A.C.A.B. – ALL COPS ARE BASTARDS

Zitat entfällt.

A.C.A.B. – All Cops Are Bastards ~ I/F 2012
Directed By: Stefano Sollima

Die drei römischen Bereitschaftspolizisten Cobra (Pierfrancesco Favino), Negro (Filippo Nigro) und Mazinga (Marco Giallini) bezeichnen sich selbst als „Brüder“. Sie werden immer dann herbeigerufen, wenn die vorderste Front gefragt ist. Fußballspiele mit gewaltbereiten Hooligans gehören ebenso dazu wie Hausräumungen, politische Demonstrationen oder Auflösungen illegaler Flüchtlingslager. Vierter im Bunde ist der mittlerweile ausgeschiedene, als Parkwächter arbeitende Carletto (Andrea Sartoretti), der jedoch im Grunde noch nahtlos dazugehört. Sowohl ihre Arbeit als auch ihre Vorgehensweise findet sich gestützt von einer allseitigen, unerschütterlichen Selbsträson. Man sieht sich etwas larmoyant als notwendiges Übel; als die, die die Drecksarbeit verrichten müssen, eben weil sie es so gut können. Umso breitärschiger kultiviert das Quartett seinen Hass auf alle gesellschaftlichen Störfaktoren: Neonazis, Kommunisten, Ausländer, Asylanten, Ultras, Schnorrer, Obdachlose – das Gesocks lauert in jedem Winkel. Strafverfahren wegen Gewaltanwendung, wie eines gegen Cobra, der einem Fußballfan die Vorderzähne ausgeschlagen hat, sind eben eine obligatorische Begleiterscheinung des Drecksjobs.
Als der deutlich jüngere, unwirsche Neuling Adriano Costatini (Domnenico Diele) zur Bereitschaft kommt, nehmen die Übrigen sich seiner quasi-väterlich an. Der Junge muss eben noch etwas zurechtgestutzt werden. Doch das Altherren-Idyll droht an seinem eigenen Selbstverständnis zu zerbrechen, als Mazinga bei einem Einsatz ein Messer ins Bein bekommt und berufsunfähig wird. Diese Aktion schreit nach Rache, und zwar ganz inoffiziell. Doch der bald geworfene Bumerang kommt ebenso schnell wieder zurück und für Costatini ist der Punkt erreicht, an dem kein Freundschaftspakt der Welt mehr zur Rechtfertigung herhält…

Fast zeitgleich mit „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ erschien der ebenfalls englisch betitelte „A.C.A.B. – All Cops Are Bastards“, dessen klassisches, programmatisches Akronym gleichermaßen von Links wie Rechts verwendet wird. Sollimas Polizeifilm eignet sich insofern gut als companion piece zu Vicaris berückendem Meisterwerk, als dass Genua ’01 und die gewaltsame Räumung der Diaz-Schule auch hierin eine – obschon eher hintergründig besetzte – zentrale Motivrolle einnehmen: Cobra, Nero, Mazinga und Carletto waren einst nämlich höchstselbst Teil der Hundertschaft, die die friedlichen Demonstranten krankenhausreif prügelten – ein Erlebnis, das selbst diesem hartgesottenen Quartett noch sechs Jahre später Bauchschmerzen bereitet. Das schlechte Gewissen hält jedoch keinen von ihnen davon ab, nach die persönliche Agenda nach wie vor zur oberen Maxime zu machen, auch wenn Cobra Costatini zunächst mehrfach davon abhält, gegen mögliche Verdächtige übergriffig zu werden oder ihn nach einem Gewaltausbruch sogar deckt. Ihr jeweiliges persönliches Versagen im Privatleben tut das Übrige dazu, insbesondere den hochaggressiven Negro zusehends die (Selbst-)Kontrolle verlieren zu lassen. Cobra, als Junggeselle noch mit den wenigsten außerberuflichen Problemen belastet, tut sein Möglichstes, um den Kern der Bruderschaft zusammenzuhalten, doch gegen die Tatsache, dass Mazingas Sohn Giancarlo (Eugenio Mastrandrea) sich längst von dem liebesunfähigen Vater abgewandt und zum Nazi-Skin geworden ist, kann selbst er nichts ausrichten, ebensowenig wie gegen die Anzeige wegen Körperverletzung, die Negro zu Recht anhängig ist, seit er seine Ex-Frau (Eradis Josende Oberto) bedroht und geschlagen hat. Alles bröckelt. Schließlich wird Costatini zum Denunzianten, als er sich an die Abteilung für innere Angelegenheiten wendet. Wie der filmfinale Einsatz gegen eine Unzahl rach- und blutsüchtiger Ultras (wegen der Ermordung des Lazio-Fans Garbriele Sandri durch einen Polizisten), der die drei Freunde nochmals zusammenführt, von Sollima im unzweideutigen Gedenken an „Assault On Precinct 13“ inszeniert, endet, bleibt dem Zuschauer vorenthalten. Als jedoch das Stichwort „Diaz“ am Ende wieder aufploppt, ahnt Cobra, dass sich hier möglicherweise eine Art metaphysischer Schuldspirale schließen wird. Trotz seiner Zeitbezüge gemahnt „A.C.A.B.“, den Sollima gekonnt und druckvoll inszenierte, deutlich direkter an Sidney Lumets Polizeifilmzyklus denn an politisches Kino. Im Mittelpunkt stehen die vier Protagonistenschicksale und deren Reziprozität, die einmal mehr in den Abgrund weist.

8/10

DIAZ – DON’T CLEAN UP THIS BLOOD

Zitat entfällt.

Diaz – Don’t Clean Up This Blood ~ I/RO/F 2012
Directed By: Daniele Vicari

Genua, in der Nacht vom 21 auf den 22. Juli 2001. Die wegen ungeheuerlicher Vorgänge im Polizeiapparat bereits ins Röcheln geratene Demokratie gerät für die kommenden 72 Stunden in einen todesgleichen Atemstillstand: Die Esuola Diaz ist während des tags zuvor zu Ende gegangenen G8-Gipfels für Demonstrierende geöffnet. Etliche verschiedene Sprachen sind zu hören, die teilnehmenden Globalisierungsgegner, von denen die allermeisten bereits abgereist sind, kommen aus aller Herren Länder. Auch Indymedia, eine Erste-Hilfe-Station und Rechtsberater für angeklagte Protestler gastieren im Gebäude. Die vornehmlich jungen Leute liegen größenteils bereits friedlich schlummernd auf ihren Isomatten und in ihren Schlafsäcken, als um die Mitternachtsstunde eine große Gruppe italienischer Polizisten das Gebäude stürmt und mit ihren Gummiknüppeln wahllos auf alles eindrischt, was nach Mensch aussieht. Am Boden Liegende werden mit Fußtritten traktiert. 60 DemonstrantInnen werden teils schwer verletzt auf Tragen in umliegende Hospitäler verbracht. Andere landen in der Polizeikaserne Nino Bixio im Stadtteil Bolzaneto. Dort werden sie per Filzstift mit X-en markiert, sämtlicher Bürgerrechte beraubt, erniedrigt und gefoltert. Erst viele Stunden später erhalten die Gefangenen wieder die Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Ein Skandal, der bis heute nicht zufriedenstellend aufgearbeitet wurde.

Der in Dokumentationssachen bereits erfahrene Daniele Vicari arbeitete mit seinem fünften Spielfilm „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ eine der größten politischen Ungeheuerlichkeiten im Westeuropa unseres noch jungen Jahrtausends auf. Für die kurze Zeit des von der Regierung Berlusconi damals stolz ausgerichteten G8-Gipfels fand sich ein altes, längst verdrängtes Schreckgespenst reanimiert – das des Faschismus. Die beiden Episoden um die Diaz-Schule und die Nino-Bixio-Kaserne stehen dabei im Zentrum von Vicaris wütendem Zelluloidpamphlet, einem, soviel gleich vorweg, Meilenstein des politischen Kinos. Gewissermaßen kulminiert in jenen etwa 72 Stunden all das, was zuvor durch das Innenministerium und einen entsprechend gebrieften und angespitzten Polizeiapparat emsig vorbereitet wurde. Durch diverse Zeitzeugen ist belegt, dass der vermeintliche „Schwarze Block“ von Polizeiagenten mindestens durchsetzt war. Die vermummten Chaosstifter, unter denen sich auch rechte Hooligans der internationalen Szene befanden, konnten ihr Zerstörungswerk, darunter brennende Autos und zerstörte Ladenfassaden, unter den Augen der längst großräumig angerückten Polizei und von dieser unbehelligt entfesseln. Vereinzelt wurde beobachtet und dokumentiert, wie angebliche Autonome Rücksprache mit Polizisten hielten und in einem Fall sogar eindeutig Befehle erteilten. Da die übrigen, von vielen Zehntausenden organisierten und besuchten Demonstrationen eher einem friedlichen Happening mit allerlei Kunst und Folklore glich, musste das unbedingte Durchsetzungsvermögen der rechtsregierten Staatsgewalt ergo in anderer Weise veranschaulicht werden. Der zunächst unfassbare Schluss liegt somit nahe, dass die Polizei in Gemeinschaft mit gewaltbereiten Faschisten höchstselbst für das Gros der Zerstörungen verantwortlich und die hernach gegen die de facto unbewaffneten Restdemonstrierenden gerichtete Vergeltungsaktion nichts anderes war als eine vormals gezielt provozierte Strafexpedition. Dafür sprechen auch gefälschte Beweise in Form zweier von der Polizei höchtselbst in der Diaz-Schule deponierten Molotov-Cocktails, die in direkter Folge öffentlichkeitswirksam ausgesstellt wurden und als Hauptanklagepunkt fungieren sollten. Die Situation in der Nino Bixio glich nach dem blutigen Überfall auf die unbewaffneten Nachtgäste schließlich der in südamerikanischen Militärgefängnissen unter Pinochet oder Videla, binnen derer die vor Ort befindlichen BeamtInnen sich unverblümt als Neonazis zu erkennen gaben.
Mit dem hohen aufklärerischen Anspruch etwa eines Costa-Gavras beackert Vicari diese schlimmen Ereignisse, fokussiert sich dabei nach höchst sorgfältiger Vorbereitung in Form von etlichen Stunden Protokollsichtungen und Interviews blitzlichtartig auf einige wenige Opfer und Beteiligte, deren Filmfiguren jeweils andere Namen, aber dieselben Initialen tragen wie ihre realen Pendants. Chronologische Sprünge dienen dabei keineswegs als selbstgerechte, formale Extravaganzen oder gar der Zuschauerverwirrung, sondern arbeiten in kongenialer Weise nach und nach unterschiedliche Schwerpunkt- und Schlüsselereignisse auf, wie die Erschießung des 23-jährigen Demonstranten Carlo Giuliani durch einen drei Jahre jüngeren Carabiniere oder die Involvierung ranghoher Politiker in die Geschehnisse. „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ steht somit trotz des großen zeitlichen Abstands in seinem Bestreben um fiktionalisierte, aber dennoch minutiöse Aufbereitungsarbeit und Wachrüttelung in direkter Tradition zu Costa-Gavras‘ politischem Hauptwerk und erreicht dabei mindestens denselben Grad an Zuschauerinvolvierung. Gerade wegen der Authentiziät des Geschilderten erreicht sein Film eine selten gewordene Intensität, die das Publikum gleichermaßen abholt wie niedermäht. Wenn es so etwas gibt, wie politdidaktisches Pflichtkino zur Demokratieerziehung – „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ wäre einer der vordringlichsten Kandidaten. Ergänzend zum Film lohnt ferner die nachträgliche Betrachtung der preisgekrönten 2002er-WDR-Dokumentation „Die Stoy: Gipfelstürmer – Die blutigen Tage von Genua“, die hier auf youtube angesehen werden kann.

10/10