia sowohl das Recht auf den final cut als auch erwünschte Nachdrehs verweigerten, distanzierten sich beide öffentlich von dem schließlich veröffentlichen Resultat und nannten es eine „bittere Enttäuschung“. Safinia firmiert in den credits schließlich unter Rückzug seines Namens als sein Pseudonym „P.B. Shemran“.
Ich finde es ja immens seltsam, dass es trotz so vieler medienhistorischer Lektionen in mehr oder minder regelmäßigen Abständen dazu kommt, dass selbst kleinere Produzenten ihre kreativen Kräfte, allen voran den Regisseur, am Ende auflaufen lassen, nur weil ihnen die wie auch immer geartete finanzielle Muffe geht. Da werden gewünschte Schnittfassungen abgesägt, abgelehnt und nach jeweiligem Gutdünken verlängert oder verkürzt, ganze Scores ausgewechselt, colour gradings gezielt verändert. Vor allem aber wird unter dem Strich eine künstlerische Vision barsch mit Füßen getreten. Selbst renommierteste Filmemacher von Brian De Palma bis hin zu Paul Schrader müssen immer wieder entsprechende Enttäuschungen und Einbußen hinnehmen, tun dies anschließend gerechtermaßen lauthals kund und sorgen damit wiederum für eine Abkehr ihrer treuen Anhängerschaft und damit des potenziell größten Publikums. Auch das Feuilleton hat mit dem, was schließlich hinten rauskommt, stets seine liebe Not – der endgültige kommerzielle Todesstoß ist somit niet- und nagelfest. Dass die Produktionen derlei Negativentwicklung bei ihren Nickeligkeiten nicht nur schlichtweg ignorieren, sondern ihre Kompromisslosigkeit lieber mit noch höheren Verlusten sowie reziproker Rufschädigung bezahlen, mag mir nicht einleuchten. Aber ich bin eben auch kein Kapitalist.
Im Falle von „The Professor And The Madman“ habe ich mich erst nach der Betrachtung eingehender mit dessen unschöner Entstehungsgeschichte befasst und konnte ihn so weithin ungetrübt genießen. Möglicherweise bleibt einem das vollendete Meisterwerk vorenthalten – einen guten Film jedoch bekommt man auch so noch immer kredenzt. Kein Wunder, bei den reichhaltigen Topoi, die das unter anderem von John Boorman geschriebene Script vorschützt – zwei hochinteressant gezeichnete (und jeweils famos bespielte) Protagonisten mit ihren jeweiligen Obsessionen hat es darin, die wundervolle viktorianische Epoche natürlich; die ganz allmählich ihren misanthropischen Kinderschuhen entwachsende Geschichte der Psychiatrie, den Zauber von etymologischen Studien im Verbund mit irrwitzigem Komplettierungsstreben. Gewissermaßen als topping steht noch eine der unmöglichsten, bittersüßesten Liebesgeschichten des Kinojahres bereit – allesamt Faktoren, die mich etwas stutzend all die Negativwertungen, die „The Professor And The Madman“ zuteil wurden, zur Kenntnis nehmen lassen. Ich selbst fand Safinias Film auch in der vorliegenden Form noch sehr schön, wenngleich nicht makellos. Aber welches Werk kann mit einem derart astronomischen Qualitätsprädikat in der heutigen Zeit überhaupt noch reüssieren?

8/10

THE GHOST AND MRS. MUIR

„I’ve always wanted to be considered obstinate!“

The Ghost And Mrs. Muir ~ USA 1947
Directed By: Joseph L. Mankiewicz

England im Jahre 1900. Der Tod ihres Gatten, eines erfolglosen Architekten, bedeutet für Lucy Muir (Gene Tierney) zugleich die lang herbeigesehnte Möglichkeit, den „fürsorglichen“ Klauen ihrer altjüngferlichen Schwägerin (Victoria Horne) und Stiefmutter (Isobel Elsom) zu entrinnen. Gemeinsam mit Töchterchen Anna (Natalie Wood) und Haushälterin Martha (Edna Best) mietet sie ein pittoreskes Häuschen an der Küste. Quasi als kleine Einbuße gibt es den vormaligen Immobilienbesitzer, den Seemann Captain Gregg (Rex Harrison), als Geist gleich mit dazu. Das raubeinige, doch charmante Gespenst und die Witwe verstehen sich alsbald prächtig und gemeinsam schreibt man des Captains Biographie, um durch den Erlös das Haus halten zu können. Leider muss die daraus erwachsende Romanze unerfüllt bleiben, doch in der Person des filouhaften Kinderbuchautors und Lebemannes Miles Fairley (George Sanders) zeichnet sich bereits ein sehr diesseitiges Trostpflaster für Lucy ab…

Als eine von Mankiewiczs emanzipatorisch geprägten Frauengeschichten konnte „The Ghost And Mrs. Muir“ die zeitgenössische Kritik stante pede für sich einnehmen. Gene Tierneys weit im Vordergrund stehende Interpretation der sich wider das gesellschaftliche Normativ und für die individuelle Selbstständigkeit entscheidende Witwe zählt zu den schönsten darstellerischen Leistungen der aparten Vertragsaktrice für ihr Hausstudio Fox und demonstrierte eingehend, dass sie auch abseits ihrer kühlen femmes fatales und psychisch lädierten Schutzbedürftigen an maskuline Wunschvorstellungen zu rühren vermochte. Lucy Muir, die Heldin dieser liebenswerten gothic romance, mag keine ausgewiesene Suffragette sein, ihre stets durchschimmernde Geisteshaltung macht sie jedoch zumindest zur unverhohlenen Sympathisantin der Bewegung.
Ironischerweise verhilft ihr ausgerechnet der eingangs als bäriger, fluchender Chauvinist gezeichnete Geist Captain Greggs zu der lang ersehnten sozialen Autonomie, wobei der Weg dorthin mit manchem Stolperstein gepflastert ist. Lucy Muir muss sich zunächst die finanzielle Unabhängigkeit erwirtschaften, die ihr in einer der wenigen feministischen Positionen, die die damalige genderpolitische Unwucht Frauen überhaupt zugestand, winkt – der der Autorin nämlich. Um sie zu kräftigen und ihr das nötige Selbstbewusstsein zu verabreichen, löscht der geisterhafte Captain, der seinerseits nicht minder kostbares Lehrgeld für die unmögliche Romanze zu zahlen hat, schließlich jedwede Erinnerung an sich selbst und seine vormalige Unterstützung als Geschichtenverfasser, derweil Lucy die bittere Erfahrung, in Miles Fairley einem losen Fremdgänger aufgesessen zu sein, höchstselbst und ohne spirituellen Beistand machen muss. Zwei große Zeitsprünge zeigen zum Ende hin, dass Mrs. Muir ihr Leben schließlich bis ins hohe Alter selbst meistern konnte; ihr einst erwachter (oder auch erweckter) Stolz hat die Jahrzehnte überlebt und sie ohne neuerlichen Beziehungsstress glücklich werden lassen. Zudem wartet der einzig wahre Captain ihres Herzens beharrlich auf sie, bis ganz zum Schluss, auf der anderen Seite…

8/10

WIZARDS OF THE LOST KINGDOM

„Thrilling, isn’t it?“

Wizards Of The Lost Kingdom ~ USA/AR 1985
Directed By: Héctor Olivera

Axeholme ist ein friedliebendes Königreich der Magie. Simon (Vidal Peterson), Sohn des Hofzauberers (Edgardo Moreira) wird dereinst die Königstochter Aura (Dolores Michaels) ehelichen und alle sind glücklich und zufrieden. Alle…? Nicht ganz, denn Auras böser Stiefmutter Acrasia (Maria Socas) ist die viele Harmonie vor Ort ein Dorn im Auge und so ermöglicht die verräterische Schlange dem bösen Hexer Shurka (Thom Christopher) und seinem zwergenwüchsigen Gefolge die Übernahme Axeholmes. Aura (auf die Shurka seinerseits ein Auge geworfen hat) wird eingekerkert, derweil Simon und seinem pelzigen Faktotum Gulfax (Edgardo Moreira) die Flucht gelingt. Sie begegnen dem wackeren, aber weinaffinen Krieger Kor (Bo Svenson), der sich überreden lässt, ihnen gegen Shurka beizustehen. Zuvor gilt es jedoch, manches andere Abenteuer zu (ü)be(r)stehen…

1985 konnte man noch ein klein wenig Sword & Sorcery unters Kinovolk bringen, wenngleich schon längst nicht mehr so erfolgversprechend wie noch zwei, drei Jahre zuvor. Hinter „Wizards Of The Lost Kingdom“ (der zu seiner deutschen Videopremiere wundersamerweise den langen Originaltitel verehrt bekam und allein deshalb eine Ausnahmeposition auf diesem Sektor bekleidet) verbarg sich, Trommelwirbel, natürlich niemand Geringerer als (ein vorsorglich unkreditierter) Roger Corman, der mit dieser Leuchtgranate eine seiner legendären Patchwork-und Abschreibungsproduktionen betreute. (Als eines von ganzen neun Corman-Werken jener Tage) Entstanden und belichtet in Argentinien, belief sich der am Ende übrige, verwertbare Netto-Erzählrahmen auf eine Spielzeit von 59 Minuten. Diese wurden dann um 20 Minuten Filmschnipsel aus „Sorceress“ und „Deathstalker“ angereichert, was in einem völlig belanglosen Subplot mündete, der wiederum sich mittels viel Spucke, Mühe, Not und Voiceover in den Rest integriert fand. Auch einen Score wusste man sich zu sparen und nutzte kurzerhand James Horners musikalische Einspielungen aus „Battle Beyond The Stars“. Dass das „Resultat“ hinter dem immerhin wunderhübsch gemalten Kinoposter (auf dem Simon als mittelalterlicher Luke Skywalker auf einem schicken, geflügelten Raubkatze zur Attacke bläst) als denkbar absurdes, hanebüchenes Flickwerk verkauft zu werden hatte, folgt aus der Natur der Sache, lässt sich mit der rosarot eingefärbten Nostalgiebrille jedoch zumindest als halbwegs liebenswerte Kuriosität und Erinnerung an eine heuer undenkbare Art des Filmschaffens goutieren. Immerhin: Bo Svenson hat den Spaß mitgemacht, ob allzeit nüchtern, sei herzlichst in Frage gestellt, und man lacht und leidet gewissermaßen mit ihm. Jeder, der Papp und Plaste belächelt oder gar atemringend scheut, sei indes tunlichst gewarnt!

3/10

DARLIN‘

„There can be no after without a before.“

Darlin‘ ~ USA 2019
Directed By: Polyanna McIntosh

Jahre nachdem die kleine Darlin‘ Cleek den Klauen ihres perversen Vaters entkommen konnte und in der von ihm gekidnappten Frau (Polyanna McIntosh) aus den Wäldern ihre Ersatzmutter gefunden hat, wird sie, nunmehr selbst ein Teenager (Lauryn Canny), von der Frau zu einem Hospital geleitet. Dort kümmert sich zunächst der homosexuelle Krankenpfleger Tony (Cooper Andrews) rührend um das verwilderte Mädchen, muss seine wohlausgefüllte Verantwortung jedoch erzwungenermaßen bald an den eine katholische Mädchenschule namens ‚St. Philomena’s‘  leitenden Bischof (Bryan Batt) abgeben. Dieser verspricht sich von der (sorgsam dokumentierten) Resozialisierung Darlin’s eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit. Nach und nach adaptiert sich Darlin‘ an die strengen Erziehungsmethoden der Schule und des Bischofs, blickt jedoch alsbald hinter dessen saubere Fassade. Der daraus folgende, innere, seelische Widerstreit zwischen (forciertem) christlichem Gewissen und den blutigen Erinnerungsfetzen an das frühere Leben harrt seiner Entscheidung, derweil die Frau sich auf die Suche nach ihrer „verschleppten“ Darlin‘ macht…

„Darlin'“ bildet nach zehn Jahren den (vorläufigen) Abschluss einer Trilogie um eine aus einer verwilderten Kannibalensippe New Englands stammende, von Polyanna McIntosh gespielte Frau und ihre seltsamen Berührungspunkte mit einer hoffnungslos entmenschlichten „Zivilisation“. Die literarischen Wurzeln der Geschichte gehen auf den 1981 erstveröffentlichten Roman „Off Season“, das Debüt des vor rund zwei Jahren verstorbenen Horrorautors Dallas William Mayr alias Jack Ketchum, zurück. Darin wird eine Gruppe New Yorker Wochenenurlauber zu Opfern jenes in Maine beheimateten Kannibalenstamms. Ketchum schrieb bis 2010 noch zwei Fortsetzungen, „Offspring“ und „The Woman“, die im Gegensatz zum Auftaktroman beide 2009 bzw. 2011 adaptiert wurden. Letzterer der beiden Filme, inszeniert von Lucky McKee, avancierte zu einem Genre-Meisterwerk, einer tiefschwarzen, feministischen Groteske, einem buchstäblich wilden Pamphlet gegen das patriarchalische Selbstverständnis unserer gobalen Sozietät. Nachdem es nach dem recht zufriedenstellenden Showdown jenes wilden Ritts vorübergehend still um die titelgebende Frau und ihre neuadoptierte Familie wurde, nahm sich Polyanna McIntosh höchstselbst ein weiteres Mal ihres Erzählkosmos an und schrieb und inszenierte, unter produzierender Flankierung der früheren Mitstreiter Andrew van den Houten, McKee und Ketchum (dessen Andenken „Darlin'“ erwartungsgemäß gewidmet ist), ein Coming-of-Age-Drama. Vom letzthin übriggebliebenen Personal sind nurmehr die Frau und Darlin‘ übrig, letztere vor allem in der Funktion als Stammhalterin. Die junge Frau ist nämlich schwanger und dies zugleich der Grund, warum überhaupt die Geschichte um ihre Konfrontation mit der Kirche stattfinden kann. Das Baby soll nämlich unter sanitär-hospitalitären Umständen zur Welt kommen, aber dann verläuft alles doch ganz anders. Darlin‘ landet nämlich beim Bischof, einem weiteren Widerling maskuliner Austriebe, dem sein theologisches Gewissenspolster lediglich als Feigenblatt für die eigene, tiefverwurzelte Niedertracht fungiert. „Darlin'“ reitet also wiederum zu Kreuze, diesmal gegen den Klerus und sein (glücklicherweise) ohnehin im Bröckeln befindliches Antlitz. Das macht ihn schonmal nachgerade und wesentlich sympathisch. Die transgressive Kraft von „The Woman“ kann das Quasi-Sequel indes nicht mehr präservieren, daran ist ihm aber auch nicht gelegen. Der Plot dient McIntosh vielmehr dazu, ihre (ja nun doch sehr karriereeminenten) Geschichte als wilde Frau mit der ihr offenbar dräuenden Agenda der Kirchenkritik zu polstern. Das Resultat entspricht in etwa einer Melange aus „The Woman“ und Schraders „First Reformed“, der vor allem dem angemessen groben Finale bewusst oder unbewusst Pate steht. Als Regiedebüt beachtlich, solitär betrachtet sehens- und als conclusio seiner losen Trilogie anerkennswert.

7/10

ONCE UPON A TIME… IN HOLLYWOOD

„You are real, right?“

Once Upon A Time… In Hollywood ~ USA/UK/CN 2019
Directed By: Quentin Tarantino

Hollywood, 1969. Während das Studiosystem langsam vor sich hin zerbricht, steht es auch für den darbenden Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), Nachbar von Roman Polanski (Rafal Zawierucha) und Sharon Tate (Margot Robbie), sowie seinen Kumpel, Stuntman und Faktotum Cliff Booth (Brad Pitt), nicht eben zum Besten: Klassische Rollen in Genrefilmen und -Serien, wie Dalton sie zu spielen gewohnt ist, werden zusehends rarer, analog dazu steigt sein Alkoholkonsum. In der Ferne winkt bereits Cinecittà mit seinen Discounter-Angeboten für abgehalfterte US-Stars. Während Dalton sich vor allem mit sich selbst und seinem sinkenden Stern herumschlägt, lernt Booth durch einen bloßen Zufall die auf der Spahn-Ranch hausende Hippieclique um Charles Manson (Damon Herriman) kennen. Nachdem Dalton für ein halbes Jahr und vier Filme nach Rom verschwunden ist, teilt er, mittlerweile verheiratet, Booth bei seiner Rückkehr mit, dass er ihrer beider Geschäftsbeziehung aus finanziellen Gründen beenden müsse. Ihre letzte gemeinsame Sause fällt just auf die Nacht der geplanten Tate-LaBianca-Morde. Die marodierenden Manson-Jünger erleben ihr bluttriefendes Wunder.

Q.T.s jüngste Leinwandscharade versteht sich gleichermaßen als Hommage und Reminiszenz an die Götterdämmerung des alten Studiosystems, bevor New Hollywood mit seinen jungen, vollbärtigen Wilden, Studenten und Intellektuellen die noch verbliebenen Mogule und executives endgültig das kreative Fürchten lehrt. Während sich bereits die letzten beiden Sommer der Liebe durch schwelende Infektionen infolge von Drogenpsychosen, Vietnam und Rassenunruhen nach und nach in ihre gesellschaftspolitischen Antipoden wandeln, plant die Manson Family ihren willkürlich ausgeführten Mordzüge in der Nacht zum 9. August 1969, die insgesamt sieben Menschen das Leben kosten werden, darunter die hochschwangere Sharon Tate.
Tarantino inszeniert vor dieser Kulisse ein episodisch angelegtes Kaleidoskop von dem, was war und hätte sein können, wäre nur das Leben selbst ein raubeiniger Exploitationfilm. Wie er bereits in „Inglourious Basterds“ den Verlauf der Geschichte umschrieb, um Hitler von einer jüdischen Partisanin in einem Pariser Kino zum Teufel jagen zu lassen, formuliert er hier eine Liebeserklärung an eine von Margot Robbie als grenzätherisches Himmelswesen mit schmutzigen Füßen  interpretierte Tate, die im Rahmen dieser Phantasie dann auch von den Manson-Jüngern unbehelligt bleiben und weiterleben darf – dank Rick Dalton und Cliff Booth, die, beseelt von Acid und Booze und unter der unschätzbaren Mithilfe von Pitbull Brandy, den Manson-Jüngern ihre höchstpersönlichen Höllentickets verehren. Jener lose Plot legt sich einer dünnen Transparentfolie gleich auf eine Kette amüsanter Anekdoten aus Tarantinos fabulierfreudigem Hinterkopf, flankiert von teils verblüffenden Doppelgänger-Appearances tatsächlicher Ikonen wie Steve McQueen (Damian Lewis) oder Bruce Lee (Mike Moh), dessen großmäulig-affige Porträtierung dem Regisseur ja bekanntermaßen einige Kritik eintrug. Doch damit längst nicht genug der Ideenvielfalt; im Zuge eines herrlich arrangierten Tagtraums findet sich Rick Dalton anstelle von McQueen in Sturges‘ „The Great Escape“ wieder, es versichert sich Cliff Booth, dass sein alter Kumpel George Spahn (Bruce Dern) sein Domizil den Hippies auch wirklich aus freien Stücken zur Verfügung stellt und die vor Glück strahlende Sharon Tate bewundert sich selbst in Phil Karlsons finalem Matt-Helm-Abenteuer „The Wrecking Crew“ auf der Großleinwand. Seine Liebe und Kenntnis von und zu jener Ära gießt der persönlich gewiss nicht immer unanstrengende Märchenonkel Tarantino binnen schöner, lichtdurchfluteter Bilder in sein essayistisches Werk und macht daraus seinen konziliantesten Film mindestens seit „Inglourious Basterds“, vielleicht sogar seit „Jackie Brown“. Ich persönlich muss sagen, dass der Mann sich, und sei es bloß hinsichtlich seines Könnens, mit „Once Upon A Time… In Hollywood“ eine ganze Masse Sympathiepunkte meinerseits zurückerobern konnte. Nach dem teils unangenehm selbstberauschten „The Hateful Eight“ waren meine Erwartungen an Kommendes entsprechend mäßig, umso erfreulicher, dass Tarantino sich nicht weiter in Richtung schöpferischer Nulllinie bewegt.
Schön!

9/10

THE IRISHMAN

„Back then, there wasn’t nobody in this country who didn’t know who Jimmy Hoffa was.“

The Irishman ~ USA 2019
Directed By: Martin Scorsese

Pennsylvania in den Fünfzigern. Per Zufall lernt der irischstämmige Truckfahrer Frank Sheeran (Robert De Niro) den Mobster Russell Bufalino (Joe Pesci) kennen. Bald begegnet man sich abermals und es erwächst allmählich eine Freundschaft zwischen den beiden Männern. Sheeran übernimmt erste Aufträge für Bufalino und die Mafia, die bald auch Morde an unliebsamen „Familienmitgliedern“ beinhalten. Der „Irishman“ steigt in der Gangsterhierarchie nach und nach soweit auf, wie es einem Nichtitaliener möglich ist; unter anderem macht Bufalino ihn mit dem Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa (Al Pacino) bekannt, mit dem und dessen Familie sich Sheeran nebst seiner eigenen Frau und deren Kinder sich wiederum innig befreunden. Als die Kennedys Hoffa wegen seiner zwielichtigen Aktivitäten und Kontakte ins Visier nehmen, unterstützen Sheeran und die Mafia ihn soweit als möglich; eine sich während Hoffas Gefängnisaufenthalt in den Sechzigern entzündende Intimfeindschaft mit dem ebenfalls einsitzenden Gangster „Tony Pro“ Provenzano (Stephen Graham) jedoch bringt den Teamsterchef selbst auf die langfristige Abschlussliste des Mob. Mehrfach versuchen Bufalino und Sheeran zu intervenieren und Hoffa zum Rücktritt zu bewegen – zwecklos. Als Hoffa im Juli 1975 spurlos verschwindet, ahnt Sheerans Tochter Peggy (Anna Paquin), die mit dem Freund ihres Dads stets eine innigere Beziehung verband als mit ihrem eigenen Vater, dass dieser in direktem Zusammenhang mit jenem Ereignis steht. Sie wechselt nie wieder ein Wort mit ihm.

Viel wurde bereits im Vorhinein um und über Scorseses jüngstes Epos, sein bisher erzählzeitintensivstes Werk und seinen dritten großen Mafiafilm, diskutiert und beiden in jenen Zügen diverse Vorhaltungen gemacht. Zunächst bildete die Tatsache, dass binnen der langwierigen Produktionsgeschichte von „The Irishman“ der Maestro schließlich von Paramount zu Netflix wechselte, die die Veröffentlichungsrechte für eine immens hohe Summe erworben hatten und sich zudem bereit zeigten, die eingeforderten Budgeterhöhungen zu übernehmen, für mancherorts barsche Kritik. Ausgerechnet Scorsese, großer Liebhaber des Kinos und seiner Geschichte, Preservateur des Mediums und erst zuletzt wegen seiner abfälligen Äußerungen zu einer jüngeren Mainstreamspielart der Leinwand, nämlich den Superhelden-Adaptionen wie denen des MCU, umfassend zitiert, verkaufte sich, sein Talent und gewissermaßen auch seine künstlerische Integrität an einen der großen Streaming-Dienste. Wie als flüchtige Apologie gab es kurzbefristete, internationale Kinoaufführungen, was Scorsese damit kommentierte, dass doch auch frühere seiner Filme wie „The King Of Comedy“ wegen allgemeiner Publikumsmissachtung schon nach zwei Wochen wieder aus den Lichtspielsälen flogen. Ferner strafte man den besonders teuren visual effect um das sogenannte „De-Aging“ der Darsteller ab, der tasächlich große Teile der Nachproduktionskosten verschlang. Statt per Make-Up wurden De Niro, Pesci und die anderen aufwendig via CGI kunstverjüngt, eine Maßnahme, von der häufig zu lesen ist, sie wirke allzu artifiziell, sichtlich misslungen und kaschiere bei aller Liebe dann doch nicht die Motorik der tatsächlich in ihren Siebzigern befindlichen Akteure. Einmal habe ich sogar gelesen, „The Irishman“ funktioniere als Hoffa-Biographie überhaupt nicht, von diversen anderen mehr oder minder relevanten Makulaturen erinmal ganz abgesehen.
Die stillere, weitaus größere Majorität jedoch scheint „The Irishman“ zu mögen, teils gar aufrichtig zu lieben, und in ihm ein starkes Alterswerk des großen Regiekünstlers auszumachen.
Zunächst einmal halte auch ich den Film für ein spätes Monument im Schaffen Scorseses und für seinen vielleicht gelungensten und geschlossensten seit der Jahtausendwende („Hugo“ bin ich mir allerdings immer noch schuldig). Vieles an ihm ist Zeugnis abgeklärter Perfektion und der Gewissheit, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen. Anders als „Goodfellas“ und „Casino“, die sich darin gefielen, die glamouröse Seite des Wise-Guy-Lebens auszustellen, mit ihrem wahnwitzigen Tempo, ausgestellter Brutalität, Musik, Schnitt und rauschhaften Farbpaletten vor allem audiovisuelle Meisterschaft erreichten, ist „The Irishman“ exakt das, womit er sich selbst einführt: Ein geriatrischer, ein Senioren-Gangsterfilm. Das einstmals von Scorsese gewohnte, flotte pacing, das etwa der koksbeseelte „The Wolf Of Wall Street“ noch vorschützte, weicht einem nachgerade melancholischen Biopic, das es sich zudem leistet, seine großen Topoi von zwischenmenschlichem Verrat im Gegenzug zu stoischem Pflichtbewusstsein, von Schuld und Sühne, gänzlich entgrellt und auf einer rein introvertierten Ebene zu verhandeln. Dass es in „The Irishman“ trotz Pacinos (tollem!) exaltierten Spiel keinesfalls um Jimmy Hoffa geht, sondern um den titelgebenden Frank Sheeran, scheint dabei mancherorts vergessen zu werden. Für De Niro ist Sheeran vielleicht die letzte, große Rolle seines Lebens nachdem er sich in den vielen Jahren zuvor meist vornehmlich als kauziger Komödiant oder in anderweitig lauen Parts hat verheizen lassen, die von der frühen Grandezza seines fesselnden method acting kaum mehr etwas erkennen ließen. Weder Scorsese noch er selbst begehen in ihrer achten Zusammenarbeit (und der ersten seit rund dreiundzwanzig Jahren) dabei jedoch den naheliegenden Fehler, Frank Sheeran den spaßigen, Szenenapplaus evozierenden Nimbus des ovationsträchtigen Antihelden-Mafioso zu verehren, wie ihn ehedem vielleicht der paranoide Ray Liotta oder der flirrende Joe Pesci (der hier als ungewohnt selbstkontrollierter Pate in einem bewussten Gegenentwurf zu seinen früheren, cholerischen personae zu sehen ist) ausfüllten. Frank Sheeran ist, nicht nur wegen De Niros tatsächlichem Alter, bereits in jüngeren Jahren gewissermaßen frühvergreist. Er lässt sich widerstandslos zum willfährigen Instrument machen, dessen „Fähigkeit“, moralische und gesetzliche Grenzen zu übertreten, neben seiner hündischen Obrigkeitsergebenheit seine einzige, große Qualität darstellt. Weder ist Sheeran sonderlich intelligent, noch in der Lage, über ein eng begrenztes Maß hinaus Empathie entwickeln. Als es darum geht, seinen besten Freund zu ermorden, befolgt er auch diesen Auftrag ohne große Gegenwehr – er wollte es ja nicht anders. Doch zahlt auch Sheeran seinen Preis. Im hohen Alter steht er allein da, die anderen seiner Generation längst weggestorben, von der eigenen Familie, der aus Fleisch und Blut, wohlweislich abgestraft und ignoriert. Die finale Erlösung, den (Film-) Tod, enthält Scorsese ihm und uns vor. Frank Sheeran muss mit der Hölle seines Gewissens, dem Rückblick auf eine erbärmliche Existenz als affirmativer Sklave, weiterleben.

9/10

SCARY STORIES TO TELL IN THE DARK

„Stories hurt, stories heal.“

Scary Stories To Tell In the Dark ~ USA/CA 2019
Directed By: André Øvredal

Mill Valley, Pennsylvania 1968: Ein folgenreicher Halloween-Streich endet für die drei befreundeten Teenager und Horrorliebhaber Stella (Zoe Margaret Colletti), Auggie (Gabriel Rush) und Chuck (Austin Zajur) sowie den just dazugestoßenen Chicano Ramón (Michael Garza) im verlassenen Anwesen der Familie Bellows – einer einst wohlhabenden Dynastie von Textilunternehmern, der Mill Valley die Hauptursache seiner Existenz verdankt. Doch wie die meisten reichen Großfamilien umweht auch die Bellows‘ ein dunkles Geheimnis – einst wurde deren Tochter Sarah (Kathleen Pollard) zunächst von der Außenwelt isoliert und versteckt gehalten, um dann später in einer unweit entfernten Irrenanstalt mit Elektroschocks „therapiert“ zu werden. Sarah, die seit damals in dem alten Haus ihr gespenstisches Unwesen treiben soll, ist auch die Autorin eines seltsamen Geschichtenbuchs, das die von irrationalen Schuldgefühlen geplagte Stella findet und mit sich nimmt. Mit jenem Buch hat es Mysteriöses auf sich – es schreibt seine Gruselgeschichten selbst unumwunden mit blutiger Tinte, derweil das Niedergeschriebene sich parallel in der Realität abspielt und die jungen Leute ins Verderben reißt. Da das Buch sich nicht vernichten lässt, muss Stella nun seiner Autorin auf die Spur kommen…

„Scary Stories To Tell In The Dark“, inszeniert von dem vielversprechenden norwegischen Regisseur André Øvredal und produziert von Guillermo del Toro, basiert auf einer Serie von Gruselgeschichten-Anthologien, die der Autor Alvin Schwartz in den Achtzigern und Frühneunzigern speziell für eine jüngere Leserschaft verfasst und veröffentlicht hat. Mit dem verbindenden Plot der sich aus dem Jenseits rächenden Sarah Bellows fand der Film einen passenden narrativen Überbau, um seinen Episoden um einige, eine Teenagergruppe heimsuchende, grauslige Ereignisse inhaltliche Kohärenz zu verleihen und seine monströsen Gestalten und Segmente um die lebende Vogelscheuche Harold, einen Zombie auf der Suche nach einem fehlenden Zeh, eine fiese Spinnenschwangerschaft, die aufdringliche Pale Lady und den verwachsenen Jangly Man miteinander verquicken zu können. Dabei erweist sich der Release-Termin von „Scary Stories“ als nicht eben klug gewählt, um nicht zu sagen: ungünstig zu einer Zeit, in der Retro-Geschichten um juvenile Freunde in Kleinstädten beileibe kein innovatives Sujet mehr abgeben. Doch genau auf jenen inhaltlich ausgetrampelten Pfaden wandeln Øvredal und del Toro abermals, wenngleich sie immerhin bis in die Sechziger zurückblicken, die sich im Filmkontext allerdings bestenfalls durch spezifische Details wie etwa das in der Ferne spukende Vietnam von den in jener Subgattung üblicherweise abgefrühstückten achtziger Jahren unterscheiden. „Scary Stories“ greift als vergleichsweise harmlos gewebter PG-13-Halloween-Grusler auf einige hübsche Einfälle zurück, die im Ansatz den fruchtbaren Ideenpool seiner Kreativköpfe erahnen lässt, bleibt am Ende aber dann doch zu ordinär, vorhersehbar und beliebig für ein Publikum jenseits des fünfzehnten Lebensjahrs, das mit Episodenhorror und teenage angst seine hinlänglich lieben, langjährigen Erfahrungen sammeln konnte. Der bereits unzweideutig auf ein vorgeplantes Sequel verweisende Epilog versagt dann auch weitgehend in seinem Bestreben, diesbezügliche Neugier zu schüren. Nett, nicht mehr.

6/10