LE JEUNE AHMED

„In schā‘ Allāh.“

Le Jeune Ahmed ~ BE/F 2019
Directed By: Jean-Pierre Dardenne/Luc Dardenne

Der dreizehnjährige Ahmed (Idir Ben Addi) wächst in einer weitgehend säkularisierten Familie auf. Seine alleinerziehende Mutter (Claire Bodson) verzichtet auf den Hijab und trinkt zum Essen ein Glas Wein, seine ältere Schwester (Cyra Lassman) kleidet sich figurbetont. In Imam Youssouf (Othmane Moumen), der eine strenge, radikale Interpretation des Koran predigt, findet Ahmed, dessen Cousin als IS-Märtyrer gestorben ist und von der einschlägigen Internet-Community als Märtyrer verehrt wird, eine Art Ersatzvater. Ahmeds eigene Radikalisierung dauert nur wenige Wochen und geht sowohl mit strengstens praktizierten Riten als auch einer wachsenden, sich zunächst richtungslos aufbauenden Aggression einher. Sein Hass kanalisiert sich schließlich auf die Person einer der Lehrerin Madame Inès (Myriem Akkheddiou), die jungen, muslimischen Immigranten umgangssprachliches, vom Koran abgewandtes Arabisch beibringen möchte und dabei zudem „unkonventionelle“ Methoden wie Musikunterricht einfließen lässt. Auch Imam Youssouf ist die progressiv denkende Frau ein Dorn im Auge. Für Ahmed steht fest, dass es seine Aufgabe als eherner Gotteskrieger ist, Inès zu töten. Der umgehend geplante und ausgeführte Versuch misslingt jedoch und Ahmed landet in einer Besserungsanstalt. Es bedarf jedoch erst eines spürbaren Schicksalsschlags um ihn zu echter Reue zu bewegen.

Der vorletzte Film der Frères Dardenne wurde vom internationalen Feuilleton so kontrovers aufgenommen wie keiner zuvor. Die so zuverlässig kunstfertigen, seit nunmehr über zwei Dekaden für bewegendes Autorenkino stehenden Filmemacher schienen also mit Mitte 60 urplötzlich die Chuzpe, sich eines aktuellen, dazu akut dräuenden politischen Themas anzunehmen, das ziemlich weit über ihren bislang so wohlfeil gepflegten, sozialkritischen Duktus hinausschoss und mit selbigem scheinbar so gar nichts mehr zu tun haben mochte; eines Themas zudem, das doch bereits in den Jahren zuvor so ergiebig von anderen Kunstschaffenden verhandelt wurde. Eine ausgefeilte Psychologisierung des Protagonisten befände sich da in lässlicher Ermangelung, die Perspektive auf den komplexen Topos sei eine entschieden tendenziöse. Das die Läuterung implizierende „Schicksalsende“ schließlich käme hilflos bis banal daher. Die Dardennes befleißigten sich sogar gezielter „Horrormechanismen“, um Ahmed als emotionslosen, bösen Wechselbalg dastehen zu lassen. In Anbetracht dieser seltsam uniform anmutenden, mitunter unglaublich daneben liegenden Rezensionen bleibt nur der Schluss, dass eine auch nur ansatzweise auteuristische Sicht auf „Le Jeune Ahmed“ zugunsten salonlinker Selbstproduktion der AutorInnen fast schon stoisch ausgespart wurde. Der Hauptfehler besteht zunächst darin, dem Film einen politisch relevanten Ansatz zu unterstellen. Eine solche rezeptorische Prämisse muss zwangsläufig ins Leere laufen, denn darum geht es wenn überhaupt nur allerhöchst partiell. Diverse Sujets und Elemente früherer Dardenne-Filme finden sich stattdessen unschwer auffindbar in „Le Jeune Ahmed“, der wie jeder weitere Film der Brüder aus dem immergleichen, dabei in steter Bewegung befindlichen Motivpool schöpft, um dessen bewusste Topoi nurmehr aufs Neue zu repetieren und zu variieren. Lässt man die narrative, im Prinzip völlig austauschbare Folie des radikalisierten Nachwuchsmuslim kurzerhand beiseite, bleibt im Nukleus die Geschichte eines verwirrten, haltlosen Jungen an der Schwelle zur Pubertät, der sich ebenso nach erwachsenen, dezidiert männlichen Bezugspersonen sehnt wie nach Verständnis, Zärtlichkeit und Liebe und im Angesicht von deren jeweiliger Versagung eine falsche Abzweigung nimmt. Als denkbar greifbarste und naheliegendste Emotion, die ihn aus der Orientierungslosigkeit herausführt, wählt Ahmed jene verhängnisvolle Kombination aus extremistischer Disziplin und gezielt projiziertem Hass, die den im Diffusen geführten Djihad für entsprechend anfällige Kinder und Jugendliche so reizvoll macht. Auch ein Katalysator ist rasch bei der Hand – die ebenso aufopferungsvolle wie weltoffene Lehrerin Inès, die sich besonders engagiert um ihre Schützlinge kümmert und von Ahmed (dessen akute Wandlung ihr natürlich nicht verborgen bleibt) erwartet, dass er ihr zum Abschied die Hand gibt. Seine erklärte Mission, Inès im Auftrag Gottes zu töten, trägt Ahmed fortan durch die Tage, Wochen und Monate und verliert trotz aller Bemühungen seitens Sozialarbeit, Psychologie und Rehabilitation niemals an Gewicht. Ahmed verschließt sich in sich selbst, bleibt höflich, aber stets reserviert im Umgang und wahrt geschickt seine klar konturierten Scharia-Prinzipien zwischen harām und halal, ohne Verdacht zu erregen. Als die Farmerstochter Louise (Victoria Bluck) Ahmed gesteht, dass sie sich in ihn verliebt hat und ihn küsst, kulminiert die hormonelle Konfusion des Jungen abermals, woraufhin er den Mord an Inès zum nunmehr dritten und entscheidenden Mal in die Tat umzusetzen sucht. Es bedarf, wie bereits bei Ahmeds Alters- und Leidensgenossen Cyril in „Le Gamin Au Vélo“ erst einer buchstäblich geraumen Fallhöhe, um ihn zum endgültigen Umdenken zu bewegen. Ob dies von Dauer sein wird, bleibt wie üblich der guten Hoffnung des Publikums überlassen. Anders als die Erkenntnis, dass die Dardennes ungebrochen exzellente Arbeit liefern.

8/10

THE DARE

„I could’ve had what you had…“

The Dare ~ USA/UK/BG 2019
Directed By: Giles Alderson

Eines Abends wird Jay Jackson (Bart Edwards), Ehemann und Vater zweier kleiner Töchter, aus seinem Vorstadthäuschen entführt und erwacht später angekettet in der Ecke eines maroden Raumes. Mit ihm gefangen sind noch drei andere Personen etwa gleichen Alters, die jeweils in den anderen Ecken der Kammer kauern: Der Wachmann Adam (Richard Short), die abgeklärt wirkende Kat (Alexandra Davis) und der übel zugerichtete Paul (Daniel Schutzmann). Wie der verstörte Jay erfährt, sind alle vier Opfer eines mysteriösen Kidnappers (Robert Maaser), der seine Gefangenen rohes Fleisch essen lässt und sie immer wieder mittels perverser Aktionen quält, die sie sich gegenseitig zufügen müssen. Es dauert eine Weile, bis man auf ein Ereignis in der Vergangenheit stößt, das die vier miteinander verbindet: Einst als Kinder haben sie während eines Sommerurlaubs einen kleinen Jungen namens Dominic (Mitchell Norman) gemeinsam gequält und einer „Mutprobe“ unterzogen: Dominic sollte in das Haus eines lokal berüchtigten Farmers (Richard Brake), dem man nachsagte, seinen eigenen Sohn ermordet zu haben, eindringen und dort zwanzig Minuten ausharren. Der Junge wurde danach nie mehr gesehen und die Vier haben niemandem je davon erzählt. Wie sich herausstellt, ist ihr muskelbepackter, maskierter Entführer und Marterer der mittlerweile erwachsene Dominic, dessen bisherige Biographie mit Grauen und Blut angefüllt ist und der nun Rache will für alles ihm Widerfahrene…

Kinder, frohlocket, der Folterporno lebt!
Die filmhistorischen Vorbilder zu Giles Aldersons durchaus ordentlich inszeniertem Regiedebüt sind evident: „The Dare“ orientiert sich formal an der entsprechenden Genrewelle der nuller Jahre und explizit dem von James Wan inszenierten Startschuss des „Saw“-Franchise, verquickt dessen Szenario mit dem Slasher-Klassikern wie Maylams „The Burning“ oder Hiltziks „Sleepaway Camp“ und setzt noch eine gehörige Prise „Sonny Boy“ hinzu. Es gibt, um das Ganze nochmal kurz abzureißen, also einen wahnsinnigen Maskenmann, der als Kind von Gleichaltrigen misshandelt, dann durch deren Schuld von einem geisteskranken Hillbilly-Widerling (Richard Brake in einer denkwürdigen Performance) gekidnappt und großgezogen wurde und sich nun für alles Erlittene – und selbiges ist nicht von Pappe – rächen will. Man darf Alderson bescheinigen, dass er sich zumindest redlich müht, bei allen, im Laufe seines Films wohldosiert aufgebotenen, ostentativen Widerwärtigkeiten die einem solchen Plot inhärente Kaspar-Hauser-Tragik nie ganz aus dem Blick zu verlieren und seinem Film damit auch ein psychologisch fundiertes Profil zu verabreichen. Dies soll durch einen steten Wechsel aus Gegenwartsgeschehen und Rückblenden erfolgen, gelingt allerdings nur in wenig überzeugendem Maße – allzu augenfällige Klischees, holzschnittartige Charakterisierungen und nicht zuletzt die teils immens unglaubwürdige Konstruktion der immerhin zwei Erzähljahrzehnte umspannenden Story löchern „The Dare“ beständig und höhlen ihn letztlich soweit aus, dass man letzten Endes nie gänzlich in ihn hineinzufinden vermag. Dass es durchaus auch kleine, augenzwinkernde Reminiszenzen an massenkulturelle Phänomene wie den Superhelden-Film gibt (Dominics Geschichte hat etwas von einer auf den Kopf gestellten comic origin, die dann ja am Ende sogar ein entsprechendes Endprodukt hinterlässt; zudem stellt der ausnahmsweise ausschließlich psychisch entstellte, physiognomisch jedoch gutaussehende Killer einen bewusst arrangierten Gegenentwurf zur Genretradition dar) verhindert nicht, dass Aldersons Film sich letztlich dann doch primär auf seine sorgfältig arrangierten, natürlich an Ekelintensität zunehmenden Foltereien reduziert, einen ziemlich dämlichen Epilog inbegriffen.
Ich finde „The Dare“ fazitär nicht gänzlich misslungen, aber er bleibt doch weit hinter seinen selbstgesteckten, hohen Ansprüchen zurück. Dennoch, vielleicht geht bald auch der gute Dominic dereinst in Serie. Das haben ja vor ihm schon ganz andere geschafft.

5/10

THE FURIES

„There’s only one way out – win!“

The Furies ~ AUS 2019
Directed By: Tony D’Aquino

Just nachdem sich die Epileptikerin Kayla (Airlie Dodds) mit ihrer besten Freundin Maddie (Ebony Vagulans) in einer Unterführung fürchterlich gezankt hat, wird sie, ebenso wie kurz zuvor Maddie, gekidnappt und seltsamen Prozeduren auf einem OP-Tisch unterzogen. Später erwacht sie in einer schwarzen Kiste, die sich mitten in einem ausgewaschenen Gehölz im Outback befindet. Doch sie ist nicht die einzige: Neben ihr gibt es nicht nur noch weitere, verstörte Mädchen in derselben Situation, sondern auch ebenso viele martialisch ausstaffierte Killer, die mit Horrormasken und Schlachtwerkzeug Jagd auf sie machen. Hinter dem Szenario, so findet Kayla bald heraus, steckt ein perfides Spiel…

Beauty or beast? Tony D’Aquinos kleiner Film ist am Ende leider nichts von beidem, sondern das üblich hölzerne, revisionistische X meets Y meets Z-Debütstück eines sich überdeutlich als kundig offenbarenden Genrefans, der es auch mal als Filmemacher probieren möchte. Dagegen ist ja prinzipiell nichts zu haben, gut finden muss man es allerdings ebenso wenig. Das einzig wirklich Überzeugende an dem einfallslosen „The Furies“, der eine immense Phalanx an Gattungsbeiträgen der letzten Jahre partioniert und einem grob errichteten Bauklotz-Häuschen gleich „neu“ zusammensetzt, sind seine paar handgemachten MakeUp-F/X, die dann allerdings wiederum spektakulär genug ausfallen, um – mit den Worten des lieben Christian Keßler – zumindest die Blutwurst angemessen kreisen zu lassen. Leider erweisen sich die diesbezüglichen Aufwendungen als zu geringfügig, um einen gänzlich tragfähigen Film präsentieren zu können. „The Furies“ mangelt es in letzter Instanz schlicht am Wesentlichsten, an Witz und Geist nämlich. Die Hauptfigur Kayla vermag kaum Empathie zu evozieren und ihre Mitstreiterinnen, allen voran die schüchterne, aber nicht ganz dichte Rose (Linda Ngo) gehen einem schon bald gehörigst auf den Geist. Die ausschließlich zur Artikulation von Grunzlauten befähigten Maskenkiller folgen zunächst keiner erkennbaren Motivation und benehmen sich wahlweise besonders clever oder besonders dämlich, was den Respekt vor ihnen nicht eben ins Unermessliche steigert.
Endhgültig prekär wird es, wenn D’Aquino irgendwann seine völlig triviale, sozialkritische Agenda auspackt, die zeitgemäß adäquat zwischen erstarkendem Feminismus und sozialer Ungerechtigkeit changiert und dann doch nur Teilenthüllungen anbietet: Hinter dem Menschenjagd-Spielchen, bei dem es darum geht, dass ein Beauty/Beast-Pärchen zusammenfindet und die Konkurrenz auf derbe Weise ausschaltet, steckt – gähn³ – offenbar ein mit modernster Technologie arbeitendes Geschäftsmodell für reiche, perverse Neolibs, die durch eine in den Augenlinsen der Mitspieler arrangierte Mikrokamera später das gesamte Geschehen am heimischen Bildschirm nachverfolgen können. Natürlich kriegt einer von ihnen (Tom O’Sullivan) am Ende Saures, denn die schlaue Kayla erhält durch ihre Krankheit die buchstäbliche Möglichkeit zum Durchblick, kann den Fängen ihrer Entführer entkommen und einem der Konsumenten ihre persönliche Aufwartung machen. Dann ist die Chose auch schon wieder vorbei; D’Aquino hatte (oder hat) da ganz offensichtlich ein Franchise im Sinn, deren Fortsetzungen, so sie denn jemals kommen, dann gewiss noch die eine oder andere spektakuläre Enthüllung bereithalten werden…

4/10

BACURAU

„This is just the beginning!“

Bacurau ~ BRA/F 2019
Directed By: Kleber Mendonça Filho/Juliano Dornelles

In nicht allzu ferner Zukunft. Teresa (Bárbara Colen) kehrt anlässlich des Todes ihrer Großmutter Carmelita in ihr Heimatdorf Bacurau zurück, das im Sertão des brasilianischen Nordostens liegt. Da Carmelita gewissermaßen die Matriarchin Bacuraus war, trauert die gesamte Gemeinde um ihren Verlust. Ansonsten liebt die Community aber ihr einfaches, lebenslustiges Dasein, das allerdings wiederum empfindlich gestört wird von dem Politikerbonzen Tony Junior (Thardelly Lima), dem Bürgermeister des benachbarten Serra Verda. Junior kontrolliert eine Talsperre, die die Wasserversorgung von Bacurau garantieren sollte und erpresst die Dorfbewohner damit, ihn bei seiner anstehenden Wiederwahl zu unterstützen. Derweil versteckt sich der aus Bacurau stammende, junge Outlaw Lunga (Silvero Pereira) vor den langen Armen des Gesetzes. Als sich merkwürdige Zeichen um das Dorf mehren, wird Teresas Liebhaber Pacote (Thomas Aquino) misstrauisch. Urplötzlich scheint das Dorf aus der Satellitenwahrnehmung verschwunden zu sein, die Pferde einer benachbarten Ranch gehen durch, zwei fremde Motorradtouristen (Karine Teles, Antonio Saboia) kreuzen auf, der Tankwagen des Wasserlieferanten wird unter Beschuss genommen. Tatsächlich scheint sich eine Gruppe mordgieriger Menschenjäger die Leute von Bacurau als Jagdbeute auserkoren zu haben, was diese bald auf brutale Weise bestätigt finden. Was die Ausländer nicht wissen: Bacurau pflegt eine lange Guerilla-Tradition…

„Bacurau“ beginnt als verschrobene Komödie, deren anfängliche Stimmung ich – zugegebenermaßen ein wenig hilflos – irgendwo zwischen Kusturica und Redfords „The Milagro Beanfield War“ verorten würde, später dann bei Alex Cox. In dem kleinen, ursozialistisch geprägten Dorf des Titels hat alles seine ganz eigene, vermutlich jahrzehnte lang geltende Ordnung; es gibt da zig Originale wie die versoffene Dorfärztin Domingas (Sônia Braga), den ständig am Mikrofon befindlichen Unterhaltungszampano DJ Urso (Black Jr.) oder mit Pacote eine Art dorfeigenen Robin Hood. Jung und Alt leben in Harmonie miteinander, die Kinder des Dorfes gehen manchmal und kommen, wie Teresa, auch häufig zurück. Alles funktioniert in sich perfekt, der äußere Störfaktor ergibt sich einzig durch den korrupten Lokalpolitiker, dem Bacurau dann auch durch die Bank feindselig gegenübersteht. Wie sich erweisen wird, kommen auch die Menschenjäger unter dem Vorsitz eines leicht betagten Deutschen (Udo Kier) nicht aus heiterem Himmel in die entlegene Gegend. Die Gewalt und das (unschuldige) Blut, das sie säen, werden sie jedoch am Ende auch ernten müssen. Bei aller Harmonie können die Menschen von Bacurau, unterstützt von einer hier eigens angebauten Droge, im Bedarfsfall nämlich auch in einen überaus kombattanten Modus hinüberwechseln. Und gerade so, wie die Dorfbewohner sich der tödlichen Herausforderung stellen, wechselt auch der Film seine Farbe.
Was Filho und Dornelles hier als dystopisch umrissene Paraphrase erzählen, wurzelt offensichtlich im politischen Geschehen des Landes. Seit dem 1. Januar 2019 regiert Jair Bolsonaro den gewaltigen südamerikanischen Staat. Für die Menschen des Sertão, zumindest die von Bacurau, dürfte dessen Agenda mindestens so fernliegend sein wie sein Amtssitz. Hier ist weder von dem urbanen Brasilien der im Süden liegenden Megacities etwas zu spüren noch von der üppigen Urwüchsigkeit der Regenwälder. Hier ist das Land trocken, karg, ausgeblichen und heiß. Die Menschen jedoch haben sich arrangiert mit dem, was sich hier vorfinden lässt und ihr privates Paradies geschaffen, das am allermeisten von ihnen selbst und ihren Persönlichkeiten zehrt. Ebenjenes gilt es zu verteidigen, gegen die Arroganz opportunistischer Politiker, gegen affige Großstädter aus dem Süden, gegen naseweise Ausländer und gehen die drohende Omnipräsenz der Überwachung, die sich in „Bacurau“ als Ufo-artige Drohne durch die Lüfte schraubt.
Der elegisch photographierte Film liebt seine Figuren ebenso wie er die antagonistischen Bedrohungen deren kleiner, selbstgeschaffener Idylle verabscheut. Als linksrevolutionäres Statement und als politische Kunstfilmgroteske mit leicht sonderbar eingepflegten Genretropen ist er einer der unikalsten, die ich zuletzt sehen durfte.

8/10

SYNCHRONIC

„Synchronic is the needle.“

Synchronic ~ USA 2019
Directed By: Justin Benson/Aaron Moorhead

In New Orleans geht eine neuartige Designerdroge namens „Synchronic“ um, mit deren Konsumentenauswirkungen die beiden Feuerwehrsanitäter und besten Freunde Steve Denube (Anthony Mackie) und Dennis Dannelly (Jamie Dornan) konfrontiert werden. Synchronic stimuliert die Zirbeldrüse, beeinflusst die Linearität des Zeitgefüges und versetzt seine User mit Haut und Haaren für ein kurzes, oft aber verhängnisvolles Fenster in irgendeine vergangene Epoche. Dass die Konsumenten sich damit zugleich unwägbaren, oft tödlichen Gefahren aussetzen, nehmen sie bereitwillig in Kauf. Als Brianna (Ally Ionnades), Dennis‘ Tochter, im Zuge eines selbstverabreichten Synchronic-Trips komplett in der Vergangenheit verschwindet, beschließt Steve, sie zurückholen. Steve selbst leidet unter einem fatalen Hirntumor, was seine persönliche Risikobereitschaft entsprechend erhöht. Also verschafft er sich sämtliche noch existenten Synchronic-Dosen und beginnt, mittels Selbstexperimenten dem Wirkungsschema der Droge auf die Spur zu kommen…

Mit wirklich großen Budgets kann das junge Filmemacher-Duo Moorhead/Benson auch im Zuge seines vierten gemeisamen Projekts (noch) nicht arbeiten; dafür wuchs und wächst die ihm zuteil werdende, internationale Aufmerksamkeit. So konnten sie sich immerhin des Hauptrollen-Engagements eines Hollywoodstars wie Anthony Mackie versichern und mit Universal einen big player mit entsprechender PR-Maschine als Verleih für „Synchronic“ gewinnen. Moorheads/Bensons jüngster Film bedient im Wesentlichen weiterhin jene Topoi, die schon „Resolution“ und „The Endless“ beseelten, ohne diesen allerdings bahnbrechend Neues hinzusetzen zu vermögen, von der psychologischen Tiefenschärfe des Protagonisten vielleicht abgesehen. Wieder geht es im Vordergrund um das physikalische Reizthema des Raum-Zeit-Durchbruchs sowie eine enge (hier: freundschaftliche) Männerbeziehung, die Diverses auszuhalten und sich somit gewaltigen Herausforderungen zu stellen hat. Dabei bleibt die Narration sehr eng an dem psychisch gebeutelten Steve, einem ausgiebigen Alkoholgenuss zugetanen Womanizer, der seinen besten Freund Dennis insgeheim zutiefst um dessen familiäre Stabilität, die Frau (Katie Aselton) und zwei Kinder beinhaltet, beneidet. Die niederschmetternde Diagnose „Hirntumor im unumkehrbaren Stadium“ führt Steve analog dazu noch weiter in die tiefe Frustration, da sich ihm somit selbst eine kurzfristige Änderung seines oberflächlichen Lebensentwurfs definitiv verbaut. Das Verschwinden Briannas, die für ihn selbst wie eine Tochter ist und im erweiterten Sinne die Konfrontation mit Synchronic verehrt ihm schließlich die Chance, seinem dämmernden Leben doch noch einen letzten, große Meilenstein zu verehren. Soweit die Motivation der Hauptfigur, die Mackie ansonsten mit einer ähnlichen unnahbaren Coolness versetzt wie seinen Cap-Kumpel Falcon im MCU. Das Spannungszentrum des Films nehmen schließlich seine minutiös angeordneten und durchgeführten Synchronic-Experimente ein, die gleichfalls klassischen SciFi-Inhalten entlehnt sind. In welche Zeit bzw. Ära Synchronic seinen Probanden versetzt, so findet Steve heraus, hängt etwa kausal damit zusammen, an welchem Ort man es zu sich nimmt. Diese kleine Finte gestattet den Agierenden Reisen in ganz unterschiedliche Erdzeitalter (deren Gestaltung sich vermutlich infolge der Budget-Limitierungen erschöpft). Dabei gilt es vor allem zu lernen und zu erkennen, dass die Vergangenheit zumeist mörderisch war; ob Vor- oder Eiszeit, ob Conquista oder Sezessionskrieg. Welches Statement mit dieser „Feststellung“ erfolgen soll, bleibt, wie mancherlei andere Aspekte des Films, erratisch und Mutmaßungen überlassen – möglicherweise wird hier auch bereits wieder im Geiste an einem optionalen Sequel geschraubt. Das muss dann ausnahmsweise die Zukunft erweisen.

7/10

BECKY

„When she was bad, she was horrid.“

Becky ~ USA 2020
Directed By: Jonathan Milott/Cary Murnion

Die dreizehnjährige Rebecca „Becky“ Hooper (Lulu Wilson) hat es nicht leicht. Ihre Mutter ist vor einiger Zeit an Krebs gestorben und ihr Dad (Joel McHale) beabsichtigt, sich neu zu verheiraten. Bereits die Vorstellung Beckys und der Stiefmutter (Amanda Brugel) in spe nebst deren Filius (Isaiah Rockcliffe) gerät zur Kleinkatastrophe, der die renitente Becky aus dem Weg geht, indem sie sich mit ihrem treuen Hund Diego in ihrer Waldhütte verschanzt. Zeitgleich taucht in dem entlegenen Wochenendhaus ein Quartett Krimineller (Kevin James, Robert Maillet, Ryan McDonald, James McDougall) auf, das von dem entflohenen Häftling und Neonazi Dominick (James) angeführt wird, der einen ominösen, im Haus versteckten Schlüssel sucht. Als Becky erkennen muss, dass mit den Verbrechern nicht zu spaßen ist, lässt sie ihrer lange im Verborgen gehaltenen Wut freien Lauf.

„Children In Heat“ sang Glenn Danzig einst, aber das mit „no resistance“ trifft auf Becky Hooper alles andere als zu. „You can’t control them“ schon eher. Eine der schönsten Überraschungen der letzten Zeit war dieser doch schwer Staunen machende Knüppelausdemsack des mir bislang unbekannten Regieduos Milott/Murnion. Zunächst lag „Becky“ gar nicht innerhalb meines Planungsradius, aus naheliegenden Gründen. Der den Film umwabernde, virale Dunst schien etwas in der Art einer derberen „Home-Alone“-Variante zu versprechen und auf ein naseweises Kind, dass Kevin James als Obergangster Mausefallen an die Nase pappt, hatte ich nicht wirklich Bock. Glücklicherweise hat mich ein nachgehend kaum mehr verifizierbarer, urplötzlicher Jieper doch noch umgestimmt – „glücklicherweise“, weil ich ja nicht ahnen konnte, welch böse, bärbeißige Überraschung sich hinter diesem oberflächlich so trivial anmutenden Kleinod verbirgt.
Der unscheinbar betitelte „Becky“ entbietet sich als ein gar nicht mal komischer, herber Home-Invasion- respektive Revenge-Thriller, garniert mit höchst unüblichen, weil extrem unbequem eingewebten Coming-of-Age-Versatzstücken. Wir hätten hier also ein nachhaltig frustriertes, frühpubertäres Mädchen in der Postlatenz, das ohnehin eine heftige Identitätskrise durchleben muss. Die Mutter tot, der Vater auf der Suche nach dem Weiterleben, der eine der beiden (Familien-)Pitbulls (Dora) everybody’s cozy darling. Bleibt eigentlich nur Beckys herzenstreuer Liebling Diego, der ihr dann auch nach Kräften im adrenalinzehrenden Kampf gegen die vier Unholde beisteht. Bei selbigem entwickelt die junge Dame dann höchst unfeine Einfälle, die sie mit aller unterschätzten Willenskraft in die Tat umsetzt, was für die Gangster bedeutet, dass die spätere Identifikation ihrer Leichen sich teils extrem schwierig gestalten wird. Wie Milott und Murnion jenen kleinen Feldzug gestalten, das ist tatsächlich ganz wunderbar und meistert die schwierige Gratwanderung zwischen Groteske und ernstzunehmendem Splatter absolut behende.
Lulu Wilson, die den Wahnsinn ja bereits per se ein wenig im Blick trägt, kultiviert ihre Titelrolle mittels einer bravourösen Mischung aus Orientierungslosigkeit, Traurigkeit und sublimierter Aggression, die Becky trotz ihrer verlorenen Position zu Beginn des grausamen Spiels tatsächlich zu einem Faktor macht, mit dem zu rechnen ist. Kevin James derweil genießt mit dick in den Nacken tätowierter Swastika erwartbar ausgiebig den Bonus, ausnahmsweise auch mal den bad guy geben zu können, was wiederum mit höchstens ganz feinen, ironischen Spitzen geschieht, die seinen als Nazi sowieso von grundauf verachtenswerten Charakter dessen angestammten Antagonistenplatz stets zur Gänze zugewiesen lassen. Dass die (MacGuffin-)Funktion jenes seltsamen Schlüssels, in dessen Besitz sich Becky bis zum Abspann befindet, der Publikumsspekulation überlassen bleibt, finde ich derweil wenig ansprechend gelöst. Eine mögliche Fortsetzung, in der die Kurze im amerikanischen Nazi-Untergrund aufräumt, möge uns um Himmels Willen erspart bleiben, der sehr gute Eindruck des rotzigen „Becky“ wäre gewiss dahin.

8/10

PELIKANBLUT

„Hör endlich auf damit. Mit allem.“

Pelikanblut ~ D/BG 2019
Directed By: Katrin Gebbe

Die Mittvierzigerin Wiebke (Nina Hoss) hat ihren Seelenfrieden gefunden. Auf ihrem Reiterhof trainiert sie Pferde für die berittene Polizeistaffel und mit der reizenden Nicolina (Adelia-Constanze Ocleppo) bietet sie einem bedürftigen, bulgarischstämmigen Heimkind ein erfülltesn neues Zuhause. Der geschiedene Polizist Benedikt (Murathan Muslu) hat außerdem ein mehr als berufliches Interesse an ihr. Als Wiebke mit der fünfjährigen Raya (Katerina Lipovska) nach längerer Wartezeit ein weiteres Mädchen adoptieren kann, scheint sich ihr Glück nochmals zu potenzieren. Doch das schwer traumatisierte Kind steckt voller psychischer Störungen, die es sein Umfeld bald spüren lässt. Da Raya durch ihr Verhalten zunehmend nicht nur sich selbst, sondern auch andere Kinder und schließlich Nicolina und ihre Adoptivmutter in Gefahr bringt, greift die unbeugsame und unbelehrbare Wiebke zu immer bizzareren Mitteln, die harte Schale des Mädchens zu durchdringen. Das letzte Mittel scheint die Hilfe der Geistheilerin Tanka (Justine Hirschfeld) zu sein, die zu spüren glaubt, dass Raya von einer übernatürlichen Entität besessen ist.

Ganze sechs Jahre nach ihrem herzzereißenden Debüt „Tore tanzt“ legt die vielversprechende Katrin Gebbe mit „Pelikanblut“ ihre jüngste Arbeit als Regisseurin und Autorin vor. Wenngleich der thematische Ansatz auf den ersten Blick ein ganz anderer zu sein scheint, geht es doch auch hier wieder um die zutiefst involvierende Leidensgeschichte einer von einer ganz speziellen, lebensvisionären Aufgabe erfüllten Figur, die sich aufopfert und allen äußeren Widernissen zum Trotz agiert. Dass die stille Pferdeflüsterin Wiebke selbst eine tief gezeichnete Figur ist, verrät uns neben einer Narbe unter dem Auge vor allem ihr zögerliches Verhalten dem ihr unentwegte Avancen machenden Benedikt gegenüber – obschon sich hier die Chance auf ein (neues?) Familienleben, das vor allem auch Nicolina guttäte, offeriert, gibt sie ihre Zurückhaltung nicht auf.
Mit Raya erhält ihre Kämpfernatur dann ein neues, unerreichbar scheinendes Ziel, das es zu erobern gilt, selbst auf Kosten alles zuvor so mühsam Erkämpften und Erreichten. Wegen Rayas irrationalem, selbst- und fremdgefährdendem Verhalten wenden sich nach und nach fast sämtliche Bekannten und Freunde von Wiebke ab. Sie selbst hält bis zur psychischen und physischen Belastungsgrenze an Raya fest. Auch ihre störrische Weigerung, naheliegende, äußere Hilfen etwa in Form einer betreuten Wohngemeinschaft für traumatisierte Kinder anzunehmen, bricht lediglich ansatzweise ein, erreicht dann aber doch wieder neuen Rückenwind. Mit der Wendung zum Parapsychologischen hin geht Katrin Gebbe schließlich einen zunächst rätselhaften, zumal unerwarteten Weg, der sich am Ende jedoch als sinnstiftende conclusio gestaltet, die „Pelikanblut“ in die jüngere deutsche Genretradition setzt und wegführt von dem zunächst offensichtlich scheinenden Vergleich mit Nora Fingerscheidts „Systemsprenger“. Anders als in diesem geht es in „Pelikanblut“ nämlich nicht um institutionelle Überforderung, sondern um den unendlichen Kraftaufwand, den es kostet, ein verloren scheinendes Kind fest an der Hand zu nehmen und ins Leben zurückzuholen. Dass Gebbes Film sich somit einer naheliegenden, wirklichkeitsverhafteten Lösung schlicht verweigert und Rayas neue Mutter ihren unkonventionellen Weg bis zum (zumindest innerhalb der damit vorläugig endenden, diegetischen Realität von „Pelikanblut“) erfolgreichen Abschluss ihrer selbstauferlegten Mission beschreitet, muss man insofern als konsequent bezeichnen. Bei Katrin Gebbe liegt auch in der tiefsten Finsternis stets ein Funke Hoffnung.

8/10

DOLEMITE IS MY NAME

„Shoot for the moon, and if you miss it, hang on to a motherfucking star!“

Dolemite Is My Name ~ USA 2019
Directed By: Craig Brewer

Los Angeles in den frühen Siebzigern. Der afroamerikanische Wannabe-Entertainer Rudy Ray Moore (Eddie Murphy) ist mit seinem derzeitigen Werdegang nicht sonderlich zufrieden. Sein Geld verdient er vornehmlich als Plattenverkäufer und seine Engagements als Ansager in einem Nachtclub schüren kaum Ovationen. Schließlich kommt er auf die Idee, die haarsträubenden „Dolemite“-Gedichte eines quartierbekannten Penners namens Ricco (Ron Cephas Jones) auf Tonband aufzuzeichnen und bühnentauglich umzudichten. Moore wird onstage selbst zu Dolemite – einem großspurigen Pimp als Kunstfigur. Die Leute lieben Moores Auftritte. In Eigenregie stellt er gemeinsam mit seinen Kumpels eine Live-LP her, die er aus dem Kofferraum heraus verkauft. Bald wird ein Label auf ihn aufmerksam und produziert weitere Platten, derweil eine Tour durch schwarze Südstaaten-Clubs Moore weitere durchschlagende Erfolge beschert. Nach einem ratlosen Kinobesuch von Billy Wilders „The Front Page“ beschließt Moore, selbst Filmstar zu werden und im Blaxploitation-Fach Fuß zu fassen. sein Dolemite ist reif für die Leinwand…

Mit sehr viel mehr Herzblut als den nachfolgenden „Coming 2 America“ haben Regisseur Brewer und Hauptdarsteller/Produzent Murphy diese Liebeserklärung an den kleinen Selfmade-Star Rudy Ray Moore gefertigt. In Anbetracht von Moores schillernder Persona und der unglaublichen Serie von Filmen, die er in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre auf sein geneigtes Publikum losließ, schrie der 2008 verstorbene Mann geradezu nach einem Biopic. In sehr augenzwinkernder, aber stets respektvoller Manier schildert „Dolemite Is My Name“ nun grob die Jahre zwischen 1970 und 1975, jene Ära also, in der Moore einerseits sein künftiges Alias kreierte und diese andererseits zunächst mit Platten und dann der Produktion des ersten „Dolemite“-Films kultivierte. So bekleidet letztere dann auch das Zentrum von Brewers Werk. Moore und seine Freunde haben durch die Bank keinerlei Ahnung von Filmproduktion und machen ihre Inkompetenz durch bloßen Enthusiasmus wett. Als immer wieder überbügelter Scriptautor fungiert der sozial engagierte Theaterautor Jerry Jones (Keegan Michael Key), als Regisseur reißt Moore den überkandidelten Schauspieler D’Urville Martin (Wesley Snipes) in einem Stripclub auf. Die technische Crew stellen ein paar Studenten von der UCLA. Trotz diverser Pannen steht am Ende der fertige Film, für den sich jedoch kein Verleih finden lässt. Also nimmt Moore auch noch die sich ihm durch Zufall bietende Option der selbstinitiierten Premiere in einem Farbigenkino in Indianapolis wahr, wo „Dolemite“ einschlägt wie eine Bombe.
Mit dem unbeugsamen Willen, jedweden personellen und/ oder situativ bedingten Komplikationen ein Schnippchen zu schlagen und sich durch nichts beirren zu lassen, zeichnen Brewer und Murphy ihren Protagonisten und lassen „Dolemite Is My Name“ damit nicht selten an ähnliche Biopics erinnern, in denen vermeintliche Verliertypen mit der unerlässlichen Unterstützung einer kleinen, verschworenen Freundesgemeinde ihren Traum wahr werden lassen und am Ende zumindest auf einer individuellen, vielleicht gar intimen Ebene reüssieren können, allen voran natürlich Burtons „Ed Wood“, mit dem sich Brewers Arbeit insbesondere die verschmitzte Bewunderung für die Titelfigur und deren unerschütterliches Selbstbewusstsein teilt.
Ein schöner Film somit, der vor allem Lust darauf macht, die alten Moore-Kracher mal wieder aus dem Regal zu ziehen.

8/10

CROWN VIC

„There’s the world inside this squad car, then there’s everything else outside of it.“

Crown Vic (Im Netz der Gewalt) ~ USA 2019
Directed By: Joe Souza

Der aus Oakland versetzte, junge Police Officer Nick Holland (Luke Kleintank) fährt seine erste Nachtsstreife in L.A. mit dem ebenso erfahrenen wie zynischen Cop Ray Mandel (Thomas Jane). Als Greenhorn wird Holland während der folgenden Stunden nicht selten von Mandel aufgezogen, zudem hält die nächtliche Arbeit in der Großstadt allerlei überraschende Lektionen für den werdenden Vater bereit. Die künftige Partnerschaft wird sich jedoch erst vollends in der Konfrontation mit zwei gravierenden Ereignissen bewähren müssen…

Der wohl häufig an „Crown Vic“ (der Originaltitel bezieht sich auf einen vor einigen Jahren noch gängigen Streifenwagen-Typ des LAPD, den „Ford Crown Victoria“) gerichtete Vorwurf, er präsentiere wenig mehr denn ein „Training Day“-Remake, greift natürlich viel zu kurz, und das nicht erst bei genauerem Äugen. Die Prämisse, einen unerfahrenen Jungspund gemeinsam mit einem abgeklärten Hartarsch auf Streife zu schicken, war auch schon zu Zeiten von Fuquas Film keineswegs neu oder gar innovativ; zudem entwickeln sich beide Geschichten gleich von Beginn an in völlig unterschiedliche Richtungen. Ebensogut könnte man „Training Day“ jedenfalls auch als Variation von Fleischers „The New Centurions“ bezeichnen, was letzten Endes ähnlich verfehlt wäre.
Ein dunkles Geheimnis trägt allerdings auch Ray Mandel mit sich herum, dieses ist aber vorrangig persönlicher Natur und besteht nicht etwa darin, dass er die Polizeimarke de facto bloß zur Tarnung trägt und sich eine heimliche Zweitkarriere als crime lord aufgebaut hat. Mandel nimmt sich vielmehr aus wie eine typische Thomas-Jane-Figur und scheint ihm geradezu auf den Leib geschrieben zu sein; wohl nicht zuletzt der Grund, warum seine Interpretation zu den denkwürdigsten mir bekannten Auftritten des Darstellers zählt. Luke Kleintanks Part dient eher als Katalysator und moralische Stellschraube für den längst mit allen Berufswassern gewaschenen Frühfünfziger, dem in jener schicksalhaften Nacht, in der sich die gesamte erzählte Zeit von „Crown Vic“ abspielt, auch eigenen Dämonen zu stellen hat. In den ersten zwei Dritteln entrollt sich zunächst allerdings ein schönes, nächtliches Panoptikum des unübersichtlichen Molochs Los Angeles, eine Ansammlung kauziger Gestalten zwischen Drogen, Suff und psychischen Krankheiten, mit denen sich die „Ordnungshüter“ herumzuschlagen haben. Gerade in dieser anekdotenhaften, breiten und doch pointierten Darstellung der typischen, urbanen Polizei-„Allnacht“ liegt die eigentliche Stärke von Souzas Film, die Kür, derweil der dramaturgische Errichtung des vermeintlichen Story-Höhepunkts eher zur lästigen, wenngleich notwendigen Pflichtübung gerät.
Für Liebhaber (auch und insbesondere) des (klassischen) Polizeifilms von Joseph Wambaugh bis David Ayer u.U. jedenfalls eine durchaus gewinnende Veranstaltung.

7/10

THE BEACH HOUSE

„We’re so fortunate. It is so nice out today.“

The Beach House ~ USA 2019
Directed By: Jeffrey A. Brown

Emily (Liana Liberato) und Randall (Noah Le Gros), ein junges Studierendenpärchen, schickt sich an, ein paar Tage im Strandhaus von Randalls Familie zu verbringen, um die angeknackste Beziehung zu kitten. Im Feriendomizil angelangt, finden die beiden als eher wenig angenehme Überraschung ein mit Randalls Dad befreundetes Ehepaar, Jane (Maryann Nagel) und Mitch (Jake Weber) vor, dass offenbar ebenfalls eine Krise zu bewältigen sucht. Nach einem von Randall initiierten, spätabendlichen Marihuana-Rausch scheint der gesamte Strand zu biolumineszieren. Der nächste Tag beginnt noch sehr viel bizarrer: Jane, die zwischenzeitlich verschwunden war, hat sich physisch verändert und offenbar den Verstand verloren, das Meer hat seltsame, schleimige Organismen an den Strand gespült. Mitch ertränkt sich und während auch mit Randall eine Veränderung vor sich geht, beginnen merkwürdige Nebelschwaden über das Land zu wabern – der Beginn vom Ende der Menschheit.

Dass die filmische Apokalypse nicht immer zwangsläufig im großbudgetierten, knalligen Emmerich-Stil von Statten gehen muss, sondern ihre Wirkung auch als kleines Kammerspiel zu entfalten vermag, wollte Debütant Jeffrey A. Brown mit seinem örtlich und zeitlich stark verdichteten Horrormärchen gewiss unter Beweis stellen. Parallelen zu Richard Stanleys noch junger Lovecraft-Adaption „Colour Out Of Space“ drängen sich rasch und unwillkürlich auf, wobei diese vielleicht auch rein zufälliger Natur sind.
„The Beach House“ hätte sich jedenfalls auch als Kurzfilm ganz ordentlich gemacht; die Dehnung auf eine immer noch sehr knapp bemessene Spielzeit gestattet Brown jedoch, sein Vier-Personen-Stück bei aller Konzentration auf Emilys ganz persönliche Höllenfahrt, transzendierende Momente wie sie auch bei Stanley vorkommen, einzuflechten. Ein im Nachgang zunehmend unangenehm verlaufender Edibles-Trip deutet bereits an, dass alles von nun an Geschehende sich zunehmend abgründig gerieren wird und die Momente unangenehmer Wahrheiten mehren sich. Ein bandwurmartiges Tier frisst sich durch Emilys Fußsohle und muss wieder daraus extrahiert werden; eine bereits im fortgeschrittenen Mutationsstadium befindliche Familie, in deren Haus Emily und der bereits stark angeschlagene Randall zwischenzeitlich fliehen, zeigt, wohin die monströse Reise führen wird. Einen Großteil seiner unangenehmen Wirksamkeit bezieht „The Beach House“ auch daraus, dass das ausnahmsweise dem Ozean entwachsende Armageddon sich selbst nicht erklärt und auch der Rezipient stets auf demselben Wissensstand verbleibt wie die überrumpelte Protagonistin. Deren Anstrampeln wider das Unvermeidliche erweist sich dann am Ende auch als fruchtlos.
Dass junge Genreregisseure zumeist über ein mehr oder minder akribisches Studium klassischer Vorbilder verfügen und von diesem auch Gebrauch machen, zeigt nun auch „The Beach House“, der neben Lovecraft auch Carpenter und Cronenberg mehrfach seine Reminiszenz erweist. Originell ist anders, zumal Brown sich teilweise ganz gehörig durch seinen Plot mogelt und sich mit einer relativ oberflächlichen Figurenzeichnung zufrieden gibt, aber der grundsätzlich richtige Pfad scheint mir dennoch beschritten. Den Mann kann man wohl im Auge behalten.

6/10