„All in.“
The Card Counter ~ USA/UK/CH/S 2021
Directed By: Paul Schrader
Nach achteinhalb Jahren Haft in Leavenworth nennt sich der vormalige PFC William Tillich (Oscar Isaac) nunmehr William Tell, reist von Casino zu Casino und verdient sein Geld als Kartenspieler beim Pokern und Black Jack. Die passenden Gewinnstrategien hat sich der einsame Drifter während seiner Gefängniszeit selbst beigebracht. Auf einem Kongress für Sicherheitstechnik begegnet er dem jungen Cirk (Tye Sheridan), der William unversehens seine Kontaktdaten übergibt. Cirk entpuppt sich als der Sohn von Roger Beaufort, der eine ganz ähnliche Vergangenheit wie William aufweist, an PTBS litt und sich das Leben genommen hat. Beide Männer dienten als Folterverhörspezialisten in Abu Ghraib unter dem Kommando von Major John Gordo (Willem Dafoe), der mittlerweile als Privatier reich geworden ist, während William und Roger as Sündenböcke herhalten und hohe Gefängnisstrafen absitzen mussten und mit ihren Erinnerungen nie fertig werden konnten. Cirk, für sein Alter recht hoch verschuldet, plant, sich an Gordo zu rächen, indem er ihn in der von ihm selbst vorexerzierten Weise foltert und tötet. William setzt sich zum Ziel, das zu verhindern und nimmt den jungen Mann, den er fortan „The Kid“ nennt, unter seine Fittiche. Gemeinsam mit der Spielerakquisiteurin La Linda (Tiffany Haddish), in die sich William verliebt, plant William, genug Geld für sich selbst und für Cirks Zukunft zu gewinnen und sich dann zur Ruhe zu setzen. Doch der Junge kann sich von seinen Rachegedanken nicht loslösen…
Paul Schrader schafft es auch in hohen Jahren und nachdem man hier und dort zwischenzeitlich bereits versucht war, ihn, ähnlich wie andere New-Hollywood-Veteranen wie Friedkin oder De Palma, als betagten Anti-Studio-Don-Quijote abzuwatschen, der den Kampf gegen die Geldgeber endgültig verloren hat, kleine Meisterwerke zu produzieren, ohne dabei auch nur einen Hauch seiner künstlerischen Signatur zu denunzieren. „The Card Counter“ steht als jüngster Film des calvinistischen auteurs in einer langen Motivgenealogie um schuldbeladene, einsame Männer, die sich in ihrer jeweiligen Profession strukturell einrichten und denen die tief im Inneren ersehnte Erlösung versagt bleibt. Erst ein vermeintlich sinnbeladener Gewaltakt scheint als Katalysator ihrer schlummernden, doch omnipräsenten Traumata der Katharsis Raum zu geben – notfalls auch um den Preis des eigenen, physischen Lebens. Durch die jüngeren Arbeiten zieht sich zudem immer wieder das Thema des Einsatzes der US-Streitkräfte im Irak nach 9/11 – früher war es Vietnam. William Tell, von Oscar Isaac in der mit Abstand besten Leistung, die ich bis dato von ihm gesehen habe, umwerfend gespielt, personifiziert in „The Card Counter“ erneut jenen Archetypus, dem man schon so häufig begegnet ist, den einamen Traumatisierten, der auf seinem Weg Herz und Lächeln eingebüßt hat und versucht, auf Erden zu bestehen – notfalls auch, indem er die Dinge auf eine wiederum verlustintensive Weise geradezurücken versucht. Schrader zeichnet den Weg Tillichs/Tells durch Motels und Casinos minutiös nach und schafft eine umfassende Charakteristik ohne viele Worte. Um Ruhe zu finden, kleidet William seine Zimmer stets sorgsam mit schneeweißen Laken aus und hängt alle Bilder ab; der Anschein äußerer Reinheit soll die innere bedingen. Er spielt nicht um des Spielens der gar des Nervenkitzels Willen, sondern um sich damit über Wasser zu halten, seiner Existenz eine sich selbst perpetuierende Alltagsstruktur zu verleihen – allesamt Facetten, die er am passiven Gefängnisleben zu schätzen gelernt hat. Gefühle für andere zuzulassen fällt ihm schwer, da sie zwangsläufig Unwägbarkeiten bedeuten und doch treten zwei Menschen in sein Leben, die schließlich so etwas wie das Miniaturmodell einer Familie repräsentieren. Wo jedoch die partnerschaftliche Liebe zögerlich erblüht (Schrader genehmigt sich hier eine wunderschöne Sequenz im beinahe psychedelisch beleuchteten Missouri Botanical Garden), wird die väterliche gewaltsam enttäuscht. Folter und Kasteiung bleiben unwiderrufliche Elemente in Williams Biographie. Robert Levon Beens sphärische Musik reichert die Sogwirkung von Schraders kontemplativer visueller Erzählweise nochmals an und verehrt „The Card Counter“ das letzte formale Finish. Brillant.
9/10
Ein Gedanke zu “THE CARD COUNTER”