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J’Accuse (Intrige) ~ F/I 2019
Directed By: Roman Polanski
Frankreich, 1894. Der jüdischstämmige Hauptmann Albert Dreyfus (Louis Garrel) wird unehrenhaft aus der Armee entlassen und zu einer lebenslangen Exilstrafe auf der Teufelsinsel verurteilt, weil er für die Deutschen spioniert haben soll. Fast zeitgleich findet sich der Offizier Picquart (Jean Dujardin) zum Leiter der militärischen Spionageabwehr befördert. Nach und nach wird der durchaus systemtreue Picquart sich nicht nur der extrem dünkelhaften Arbeitsmethoden des „deuxième bureau“ und seiner Mitarbeiter bewusst, sondern auch der Tatsache, dass Dreyfus zum unschuldigen Opfer eines Komplotts geworden ist. Als Picquart beginnt, in der Sache Nachforschungen anzustellen und den Fall wieder aufrollen zu wollen, schmiedet man auf höchster Ebene und trotz prominenter liberaler Unterstützung auch gegen ihn finstere Ränke.
Mit der Lässigkeit des Altmeisters, der weder sich noch der Welt irgendetwas zu beweisen hat, adaptiert Polanski in seinem 22. Spielfilm den sich mit der authentischen Dreyfus-Affäre befassenden Historienroman von Robert Harris. „J’Accuse“, der ein ebenso eminentes wie bewegendes Thema aufgreift, nämlich den bereits zum fin de siècle eklatant überbordernden Antisemitismus in Europa, scheint Polanski so leicht und behende von der Hand gegangen zu sein wie eine Fingerübung. Nach seinen drei letzten, weniger allgemeintaugliche Sujets verhandelnden Arbeiten, wirkt sein jüngstes Werk so straight, geradeheraus und luzid wie zuletzt vielleicht noch die brillante Dickens-Verfilmung „Oliver Twist“ – für die beiden sich unweigerlich ergänzenden Geschichten um den entehrten Mustersoldaten Dreyfus und seinen „Erlöser“ Picquart wählt Polanski weder Schnörkel noch formale Spielereien, sondern berichtet stattdessen mit der Engelsgeduld des engagierten Chronisten. Gewiss interessiert ihn nicht zuletzt die Ursachenforschung nach der brutalen Schassung Dreyfus‘, die eben zu gewichtigen Anteilen auch auf antisemitische Motive zurückzuführen ist, er hebt sie jedoch nie in den Vordergrund. Vielmehr verweigert sich Polanski der Verlockung zur Spekulation, nimmt eher die Warte des sich zur nüchterner Sachlichkeit verpflichtenden Gerichtsprotokollanten ein und liefert einen wohltemperierten, nichtsdestotrotz von gebührlicher Spannung getragenen Abriss der historischen Tatsachen.
Dass Polanski dabei abermals großes Erzählkino und noch dazu seinen besten Film seit vierzehn Jahren abliefert, ist erfreulich. Dass weiterhin mit ihm, zeitlebens einer meiner Lieblingsregisseure, zu rechnen ist, finde ich aber noch sehr viel erfreulicher.
9/10