„It’s no coincidence that the targets are shaped like single people and not couples.“
The Lobster ~ IE/UK/GR/F/NL/USA 2015
Directed By: Yorgos Lanthimos
Der etwas bieder anmutende, kurzsichtige David (Colin Farrell) wird von seiner Frau (Rosanna Hoult) wegen eines anderen verlassen. Das bedeutet, er muss unverzüglich in ein am Meer befindliches Hotel voller SchicksalgenossInnen ziehen, wo ihm wie den übrigen Gästen 45 Tage Zeit bleiben, eine neue Partnerin zu finden, die ein wesentliches Persönlichkeitsmerkmal mit ihm teilt. Gelingt dies nicht, wird David in ein Tier seiner Wahl verwandelt, einen Hummer, und nur in dieser Form der Freiheit zurücküberantwortet. Die Gäste können sich allerdings zusätzliche Aufenthaltstage erkaufen, indem sie bei unregelmäßig stattfindenden Jagden rund um das Hotel Einzelgänger fangen, die dort leben. Dafür erhält jeder Gast ein Betäubungsgewehr mit Pfeilen. Eine verbitterte, als „herzlos“ geltende Frau (Angeliki Papoulia) etwa verzichtet bereitwillig auf optionale Liebeleien und hält stattdessen den Rekord im Singlejagen. So verlängert sich ihr Aufenthalt Tag um Tag. Ausgerechnet sie kürt David zur vermeintlichen Herzdame, indem er sich ebenso gefühlsbar gibt wie sie. Doch sein Plan misslingt und David ist gezwungen, sich als Outlaw im Wald zu den Einzelgängern unter der Führung einer gehässigen Dame (Léa Seydoux) zu gesellen. Unter den Singles, die als gesellschaftliche Outlaws leben, gelten ähnlich strenge Regeln wie im Hotel: wer flirtet oder Zärtlichkeiten austauscht, wird drakonisch bestraft. Als David sich in eine ebenfalls kurzsichtige Einzelgängerin (Rachel Weisz) verliebt, steht er somit vor dem nächsten Problem…
Und weiter im Kosmos des mir immer wundersamer anmutenden Yorgos Lanthimos, nach dem herrlichen „Kynodontas“ und in (sich demnächst aufhebender) Ermangelung des zwischenzeitlich entstandenen „Alpeis“.
„The Lobster“ ist Lanthimos erster von bis dato drei anglophonen Filmen, für den ihm sogleich eine mehr denn ansehnliche, internationale Besetzung zur Seite eilte. An der irischen Ostküste gefilmt, entwirft „The Lobster“ das wiederum dystopische Bild einer unsrigen sehr stark ähnelnden Parallelwelt, die sich jedoch durch ein wesentliches Merkmal unterscheidet: Wer hier keine/n LebenspartnerIn vorweisen kann, wird auf produktive Weise entsorgt. Anders als in klassischen, zumeist ernster konnotierten SciFi-Szenarien, in denen Überalterung, Übervölkerung, emotionale Freigiebigkeit oder sonstige systemische Insubordination zumeist ohne Federlesens mit dem Tode bestraft werden, darf die oder der Unangepasste hier weiterleben, indem er künftig in freigewählter Form die Wildfauna des Planeten bereichert.
Dass sich David für den Hummer entscheidet, hat zuvorderst praktische Gründe: Hummer leben im Meer, sie besitzen blaues Blut wie Aristokraten und – überaus praktisch – eine harte Schale. Innerhalb des recht eng befristeten Zeitrahmens wen Neues zu finden, ist nicht einfach, zumal als Grundbedingung nicht nur eine besondere Gemeinsamkeit herhalten muss, sondern die neu sprießende Liebe zudem am Anfang penibel überwacht wird. So schummelt sich manche/r durch die Regularien, verharrt in determinierter Resignation oder wählt gleich den Sprung aus dem dritten Stock. Was David anbelangt, so verläuft sein weiteres Schicksal in umgekehrter Relation zu seinem gleichmütigen Charakter. Als dann nämlich doch noch die wahre Liebe zuschlägt, erweist sich auch das als Widernis gegen die mittlerweile veränderten Umstände – in der Welt von „The Lobster“ sind Aufrichtigkeit und Erwartungshaltung nur sehr selten passgenau.
Trotz seines bleiernen Dystopismus‘ und der stillen Gräulichkeit der äußeren Bedingungen transportiert Lanthimos einen bezaubernd verqueren, manchmal gar aufreizend albernen Humor, der ihn in die unmittelbare Genealogie der großen melancholischen Komödienfilmer mit Hang zu erwachsenenmärchenhaften Skurrilitäten von Woody Allen über Wes Anderson, Spike Jonze, Michel Gondry und Charlie Kaufman setzt.
Formidabel, more to follow.
9/10