LES FAUVES

Zitat entfällt.

Les Fauves (Großstadthölle – Gehetzt und gejagt) ~ F 1984
Directed By: Jean-Louis Daniel

Stuntfahrer Christopher Bergham (Daniel Auteuil), genannt Berg, freut sich auf eine gemeinsame Zukunft mit seiner von ihm schwangeren Partnerin und Geliebten Bela (Gabrielle Lazure). Als unerwartet jedoch Belas psychotischer, ihr in inzestuöser Liebe verfallener Bruder Léandro (Philippe Léotard) auftaucht und damit droht, Berg zu töten, wenn sie nicht mit ihm käme, hat das Glück ein jähes Ende. Bela eröffnet Berg unter Tränen und ohne Angabe von Gründen, dass sie ihn verlassen müsse. Den nachfolgenden, gemeinsamen Todessprung vermasselt Berg mit Absicht, doch nur Bela verbrennt in dem verunglückten Wagen. Drei Jahre später arbeitet Berg, der das Geschehene nie verwunden hat, bei der privaten Pariser Sicherheitsfirma „La Veillance“. Deren Mitarbeiter, durchweg gescheiterte Existenzen mit ominöser Vergangenheit, patroullieren nachts durch die Metropole, um Straftaten zu verhindern. Als der rachsüchtige Léandro, den Berg nie persönlich gesehen hat, diesen ausfindig macht, heuert er ebenfalls bei La Veillance an. Eines Nachts versucht Jeff Garcia (Jean-François Balmer), einer von Bergs anderen Kollegen, die junge Bardame Mimi (Véronique Delbourg), auf die auch Berg ein vorsichtiges Auge geworfen hat, zu vergewaltigen. Auf einen Hinweis Léandros hin stellt Berg Jeff, nachdem sich Mimi losreißen konnte, schießt ihm in die Schulter und rast verwirrt davon. Kurz darauf erscheint Léandro, verpasst Jeff einen Kopfschuss und stellt das Ganze so hin, als habe Berg ihn hingerichtet. Unter der Führung des wutschnaubenden Keller (Farid Chopel) jagt das gesamte Team von La Veillance Berg und Sylvia durch die Pariser Nacht.

Ein buchstäblicher Wahnsinnsfilm, wie er in seiner finalen Ausprägung und Gestalt wohl nur in den frühen Achtzigern in Frankreich entstehen konnte. Das völlig freidrehende Script vereint der Reihe nach folgende motivische Blitzlichter: Autostunts, Inzest per Kindesmissbrauch, Totschlag aus enttäuschter Liebe, Rache, organisierte Bürgerwehr, sleazige Modeschauen, homosexueller Frust, Vergewaltigung, schlechte englischsprachige Rocksongs, Amoklauf, Selbstjustiz, Verfolgungsjagden und ganz allgemeinen Irrwitz. Jean-Louis Daniel inszeniert all das deutlich weniger exploitativ als man annehmen möchte, dafür jedoch mit dem unerschütterlichen Selbstverständnis eines Künstlers, der sich just im Begriff wähnt, der Nachwelt etwas ganz Großes zu verehren. Daniel, einem spärlich arbeitenden, jedoch bis heute aktiver Regisseur mit einem recht schillernden Œuvre, merkt man unweigerlich an, dass er sich wenig um freiheitsbeschränkende Erschwernisse wie dramaturgische Schieflagen oder gar inhaltliche Unzulänglichkeiten scherte; was ihn interessiert, sind sein Ensemble und der bloße Sinn für möglichst prominent inszenierte Einsätze von scheinbar bedeutungslosen Details, Momenten, Schauplätzen. Der Ratio gilt es ergo zu entsagen. Dann erlebt man einen noch jungen Auteuil, der seine völlig stoische Mimik zur oberen schauspielerischen Maxime deklariert und vor allem den wunderbaren Philippe Léotard, der mir in letzter Zeit schon häufig begegnet ist mit seinem seltsam verkniffen wirkenden Antlitz. Über den alles andere als klassisch schönen Darsteller ist auf die Schnelle nicht allzu Umfassendes in Erfahrung zu bringen, außer, dass er keine 61 wurde, aus einer politisch aktiven Familie stammte, wechselnde Beziehungen zu Frauen pflegte und wohl zeitlebens mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen hatte, auch dergestalt, dass er Mitte der Neunziger wegen Kokainhandels verurteilt wurde. Ein faszinierender Typ, für den „Les Fauves“ auch ein kleines Denkmal markiert: Als inzestuös veranlagter Provinzpsycho, dem die Großstadt über den Kopf wächst, schwitzt er trotz winterlichen Szenarios so unentwegt stark, dass die Kameralinse zu beschlagen droht, verdreht allenthalben delirant die Augen, hat die dreckigsten Hände der Welt und spielt unvermittelt das ewigselbe Thema auf einer Querflöte (augenscheinlich eine Reminiszenz an Charles Bronson in Leones „C’Era Una Volta Il West“). Ob er wirklich drauf war, weiß ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen, aber es sieht verdammt danach aus, als habe Daniel ihn einfach machen lassen. Jedenfalls lohnte der komplett durchgeknallte „Les Fauves“ bereits allein seinetwegen. Und noch wegen manch anderem.

7/10

THE GUNMAN

„I just need to shoot something.“

The Gunman ~ USA/UK/E/F 2015
Directed By: Pierre Morel

Acht Jahre, nachdem der nunmehr reuige Ex-Söldner Jim Terrier (Sean Penn) im Auftrag einer diesbezüglich wohlorganisierten Firma einen kongolesischen Minister (Clive Curtis) erschossen hat und darüber nicht nur seine Freundin Annie (Jasmine Trinca) verlassen musste, sondern zugleich mitverantwortlich für die folgenden Bürgerkriegsunruhen im Land war, arbeitet er, erst seit Kurzem zurück vor Ort, als NGO-Brunnenbauer. Als er von einigen Männern, die ihn töten wollen, angegriffen wird, erweisen sich seine alten Talente als nach wie vor ausgeprägt. Dennoch reist er umgehend nach London, um Kontakt zu seinem früheren Mitarbeiter Cox (Mark Rylance), der mittlerweile eine international operierende Securityfirma leitet, aufzunehmen und nach möglichen Gründen für den Anschlag auf sein Leben zu suchen. Auch seinen alten Freund und Partner Stanley (Ray Winstone) holt er ins Boot. Nach einem Zusammenbruch, der als mögliches Symptom einer PTBS diagnostiziert wird, reist Terrier mit Stanley weiter nach Barcelona, wo sich mit Felix (Javier Bardem) ein weiterer Ex-Partner niedergelassen hat. Felix hat als Organisator seinerzeit dafür gesorgt, dass Terrier für die Mordmission an dem Minister zuständig war und daraufhin die sich verlassen wähnende Annie geheiratet. Diese ihrerseits ist über Terriers Auftauchen höchst überrascht und offenbart, dass sie ihn noch immer liebt. Als auch Felix ermordet wird, stellt sich heraus, dass Cox danach trachtet, sämtliche Spuren seiner Vergangenheit zu verwischen, um sein aktualisiertes Renommee als seriöser Firmenboss nicht zu gefährden. Er tötet auch Stanley und lässt Annie kidnappen, was Terrier noch wütender macht…

Aussteigen gilt nicht: Es gibt tatsächlich nur einen einzigen Grund, warum ich überhaupt auf „The Gunman“ aufmerksam wurde, nämlich den, dass er auf Jean-Patrick Manchettes Roman „La Position Du Tireur Couché“ basiert, derselben Vorlage, die schon für das erst kürzlich geschaute Delon-Vehikel „Le Choc“ herangezogen wurde. Zudem habe ich Manchette erst jetzt als einen wichtigen Plotlieferanten für französische polars der siebziger und achtziger Jahre wahrgenommen. „The Gunman“ wäre demnach de facto eine filmische Neuauflage von „Le Choc“, allerdings, soviel sei gleich festzuhalten, mit einem überaus geringen Wiedererkennungswert. Bis auf wenige inhaltliche Elemente, vordringlich jene, dass der Protagonist denselben Nachnamen trägt, ein meisterhafter Profikiller ohne Interesse an der Weiterarbeit in seinem Leisten ist und von seinem früheren Chef partout nicht in Ruhe gelassen wird, handelt es sich um zwei grundverschiedene Filme. Immerhin firmiert „The Gunman“ ebenfalls als Stück, dass die Typologie seines Hauptdarstellers neu- respektive umzugestalten sucht. Der in späteren Jahren üblicherweise selbst als Filmemacher oder als Charakterdarsteller aktive, zum Drehzeitpunkt um vierundfünzigjährige Sean Penn tritt hier urplötzlich und dabei so selbstverständlich, als habe er überhaupt nie etwas anderes vorgelegt, als lupenreiner Actionheros in Erscheinung, dessen Physis in etwa so definiert daherkommt wie die von Sylvester Stallone in der „Rocky IV“-Phase und der, wohl selbst nicht ganz unbeeindruckt von seinem Trainingserfolg, den massigen Körper dann auch gleich mit inflationärer Quote ins Bild setzen lässt. Analog zu seinem gebuildeten Body prügelt und schießt er sich dann auch durch die Szenarien, wie es sich für einen Genrefilm dieser Zeit ziemt, wobei „The Gunman“ trotz mancher Avancen an den flott geschnittenen, farbintensiven Regiechic seiner Ära oder, in Bezug auf die Zurschaustellung luxuriös-mondäner Schauplätze und die an Bond-Filme angelehnte, touristikwerbeaffin inszenierte Städtetour durch Europa, seinen tief im Kern verankerten Achtzigergeist doch nie ganz verhehlen kann. Mark L. Lesters „Commando“ etwa kommt einem vor allem rückblickend unablässig in den Sinn, der Manchette bei näherer Betrachtung auch seinerseits eine ganze Menge verdankt. Sean Penn also in jener Form kommt natürlich nicht ganz umhin, der Tötungsmaschine by nature Terrier zusätzlich das charakterliche Klischeepathos des sühnevollen Junghumanisten anheim zu stellen, der zum schuldbewussten Entwicklungshelfer mutiert, was sich erwartungsgemäß selbst völlig ad absurdum führt. Die vormals bedeutungsvoll eingeführte PTBS-bedingte Amnesiegeschichte verfolgt die Dramaturgie ferner auch kaum sonderlich konsequent. Für Penn blieb es dann bei diesem solitären Genreausflug.
Als das, was er ist (und nicht ist), wohl ein ordentlicher Film mit einigen Schauwerten.

7/10

THE THIRTEENTH FLOOR

„I fell in love with you before I even met you.“

The Thirteenth Floor (The 13th Floor – Bist du, was du denkst?) ~ D/USA 1999
Directed By: Josef Rusnak

Dem milliardenschweren Computergenie Hannon Fuller (Armin Mueller-Stahl) ist es gemeinsam mit seinem Kompagnon Douglas Hall (Craig Bierko) gelungen, eine komplett funktionstüchtige VR zu kreieren. Deren Szenario bildet ein simuliertes Los Angeles des Jahres 1937, bevölkert von künstlichen Intelligenzen, die allesamt den Avatar eines Vorbildes aus der realen Welt abbilden und alltagsgebunden agieren, dabei jedoch nichts von ihrem Ursprung ahnen. Mithilfe einer komplexen Software kann man sich für einen befristeten Zeitraum in seine VR-Persona versetzen lassen und als diese in der Kunstwelt bewegen, derweil der eigene Körper quasi „entgeistert“ bleibt. Eines Abends wird Fuller nach einem seiner Trips in die VR ermordet aufgefunden. Für den ermittelnden Detective McBain (Dennis Haysbert) ist Douglas Hall eindeutig der Täter, dieser beteuert jedoch seine Unschuld. Mithilfe des Techniknerds Whitney (Vincent D’Onofrio) findet Hall, der sich selbst auf Spurensuche begibt, heraus, dass Fuller offensichtlich eine alles umwälzende Entdeckung gemacht und diese in Form einer handgeschriebenen Notiz im artifiziellen 1937 für ihn hinterlassen hat. Hall versetzt sich in sein alter ego John Ferguson, einen Bankangestellten, und stößt in der Computerwelt auf die Gegenparts von Fuller – den biederen Buchladenbesitzer Grierson – und Whitney – einen soziopathischen Barkeeper namens Jerry Ashton – und fördert tatsächlich Ungeheuerliches zutage…

Im „Matrix“-Jahr 1999 erschienen, für etwa ein Viertel von dessen Budget hergestellt und vergleichsweise krachend gefloppt, spricht heute kaum mehr jemand über diesen kleinen, jedoch durchaus bemerkenswerten Beitrag zum SciFi-Subgenre der VR-Dystopien. Gewiss, den umwälzenden und prägenden soziokulturellen Impact von „The Matrix“ erreicht „The Thirteenth Floor“ zu keiner Sekunde; vermutlich eignet er sich auch nicht ganz so umfassend als Sujet philosophischer Diskurse. Dennoch empfinde ich ihn in der Revision als das im Direktvergleich deutlich sympathischere Werk, vielleicht gerade weil alles ein paar Nummern bescheidener ausfällt, die Effektarbeit relativ überschaubar bleibt alles sehr viel weniger brachial und coolness-betont daherkommt und daraus eben kein völlig aus jedwedem Ruder gelaufenes Franchise wie bei den Wachowskis erwachsen musste. Dabei entpuppt sich auch die ebenso wie Fassbinders Fernseh-Zweiteiler „Welt am Draht“ auf Daniel F. Galouyes bereits 1964 erschienenen Roman „Simulacron-3“ basierende Geschichte von „The Thirteenth Floor“ als eine bei etwas Licht besehen unendliche, die noch gewaltiges Potenzial für weitere Handlungsstränge beherbergt.
Der inhaltliche Clou, der sich an der Oberfläche letztlich traditionellen Noir-Motiven unterordnet, entpuppt sich nämlich, als sich im weiteren Handlungsverlauf und durch die Involvierung einer femme mystérieuse (Gretchen Mol) herauskristallisiert, dergestalt, dass auch die als real erachtete Welt von Douglas Hall nurmehr eine VR repräsentiert, die im Jahre 2024 als eine von „vielen Tausenden“ erschaffen wurde und die wiederum durch die Schaffung einer VR innerhalb der VR zum Risiko wird. Gewiss mag im Umkehrschluss auch diese lediglich eine Simulation, ein Kunstprodukt sein, dessen AkteurInnen nichts von ihrer Artifizialität ahnen – oder vielleicht eben doch. Derlei weiterführende Überlegungen überlässt das Script anders als „The Matrix“ ausschließlich seinem Publikum und lässt somit gewissermaßen Raum für uferlose Phantasien. Nicht zuletzt diesbezüglich steht er in der zeitgenössisch betrachtet jüngeren Erbfolge von Quasi-Vorgängern wie Verhoevens „Total Recall“ oder Proyas‘ „Dark City“, die jeweils aus sehr anverwandten Motivkreisen schöpfen.

8/10

RUN ALL NIGHT

„Tell everyone to get ready. Jimmy’s coming.“

Run All Night ~ USA 2015
Directed By: Jaume Collet-Serra

Nachdem der irischstämmige New Yorker Jimmy Conlon (Liam Neeson) viele Jahre als Killer für seinen besten Freund, den Syndikatsboss Shawn Maguire (Ed Harris) gearbeitet hat, fristet er sein Leben als dauerbesoffener Schnorrer und Tagedieb. Sein Sohn Mike (Joel Kinnaman), verheiratet und Vater zweier Kinder, will von ihm nichts wissen. Shawn hat derweil seinerseits Probleme mit dem eigenen Filius Danny (Boyd Holbrook), einem koksenden, lauten Störenfried, der seinen Vater gern in Geschäfte mit der albanischen Heroinmafia einspannen würde. Als dieser ablehnt und Danny jede weitere Hilfe versagt, erschießt dieser die beiden entsandten Albaner (Radivoje Bukvic, Tony Naumovski) kurzerhand, wird dabei jedoch durch einen dummen Zufall von deren Chauffeur, Mike Conlon, beobachtet. Nunmehr macht Danny Jagd auf Mike. Jimmy erfährt von der Sache und rettet Mike das Leben, indem er Danny tötet. Der vor Wut schäumende Maguire Senior vergisst alle Freundschaft und will weder Vater noch Sohn Conlon lebend davon kommen lassen. Ihn und seine Leute, einen übereifrigen Police Detective (Vincent D’Onofrio) und einen psychopathischen Profikiller (Common) auf den Fersen, erwartet die Conlons eine lange Nacht.

Einen der kaum mehr überschaubar vielen Genrefilme, auf die sich Liam Neeson im Alter und wohl beginnend mit Pierre Morels „Taken“ verlegt hat. Auch gemeinsam mit dessen Regisseur, dem spanischstämmigen Jaume Collet-Serra, hat Neeson nunmehr bereits vier Filme gemacht, wobei ich „Run All Night“ immerhin hinreichend ansehnlich fand, mir die übrigen drei in Kürze auch anschauen zu wollen. Nun darf man von diesem, einem grundsätzlich amttlich gecrafteten Gebrauchsfilm immerhin, keine sonderliche Innovation erwarten. Collet-Serras diverse neo-klassische Elemente aus Action- und Gangsterkino fusionierendes Werk schippert auf den ersten Blick im direkten Fahrwasser von Chad Stahelskis „John Wick“: Ein verzogener Gangsterfilius weckt durch sein koksinduziertes, egomanisches Verhalten einen eigentlich zu allseitiger Milieuberuhigung lange schlafenden Hund, der sein vormaliges Handwerk reumütig an den Nagel gehängt glaubt. Der aufgrund fehlgeleiteter Familienehre gekränkte Bossvater entfesselt daraufhin eine leichenreiche Hatz, deren Verlierer am Ende zwangsläufig er selbst und seine Organisation sein müssen, da die sie mitreißende Ein-Mann-Naturgewalt allzu entschlossen agiert. Soweit das Grundprinzip eben auch von „Run All Night“, der insofern noch interessant ist, als dass er sich ein wenig in die Subkultur irischen Migrantentums vortastet und mit Ed Harris einen diesbezüglich ja hinlänglich beschlagenen Antagonisten aufbietet. So ist es vor allem das Väterduell der beiden alternden Stars, das das Herz das Films schlagen lässt. Davon unabhängig, dass der eine der beiden, zumindest bezogen auf ihren gegenwärtigen Clinch, auf der moralisch sicheren Seite steht, hat Jimmy Conlon freilich allzu viele Sünden auf dem Kerbholz, um dem im Morgengrauen und upstate angesiedelten Finale als Katholik noch lebend entweichen zu dürfen – zu viele Opfer sind dem zeitweilig als „The Gravedigger“ Berüchtigten ehedem vor den Lauf geraten. Dabei sühnt Jimmy im Inneren bereits seit vielen Jahren. Vom Gewissen erdrückt, dem Sohn entfremdet und dem Suff verfallen, ist er seinen alten Kumpanen bestenfalls noch für schäbige Scherze gut und darf gerade noch volltrunken den Weihnachtsmann auf Shawns Familienfeier darbieten. Doch wehe, es wird persönlich (und das wird es) – Jimmy ist schneller nüchtern als die nächste Whiskeyflasche entkorkt und türmt im Nullkommanichts Leichen auf wie zu seinen besten Zeiten.
Collet-Serra inszeniert diesen doch relativ austauschbaren Plot dynamisch und wendungsreich; dabei gefällt er sich durch mäßig aufregende, um nicht zu konstatieren redundante Regiesperenzchen wie gewaltige time lapse shots durch das nächtliche New York, die dem eigentlichen Wesen des Narrativs als kammerspielartiger Doppelvendetta eher zuwider laufen. Dennoch bietet „Run All Night“ summa summarum noch immer genug an brauchbaren Elementen, um im leicht überdurchschnittlichen Qualitätssektor bestehen zu können.

7/10

WEDLOCK

„You non-conformists are all alike.“

Wedlock ~ USA/UK 1991
Directed By: Lewis Teague

In naher Zukunft: Technikgenie Frank Warren (Rutger Hauer) wird nach einem groß angelegten Diamantenraub zunächst von seinen beiden Kompagnons Noelle (Joan Chen) und Sam (James Remar) hintergangen, hernach geschnappt und in das neue, privat organisierte Hochsicherheitsgefängnis „Camp Holliday“ überstellt, freilich nicht, ohne die Beute vorher in Sicherheit gebracht zu haben. In Camp Holliday erwartet Frank kein Zuckerschlecken: Wie alle dort einsitzenden Männer und Frauen erhält er ein hochtechnologisches Funkhalsband mit eingearbeitetem Plastikspengstoff, das explodiert, sobald es sich mehr als 100 Yards von seinem Gegenstück entfernt – wobei natürlich niemand weiß, wer sein/e oder ihr/e Wedlock-PartnerIn ist. Chef und Direktor Holliday (Stephen Tobolowsky) will Frank zudem mit allen Mitteln das Versteck der Diamanten entlocken und befleißigt sich dazu diverser, schäbiger Mittel. Insbesondere der hochaggressive Mitgefangene Emerald (Basil Wallace), der in Hollidays Diensten steht, drangsaliert Frank unentwegt. Unterdessen eröffnet ihm Tracy, dass ihr Halsband mit dem von Frank in Verbindung stehe, was dieser nicht recht glauben mag. Als es zum unausweichlichen Duell zwischen Frank und Emerald kommt, gelingt es Tracy, mit Frank zu fliehen. Nunmehr gilt es, gewissermaßen bombensicher aneinander gefesselt, vor der Polizei, vor Hollidays Leuten und auch vor Sam und Noelle, die mit Holliday zusammenarbeiten, zu fliehen. Und auf Frank wartet noch eine weitere, unangenehme Überraschung…

Dass „Wedlock“, den ich heuer erstmals gesehen habe, vor allem eine Actionkomödie ist, war mir nicht ganz klar. Ich hatte, in Unkenntnis des Inhalts ferner, eher ein futuristisches Knastszenario Marke „Fortress“ oder „No Escape“ erwartet, doch weit gefehlt. Tatsächlich steht eher die gemeinsame, turbulente Flucht und Paarbildung von Rutger Hauer und Mimi Rogers im Zentrum des mehr oder weniger temopreich inszenierten Geschehens, wobei infolge der wechselnden Stationen quer durch den Golden State auch klare Road-Movie-Elemente durchschimmern. Das Ganze ließe sich wohl am Ehesten als eine postmodernisierte Variation von Stanley Kramers „The Defiant Ones“ umreißen, minus dessen souialkritischen Impact und stattdessen „angereichert“ mit allerlei romantischen Verirrungen. Als relativ preisgünstig hergestellter HBO-Produktion fehlt es „Wedlock“ allerdings an Möglichkeiten: Sein futuristisches, in Teilen dystopisch angelegtes Szenario etwa bleibt weitgehende Behauptung. Mit Ausnahme der Tatsachen, dass der US-Strafvollzug infolge privatisierter Gefängnisse (ohne humanitäres Ethos) noch abenteuerlichere Züge annimmt als ohnehin schon sowie einer ab und zu kolportierten Wasserknappheit, sieht alles aus wie 1991. Die wenigen Actionszenen bleiben ziemlich bisslos und sein geringes Spannungspotenzial schöpft das Script aus zwei Sequenzen, in denen die Distanz zwischen Frank und Tracy zu groß zu werden droht. Man darf wohl vermuten, dass Teague, der sich im Rückblick nicht unzufrieden mit seiner Arbeit zeigt, das Bestmögliche aus seinen eingeschränkten Bedingungen herausholt. So zehrt „Wedlock“ primär von seinem antiproportional zu den production values zu verortendem, frisch aufspielenden Ensemble, das ein deutlich gesetzter wirkender, irgendwo zwischen larmoyanter Selbstironie und diebischer Spielfreude befindlicher (und somit sehr sehenswerter) Rutger Hauer souverän anführt.
Schade in jedem Falle, dass Lewis Teagues goldene Regiezeit auf die 1980er-Dekade (und somit immerhin ganze fünf schöne Filme) beschränkt bleibt und er danach fast ausschließlich Fernsehen machen musste.

6/10