LE FILS

Zitat entfällt.

Le Fils (Der Sohn) ~ BE/F 2002
Directed By: Jean-Pierre Dardenne/Luc Dardenne

Der Tischler Olivier (Olivier Gourmet) bildet straffällig gewordene Berufsschullehrlinge in seinem von ihm innig geliebten Fach aus. aus. Als eines Tages ein neuer Azubi namens Francis (Morgan Marinne) vor Ort auftaucht, versucht Olivier zunächst alles, den Jungen von sich fernzuhalten und lehnt sogar einen Platz in seinem Kurs für ihn ab. Schließlich entscheidet er sich dann doch, Francis unter seine Fittiche zu nehmen und bemüht sich zugleich, mehr über den schüchternen Burschen zu erfahren. Der Grund für das alles ist so erschreckend wie unheimlich – Francis hat vor einigen Jahren Oliviers kleinen Sohn getötet.

Wiederum in Seraing angesiedelt, diesmal jedoch mit einem versöhnlicheren, weitaus weniger ausgewaschenen Blick auf die grenznahe Wallonenstadt als in ihren beiden Vorgängerfilmen, erzählen die Dardennes eine bewegende Geschichte um die wohlfeilen Traditionstopoi Schuld, Sühne und Erlösung. Wie gewohnt sind die verwendeten Formalia so karg und buchstäblich dogmatisch wie nur irgend möglich und die sich nur sehr zögerlich ergebende Entschlüsselung der höchst komplexen Motivationslage ihres Protagonisten Olivier immens spannungsvoll. Der seit „La Promesse“ fest zur personellen Grundausstattung der Dardennes gehörende, allerweltsgesichtliche Olivier Gourmet trägt dabei ausnahmslos jede Szene und evoziert trotz scheinbar stoischer Mimik ein Maximum an Interesse an seiner Figur. Was mit diesem so selten eine äußere Regung zeigenden Olivier, wie sich immer wieder beweist, beinahe eine Art Magier in seinem Metier, eigentlich los ist, entbättert das Script nur ganz peu à peu: Einst mit der Tankstellenangestellten Magali (Isabella Soupart) verheiratet, offenbart diese ihm, dass sie demnächst eine neue Ehe anstrebe und außerdem schwanger sei. Den Grund für die vormalige Trennung des Paares und auch für Oliviers Unfähigkeit, nunmehr anders als in Zwei- bis Dreiwortsätzen mit Magali zu kommunizieren, erfährt man im weiteren Verlauf – die beiden haben ihren kleinen Sohn verloren und darüberhinaus auch sich. Oliviers ganzer Lebensinhalt besteht nunmehr in seiner Arbeit, im Zuge derer das Schicksal eine Kreisbewegung vollführt. Mit dem sechzehnjährigen Francis nämlich, der gerade fünf Jahre im geschlossenen Jugendstrafvollzug hinter sich hat, begegnet Olivier just dem Jungen, der sein Leben einst entscheidend verändert hat, jenem Jungen nämlich, der seinen Sohn und damit auch die innere Harmonie Oliviers auf dem Gewissen hat. Und dieses mochte sich nie wirklich erleichtern. Francis leidet unter Einsamkeit, Angstattacken und muss regelmäßig Sedativa einnehmen. Warum Olivier sich des Jugendlichen, der freilich nicht um die eigentliche Identität seines Lehrers weiß, fast unmerklich annimmt, bleibt offen. Will er sich möglicherweise in einem geplanten Akt der Selbstjustiz rächen oder geht es ihm doch um bloßes Verständnis? Ein gemeinsamer Besuch in einem entlegenen Holzverarbeitungsbetrieb wird die kryptische Beziehung des Paars schließlich kulminieren lassen, die Wahrheit auftischen und die meisten offenen Fragen beantworten. Insofern vollzieht „Le Fils“ gewissermaßen auch wieder einen geschlosseneren Abschluss als „Rosetta“, einen, der so heimlich herzerwärmend wie unspektakulär daherkommt, vor allem aber einen, der der Doppeldeutigkeit des Titels erst ihre wahre Immanenz verleiht.

8/10

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