HARLEM NIGHTS

„Kiss my entire ass!“

Harlem Nights ~ USA 1989
Directed By: Eddie Murphy

Harlem zur Prohibitionszeit: Seit er ihm als kleiner Junge (Desi Arnez Hines II) das Leben rettete, ist Vernest Brown alias Quick (Eddie Murphy) gleichberechtigtes Mündel des Nachtclubbesitzers Sugar Ray (Richard Pryor). Jahre später führt jener sein Etablissement, in dem neben Alkoholausschank auch andere Trostspender vom Jazz über das Glücksspiel bis hin zur Prostitution florieren, hinter der legalen Fassade eines Konfektgeschäfts. Dem sich immer breiter machenden Gangsterboss Bugsy Calhoune (Michael Lerner) derweil ist der Club Sugar Ray ein Dorn im Auge, weshalb er mithilfe des korrupten Polizisten Phil Cantone (Danny Aiello) Sugar Ray und Quick zusehends unter Druck sitzt. Während der junge Heißsporn Quick sich zum Krieg bereit macht, zieht der weitaus besonnenere Sugar Ray es vor, das Feld zu räumen und die Stadt zu verlassen – freilich nicht, ohne Calhoune und Cantone gehörig über den Tisch zu ziehen…

Mit einer Art afroamerikanischer Variationsmelange aus George Roy Hills „The Sting“ und Francis Ford Coppolas „The Cotton Club“ versuchte sich Eddie Murphy, damals auf dem Zenit seine stardoms, zum bis dato ersten und einzigen Mal als Regisseur und gewissermaßen auch als auteur. Ganz Murphys höchstpersönliches Baby, setzt sich „Harlem Nights“ mit einigem übersteigerten Selbstbewusstsein ziemlich breitärschig zwischen alle Stühle. Der schwarzen New Yorker Unterweltkultur der zwanziger und dreißiger Jahre zollt der insofern nicht immer ganz treffsichere Film ebenso Tribut wie den etwas aufgelockerteren Blaxploitation-Beiträgen der Siebziger (etwa „Cotton Comes To Harlem“) und vermengt diese Einflüsse mit Murphys derbem Bühnen-Stand-Up-Duktus. Murphy demonstriert zudem offenherzig, dass er in Sachen pointierten Leinwand-Humor-Timings einiges von John Landis gelernt hat, dem er ja immerhin zwei seiner Hits aus den Vorjahren verdankt und der ironischerweise mit seinem „Oscar“-Remake kurz darauf eine ganz ähnlich strukturierte Gangsterfarce vor historischem Setting ablieferte.
Der nicht eben kostengünstige „Harlem Nights“ legt viel Wert auf sein mit einigem Chic inszeniertes Zeitkolorit; auf augenfällige Requisiten und Kostüme, derweil die urbane Außendarstellung völlig bewusst artifiziell gehalten ist und ganz wie die Warner-Filme der frühen Tonära auf gut als solche identifizierbare Studio- und Atelieraufnahmen zu setzen scheint. Was die Figurenzeichnung anbelangt, konzentriert sich Murphy derweil vor allem auf die liebevolle Konturierung schillernder Nebencharaktere, darunter Redd Foxx und Della Reese als grantelndes, alterndes Ehepaar oder Vic Polizos als liebeskranker Richie Vento, die die schönsten Szenen abbekommen. Andere Auftritte, wie der hoffnungslos enervierende von Arsenio Hall etwa, laufen blinden Auges ins Leere.
Murphys Film lanciert weit von jeder Art Formvollendung entfernt, dafür ist er schlicht zu ungeschlossen und weiß manchmal selbst nicht recht wohin mit sich. Dennoch lässt sich bescheinigen, dass „Harlem Nights“ den über weite Strecken amüsanten Versuch eines von seinem unbändigen Erfolg selbstberauschten Aufsteigers markiert, sein kreatives Spektrum zu erweitern, wenngleich jener damit auf imposante Weise scheitert.

7/10

NOPE

„Right here, you are going to witness an absolute spectacle!“

Nope ~ USA/CAN/J 2022
Directed By: Jordan Peele

Kein UFO, sondern ein UAP, genauer: ein lebendes, amorphes Wesen verbirgt sich hinter einer Wolke, die reglos am Himmel über der Pferderanch von Otis Junior (OJ) Haywood (Daniel Kaluuya) und seiner Schwester Emerald (Keke Palmer) steht. Ein halbes Jahr zuvor ist ihr Vater (Keith David) durch einen vom Himmel gefallenen Nickel getötet worden und OJ und Emerald haben seither alle Hände voll zu tun, das erfolgreiche Geschäft ihres Dads, eines renommierten Pferdetrainers für Hollywoodfilme, am Leben zu erhalten. Einen kleinen Notgroschen erhalten sie durch den Ex-Kinderstar Ricky Park (Steven Yeun), der unweit ihres Grundstücks die Westernstadt „Jupiter’s Claim“ als Ausflugsziel betreibt. Als OJ auf das fliegende Etwas aufmerksam wird, steht für ihn und Emerald relativ schnell fest, dass sie mit ein paar Aufnahmen des Ungetüms ganz groß rauskommen werden. Ihr Plan erweist sich jedoch als deutlich schwieriger in der Umsetzung – nicht nur, dass die Kreatur sich als sehr viel ungemütlicher (und gefräßiger) präsentiert denn zuvor angenommen; auch haben ein paar weitere Individuen bereits im Sinn, mithilfe des Monsters abzusahnen…

Einmal mehr erweist sich Jordan Peele mit „Nope“ als glänzender Satiriker, der seine kritischen Kommentare zur Weltlage und zur US-Gesellschaft im Speziellen wie beiläufig hinter einer Fassade aus audiovisuellem Einfallsreichtum, bizarren dramaturgischen Volten und erzählerischer Lakonie verbirgt. Diesmal treibt ihn vor allem der unbändige Drang der Social-Media-Sklaven, samt und sonders alles zu dokumentieren und Sensationen zu erheischen, um, wobei er auch auf einen galligen Kommentar zum historischen Beitrag der afroamerikanischen Kultur zur Geschichte der bewegten Bilder nicht verzichtet. Kaum von ungefähr repräsentieren seine Helden unterschiedliche, nichtweiße Ethnien und machen sich in der kalifornischen Wüste in dezidierten Westernmythen breit. Das fleischfressende, gesichtslose Monster, das mal wie eine fliegende Untertasse durch die Lüfte saust, um dann wieder molluskenartig oder wie ein Rorschach-Bild am Himmel zu wabern und das alsbald „Jean Jacket“ getauft wird, fungiert mitsamt seinen unheilvollen Kräften, die jede Form von Elektronik lahmlegen können, eher als eine Art MacGuffin innerhalb des recht sonderbaren Figurenmikrokosmos, den Peele ausbreitet. So hatte der Westernstadt-Betreiber Ricky Park einst als Kind (Jacob Kim) ein traumatisches On-Set-Erlebnis mit einem wild gewordenen Schimpansen, so jagt der renommierte, exzentrische Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott) jenem letzten, großen Mysterium nach, das er bislang nicht ablichten konnte, so ist der Elektronikmarkt-Mitarbeiter Angel Torres (Brandon Perea) mindestens so angefixt von der Dokumentierungsidee wie die Geschwister, so pfeift ein martialisch kostümierter Reporter (Michael Busch) auf einem Motorrad auf sein Leben zugunsten einer Sensationsstory mit ihm selbst als Staropfer. Die zahlreichen Genrereminiszenzen, die blendend illustrieren, wie emsig und umfassend Peele sein Monsterkino studiert hat, machen „Nope“ schließlich vollends zum Vergnügen. Corey Harts „Sunglasses At Night“ wird man im Nachgang jedenfalls nie mehr hören können, ohne nicht zumindest ein bisschen Gänsehaut zu bekommen.

8/10

PHASE IV

„We’ve got some pretty powerful friends…“

Phase IV ~ USA 1974
Directed By: Saul Bass

Die beiden Wissenschaftler Hubbs (Nigel Davenport) und Lesko (Michael Murphy) untersuchen in der Wüste Arizonas ein beunruhigendes Phänomen: Sämtliche Ameisenspezies vereinen sich zu einem einzigen großen Volk und greifen alles an, was für ihr neues Kollektiv eine Gefahr darstellt. Aus einem kleinen, hermetisch abgeriegelten Außenlabor heraus wollen Hubbs und Lesko die Komunikationsweise der Insekten studieren und ihrem bedrohlichen Treiben Einhalt gebieten. Bald stößt noch das Farmermädchen Kendra (Lynne Frederick) zu ihnen, deren Großeltern (Alan Gifford, Helen Horton) bereits zu Opfern der Ameisen geworden sind.

Der einzige Spielfilm des berühmten Graphikdesigners und Gestalters zahlreicher klassischer Titelsequenzen, Saul Bass, hat Bestand als ein ebenso minutiös erzähltes wie verstörendes Menetekel im Kontext vieler ähnlicher Endzeit-Phantasien der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, wobei „Phase IV“ eine vergleichsweise unaufwendige, fast sogar kammerspielartige Struktur trägt. Im Prinzip ein Drei-Personen-Stück, lebt Bass‘ Film aber natürlich insbesondere von seinen visuellen und auditiven Qualitäten, den beeindruckenden Ameisen-CloseUps (Ken Middleham) sowie den wummernden, elektronischen Klängen (u.a. Brian Gascoigne), die den zunehmend bedrückenden, klaustrophobischen Duktus jeweils kongenial untermauern und verstärken.
Vieles an der kunstfertig formalisierten Story, die andernorts genausogut als ordinärer Tierhorrorfilm das Licht der Leinwände hätte erblicken können, erweist sich als symbolistisch und/ oder versinnbildlichend: Die personelle Dreierkonstellation etwa um Hubbs, der im Grunde ein ebenso systemisch und gefühlskalt vorgehender, verkopfter Analytiker ist wie seine gelehrigen Gegner, Lesko, der Hubbs‘ fortschreitender Dehumanisierung unverzagt mit Herz und Seele begegnet und schließlich Kendra, die durch ihre naive Unbedarftheit und Jugend gewissermaßen endgültig die Wesenskerne beider Männer freischält. Die Ameisen schließlich fungieren als Vorboten eines neuen Zeitalters, dessen Ausformung ganz unterschiedlich interpretiert werden kann – als diffuse, politische Gefahr ebenso wie als Zeichen der Rückeroberung des Globus durch die Natur, die sich des ausbeuterischen Virus „Mensch“ wahlweise zu entledigen oder ihn sich unterzuordnen trachtet. Auch diese Ungewissheit sorgt dafür, dass „Phase IV“ im Gedächtnis unauslöschliche Spuren hinterlässt (ich hatte den Film zuletzt im Kindesalter gesehen, in dem er mich immens mitnahm und verfolgte und daher noch etliche Bilder präsent).

9/10

FOREVER MINE

„You will never be loved the way you are now. You have have never been and you will never be.“

Forever Mine ~ USA/CA/UK 1999
Directed By: Paul Schrader

Im Sommer 1973 arbeitet der Student Alan Riply (Joseph Fiennes) in einem mondänen Strandhotel als „cabana boy“. Hier verliebt er sich auf den ersten Blick in Ella (Gretchen Mol), die Gattin des wohlhabenden Geschäftsmannes und Urlaubsgasts Mark Brice (Ray Liotta), die Alan fortan umgarnt. Bald erwidert Ella seine Gefühle und die beiden verleben eine nur wenige Tage währende Kurzromanze, bevor Ella und ihr Mann nach New York zurückkehren. Alan weigert sich jedoch, das geliebte Wesen einfach aufzugeben, reist ihr kurzerhand hinterher und beginnt vor Ort eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Als die streng katholische Ella Mark ihre Affäre beichtet, setzt dieser alles daran, Alan „unschädlich“ zu machen. Zunächst hängt er ihm eine Verurteilung wegen Drogenbesitzes an, doch Alan lässt sich selbst im Gefängnis nicht ausbooten und schreibt Ella einen Liebesbrief nach dem anderen, bis der immer eifersüchtigere Mark keinen anderen Ausweg sieht, als den Nebenbuhler um die Ecke bringen zu lassen. Alan überlebt jedoch schwer verletzt und sinnt auf Rache. Vierzehn Jahre später ist es soweit: Unter neuer Identität als Rechtsberater Manuel Esquema kehrt er zu den Brices zurück und mischt die Karten neu…

„Forever Mine“, eine Liebeserklärung an die Liebe, zählt zu den eher selten erwähnten Werken in Schraders Œuvre, dabei handelt es sich nach meinem Dafürhalten um einen seiner schönsten Filme. Voller Reminiszenzen und Avancen an Wegbegleiter und Kulturgenossen steckt seine zwölfte Kinoregie, eine sehr revisionistisch gefärbte Noir-Romanze in Breitwand, wie sie – zumindest auf rein inhaltlicher Ebene – auch ebensogut in den vierziger oder fünfziger Jahren hätte entstehen mögen. So rekurriert Schraders Inspirationspool neben dem geradeheraus zitierten, berühmten Flaubert-Roman „Madame Bovary“ unter anderem auf Robert Floreys wunderbaren „The Face Behind The Mask“, Elmore Leonard und das Kino von Brian De Palma (für den Schrader 1976 das Script zu „Obsession“ verfasst hatte und dessen Hauskomponist Angelo Badalamenti in „Forever Mine“ durchaus ähnliche Harmonien erklingen lässt). Die für Schraders Verhältnisse ungewöhnlich herzlich und herzergreifend erzählte Liebesgeschichte scheut keinerlei Kitschrisiken, wobei der auteur die entsprechenden Momente freilich stark zu transzendieren weiß – auch „Forever Mine“ offeriert trotz seines völlig typologisch eingesetzten Ensembles und der mit weichgezeichneten Rückblenden versetzten Oberflächenpolitur eine vornehmlich düstere, nicht selten melancholische Atmosphäre, wobei Missgunst, Gefahr und Brutalität vornehmlich von dem gehörnten Ehemann ausgehen, der zu arrogant ist, um klein beizugeben und seine immer weiter forttreibenden Felle schwimmen zu lassen. Allein durch sein rücksichtsloses Intervenieren wird irgendwann auch Alan Riply gezungen, kriminell zu werden und sämtliche ursprünglich avisierten Lebensentwürfe über den Haufen zu werfen.
Freilich lassen sich auch hier die ewigen Schrader-Topoi Calvinismus, (Über-)Lebenskampf, Schuld, Sühne und Erlösung ausmachen; diesmal jedoch in einer dem reinen Streben nach verdienter Zweisamkeit untergeordneten Auslotung, was „Forever Mine“ sehr gut tut. Ich muss zugeben, dass ich gerade jetzt in einer höchst empfänglichen Stimmung für derlei Schmonziges bin, warum „Forever Mine“ auch unerwartet massiv bei mir einschlagen konnte.
Schön!

9/10

THIRTEEN LIVES

„Can we go out now?“

Thirteen Lives (Dreizehn Leben) ~ UK 2022
Directed By: Ron Howard

Der Tham Luang–Khun Nam Nang Non-Waldpark, Thailand, 2018: Aus einer Hals über Kopf geborenen Abenteueridee begeben sich zwölf Kids eines lokalen Jugend-Fußballteams mitsamt ihrem Trainer in das örtliche Gebirgshöhlensystem. Der urplötzlich einsetzende Monsun sorgt dafür, dass die dreizehn jungen Männer in einer Kaverne eingeschlossen werden und nicht wieder herauskönnen. Bald darauf schlussfolgert die örtliche Polizei den Verbleibsort der mittlerweile vermisst gemeldeten Gruppe. Im Zuge einer groß angelegten, waghalsigen Rettungsaktion vor globalem Medienecho können sämtliche Verunglückten nach fünfzehn Tagen Gefangenschaft befreit werden.

Ähnlich wie seinen Künstlerkollegen und Berufsgenossen Clint Eastwood und noch andere arrivierte Filmemacher veranlassen Ron Howard allenthalben authentische Begebenheiten – Katastrophen, Rettungen, Helden, große und kleine Wunder – zu neuerlichen Kreativprozessen. „Thirteen Lives“ befasst sich (in dem Vernehmen nach höchst akkurater Weise) mit der spektakulären Rettung dreizehn in einer überfluteten Höhle in der thailändischen Chiang-Rai-Provinz eingeschlossener Unglücksopfer. Zwei erfahrene englische Taucher, Rick Stanton und John Volanthen, im Film gespielt von den publikumsvertrauten Gesichtern Viggo Mortensen und Colin Farrell, gelang es mithilfe weiterer Kollegen und unter denkbar schwierigsten Bedingungen und nach langer Vorbereitung, die gesamte Fußballmannschaft binnen drei Tagen herauszuholen. Die geschwächten Jungen mussten zunächst sediert und anästhesiert, hernach noch fixiert und ohne Bewusstsein von einem Begleittaucher durch die engen, völlig verschlammten Tauchgänge bis zum Ausgang transportiert werden. Zuständig für die korrekte Medikation war Stantons und Volanthens Bekannter Richard Harris (Joel Edgerton), selbst ein erfahrener Höhlentaucher und berufsmäßiger Anästhesist. Das gesamte Procedere erwies sich sowohl als verzweifeltes Vabanque-Spiel wie auch als Pionierleistung auf seinem Gebiet. Eine andere Möglichkeit, die Gefangenen noch rechtzeitig lebend zu bergen, hätte es de facto nicht gegeben; die Risiko- und Verlustoptionen mussten nüchtern und objektiv gegeneinander aufgewogen werden.
Daran, dass Howards Inszenierung und das von dem diesbezüglich erfahrenen Scriptautoren William Nicholson adaptierte, klaustrophobische Geschehen formaltechnisch einwandfrei umgesetzt werden würden, sollten angesichts der jeweiligen Meriten a priori kaum Zweifel bestehen. Entsprechend gewogen darf man dem durchweg sorgfältig gefertigten, spannenden Resultat gegenüberstehen, zumindest, wenn man ein Faible für dramaturgisiertes storytelling aufbringt. Diesbezüglich besteht „Thirteen Lives“ als profunder Gattungsbeitrag, der sich gerade so wichtig nimmt, wie es seinem Sujet gebührt. Dabei erweisen sich kleine Bedenklichkeitsschlenker wie die Kaprizierung auf den Klimawandel als Katastrophenbeschleuniger oder die latente Unterdrückung der (staatenlosen) Wa-Minderheit als relativ leicht verschmerzbare Nebenerscheinungen. In Anbetracht der Faktenumsetzung mit etablierten westlichen Stars wurden zudem teils antizipierbare, kritische Stimmen vernehmbar, die eine mögliche White-Savior-Glorifizierung als hollywood-obligate Rassismusinsinuierung vermuteten. Ob man diesen Verdächtigungen Recht zuspricht, scheint mir letzten Endes (einmal mehr) unerheblich, denn die vorhandenen Tatsachen sprechen unumstößlich für sich und dem Film dürfte ohnedies kaum an derlei Plumpheiten gelegen sein. Möge ein/e jede/r die heuer sowieso unvermeidliche Wokeness-Goldwaage für sich selbst austarieren.

8/10

THE BLACK PHONE

„I almost let you go.“

The Black Phone ~ USA 2021
Directed By: Scott Derrickson

North Denver, Colorado, 1978. Der Jugendliche Finney Shaw (Mason Thames) leidet unter den Attacken diverser Bullys an seiner Schule. Zudem kanalisieren sich die Depressionen seines alleinerziehenden Vaters (Jeremy Davies) in Form von Gewaltausbrüchen, die er und seine jüngere Schwester Gwen (Madeleine McGraw) zu erdulden haben. Mit dem wehrhaften Robin (Miguel Cazarez Mora) gewinnt Finney immerhin einen schlagkräftigen Freund, doch auch dieser Lichtblick schwindet bald wieder – Robin wird Opfer des „Grabber“ (Ethan Hawke), eines als Zauberer verkleideten Kidnappers, der in der Gegend Jungen im Teenager-Alter verschleppt und spurlos verschwinden lässt. Eines Tages gerät auch Finney in die Fänge des Verbrechers und erfährt nach und nach die schreckliche Wahrheit über den ihm ausschließlich maskiert gegenübertretenden Psychopathen, der vor Finney bereits fünf Kids in seinem Keller gefangen gehalten und ermordet hat. Über ein in jenem Verlies befindliches, anschlussloses Telefon erhält Finney bald darauf Anrufe seiner „Vorgänger“, die ihm aus einer Art Zwischendimension heraus dabei helfen wollen, dem Grabber zu entkommen…

Mit „The Black Phone“, einer weiteren Blumhouse-Produktion, wildert nun auch Scott Derrickson im offenbar noch lange nicht versiegten Reservoir der immer zahlloser werdenden Retro-Genre-Produktionen, die sich so überaus darin gefallen, die siebziger und achtziger Jahre als periodische Kulisse für ihre mehr oder minder innovativen Storys zu nutzen. Dieses Vorgehen gelingt analog dazu, zumal in Anbetracht seines inflationären Einsatzes, in wechselnd ansprechender Form, wobei das reanimierte Zeitkolorit zusehends selten wirklich zweckmäßig erscheint. Immerhin liefert selbiges einen beständigen Vorwand, ein paar knackige Rocksongs der Ära auf die Tonspur zu zaubern.
Derrickson, der in Bezug auf die Qualität seiner Filme ein bis dato relativ heterogenes Werk aufweist und binnen relativ kurzer Zeit sowohl Ordentliches („Sinister“) als auch harsch Enttäuschendes („Deliver Us From Evil“) vorlegte, begibt sich mit „The Black Phone“ schnurstracks in den mediokren Sektor jener Welle. Zwischen altbekannten Versatzstücken, vom Telefon als Kommunikationsmittel ins Jenseits über den Kidnappingplot und die übersinnlich begabte Schwester bis hin zum identitätsgestörten Serienmörder, der sein gewalttätiges alter ego vornehmlich über das Tragen einer Maske definiert, befleißigt sich Derrickson recht hausbackener Elemente, um sein jüngstes Gattungsstück an Frau und Mann zu bringen. Zwar gelingt es ihm vereinzelt, durchaus schöne Momente zu schaffen (so verändert sich der spirituelle Zustand der vormaligen Opfer-Geister jeweils rückwirkend zur zeitlichen Distanz ihres Todestags) und sein Publikum trotz des eher kurzfilmtauglichen Narrativs behende am Ball zu halten, das stets zuverlässige Auffangnetz der Konventionalität verlässt er de facto jedoch zu keiner Sekunde.
So bleibt „The Black Phone“ mit dem Abstand von ein paar Tagen als passabler, wenngleich wenig aufregender Mosaikstein seiner Alltagsprovenienz im Gedächtnis, der als modernisierte „Hänsel-&-Gretel“-Variation mit seinen rar gesäten Ausreißern nach oben kaum wirklich protzen kann.

6/10

MAIS NE NOUS DÉLIVREZ PAS DU MAL

Zitat entfällt.

Mais Ne Nous Délivrez Pas Du Mal (Und erlöse uns nicht von dem Bösen) ~ F 1971
Directed By: Joël Séria

Die beiden besten Teenager-Freundinnen Anne (Jeanne Goupil) und Lore (Catherine Wagener) haben längst den festen Entschluss gefasst, samt und sonders alles, das sowohl ihre streng katholische Erziehung in einem Nonneninternat als auch ihre bourgeoisen Elternhäuser für unverzichtbare moralische Wegweiser auf dem Pfad zum Erwachsenwerden halten, abgrundtief zu verachten und rundheraus ins Gegenteil zu verkehren. Vor allem die beziehungsdominante Anne heckt einen boshaften Streich nach dem anderen aus, wobei sich deren Tragweite und Folgenreichtum immer weiter verschärfen, bis es während der Sommerferien, die Anne mit Ausnahme des Gesindes allein auf dem elterlichen Château verbringt, zur Katastrophe kommt. Doch selbst damit sind die Mädchen noch nicht am Gipfel angelangt…

Joël Sérias kleiner, unabhängig produzierter Film, der sich, wie Jahre später Peter Jacksons „Heavenly Creatures“, zumindest in Grundzügen an dem berühmten neuseeländischen Parker-Hume-Mordfall von 1954 orientiert, entwickelte sich im zeitgenössischen Frankreich zu einem mittelschweren Scandalon. Dem noch in den Nachwehen der Studentenunruhen liegenden Land kam jene Geschichte, in der zwei Mädchen im mittleren Teenageralter in einer Mischung aus existenzieller Orientierungslosigkeit und postinfantiler Anarchie völlig amoralische Verhaltensweisen entwickeln, dem Katechismus abschwören, sich Satan zuwenden und zunehmend boshaftere Aktionen bis hin zum öffentlichkeitswirksamen Doppelsuizid vollziehen, alles andere als zupass. Umso umwegsamer die Veröffentlichungsgeschichte dieses erst relativ spät wiederentdeckten, filmischen Beelzebubs, der als im Prinzip todtraurige Coming-of-Age-Story natürlich sehr viel einfühlsamer und poetischer daherkommt, als alle hochherrschaftlichen Verschwörer es dereinst glauben machen wollten. „Mais Ne Nous Délivrez Pas Du Mal“ setzt zwar ganz auf die Ich-Erzählperspektive der zutiefst verstörten Anne, eignet sich jedoch zu keiner Sekunde ihre persönliche Agenda an. Vielmehr ergeht sich Séria, der mit der Hauptdarstellerin Jeanne Goupil seine zukünftige Ehefrau kennenlernte, in einem weitestgehend unkommentierten Abriss eines fatalen Sommers, in dem die fehlgeleitete Anne sich selbst überlassen ist und dabei endgültig zur Missetäterin wird. Sie und die ihr auf dem Fuße folgende Lore bestimmen Rimbaud und Lautréamont, innerhalb ihres sozialen Mikrokosmos zutiefst verpönte Literaten, zu ihren maßstäblichen Ethiklieferanten; nutzen ihre sexuelle Wirkung ungerührt auf deutliche ältere, zumeist weit im kognitiven Abseits stehende Männer und „rächen“ sich für deren unbeholfene Reaktion mittels bösartiger bis grausamer Gegenwehr. Als sie schließlich, wiederum infolge gezielt ausgespielter Provokation, doch noch an „den Richtigen“ geraten, einen zunächst arglosen, mit seinem Wagen auf der Straße liegengebliebenen Familienvater (Bernard Dhéran), entgeht Lore nur dadurch einer Vergewaltigung, dass Anne den Wüstling erschlägt. Damit ist zugleich das Schicksal der Mädchen besiegelt, die den Totschlag zwar notdürftig verschleiern können, jedoch bald kurz vor der Entdeckung stehen, was gleichermaßen ihre Trennung wie die Übergabe in staatliche Autorität bedeutete. Also dient ihre letzte große Inszenierung auf offener Bühne unter Baudelaire-Zitaten der buchstäblichen rituellen Selbstverbrennung – eine Protesthandlung, ganz nach dem ikonischen Vorbild des buddhistischen Mönchs Thích Quảng Đức. Dass es auch hier erstmal einige lange Sekunden dauert, bis die begeistert applaudierende Elterngeneration begreift, was sich da tatsächlich vor ihren Augen abspielt, validiert Sérias finalen, galligen Kommentar.
Ein kleines, bitteres und recht unbequemes Meisterwerk, das in geschriebener Form vermutlich längst Einzug in jeden Schullektüre-Kanon gehalten hätte.

9/10

PREY

„I’m smarter than a beaver.“

Prey ~ USA 2022
Directed By: Dan Trachtenberg

Die Great Plains, 1719. Das Komantschenmädchen Naru (Amber Midthunder) ist mir ihrem determinierten Sozialstatus als Heilerin alles andere als glücklich. Vielmehr will sie sich als geschickte Jägerin beweisen, ganz wie ihr Bruder Taabe (Dakota Beavers), dessen Freunde bloß Spott für Narus Ambitionen hegen. Schon bald bekommt Naru jedoch hinreichend Gelegenheit, ihr Können zu demonstrieren – sie muss sich gegen einen Predator (Dane DiLiegro) zur Wehr setzen, der das gesamte Territorium zu seinem Jagdrevier macht und nicht nur Narus Stammesbrüder dezimiert, sondern auch eine Gruppe von Voyageurs, die sich in der Gegend aufhalten. Schließlich ist es ausschließlich an Naru, dem ruppigen Alien Einhalt zu gebieten.

Die Vorschusslorbeeren für diesen, exklusiv bei Hulu bzw. Disney+ gestarteten, jüngsten Beitrag zum „Predator“-Franchise waren ja doch recht beträchtlich – so hieß es etwa, Trachtenbergs Film könne es durch die Darbietungen seiner Eins-Zu-Eins-Duellsituation sowie seines Wald-/Wiesen-Settings sogar mit John McTiernans mittlerweile 35 Jahre altem Original aufnehmen. Nun sind derlei Lobpreisungen rund um den Premierentermin keine Seltenheit und relativieren sich in der Regel recht bald. Auch „Prey“ wird es dereinst so gehen, denn natürlich hält er erwartungsgemäß keinem Vergleich mit „Predator“ Stand. Gewiss mag man den Einfall, einen historischen Überbau für das storytelling zu wählen, grundsätzlich schätzen, zumal die zuletzt zum grenzalbernen Spektakel aufgeblähte Reihe diesbezüglich bereits arg ins Schleudern zu geraten drohte. Dennoch nimmt sich „Prey“ schon infolge seiner Protagonistin eher wie ein mit sanften Gänsehaut-Avancen liebäugelnder Abenteuerfilm für ein dezidiert jugendliches Publikum aus, der die einst von McTiernan so vortrefflich sezierten Genrewurzeln gezielt konterkariert und stattdessen so gänzlich wie ironiebefreit auf Gegenwartsbezüge setzt. J. F. Cooper mit Außerirdischem, gewissermaßen. Längst umweht den Predator, eine popkulturell ja komplett etablierte Gestalt, schon nicht mehr der Hauch des Monströsen oder gar Geheimnisvollen; seine Ziele sowie seine technologischen Fertigkeiten sind hinlänglich bekannt und lediglich ein paar neue Gadgets unterscheiden den hier auftretenden Extraterrestrier von seinen Vorgängern. Umso weniger bedrohlich wirkt seine Präsenz. Ansonsten kreist das Narrativ des Films um Zivilisationskritik (die Franzosen, ohnehin eine durchweg garstige Meute, schlachten eine Büffelherde ab und charakterisieren sich dadurch als noch weitaus schlimmer und barbarischer denn der Predator), Coming of Age und Genderdiskurse, die es, so versichert uns „Prey“, auch schon bei den American Natives vor 300 Jahren gab und die dort ähnlich schwer zu lösen waren wie heute, ohne sich dabei allerdings um sonderliches Geschick zu bemühen. Zudem verkneift sich das Script Redundantes ebensowenig wie Unpassendes. Ich bin sonst kaum interessiert an der (realististischen) Qualität von CGIs, aber die hier vorliegenden kamen selbst mir recht unorganisch vor und ließen mich einmal mehr wehmütig an den (zudem erst jüngst nochmal geschauten) Urfilm denken und mit welch rundum perfektionierter Finesse dieser, zumal im direkten Vergleich, doch gestaltet ist.

6/10

THE CANYONS

„It’ll be alright. It’ll be okay.“

The Canyons ~ USA 2013
Directed By: Paul Schrader

Christian (James Deen) produziert im sonnigen Hollywood kostengünstige Horrorfilme und genießt sein von materiellem Luxus erfülltes Dasein, das er allerdings fast ausschließlich einem väterlich finanzierten Treuhandfonds verdankt. Als libidinöser Soziopath kostet er es redlich aus, seine Freundin Tara (Lindsay Lohan) sexuell zu dominieren und zu via Datingseiten organisierten Swingertreffen zu nötigen. Tara liebt jedoch insgeheim noch ihren Freund Ryan (Nolan Gerard Funk), einen wenig talentierten und noch schlechter beschäftigten Nachwuchsschauspieler, der seine Teilzeitengagements als Kellner oder Model einzig seinem guten Aussehen verdankt und Tara seinerseits ebenfalls zurück will. Ryan ist wiederum mit Christians Agentin Gina (Amanda Brooks) liiert, die von den heimlichen Gelüsten ihres Partners nichts ahnt. Als der zutiefst eifersüchtige Christian Tara nachspionieren lässt und herausfindet, dass sie sich wieder mit Ryan, der dank Gina just einen Part in Christian neuestem Projekt ergattern konnte, trifft, entspinnt er eine hinterhältige Intrige gegen den Nebenbuhler. Ryan versucht sich zu wehren, macht damit jedoch alles nur noch schlimmer.

„The Canyons“ ist weniger als markante Regiearbeit bemerkenswert denn als Drehbuchdebüt von Bret Easton Ellis, der sein Script ähnlich wie viele seiner Romane als eine Art kalifornischer New-Age-Farce anlegte. Die aufreizend simpel konstruierte, campige Story kreist um Sex und dessen physisch schöne, innerlich jedoch ausgehöhlt wirkende Protagonisten, die sich beinahe ausschließlich darüber definieren, was sie im Bett von wem bekommen können und welche Abhängigkeitsverhältnisse sich daraus ergeben. Der günstig hergestellte Film wurde teils aus einer Crowdfunding-Kampagne heraus budgetiert und wurde von Schrader auch diesbezüglich als Symbolbild eines in Trümmern liegenden Hollywood-Empire bezeichnet, inszeniert von einem abgeschriebenen auteur mit einem Pornostar (Deen) in der einen Hauptrolle, einem letzthin vornehmlich durch Alkoholskandale aufgefallenen Ex-Kinderstar in der anderen und erzählt in Form einer paradoxerweise selbstbekokst-faszinierten und zugleich angewiderten Beziehungstriangel. Jene verleiht sich – auch das typischer Ellis-Stoff – im letzten Drittel die Mimesis eines Thrillermysteriums nebst blutiger Mordgeschichte, die Christian gewissermaßen endgültig zur annähernd metaphysischen Karikatur eines Hollywood-Antichristen stilisiert, mit dessen bedrohlicher Präsenz die angsterfüllte Tara stets zu rechnen haben wird.
„The Canyons“ verzichtet bewusst auf jedwede positiv konnotierte, personelle Identifikationsbasis und zentriert stattdessen den jeweiligen Opportunismus seiner drei auf ihre ganz individuelle Weise ungenießbaren Hauptfiguren und das sich immer gravierender manifestierende Machtgefälle zwischen ihnen. Jene Vorgehensweise trug „The Canyons“ wenig Sympathien ein, wobei es ohnehin gilt, ihn primär als zum Leben erweckte Ellis-Phantasie zu rezipieren, die ihren dramaturgischen Kitt statt durch den prägnanten Wortduktus des Literaten eben durch die audiovisuelle Illustration des Regisseurs erhält. Diese eklektische Mischung dürfte ihr Übriges dazu beigetragen haben, dem Film seit jeher lediglich äußerst geringen Zuspruch teilwerden zu lassen.

6/10

DYING OF THE LIGHT / DARK

„The truly dangerous people are the ones who follow orders.“

Dying Of The Light / Dark ~ USA/BAH 2014/2017
Directed By: Paul Schrader

Seit der CIA-Agent Evan Lake (Nicolas Cage) vor zweiundzwanzig Jahren von dem Islamistenführer Muhammad Banir (Alexander Karim) einem Folterverhör unterzogen wurde, ist er von dem Gedanken besessen, seine alte Nemesis dingfest zu machen. Nach dem Zugriff der Agency galt Banir offiziell als tot, Lake jedoch ist überzeugt davon, dass er sich noch irgendwo unter anderem Namen versteckt hält. Als Lake erfährt, dass er unter FTD leidet, einer besonders aggresiven Form von Demenz, setzt er alles daran, seine letzte persönliche Mission noch durchführen zu können, wird aber umgehend in den Ruhestand versetzt. Lakes Kollege Milton Schultz (Anton Yelchin) erhält derweil brandaktuelle Informationen, die über Umwege zu dem sich in Mombasa versteckt haltenden Banir führen: Offenbar leidet auch dieser an einer tödlichen Krankheit namens Thalassämie, für die er ein spezielles Medikament benötigt, das er aus Bukarest bezieht. Lake und Schultz reisen nach Rumänien und finden heraus, dass ein Doktor Cornel (Serban Calea) Banirs medizinische Versorgung übernommen hat. Lake nimmt Cornels Identität an und stellt sich Banir in Kenia.

Geht es um „Dying Of The Light“, ist dessen unrühmliche Herstellungs- und Veröffentlichungsgeschichte unumgänglich. Der beinahe fertige Film, der ursprünglich von Nicolas Winding Refn mit Harrison Ford und Channing Tatum hatte inszeniert werden sollen, wurde Regisseur Schrader während der Postproduktionsphase aus den Händen gerissen, umgeschnitten, mit neuer Musik sowie einem veränderten color grading versehen mit dem Ziel, die sperrige Fallstudie des Protagonisten für ein größeres Publikum kommensurabel und somit kommerziell attraktiver zu gestalten. Schrader, Cage, Yelchin, Refn und etwas später auch dp Gabriel Kosuth distanzierten sich daraufhin öffentlich von dem Film infolge der Art und Weise, wie ihr künstlerisches Engagement mit Füßen getreten wurde, sie durch einen Knebelvertrag zur Kommentarenthaltung gezwungen und ihnen dennoch die Möglichkeit verwehrt wurde, ihre Namen aus dem Projekt zurückzuziehen. Das Thema ließ Schraders künstlerische Inegrität freilich nicht los und er erstellte drei Jahre später nochmals eine reeditierte Fassung mit dem Titel „Dark“, eine Art fragmentarisch anmutende Rumpf- oder Torsovariation seines ursprünglich geplanten Films. Für die Arbeit daran befleißigte er sich einiger aus der Produktionsphase stammender Workprint-DVDs, da ihm das originäre Digitalmaterial nicht zur Verfügung stand. „Dark“, ursprünglich ausschließlich zur Vor-Ort-Betrachtung in drei amerikanischen Filmarchiven vorbehalten, allerdings längst via semilegale Kanäle beschaffbar, ist fast zwanzig Minuten kürzer als „Dying Of The Light“ und von wesentlich herausfordernder Gestalt, was sowohl seine Form als auch seine inhaltliche conclusio anbetrifft. Den allgemein verfügbaren Produzentenschnitt empfinde ich dabei keineswegs als jenes Volldebakel, zu dem er immer wieder gern deklariert wird. Gewiss, Schraders Signatur ist darin kaum mehr identifizierbar. Der Film lebt beinahe ausschließlich von der sukzessiven Verspiegelbildlichung der Antagonisten Lake – Banir und wirkt ansonsten wie ein in jeder Hinsicht glattgebügelter, risikoloser Agententhriller, der sich vermutlich nicht eklatant von dem Rest von Cages zu dieser Zeit inflationär herausgehauenem DTV-Œuvre abheben dürfte. Anders verhält es sich mit „Dark“, bei dem sich Schrader und sein Cutter Benjamin Rodriguez Jr. unter spürbar avantgardistischer Ägide austobten. In diversen Szenen signifikant kürzer, völlig anders montiert, dabei vollgepfropft mit Farbverfremdungen, Bild-im-Bild-Zooms und vor allem einem an „2001: A Space Odyssey“ gemahnenden, psychedelischen Farbrausch zum Ende, manifestiert sich in diesem Projekt wohl vor allem der – durchaus gelungene – Versuch einer Satisfaktion, eine Veranschaulichung dessen, was grundsätzlich möglich gewesen wäre. Das finale Duell zwischen Lake und Banir, das „Dying Of The Light“ noch ausformuliert (in Form eines aktionsreich inszenierten Terroranschlags auf das Hotel von Lake und Schultz, einem anschließenden, mit der Tötung Banirs endendem Zweikampf sowie Lakes Freitod auf der Straße), wandelt sich in „Dark“ in die vor gleißenden Farb- und Formspektren berstende Reise in ein perzeptives Nirwana, das offenbar Lakes endgültigen geistigen Zerfall im Angesicht seiner kurz vor ihrem Ziel stehenden Reise veranschaulicht. Unter welchen Umständen Lakes Grabstein auf den Arlington-Friedhof kommt, bleibt dann hier wie dort ein Mysterium.
Im Nachhinein empfand ich es als überaus gewinnend, beide Varianten unmittelbar hintereinander sehen zu können, da sich darin eine noch immer halbwegs analytische Vergleichsmöglichkeit feilbietet und sich sowohl Differenzen als auch Gemeinsamkeiten recht zielgenau in Relation setzen lassen.
Zur erhellenden und tiefergehenden Weiterbeschäftigung mit dem Thema möchte ich potenziellen Interessenten noch ein Essay von Lukas Foerster für den Filmdienst, der sich auf höchst lohnenswerte Weise mit Schraders Spätwerk im Allgemeinen, über weite Strecken jedoch primär mit dem Phänomen „Dying Of The Light“/“Dark“ befasst, ans Herz legen sowie einen Beitrag zum Regisseur, den Dominik Graf 2018 im Schatten des Baseler „Bildrausch-Festivals“ für die F.A.Z. (kostenlose Registrierung erforderlich) veröffentlicht hat.