„Hör endlich auf damit. Mit allem.“
Pelikanblut ~ D/BG 2019
Directed By: Katrin Gebbe
Die Mittvierzigerin Wiebke (Nina Hoss) hat ihren Seelenfrieden gefunden. Auf ihrem Reiterhof trainiert sie Pferde für die berittene Polizeistaffel und mit der reizenden Nicolina (Adelia-Constanze Ocleppo) bietet sie einem bedürftigen, bulgarischstämmigen Heimkind ein erfülltesn neues Zuhause. Der geschiedene Polizist Benedikt (Murathan Muslu) hat außerdem ein mehr als berufliches Interesse an ihr. Als Wiebke mit der fünfjährigen Raya (Katerina Lipovska) nach längerer Wartezeit ein weiteres Mädchen adoptieren kann, scheint sich ihr Glück nochmals zu potenzieren. Doch das schwer traumatisierte Kind steckt voller psychischer Störungen, die es sein Umfeld bald spüren lässt. Da Raya durch ihr Verhalten zunehmend nicht nur sich selbst, sondern auch andere Kinder und schließlich Nicolina und ihre Adoptivmutter in Gefahr bringt, greift die unbeugsame und unbelehrbare Wiebke zu immer bizzareren Mitteln, die harte Schale des Mädchens zu durchdringen. Das letzte Mittel scheint die Hilfe der Geistheilerin Tanka (Justine Hirschfeld) zu sein, die zu spüren glaubt, dass Raya von einer übernatürlichen Entität besessen ist.
Ganze sechs Jahre nach ihrem herzzereißenden Debüt „Tore tanzt“ legt die vielversprechende Katrin Gebbe mit „Pelikanblut“ ihre jüngste Arbeit als Regisseurin und Autorin vor. Wenngleich der thematische Ansatz auf den ersten Blick ein ganz anderer zu sein scheint, geht es doch auch hier wieder um die zutiefst involvierende Leidensgeschichte einer von einer ganz speziellen, lebensvisionären Aufgabe erfüllten Figur, die sich aufopfert und allen äußeren Widernissen zum Trotz agiert. Dass die stille Pferdeflüsterin Wiebke selbst eine tief gezeichnete Figur ist, verrät uns neben einer Narbe unter dem Auge vor allem ihr zögerliches Verhalten dem ihr unentwegte Avancen machenden Benedikt gegenüber – obschon sich hier die Chance auf ein (neues?) Familienleben, das vor allem auch Nicolina guttäte, offeriert, gibt sie ihre Zurückhaltung nicht auf.
Mit Raya erhält ihre Kämpfernatur dann ein neues, unerreichbar scheinendes Ziel, das es zu erobern gilt, selbst auf Kosten alles zuvor so mühsam Erkämpften und Erreichten. Wegen Rayas irrationalem, selbst- und fremdgefährdendem Verhalten wenden sich nach und nach fast sämtliche Bekannten und Freunde von Wiebke ab. Sie selbst hält bis zur psychischen und physischen Belastungsgrenze an Raya fest. Auch ihre störrische Weigerung, naheliegende, äußere Hilfen etwa in Form einer betreuten Wohngemeinschaft für traumatisierte Kinder anzunehmen, bricht lediglich ansatzweise ein, erreicht dann aber doch wieder neuen Rückenwind. Mit der Wendung zum Parapsychologischen hin geht Katrin Gebbe schließlich einen zunächst rätselhaften, zumal unerwarteten Weg, der sich am Ende jedoch als sinnstiftende conclusio gestaltet, die „Pelikanblut“ in die jüngere deutsche Genretradition setzt und wegführt von dem zunächst offensichtlich scheinenden Vergleich mit Nora Fingerscheidts „Systemsprenger“. Anders als in diesem geht es in „Pelikanblut“ nämlich nicht um institutionelle Überforderung, sondern um den unendlichen Kraftaufwand, den es kostet, ein verloren scheinendes Kind fest an der Hand zu nehmen und ins Leben zurückzuholen. Dass Gebbes Film sich somit einer naheliegenden, wirklichkeitsverhafteten Lösung schlicht verweigert und Rayas neue Mutter ihren unkonventionellen Weg bis zum (zumindest innerhalb der damit vorläugig endenden, diegetischen Realität von „Pelikanblut“) erfolgreichen Abschluss ihrer selbstauferlegten Mission beschreitet, muss man insofern als konsequent bezeichnen. Bei Katrin Gebbe liegt auch in der tiefsten Finsternis stets ein Funke Hoffnung.
8/10