ENIGMA

„I think these two go together.“

Enigma ~ UK/F 1982
Directed By: Jeannot Szwarc

Der Kalte Krieg brodelt vor sich hin. Ausgerechnet am Weihnachtstag will der KGB als abschreckendes Exempel für potenzielle Überläufer fünf aus der Sowjetunion geflohene Dissidenten liquidieren, die überall auf der Welt verteilt sind. Im Gegenzug plant die CIA, ein jenseits der Mauer befindliches Modul zu stehlen, das für die Funktion der berühmten „Enigma“-Dechiffriermaschine von entscheidender Bedeutung ist. Damit will man schließlich die Aufenthaltsorte und Identitäten der fünf Anschlagsopfer herausbekommen und die geplanten Morde so verhindern. Für die waghalsige Aktion heuert der US-Geheimdienst den aus Ostberlin stammenden Systemflüchtling Alex Holbeck (Martin Sheen) an, der mittlerweile in Paris einen antikommunistischen Radiosender leitet. Holbeck willigt ein, da er sich von dem Engagement nicht zuletzt ein Wiedersehen mit seiner verflossenen Liebe Karen (Brigitte Fossey) erhofft, die in der DDR als Anwältin einen tapferen Kampf gegen die regierenden Windmühlen kämpft. Die Gegenseite bekommt von Holbecks Einsatz Wind und versucht, des mittlerweile in Berlin-Ost angelangten Amateurspions mithilfe des ebenso systemtreuen wie narzisstischen KGB-Agenten Dimitri Vasilikov (Sam Neill) habhaft zu werden. Wovon weder Holbeck noch Vasilikov etwas ahnen: Die Amerikaner sind längst im Besitz des Enigma-Moduls und kalkulieren die Festsetzung Holbecks, der tatsächlich ausschließlich als Lockvogel fungiert, fest ein…

Jeannot Szwarcs in seiner Gesamtheit schönes Spionagedrama hat mir in mehrerlei Hinsicht sehr gut gefallen, wenngleich – so viel vorweg – sich einige berechtigte Kritikpunkte gewiss nicht ohne Weiteres wegdiskutieren lassen.
Zunächst einmal wird die Atmosphäre des Kalten Kriegs bestens passend zu seiner Nomenklatur gleich in einen kalten, grauen DDR-Dezember versetzt. So und nur so stellt man sich Spionageeinsätze hinter den damals feindlichen Linien vor, was nicht minder für die westlichen Fantasien vom Arbeiter- und Bauernstaat gilt (tatsächlich wurde in Frankreich gedreht, was allerdings bestens durchgeht). Vor dieser Kulisse gibt es ein spannendes Katz- und Mausspiel zwischen den intellektuell ebenbürtigen Duellanten Sheen und Neill, in dem der pro-westliche Überläufer Sheen allerdings stets (und bis zum Finale) eine Nasenlänge voraus ist, eine tiefromantische, involvierende Dreiecksgeschichte, die besonders gegen Ende (gewiss als solche intendierte) Erinnerungen an „Casablanca“ weckt, damit direkt verknüpft ein vorzüglich ausbuchstabiertes Figurenensemble und eine Besetzung auf der Höhe ihrer Kunst.
Auf der anderen Seite nimmt sich die Darstellung des einstigen Ostblocks allgemein und die der DDR im Besonderen extrem undifferenziert aus: Mit dem Moment, in dem Holbeck in Ostberlin anlangt, rutscht man gemeinsam mit ihm in ein von Sonnenlicht übersehenes, förmlich lebensfeindliches, zutiefst faschistisches Loch fauliger Korruption und Boshaftigkeit, das jedweden Anflug von autonomem Denken sofort entdeckt und gnadenlos ahndet. Nicht selten musste ich an ZAZs „Top Secret“ denken (in dem Nebendarsteller Warren Clarke ebenfalls auftritt). Im Gegenzug stellt die sozialistische Hierarchie sich durch ihre diversen Wadenbeißer permanent selbst ein Bein nach dem anderen, weshalb Holbeck sie infolge seiner freigeistigen Cleverness auch stets erfolgreich ausbooten kann. Um diese „Überlegenheit“ darzustellen, wählt das Script allerlei Volten, die zuweilen ins Irreale bis Lächerliche ausarten und „Enigma“ dann wiederum doch eher zu einem Märchenfilm als einem ernstzunehmenden Politthriller formen. Den Gipfel erreicht das Geschehen in einer Szene, in der Holbeck die mittlerweile als zersetzend denunzierte, seedierte Karen im Alleingang aus einer Irrenanstalt befreit und mit ihr entkommt, die halbe Stasi auf den Fersen. Der Schluss wiederum, für den sich speziell diese Episode dann doch wieder als immanent wesentlich erweist, rührt zu Tränen und steht den vorhergehenden Ereignissen geradezu diametral entgegen. Man muss sich also gewissermaßen entscheiden, ob man all die dramaturgischen Übertreibungen des Plots gewillt ist, um der ebenso vorhanden Qualitäten des Films Willen zu übersehen. Ist man dazu bereit, mag man „Enigma“ gewiss mögen. Ist man’s nicht, wird man in ihm vielleicht auch vorsätzlich verursachten, groben Unfug ausmachen. Wie so oft gilt: Entscheiden Sie selbst.

8/10

THE BIG SCORE

„I’m never gonna go to war with you again!“

The Big Score (Chicago Cop) ~ USA 1983
Directed By: Fred Williamson

Detective Frank Hooks (Fred Williamson) vom Chicago P.D. lässt sich nichts gefallen. Freche Drogendealer bekommen schnell mal Saures von ihm, weshalb seine Vorgesetzten (u.a. Ed Lauter) auch nicht sonderlich gut auf Hooks zu sprechen sind. Als er und seine Partner den Pusher Goldy (Michael Dante) auf frischer Tat hochnehmen, kann Hooks zwar den flüchtenden Gangster stellen und erschießen, das Drogengeld von einer Million Dollar jedoch verschwindet während der Verfolgungsjagd. Man verdächtigt Hooks, den Zaster eingesackt zu haben und suspendiert ihn trotz aller Unschuldsbeteuerungen vom Dienst. Nachdem wiederum Goldys Boss Mayfield (Joe Spinell) von der Sache erfährt, setzt er seine Killer (Bruce Glover, Tony King) auf Hooks und dessen Frau (Nancy Wilson) an, was dem knüppelharten Bullen gar nicht schmeckt. Zudem muss Hooks‘ Partner und Freund Davis (John Saxon) dran glauben. Hooks geht auf eigene Rechnung gegen die Übeltäter vor…

Fred „The Hammer“ Williamsons (von ihm bis heute höchstpersönlich kultivierter) Nimbus als unentwegt Zigarre qualmender, ultracooler Handkantenausteiler vor der Kamera ist dermaßen prägend, dass man gern zu übersehen geneigt ist, dass er seit 1975 auch 17 1/2 Filme selbst inszenierte – die meisten davon natürlich mit sich in der Hauptrolle. Über die Regiequalitäten des Ex-Football-Cracks lässt sich gewiss streiten; nicht jedoch darüber, dass sein Gesamtwerk ein überaus stolzes Selbstbewusstsein und den unbeirrten Glaube in die eigenen Fähigkeiten aus jeder Pore schwitzt. Um Williamson herum bewegte sich zudem stets eine verlässliche Traube aus anderen Filmschaffenden, mit denen ihn auf steter Reziprozität beruhende Freund- und Partnerschaften verbanden – seien es seine Blaxploitation-Kollegen aus den frühen Siebzigern, diverse schillernde Figuren aus dem New Yorker Grindhouse-/Underground-Sektor, die italienischen Genremeister der Spätsiebziger und Achtziger oder, bis in die Gegenwart hinein, der ihn nach wie vor stets gern als Gastbonbon bemühende, internationale Regienachwuchs. So erklärt sich auch, warum ein sehr simpel gestrickte und gefertigte Arbeit wie „The Big Score“ bis in die Nebenrollen vor wohlgelittenen Namen strotzt, wo Andere möglicherweise nur unbekannte Kleinstdarsteller hätten engagieren können. Gewiss sind es vor allem jene vielen Lieblingsgesichter, die diesem achten Regiefilm Williamsons (wie einigen anderen von ihm sicherlich auch) sein spezielles Bukett verleihen und ihn trotz aller nachsehbaren Schwächen zu einem fröhlichen Hallo verhelfen. Plot und Dramaturgie straucheln unentwegt, es gibt zwei derbe Gewaltszenen um jeweils auseinanderfliegende Leiber, die, soviel lässt zumindest der sie betreffende, abrupt wirkende Schnitt vermuten, einige MPAA-Federn haben lassen dürften. Um diese doch sehr netten Ingredienzien wie um ein paar sympathisch-komisch angelegte Nebenparts (D’Urville Martin, James Spinks) herum kloppt sich der summa summarum spaßige „The Big Score“ seine eigene, kleine Nische ins Kinogemäuer und lässt sich darin von geneigteren Kunden noch immer lustvoll betrachten.

6/10

THE ART OF LOVE

„Are you still not satisfied?“

The Art Of Love (Bei Madame Coco) ~ USA 1965
Directed By: Norman Jewison

Die beiden Freunde Paul Sloane (Dick van Dyke) und Casey Barnett (James Garner) könnten eigentlich unterschiedlicher nicht sein: Zwar bewohnen sie gemeinsam eine Dachwohnung im Pariser Montmartre und zählen sich stolz zur hiesigen Bohème, doch während der Maler Paul mit seiner Erfolglosigkeit nicht zurechtkommt und es leid ist, sich von der reichen Familie seiner in den Staaten lebenden Verlobten Laurie Gibson (Angie Dickinson) aushalten zu lassen, liebt der wiederum von Paul mit durchgefütterte Autor Casey das Lotterleben des Libertins. Zu Caseys Bedauern gelingt es ihm nicht, Paul, der von Paris genug hat und zurück in die USA will, um Laurie endlich zu heiraten, zum Bleiben zu überreden. Aus einer volltrunkenen Laune heraus und der These, dass erst ein toter Künstler wirklich erfolgreich sein kann, schreiben die beiden gemeinsam einen Abschiedsbrief für Paul. Als dieser auf dem Nachhauseweg die in die Seine springende Selbstmörderin Nikki (Elke Sommer) erblickt, hüpft Paul hinterher, um sie zu retten. Seine am nächsten Morgen gefundenen Kleider veranlassen Casey und die Polizei dazu, zu glauben, Paul habe sich ertränkt. Urplötzlich erzielen seine Gemälde tatsächlich Höchstpreise, was der „hinterbliebene“ Casey mit einigem Wohlwollen zur Kenntnis nimmt. Darum überredet er den sich ihm wieder als höchst lebendig präsentierenden Paul, noch eine Weile „tot“ zu bleiben, um den willkommenen Reibach noch etwas zu verlängern. Paul soll getarnt als Maler „Toulouse“ im Nachtclub von Madame Coco (Ethel Merman) untertauchen und dort weiterarbeiten. Auch Nikki lebt mittlerweile bei Madame Coco und arbeitet für sie als Hausmädchen. Während Paul und Nikki sich ineinander verlieben, taucht Laurie in Paris auf und wird von Casey über die „traurigen  Neuigkeiten“ in Kenntnis gesetzt, während er ihr frontal den Hof macht und den Löwenanteil des Erlöses für Pauls Werke einstreicht. Als Paul davon erfährt, heckt er einen nicht minder hinterhältigen Rachestreich gegen Casey aus, der beinahe in die Hose geht…

Obschon Norman Jewisons wunderbare Komödie nicht mit trefflichem Humor und einer Menge prickelnder Romantik geizt, empfand man sie zu ihrer Veröffentlichungszeit vielerorten als zu „schwarz“ und zu gallig, so dass ihr guter Ruf – die bis dato vorherrschende Veröffentlichungslage (es gibt scheinbar nur Bootlegs und eine semilegale australische DVD-Veröffentlichung) spricht Bände – nachhaltig geschädigt wurde. Dafür verantwortlich waren offenbar die als unerschütterliche Wahrheit umrissene Annahme, dass ein bildender Künstler erst zu sterben hat, bevor sein Renommee astronomische Höhen erreichen kann und ferner das im letzten Drittel des Films handlungstragende Element der Todesstrafe, die man in Frankreich damals noch mit der Guillotine zu praktizieren pflegte und die absolut trefflich in das Script eingearbeitet wurde. Wie kommt dies zustande? Der sich zu Recht von seinem Freund Casey durchaus berechtigt verraten fühlende Paul Sloan sorgt mittels einiger cleverer Schachzüge dafür, dass alle Welt Casey verdächtigt, Pauls Mörder zu sein und er dafür sogar vor Gericht zum Tode verurteilt wird. Paul kostet diesen Umstand bis aufs Letzte aus und kommt beinahe zu spät, um die Exekution noch rechtzeitig zu verhindern. So viel bitterböser Realismus war für Kritik und Publikum offenbar zu viel des Guten und so fristet „The Art Of Love“ schändlicherweise ein Nischendasein. Dabei ist er in vielerlei Hinsicht ganz exzellent – on location in Paris gefilmt (der Jewison vor Ort beratende Yves Boisset gab – laut imdb-Trivia – zu Protokoll, dass Jewison weniger an einer modern-realistischen Präsentation der Stadt interessiert war, denn an einer möglichst klischeehaft-historistischen Darstellung, wie man sie aus hier spielenden Hollywood-Filmen gewohnt war – eine Herangehensweise, die nebenbei wunderbar aufgeht) präserviert der Film ganz gezielt ein klischiertes Bohèmien-Musical-Flair Marke „An American In Paris“. Das von Carl Reiner (der auch eine tolle Nebenrolle als auf Abstand gehender Verteidiger von James Garner abbekam) mitgeschriebene Buch strotz vor superben Einfällen, Figuren und Dialogen und die beiden Hauptdarsteller entwickeln eine grandiose Chemie. Alles in allem eine mustergültige Feelgood-RomCom ihrer Ära, die – ich weiß, ich sage das gern und oft, aber hier stimmt es wie selten – einer dringenden Revision bedarf.

9/10

RICHARD JEWELL

„When the government says someone’s guilty, it’s how you know they’re innocent.“

Richard Jewell (Der Fall Richard Jewell) ~ USA 2019
Directed By: Clint Eastwood

Atlanta, Georgia 1996: Während der Olympischen Spiele drapiert ein zunächst Unbekannter eine Nagelbombe in der Nähe einer Konzertbühne. Der Wachmann Richard Jewell (Paul Walter Hauser) entdeckt den Rucksack, in dem sich die Bombe befindet, unter einer Tribüne und schlägt Alarm. Zwar reicht die verbleibende Zeit nicht, um den gesamten Platz rechtzeitig zu evakuieren, durch Jewells Einsatz können aber doch diverse Verletzungen verhindert und Menschenleben gerettet werden. Nachdem die Medien Jewell zunächst spontan zum Alltagshelden deklarieren, verkehrt eine Kette von Ereignissen die Entwicklung rasch ins Gegenteil. Als einsamer, stark übergewichtiger und zudem wenig gebildeter Mann, der zusammen mit seiner Mutter (Kathy Bates) lebt und ferner ein starkes Interesse für Feuerwaffen aller Art hegt, glaubt man bald, in ihm den wahren Täter gefunden zu haben. Sein logisches Motiv: Einmal als öffentlich umjubelte Retterfigur dastehen zu können. Ferner wäre mit ihm ein passender Sündenbock gefunden und könnte der Fall somit flugs ad acta gelegt werden. Der ermittelnde FBI-Agent Shaw (Jon Hamm) erfasst schnell Jewells Naivität und blinde Systemtreue und versucht, ihn mit verschiedenen Methoden zu überrumpeln, doch Jewell kann rechtzeitig den ihm von früher bekannten Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell) kontaktieren, dem es schließlich gelingt, ihn freizuboxen.

Mit Clint Eastwood, der in fünf Wochen seinen neunzigsten Geburtstag feiern wird, darf weiterhin gerechnet werden. Sein im gesamten letzten Jahrzehnt erarbeitetes Spät-Spätwerk (so darf man es wohl bezeichnen) befasst sich ausschließlich mit mehr oder weniger prominenten US-Amerikanern, die in ebenso mehr oder minder eminenter Weise die nationalen Geschicke mitprägten oder gar beeinflussten. Seine Protagonisten sind dabei meist relativ alltägliche, zumeist gutgläubige Individuen, die durch nachhaltige Aktionen den Weg ins Rampenlicht vollzogen, darin um ihre Integrität gebracht werden, um sich dann von dem an ihnen verübten, moralischen und/oder systemischen Unrecht wieder mehr oder weniger erfolgreich zu emanzipieren. Zusammengenommen ergeben seine (jüngeren) Filme eine formvollendete, von großer Kompetenz und Anbindung an traditionelles Regiehgandwerk geprägte, dabei jedoch keinesfalls simplifizierte, amerikanische Chronik, wie sie in dieser zwischen gemächlich und hochspannend oszillierenden Perfektion gegenwärtig vermutlich niemand außer jenem Großmeister des Erzählkinos mehr vorlegen könnte. „Richard Jewell“ exerziert die erwähnte Formel vermutlich gar nochmals deutlich konsequenter durch als seine Vorgänger: Mit dem 1996 in die Schlagzeilen eingegangen Mann wählte Eastwood eine Titelfigur, die es niemanden sonderlich schwer machte, sie zu deskreditieren. Von seinem äußeren Erscheinungsbild über seinen Lebenswandel bis hin zu seinen Gewohnheiten und Hobbys lieferte Richard Jewell das Ideal des ebenso knuffigen wie hassenswerten Durchschnittstypen, auf den von links wie rechts jeder einmal einprügeln durfte. Gewiss wurde Jewell dabei vor allem zum strukturalisierten Opfer; down by media, down by law. Mit dem beeindruckend aufspielenden Paul Walter Hauser verschaffte sich Eastwood zudem einen Hauptdarsteller, der weder ein attraktives Äußeres noch erwähnenswerte Prä-Meriten als Star genießt; keinen Matt Damon, Leo DiCaprio, Bradley Cooper, Tom Hanks und – natürlich – auch nicht sich selbst. Im Gegenzug demonstriert er als auteur eine umso exquisitere Inspirationskette. Von den Arbeiten (wie ohnehin stets) Fords über denen Capras bis hin zu jenen von Hitchcock reichen seine klassizistischen Einflüsse und, soviel kann fürderhin gelten, er reiht sich mit „Richard Jewell“ abermals in ebendiese Phalanx großer (anglo-)amerikanischer Filmemacher ein und verteidigt diese Position selbst noch bis ins hohe Alter. Wunderbar.

9/10

DEAD AIM

„Put the gun down, young man. I’m a diplomat.“ – „No.“

Dead Aim (Mace) ~ USA 1987
Directed By: William VanDerKloot

Weil Malcom „Mace“ Douglas (Ed Marinaro) bei der Mordkommission des Atlanta P.D. permanent angeeckt ist, hat man ihn zur Sitte versetzt. Es dauert nicht lange, bis er auch dort den ersten toten Verdächtigen auf dem Konto hat. Der neue Partner Cain (Darrell Larson) und eine mysteriöse Todesserie kommen ihm da sogar halbwegs gelegen: Diverse Striptänzerinnen, die allesamt in einem Nachtclub namens „Fool’s Paradise“ auftraten, sind an einer Überdosis Heroin gestorben. Zusätzlich fanden sich bei ihnen allen Spuren von Äther im Blut. Eine heiße Fährte führt Mace und Cain zu den konkurrierenden Drogenbossen Jamal (Isaac Hayes) und Alvarez (Michael Russo) sowie einem von Interpol gesuchten KGB-Auftragskiller (Rick Washburn)…

Dass „Mace“ William VanDerKloots einzige Kino-Regiearbeit blieb, verwundert wenig: Mit dem soliden, ihm zur Verfügung stehenden Material wusste der vornehmlich für ein langlebiges Kinderinfo-Format zuständige Mann nämlich kaum etwas anzufangen. Dabei nimmt sich „Dead Aim“ als typischer Bullenfilm seiner Ära durchaus gediegen aus: Die urbane Kulisse Atlanta ist mal etwas anderes, die beiden ermittelnden, von Marinaro und Larson gespielten Cops werden vergleichsweise bodenständig und realistisch gezeichnet. In der Darstellung des Striperinnenmilieus, respektive der des „Fool’s Paradise“-Clubs erarbeitet sich der Film seine hauptsächlichen Meriten, denn die dort spielenden Szenen sind die mit Abstand interessantesten. Als sich der Plot dann irgendwann einem hoffnungslos konstruierten Spionage-Sujet widmet, mit Kaltem Krieg, lotterlebigen, bösen Botschaftern aus Osteuropa, einem KGB-Killer und übereifrigen FBI-Agenten (u.a. Terry Beaver) kokettiert, wird es unübersichtlich bis dämlich. Isaac Hayes‘ wenige Auftritte (darunter eine schlecht choreographierte Schießerei) haben die einzige Funktion, den charismatischen Herrn überhaupt irgendwie im Film unterzubringen und wirken völlig verschenkt. Von auch nur halbwegs elaboriert zu inszenierender Kinetik versteht VanDerKloot leider nicht das Geringste, so dass er im Prinzip sämtliche Actionsequenzen mehr oder weniger vergeigt, sei es in Form der mitunter albernen Montage oder durch den unbeholfenen Einsatz von SloMo- oder Strobe-Effekten. Lichtblicke wiederum bietet die bis in die Nebenrollen hinein vor sympathischen Darstellern strotzende Besetzung und die angenehm zeitgemäße Musik. Mehr wäre leider nicht zu holen.

5/10

THE LIBERATION OF L.B. JONES

„I handled things the way we’re used to handle things around here anytime.“

The Liberation Of L.B. Jones (Die Glut der Gewalt) ~ USA 1970
Directed By: William Wyler

Somerset, Tennessee ist eine typische Kleinstadt im Süden der USA. Zeitgleich kommen eines Tages drei junge Leute ganz unterschiedlicher Herkunft und Motivation am Bahnhof an: Der Afroamerikaner Sonny Mosby (Yaphet Kotto), der eine Zigarrenschachtel mitsamt Revolver mit sich führt und, als er zwei Polizisten erhascht, kurzentschlossen vom Zug abspringt sowie Steve (Lee Majors) und Nella Mundine (Barbara Hershey), ein junges, weißes Ehepaar. Steve Mundine hat just sein Jurastudium beendet und will als Sozius bei seinem Onkel Oman Hedgepath (Lee J. Cobb) anfangen, der mit seiner erfolgreichen Anwaltspraxis zu den ersten Bürgern der Stadt zählt. Als letztem Familienmitglied des stets Junggeselle gebliebenen Hedgepath liegt die Karriere seines Neffen dem Alten besonders am Herzen. Doch bekommt der liberale und auf Bürgerrecht spezialisierte Steve sogleich einen unappetitlichen Brocken zu schlucken: Hedgepath weigert sich zunächst, den farbigen Bestattungsunternehmer L.B. Jones (Roscoe Lee Browne) in seiner Scheidungssache zu vertreten. Jedermann weiß nämlich, dass Jones‘ deutlich jüngere Frau Emma (Lola Falana) ihren Gatten mit dem rassistischen Polizisten Willie Joe Worth (Anthony Zerbe) betrügt – ein wohlgehüteter Skandal, der keine öffentlichen Wellen schlagen soll. Bevor Steve das Mandat annehmen kann, springt Hedgepath dann doch in die Bresche und löst damit eine Tragödie aus, die ihn am Ende selbst das private Glück kosten wird…

„The Liberation Of L.B. Jones“ ist William Wylers letzter Film, ein zutiefst bitteres Abschlussmanifest unter einer immerhin 45 Jahre und rund ebenso viele Regiearbeiten umfassenden Karriere als einer der maßgeblichen Köpfe seiner Zunft. Im beeindruckenden Œuvre Wylers finden sich etliche der großen Hollywood-Klassiker, vielfach prämierte, oftmals glanzvolle und maßstabsetzende Produktionen, die auch den Bogen zwischen der Stummfilmära und New Hollywood spannen. Pompöses Monumentalkino findet sich ebenso darunter wie klassische Literaturadaptionen und exemplarisches Genrekino. Die in den Sechzigern beginnende Spätphase Wylers beginnt dann allmählich, wenn zunächst auch noch ganz peu à peu, einen nachdenklicheren, lebenserfahreneren und aufrichtigeren auteur widerzuspiegeln. Schon sein unmittelbar auf „Ben-Hur“ folgendes Meisterwerk „The Children’s Hour“, in dem es um die Diskreditierung eines unbewusst als solches zusammenlebenden lesbischen Lehrerinnenpaars geht und das auch formal eine absolute Kehrtwende zum vormals etablierten Technicolor- und Scope-Wyler  darstellt, stellt eine immens ernüchternde Bestandsaufnahme biederer US-amerikanischer Kleinstadt-Bigotterie dar.
Dieses knapp zehn Jahre später, also exakt zu Zeiten der im Reüssieren befindlichen New-Hollywood-Bewegung vorgelegte Finalwerk führt den mit „The Children’s Hour“ eingeschlagenen Weg dann zu einem ebenso konsequenten wie niederschmetterndem Abschluss.
„The Liberation Of L.B. Jones“ ist kein schöner Film und das ist gut so. Im Gegenteil ist er hässlich, drög, karg. Sein Sujet, das um den selbst in der Ära der Bürgerrechtsbewgungen ungebrochenen Südstaatenrassismus kreist, gestattet ja a priori auch gar keine ästhetisch reizvolle Aufbereitung und Wyler hütet sich erfolgreich davor, in eine entsprechende Falle zu tappen. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen bekommen wir es ausschließlich mit abgrundtief hassenswerten Menschen zu tun, darunter mit den beiden die Besetzungsliste anführenden Protagonisten. Als einzige erträgliche Weiße werden Lee Majors und Barbara Hershey eingeführt, die am Ende jedoch auch bloß vor den etablierten Strukturen kapitulieren, anstatt sich ihnen, wie es ihre moralische Pflicht wäre, aktivistisch entgegenzustellen. Die Titelfigur, der von Roscoe Lee Browne gespielte L.B. Jones, wird, wenngleich späterer Märtyrer der schwarzen Gemeinde, vordringlich als von vergangenen Erfahrungen gebändigter, zynischer Opportunist gezeichnet, der sein Vermögen in der möglicherweise einzigen Branche gemacht hat, die solcherlei einem Farbigen in der Gegend überhaupt gestattet: Beerdigungen. Warum seine Frau ihm ausgerechnet mit dem widerwärtigsten weißen Abschaum Hörner aufsetzt, mag als Protesthandlung ihrerseits verstanden werden. Majors‘ heimlicher Gegenpart, der gemeinsam mit ihm den Rahmen des Films bildet, ist zugleich sein aggressives Pendant. Yaphet Kotto als Sonny Mosby kommt zurück nach Somerset, um sich an jenem Cop zu rächen, der ihn einst als Kind halbtot prügelte – Worths nicht minder verabscheuungswürdigem Partner Bumpas (Arch Johnson). Dass Mosby die erste Möglichkeit, seinen lange herbeigesehnten Selbstjustizakt zu vollziehen, ungenutzt verstreichen lässt, wird sich später rächen und ein weiteres Mosaiksteinchen der kommenden, barbarischen Lynchjustiz sein.
Das Kausalgeflecht der Charaktere und Ereignisse sorgfältig und komplex ausrollend, verzichtet Wyler dennoch nicht auf manche, in Anbetracht seiner altehrwürdigen Regisseursintegrität überraschende Sleaze-Elemente, die man in dieser Form eher im zeitgenössischen Blaxploitation-Kino oder grundsätzlich Derberem wie Terence Youngs „The Klansman“ wähnen möchte. Auch diesbezüglich entsetzt „The Liberation Of L.B. Jones“ allenthalben. Festzuhalten bleibt in jedem Fall, dass dieses leider viel zu selten in Augenschein genommene Abschiedswerk einen der beständigsten, eminentesten und wichtigsten Filme zum Thema Rassismus darstellt, der im letzten Jahrtausend die Tore eines großen Hollywoodstudios passieren durfte. Mögen sich ihm noch viele Menschen aussetzen.

9/10

COLOUR OUT OF SPACE

„It’s just a color. But it burns.“

Colour Out Of Space (Die Farbe aus dem All) ~ USA/MY/PT 2019
Directed By: Richard Stanley

Der junge Hydrologe Ward (Elliot Knight) untersucht im Auftrag einer Dammbaufirma die Wasservorkommen im ländlichen Neuengland. Dabei trifft er auf die fünfköpfige Familie Gardner, die sich aus mehreren Gründen in die Abgeschiedenheit zurückgezogen hat und ganz unterschiedlich damit umgeht. Während Vater Nathan (Nicolas Cage) vollkommen in der Haltung von Alpakas aufgeht, erholt sich seine Gattin Theresa (Joely Richardson) von ihrer Brustkrebs-Erkrankung, derweil Tochter Lavinia (Madeleine Arthur) mit paganistischen Ritualen herumexperimentiert und Sohn Benny (Brendan Meyer) es vorzieht, die meiste Zeit Gras zu rauchen, das er von dem kauzigen Eremiten Ezra (Tommy Chong) bezieht. Der kleine Jack (Julian Hilliard) arrangiert sich tapfer mit der Situation. Als ein Asteroid auf dem Gelände der Gardners niedergeht, ist es mit der Semiidylle rapide vorbei. Auf allem liegt binnen kurzer Zeit ein unwirklich schimmerndes Licht, fremde Pflanzen wachsen. Vor allem das Wasser aus dem heimischen Brunnen scheint eine verheerende Wirkung auf all seine Konsumenten auszuüben: Tiere und Menschen verwandeln sich und verhalten sich zusehends merkwürdig. Derweil die Katastrophe sich ihren Weg bahnt, kann Ward nur hilflos zusehen.

Richard Stanleys „Colour Out Of Space“ bildet bereits die fünfte Adaption der gleichnamigen Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft und ist zugleich die erste, die den korrekten Titel der Vorlage verwendet. Anders als zuvor etwa Daniel Haller in „Die, Monster, Die!“ oder David Keith in seinem nichtsdestotrotz sehr gelungenen „The Curse“ hält sich Stanley mit wenigen Ausnahmen recht eng an Lovecrafts Vorlage und vollbringt das Kunststück, die wie üblich erschreckende Vision des großen Phantasten mit seiner eigenen zu koppeln und daraus ein bravouröses Stück Film zu destillieren. Der Südfafrikaner Stanley, der sich ja aus ebenso bekannten wie berechtigten Gründen selbst nach nur zwei vollendeten Werken eine rund 24 Jahre währende Auszeit vom abendfüllenden Spielfilm auferlegte, feiert mit „Colour Out Of Space“ somit eine ihm unbedingt zu gönnende, triumphale Rückkehr. Nicolas Cage, der ja mittlerweile häufiger DTV-Filme dreht als die Unterwäsche zu wechseln, läuft immer noch zur Hochform auf, wenn ihm bloß ein hinreichend ambitioniertes Projekt vorgelegt wird. Auch „Colour Out Of Space“ fügt sich in diese Annahme. Dass Cage immer dann besonders herausragend ist, wenn er Typen spielen muss, die wahlweise ihre Existenzgrundlage, den Verstand oder gleich beides verlieren, demonstriert er als Alpakafarmer Nathan Gardner mit dem ihm eigenen Profi-Wahnsinn. Doch dürfte Cage noch nicht einmal der primäre Grund dafür sein, warum „Colour Out Of Space“ dermaßen nonchalant reüssiert; vielmehr liegt das Hauptverdienst des Films darin, dem üblicherweise größten Kritikpunkt betreffs Lovecraft-Adaptionen, nämlich jenem, das universelle Grauen seines literarischen Kosmos‘ auf konve tionellem audiovisuellen Wege nicht transportieren zu können, ein Schnippchen zu schlagen. Dafür bedarf es keiner außerweltlicher Urmonster aus maritimer Tiefen; Stanley gelingt es vielmehr, die durch das extraterrestrische Artefakt hervorgerufenen Zersetzungen allen in seinem Einflussbereich befindlichen Lebens und Seins durch einen Bruch mit den physikalischen Gewohnheiten seiner Protagonisten und analog dazu denen des Zuschauers spürbar zu machen. Zeit und Raum verlieren jedwede Verlässlichkeit, die Wahrnehmungen verschwimmen und mit ihnen auch Richtig und Falsch, das Vertrauen in die eigenen ethischen Maximen, alles wird böser Rausch und Schmerz. Die Folge sind die unausweichlichen Auflösungen des Geistes, des Körpers und schließlich der Seele.
Wie stets benötigte Lovecraft und mit ihm auch Stanley einen überlebenden Erzähler, gewissermaßen einen „agent de la preuve“, der angesichts des bezeugten Horrors mit Mühe und Not seine Sinne beisammenhalten und Bericht ablegen kann. In seinen Geschichten gelangen die dazugehörigen Beschreibungen oftmals an ihre idiomatischen Grenzen. „Colour Out Of Space“ sorgt dafür, dass der arme Hydrologe Ward seine ungeheuerlichen Erfahrungen vollumfänglich teilen kann. Mit uns.

9/10

VFW

„When you come, boy, you come sharp.“

VFW ~ USA 2019
Directed By: Joe Begos

Irgendwo in einem trostlosen Vorstadtslum steht das „VFW“, Freds (Stephen Lang) kleine, gemütliche Kneipe. „VFW“ steht für „Veterans of Foreign Wars“ und genau aus selbigen rekrutiert sich Freds Stammpublikum. Heute hat Fred Geburtstag und sämtliche seiner noch lebenden, alten Freunde sind gekommen, um mit ihm zu feiern: An der Seite von Walter (William Sadler), Lou (Martin Kove), Doug (David Patrick Kelly) und Zee (George Wendt) hat Fred einst in Vietnam gedient, der etwas ältere Abe (Fred Williamson) war in Korea. Mit dem Jungspund Shawn (Tom Williamson) sitzt sogar ein Premierengast am Tresen, der „frisch aus der Wüste“ heimgekehrt ist. Der Abend könnte wunderbar harmonisch verlaufen, gäbe es im leerstehenden Lagerhaus gegenüber nicht gewaltigen Ärger. Dort hat sich nämlich die junge Elizabeth (Sierra McCormick), genannt „Lizard“, sämtliche Vorräte des lokalen „Hype“-Zars Boz (Travis Hammer) unter den Nagel gerissen, um diesen damit für den Tod ihrer Schwester (Linnea Wilson) zu bestrafen. Bei „Hype“ handelt es sich um eine neue Superdroge, die ihre Konsumenten extrem süchtig macht und parallel dazu in willenlose Hirnwracks, so genannte „Hypers“, verwandelt. Als sich Lizard vor Boz und seinen Leuten ausgerechnet ins VFW flüchtet, fühlen sich die alten Herren verpflichtet, der jungen Dame aus der Patsche zu helfen. Eine blutige Nacht steht bevor.

Das Belagerungsmotiv im Kino schützt eine lange Tradition vor. Ein paar auf engem Raum zusammengepferchte Helden verfügen über irgendjemanden oder irgendetwas, für das sich eine auf der Außenseite befindliche, gewaltige Übermacht nachdrücklich interessiert und müssen dies mit ihrem Leben verteidigen. Klassische, respektive besonders berühmte Vertreter dieser Sub-Gattung wären Howard Hawks‘ inoffizielle Wayne-/Western-Trilogie „Rio Bravo“, „El Dorado“ und „Rio Lobo“, George A. Romeros Zombie-Startschuss „Night Of The Living Dead“ oder John Carpenters spätere diverse Variationen des Themas, allen voran natürlich „Assault On Precinct 13“. Heuer einen „Belagerungsfilm“ zu machen, muss (oder sollte zumindest) als ehrerbietende Hommage an die großen Vorbilder begriffen werden. Dass dem nachweislich rüpelhaft zu Werke gehenden Joe Begos mit „VFW“ just solcherlei vorschwebte, dafür spricht außerdem das wiederum stark an „The Expendables“ angelehnte Ensembleprinzip. Gewiss, hier sind vielleicht nicht die ganz großen Namen vertreten, die gesammelten Filmographien der Akteure präservieren, obgleich viele von ihnen selbst zu Zeiten ihrer Karrierehochs oftmals in Nebenrollen auftraten, ein strahlendes Sammelsurium vielgeliebter kleiner und großer Lieblingspreziosen von Myriaden von film buffs weltweit. Umso mehr Spaß bereitet es, den mehr oder weniger fitten roundabout-seventies (Fred „The Hammer“ Williamson bringt es sogar bereits of stolze 81, wirkt aber keinen Deut älter als seine Kollegen) bei ihrem buchstäblichen Veteranentreffen beizuwohnen. Was den Film selbst und seine Umsetzung anbelangt, so darf man keine großen Sprünge erwarten. Das gesamte Konzept bewegt sich wie anzunehmen auf sehr altersmorschen Stelzen und verlässt sich primär auf seine Besetzung, das entsprechende fan knowledge und seine herben Splattereffekte. Einzig dem Umstand, dass diese vorwiegend im blau-roten Notstromlicht von Freds Kneipe zum Einsatz kommen, dürfte die Tatsache geschuldet sein, dass „VFW“ unbeanstandet die Zensur passieren konnte, denn wie die Senioren mit den allenthalben ihr Sanktuarium flutenden Hypers verfahren, das erinnert in seiner kruden Handarbeit vielfach an die blutgetränkten Höhepunkte der Ära der video nasties.
Ebenso wie nun allerdings der Originalitätsfaktor des Ganzen zu vernachlässigen ist, sollte a priori die mögliche Antizipation einer auch nur ansatzweise ernstzunehmenden Plotstruktur aufgegeben werden; Begos inszeniert stets nach dem Gusto „tongue in cheek“ und bettet das metzlige Geschehen kurzum in irreale Saturnalien ein, die jedwede dramaturgische Logik ignorieren. Ist man bereit, diese Bedigungen in Kauf zu nehmen, mag man sich durchaus zufrieden der mußevollen Kurzweil von „VFW“ hingeben.

7/10

CRITTERS

„We’re here for the crites.“

Critters ~ USA 1986
Directed By: Stephen Herek

Ein paar Crites, höchst gefräßige, kleine Aliens mit einigen gemeinen physischen Eigenschaften, fliehen aus der Quarantäne, kapern ein Raumschiff und setzen Kurs auf die Erde. Ihnen auf den Fersen sind zwei außerirdische Kopfgeldjäger mit der Fähigkeit zur Gestaltwandlung. Die Crites landen schließlich in Kansas, auf der Farm der Browns, wo sie sich zuallererst durch ein paar Rinder fressen. Ausgerechnet Brad (Scott Grimes), der lausbübische Filius der Browns, der ein Herz für allerlei Geschosse und Knallkörper hat, bewahrt den kühlsten Kopf und kann mit der etwas ungestümen Hilfe der beiden mittlerweile aufgetauchten und zu Menschen (Don Keith Opper, Terrence Mann) getunten Weltraumpistoleros (fast) alles zum Guten wenden.

Dieser kleine Evergreen aus der noch aufstrebenden New-Line-Schmiede hat sich nach einer viel zu langen Betrachtungspause wieder zielsicher sein Plätzchen in der mir besonders preziosen Nostalgiekammer meines Filmherzens zurückerobert. Ich weiß noch, dass „Critters“ damals relativ zügig nach seinem Kino- und Videoeinsatz auch im TV ausgestrahlt wurde, was eine Aufzeichnung und damit besonders viele Begegnungen nach sich zog. Warum, das ist noch heute so evident wie vor 33 Jahren: „Critters“ ist ein rundum liebevoll gefertigtes Genrestück, das besonders Kids anspricht, ohne in weichspülerische Spielberg-Sphären abzugleiten. Vielmehr zeigt es genau diesen den weit ausgestreckten Mittelfinger, atmet den Geist ironischer Connaisseure wie John Landis und Joe Dante, versteht sich gewissermaßen als optionaler Appetizer für zukünftige Fans deftiger Erwachsenenunterhaltung und ist damit ebenso witzig wie fies. Regisseur Stephen Herek spielt gekonnt mit diversen popkulturellen Zeitklischees und verarbeitet sie im besten Wissen, dass er deren kommerziellen Horizont ohnehin nie erreichen wird oder könnte. Stattdessen setzt er auf ein tolles Vorzugsensemble; Dee Wallace, M. Emmet Walsh oder Billy Green Bush stellen natürlich klingende Namen, die jedem etwas belichteteren Liebhaber des US-Kinos der siebziger und achtziger Jahre prompt ein wohliges Lächeln auf die Wangen zaubern dürften. Wie die übrigen Darsteller sind sie hier mit viel Spaß und offensichtlich im professionellen Wissen, etwas Bleibendes zu liefern, bei der Sache.
„Critters“ gehört zudem genau zu jenen unerlässlichen Artefakten, aus denen sich die seit einigen Jahren grassierende Retrowelle um „Stranger Things“ und ähnliche Derivate speist, nur dass man hier eben ein waschechtes Original statt Klonkalkül erhält.

8/10

THE LIGHTHOUSE

„Let Neptune strike ye dead!“

The Lighthouse (Der Leuchtturm) ~ USA/CA 2019
Directed By: Robert Eggers

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nimmt der junge Ephraim Winslow (Robert Pattinson) einen Posten als Leuchtturmwärter auf einer kleinen Felseninsel vor der Küste von Maine an. Winslow wird im Laufe seiner auf vier Wochen festgelegten Tätigkeit vor Ort von dem alternden Thomas Wake (Willem Dafoe) angeleitet und beruflich beurteilt, der einzigen anderen Menschenseele auf dem Eiland außer ihm selbst. Der kauzige Wake nebst all seinen schrulligen Eigenheiten erweist sich in Kombination mit der Einsamkeit alsbald als psychische Belastungsprobe für Winslow, der seinerseits ebenfalls das eine oder andere private Geheimnis mit sich herumträgt. Als schließlich ein Unwetter die fristgerechte Beendigung ihres Engagements verhindert, vernebeln sich die Sinne der beiden Männer endgültig. Statt überlebensnotwendiger Essensvorräte scheinen sich nurmehr volle Schnapsflaschen auf der Insel zu befinden. Der haltlose Alkoholkonsum fördert schließlich unheilige Visionen zu Tage, Zeit und Raum verlieren jede Bedeutung und der Wahnsinn gewinnt endgültig die Oberhand…

Mit „The Lighthouse“ empfiehlt sich Nachwuchsfilmemacher Robert Eggers nach seinem nicht minder einnehmenden Debüt „The VVitch“ aufs Neue als wachsende Größe auf dem Sektor des folkloristisch konnotierten Horrorfilms. Neben dem abermals bemühten Motiv des grassierenden Wahns innerhalb eines lokal und sozial stark beschränkten Mikrokosmos auf unwirtlichem Terrain wählt Eggers diemal zugleich eine besonders strenge formale Askese: Der bald quadratische 1,19:1-Bildkader sowie die expressionistische Schwarzweiß-Photographie lehnen sich an die Stummfilmarbeiten von Wiene, Pabst und Murnau aus den 1920er Jahren an; visuelle Effekte werden ausschließlich bemüht, um die an Lovecraft angelehnten, zusehends infernalischen Visionen Ephraim Winslows (alias Thomas Howard) greifbar werden zu lassen.
Innerhalb und/oder durch diese hindurch konkretere narrative Abläufe zu bestimmen, gestaltet sich analog zur fortschreitenden Erzählzeit des Zwei-Personen-Stücks zunehmend schwierig; einzig die Tatsache, dass Wahn und Gewalt – unabhängig davon, ob evoziert durch allzu menschliche oder möglicherweise doch übernatürliche Einflüsse – sich unbarmherzig ihre Pfade durch die Herzen und Geisteswelten der in die Hermetik genötigten Männer fräsen, ist sicher. Maritime Symbole und Zeichen, Anekdoten und Lügen, ja sogar Namen – nichts ist bald mehr sicher auf der Leuchtturminsel, deren oberster Existenzzweck, das Leuchtfeuer selbst, noch das größte Mysterium zu beinhalten scheint.
Kognitiv also schwer bis überhaupt nicht erfassbar möchte ich „The Lighthouse“ vor allem als meisterliche künstlerische Erfahrung ausmachen und werten; als eine vor allem ästhetisch ungeheuer einnehmende Vision und Exkursion in höchst unsichere (und gerade deswegen so interessante) filmische Gefilde.

9/10