MAIS NE NOUS DÉLIVREZ PAS DU MAL

Zitat entfällt.

Mais Ne Nous Délivrez Pas Du Mal (Und erlöse uns nicht von dem Bösen) ~ F 1971
Directed By: Joël Séria

Die beiden besten Teenager-Freundinnen Anne (Jeanne Goupil) und Lore (Catherine Wagener) haben längst den festen Entschluss gefasst, samt und sonders alles, das sowohl ihre streng katholische Erziehung in einem Nonneninternat als auch ihre bourgeoisen Elternhäuser für unverzichtbare moralische Wegweiser auf dem Pfad zum Erwachsenwerden halten, abgrundtief zu verachten und rundheraus ins Gegenteil zu verkehren. Vor allem die beziehungsdominante Anne heckt einen boshaften Streich nach dem anderen aus, wobei sich deren Tragweite und Folgenreichtum immer weiter verschärfen, bis es während der Sommerferien, die Anne mit Ausnahme des Gesindes allein auf dem elterlichen Château verbringt, zur Katastrophe kommt. Doch selbst damit sind die Mädchen noch nicht am Gipfel angelangt…

Joël Sérias kleiner, unabhängig produzierter Film, der sich, wie Jahre später Peter Jacksons „Heavenly Creatures“, zumindest in Grundzügen an dem berühmten neuseeländischen Parker-Hume-Mordfall von 1954 orientiert, entwickelte sich im zeitgenössischen Frankreich zu einem mittelschweren Scandalon. Dem noch in den Nachwehen der Studentenunruhen liegenden Land kam jene Geschichte, in der zwei Mädchen im mittleren Teenageralter in einer Mischung aus existenzieller Orientierungslosigkeit und postinfantiler Anarchie völlig amoralische Verhaltensweisen entwickeln, dem Katechismus abschwören, sich Satan zuwenden und zunehmend boshaftere Aktionen bis hin zum öffentlichkeitswirksamen Doppelsuizid vollziehen, alles andere als zupass. Umso umwegsamer die Veröffentlichungsgeschichte dieses erst relativ spät wiederentdeckten, filmischen Beelzebubs, der als im Prinzip todtraurige Coming-of-Age-Story natürlich sehr viel einfühlsamer und poetischer daherkommt, als alle hochherrschaftlichen Verschwörer es dereinst glauben machen wollten. „Mais Ne Nous Délivrez Pas Du Mal“ setzt zwar ganz auf die Ich-Erzählperspektive der zutiefst verstörten Anne, eignet sich jedoch zu keiner Sekunde ihre persönliche Agenda an. Vielmehr ergeht sich Séria, der mit der Hauptdarstellerin Jeanne Goupil seine zukünftige Ehefrau kennenlernte, in einem weitestgehend unkommentierten Abriss eines fatalen Sommers, in dem die fehlgeleitete Anne sich selbst überlassen ist und dabei endgültig zur Missetäterin wird. Sie und die ihr auf dem Fuße folgende Lore bestimmen Rimbaud und Lautréamont, innerhalb ihres sozialen Mikrokosmos zutiefst verpönte Literaten, zu ihren maßstäblichen Ethiklieferanten; nutzen ihre sexuelle Wirkung ungerührt auf deutliche ältere, zumeist weit im kognitiven Abseits stehende Männer und „rächen“ sich für deren unbeholfene Reaktion mittels bösartiger bis grausamer Gegenwehr. Als sie schließlich, wiederum infolge gezielt ausgespielter Provokation, doch noch an „den Richtigen“ geraten, einen zunächst arglosen, mit seinem Wagen auf der Straße liegengebliebenen Familienvater (Bernard Dhéran), entgeht Lore nur dadurch einer Vergewaltigung, dass Anne den Wüstling erschlägt. Damit ist zugleich das Schicksal der Mädchen besiegelt, die den Totschlag zwar notdürftig verschleiern können, jedoch bald kurz vor der Entdeckung stehen, was gleichermaßen ihre Trennung wie die Übergabe in staatliche Autorität bedeutete. Also dient ihre letzte große Inszenierung auf offener Bühne unter Baudelaire-Zitaten der buchstäblichen rituellen Selbstverbrennung – eine Protesthandlung, ganz nach dem ikonischen Vorbild des buddhistischen Mönchs Thích Quảng Đức. Dass es auch hier erstmal einige lange Sekunden dauert, bis die begeistert applaudierende Elterngeneration begreift, was sich da tatsächlich vor ihren Augen abspielt, validiert Sérias finalen, galligen Kommentar.
Ein kleines, bitteres und recht unbequemes Meisterwerk, das in geschriebener Form vermutlich längst Einzug in jeden Schullektüre-Kanon gehalten hätte.

9/10

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