FRESH

„I just don’t eat animals.“

Fresh ~ USA 2022
Directed By: Mimi Cave

Von Dating-App-Treffen hat Noa (Daisy Edgar-Jones) fürs Erste die Nase voll, nachdem der zuletzt frequentierte Typ (Brett Dier) sich abermals als die befürchtete Vollniete erwiesen hat. Als sie – ganz klassisch – den attraktiven Steve (Sebastian Stan) wie beiläufig im Supermarkt kennenlernt, ist sie daher umso begeisterter, zumal dieser das große Los abzugeben scheint. Nach ein paar romantischen Dates lädt Steve Noa dann zu einem Cottage-Wochenende ein. Entgegen allen Warnungen ihrer besten Freundin Mollie (Jojo T. Gibbs) sagt sie zu – und landet betäubt und angekettet im Keller eines schnieken Bungalows im Nirgendwo, wo ihr Steve seine wahren Beweggründe offenbart: Er verkauft Frauenfleisch an einen Zirkel höchst wohlhabender Kunden und delektiert sich allenthalben auch selbst gern an seiner exklusiven Ware. Noa wittert ihre einzige Chance zu überleben darin, den Kannibalen weiterhin zu becircen…

Als deftige #MeToo-Satire, die übergriffiges Männerverhalten bis ins wahrscheinlich letztmögliche Extrem treibt, passt „Fresh“ sich der noch recht jungen Wokeness-Genre-Kultur an. In seinen besten Momenten erinnert er an die Filme von Jordan Peele, verbeißt sich aber dann doch immer wieder sehr grantig in seine alles umreißende „Männer sind Schweine“-Agenda und lässt es an der Innovation intrinsischer Verrücktheiten mangeln. Die aburteilende Mittzwanziger-Realität von Noa und Mollie wirkt dabei auf den sich unschuldig wähnenden, heterosexuellen Penisträger wenig einladend – wer keinen Insta- oder Twitter-Account hat, ist automatisch ein Verdachtsfall und jedwedes Ressentiment an männliche Adressaten bestätigt sich irgendwann im Laufe des Films. Das formulieren Cave und die Scriptautorin Lauryn Kahn allerdings so hübsch konsequent-kiebig und mit ausschließlichen maskulinen Widerlingen auf der Antagonistenseite, dass es dann doch wieder mancher Sympathien wert ist, zumal Daisy Edgar-Jones das Ganze mit einiger Chuzpe zu tragen vermag. Als ausgewiesener Horrorfilm wäre „Fresh“ indes weniger bemerkenswert; das terrorisierende Psychopathen-Keller-Kidnapping-Szenario wurde nicht erst justament („Alone“, „The Black Phone“ et. al.) dann doch allzu häufig durchexerziert und ermüdet den Nicht-Gelegenheitsgucker demzufolge geflissentlich. Bleiben die netten Fleischverarbeitungs- (und -konsumierungs) -Momente, ein paar lang nicht gehörte Achtziger-Heuler (Steve tanzt gern zu seichter Popmusik jener Ära), der alles in allem als gelungen zu wähnende metaphorische Ansatz sowie die rekordverdächtig späte Einarbeitung der Titelsequenz in der 33. (!) Filmminute.

7/10

PEARL

„I’m a star! Please, help me!“

Pearl ~ USA/CAN 2022
Directed By: Ti West

Texas, 1918. Für die Farmerstochter Pearl (Mia Goth) ist der ländliche Alltag ein veritabler Albtraum. Jung verheiratet, kämpft ihr Mann Howard (Alistair Sewell) an der Front in Europa, die Spanische Grippe hat die welt fest im Griff. Und dann sind da noch ihre Eltern. Pearls Vater (Matthew Sunderland) ist völlig paralysiert und pflegebedürftig, ihre Mutter Ruth (Tandi Wright) schwelgt in einer unablässigen Spießrute aus Ekel, Hass und Verbitterung. Pearl bleiben nurmehr ihre Tagträume, in denen sie als berühmte Tänzerin in den von ihr geliebten Hollywood-Kinofilmen auftritt. Dementsprechend tragen sämtliche Tiere auf der Farm die Namen ihrer Lieblingsstars, allen voran Theda, eine gefräßige Alligatorendame im Teich hinter dem Grundstück. Pearl ist nämlich auch eine Psychopathin, die nicht zulässt, dass ihr jemand ihre Illusionen abspenstig macht und deren unkontrollierbare Gewaltausbrüche bald einen blutigen Strudel entfachen…

Mit dem wunderbaren „Pearl“, seinem bisherigen Meisterwerk, gelingt Ti West das nonchalante Kunststück, der bereits sehr schönen 70s-Slasher-Hommage „X“ ein noch formvollendeteres, im selben Jahr entstandenes Prequel zuzusetzen, diverse zeitgenössisch tiefschlagende Covid-Seitenhiebe inbegriffen. Darin erfährt man einiges über die Hintergründe der im Vorwerk wütenden Seniorin Pearl, in deren Innerem kurz vorm Finale nochmal sämtliche Emotionen und Gelüste gegen das welke Fleisch der Vergänglichkeit rebellieren. Dass Pearl als junge Frau ein frappierend analoges Ebenbild des koksenden, aufstrebenden Pornostarlets Maxine abgab, respektive abgibt, hat man sich in Anbetracht von Mia Goths Doppelrolle bereits denken mögen – der endgültige Beweis dafür folgte dann quasi auf dem Fuße. Der große Benefit von „Pearl“ als zutiefst eigenständiges Werk trotz inhaltlicher Anbindung liegt insbesondere darin, dass er die Bürde, sich als Reminiszenz an ein beliebtes (Sub-)Genre zu verstehen, gänzlich abstreifen kann, bilden doch Zeit- und Milieukolorit in diesem Fall ein weitgehend unbeackertes Feld insbesondere im Horrorfilm. Pearl wirkt eher wie eine Art überreife Dorothy aus „The Wizard Of Oz“ in der 1939er-MGM-Musical- Adaption mit Judy Garland. Ihren ganz persönlichen sense of wonder fabuliert sie sich, gewissermaßen ebenso wie das berühmte Quasi-Vorbild, fahrradfahrend dem allseits frustrierenden Grau ihrer Sackgassenexistenz hinzu. Der gewaltige Orkan aus Kansas bleibt in Texas allerdings aus, zumindest gegenständlich, und ins zauberhafte Land trägt er Pearl erst recht nicht. Dennoch will sie alles, was ihr vorenthalten bleibt, und das so uneingeschränkt wie maßlos: bildschöne Bonbonfarben, ruchlosen Rausch, völlige Freiheit und lasterhafte Lust. Darum bendelt sie zunächst mit einer Vogelscheuche an, mit der sie einen explosiven Orgasmus erlebt und später mit dem sich smart gebenden Kino-Vorführer (David Corenswet) aus der Stadt, der ihr einen frühen Pornofilm zeigt und dann etwas von Europa und Berühmtheit vorfaselt. Als Pearl später mit Pauken und Trompeten bei einem Erfolg versprechenden Tanzwettbewerb durchfällt, den sie zum letzten Ticket aus der inneren und äußeren Einöde wähnt, ist es ohnehin längst zu spät für sie, denn da hat sie bereits drei Morde begangen (oder zumindest drei, von denen wir wissen können). Und auch der vierte lässt nicht lange auf sich warten nach einem der berückendsten Monologe, den das Kino der letzten Jahrzehnte bereithält und derweil ein madenzerfressendes Schwein auf der Veranda darbt als unwiderstehliches Bild für den rapiden Zerfall der letzten paar Fetzen von Pearls psychischer Stabilität. Dann kommt Howard aus dem Krieg zurück und trotz eines geflissentlich bizarren Empfangs daheim ist ja längst evident, dass er Verständnis aufbringen und alles tun wird, um sie zu schützen. Ein unwiderstehlich morbides happy end.

10/10

X

„You got that X-factor.“

X ~ USA/CAN 2022
Directed By: Ti West

Texas, 1979. Der als Unternehmer in der Horizontalbranche tätige Wayne Gilroy (Martin Henderson) plant, als Produzent im gerade im Aufziehen begriffenen Porno-Videobiz groß herauszukommen und mietet zu diesem Zwecke mit seiner kleinen Amateur-Crew eine Hütte auf einem abgelegenen Farmgrundstück für ein verlängertes Wochenende. Die beiden knarzigen alten Besitzer, beide offenbar schon jenseits der 80, geben sich wenig gehalten angesichts des bald eintreffenden, vorlauten Sextetts. Als man mit der Arbeit beginnt, scheint insbesondere die äußerlich welke Pearl (Mia Goth) seltsam getriggert. Kurz nachdem es zwischen Nachwuchsregisseur RJ (Owen Campbell) und seiner naiven Freundin Lorraine (Jenna Ortega) zum Streit kommt, gibt es den ersten Toten…

Wie eine garstige, nicht ganz zu Unrecht verwaiste „Boogie Nights“-Episode gibt sich Ti Wests erfreulich koketter „X“, der die Befürchtung, Ti West konzentriere sich nunmehr ausschließlich auf beliebige TV-Serienformate, in hübsch frecher Weise zerstreut. Dabei begreift sich „X“ vor allem als Hommage an die in ruralem Ambiente spielenden Horrorfilme und Slasher jener Ära, in der er sich selbst ansiedelt, allen voran offensichtlich die beiden von Tobe Hooper inszenierten „The Texas Chain Saw Massacre“ und „Eaten Alive“, doch auch Epigonen wie Schmoellers „Tourist Trap“ oder Connors „Motel Hell“ lugen mehr oder weniger okkult aus jedem Kamerawinkel hervor. Dabei begnügt sich West trotz mancher sehr offensichtlicher Reprise nicht mit bloßem Revisionismus, sondern es gelingt ihm tatsächlich, durch die Evozierung einer zutiefst sinistren und damit beunruhigenden Gesamtstimmung, den Einsatz von tiefschwarzem Humor und nicht zuletzt die exzellente Make-Up-Arbeit, einen den Klassikern absolut gleichrangige Reminszenz auf die Beine zu stellen. Insbesondere die Parallelisierung der zwei Hauptfiguren Pearl und Maxine, die von der grandiosen Mia Goth in einer Doppelperformance als sich reziprok reflektierende Antagonistinnen interpretiert werden, sorgen für eine schönes, keinesfalls einfältiges oder etwa manieristisches Metaelement, das sich rückblickend als philosophischer Überbau des gesamten Szenarios erweist. Dass Ti West, dessen Retro-Gags zum Glück nur sehr selten übers Ziel hinausschießen, zudem keinerlei ästhetische Kompromisse eingeht und für stets manch derbe Überraschung gut ist, macht „X“ umso sehenswerter.

8/10

TRIANGLE OF SADNESS

„I sell shit!“

Triangle Of Sadness ~ S/F/D/UK/TR/GR/DK/CH/MEX/USA 2022
Directed By: Ruben Östlund

Carl (Harris Dickinson) und Yaya (Charlbi Dean) sind zwei ausgesprochen schöne, junge Menschen, demzufolge Models und auch ein Paar. Durch ihren Status als Influencerin ergattert Yaya für die beiden die Teilnahme an einer Mittelmeerkreuzfahrt auf einer Luxusyacht gemeinsam mit diversen anderen, reichen Menschen. Deren Crew setzt sich zusammen aus einem ständig besoffenen, in marxistischer Literatur vertieften Kapitän (Woody Harrelson), einer zur unbedingten Serviceerfüllung angehaltenen Uniformiertenstaffel unter Leitung der entsprechend gedrillten Chefstewardess Paula (Vicki Berlin) sowie der fast ausschließlich aus Philippinos bestehenden ArbeiterInnenschaft. Nach einem stürmischen Kapitänsdinner, das in einer Orgie aus Kotze, Dünnpfiff und Suff endet, wird das Schiff von Piraten gekapert und versenkt. Acht Überlebende stranden auf einer scheinbar verlassenen Insel: neben Paula, Yaya und Carl sind dies der App-Entwickler Jarmo (Henrik Dorsin), der dekadente Oligarch Dimitry (Zlatko Buric), die nach einem Schlaganfall teilgelähmte Theres (Iris Berben), der Pirat Nelson (Jean-Christophe Folly) und die Putzfrau Abigail (Dolly De Leon). Als einzige in händischer Arbeit erfahrene Person übernimmt in Anbetracht der desolaten Situation rasch Abigail die Führung über die kleine Gruppe und erklärt sich selbst zur Kapitänin. Eine ganz neue Erfahrung für sie.

Wo viel Hype ist, da ist naturgemäß auch immer viel Geraune. Und wie es so ist im Leben, positioniert man sich seiner individuellen Perzeption gemäß mal auf der einen und mal auf der anderen Seite. Im Falle „Triangle Of Sadness“, der seinem Regisseur Ruben Östlund neben diversen anderen Preisen bereits die zweite Palme d’Or eingetragen hat, stellt sich im Hinblick auf Meinungsdiversität rasch die primäre Frage nach „gelungener“ oder auch „treffender“ Satire, ähnlich wie bei der Netflix-Produktion „Don’t Look Up“ im letzten Jahr, deren zumindest ansätzliche Ausprägung der von Östlunds Film nicht unähnlich ist. In einer Zeit, da Menschen wie Elon Musk die globale Aufmerksamkeit bündeln und die Diskussion um das perverse Ungleichgewicht monetärer Mittel immer allgegenwärtiger wird, sind filmgewordene Spottschriften wie diese zunächst einmal eine offensichtliche Erscheinung. Nur: wie subtil und sophisticated haben sie zu sein? Oder darf es auch „in your face“ zugehen, laut, ordinär und vulgär gar? Der Weg, den „Triangle Of Sadness“ wählt, passt. In seiner ein ums andere Mal zutiefst abjekten Vorgehensweise trifft das Script vielleicht nicht jedes Mal punktgenau, meist aber doch sehr zielsicher ins Schwarze. Das buchstäblich aus dem Ruder laufende captain’s dinner auf der Yacht mit seiner anschließenden Kontrastierung aus humaner Komplettentleerung und moralöknomischer Grundsatzdiskussion im Vollrausch zweier Delirprofis empfand ich nicht nur himmelschreiend witzig, sondern darüberhinaus als komödiantischen Höhepunkt, der in einer Reihe steht mit den großen Slapstick- und Screwball-Szenarien von Chaplin über die Marx Brothers bis hin zu Jerry Lewis und vielleicht eines schönen Tages mit diesen in einem Atenzug genannt werden wird. Als gänzliches Juwel besteht „Triangle Of Sadness“ trotz dieser grandiosen Klimaxminuten allerdings nicht; die das Geschehen einfassende Beziehung von Yaya – Charlbi Dean makellos schön, mir zuvor gänzlich unbekannt und entsetzlicherweise schon so jung verstorben – und Carl karikiert zwar ganz hübsch die fahle Ausgehöhltheit solcher, von erschreckend-permanenter Selbstillustration geprägter Insta-Existenzen, taugt als Rahmung jedoch eher bedingt und lässt durchblicken, dass Östlund hier und da selbst nicht so recht wusste, was er da eigentlich genau aufs zu Korn nehmen gedachte. Ähnliches gilt für das natürlich mit Golding und Orwell kokettierendem Inselkapitel, das wohl die Frage nach Machtumverteilung, sowie deren adäquatem Ge- bzw. Missbrauch ausloten soll. Hier versagt sich der Film leider jene Geschlossenheit und Konsequenz, derer er als veritables Meisterwerk unerlässlich bedurft hätte. So bleiben exquisite Glanzlichter neben manchem Fragezeichen, wobei erstere ihre Dominanz in der Rückschau glücklicherweise stante pede verteidigen.

8/10

GLASS ONION: A KNIVES OUT MYSTERY

„I’ve learned through bitter experience that an anonymous invitation is not to be trifled with.“

Glass Onion: A Knives Out Mystery ~ USA 2022
Directed By: Rian Johnson

Gemeinsam mit einigen anderen mehr oder weniger wertigen Gästen findet sich der weltbeste Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) auf der sonnenverwöhnten, privaten Ägäis-Insel des exzentrischen Multimilliardärs Miles Bron (Edward Norton) wieder. Dieser hat seinen erlesenen Freundeszirkel für ein Exklusivwochenende in seinen luxuriösen Wohnkomplex „Glass Onion“ eingeladen, um dort ein gleichfalls partyseliges wie kriminalistisch herausforderndes Wochenende zu verbringen, mit ihm selbst als Mordopfer und der sich daraus ergebenden Frage um den Täter und dessen Motiv. Da mit Ausnahme des Detektivs alle Anwesenden gleichermaßen in einem perfiden Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem „Freund“ und Gastgeber stehen, kommt jeder in Frage, doch Blanc, der, wie sich bald herausstellt, mitnichten auf Brons Wunsch hin vor Ort ist, torpediert dessen Spiel kurzum und nonchalant. Bald jedoch gibt es eine wirkliche Leiche…

Benoit Blancs wiederum von Rian Johnson geschriebenes und inszeniertes zweites Filmabenteuer wird aktuell direkt von bzw. via Netflix lanciert, was eigentlich auch ganz gut passt zu dem sich bereits jetzt als strukturgewohnt abzeichnendem Kriminal-Serial. Seine satireaffine Poirot-Liebe bringt Johnson abermals in Höchstmaßen zu Geltung; wer die Kinostücke um Peter Ustinov kennt, weiß grob umrissen bereits, was Daniel Craig alias Benoit Blanc zu bieten hat: mondäne Schauplätze, luxuriöses Ambiente, spektakuläre Architektur und Interieurs. Dazu ein zumindest halbwegs prominent besetztes Ensemble, das genussvoll eine Schar grober, von Egozentrik, Gier und Arroganz zerfressener Unsympathen darbietet, an deren Spitze – natürlich – das (in diesem Fall eigentlich nur potenzielle) Mordopfer steht. Als recht witzig entpuppen sich die diersen Seitenhiebe in Richtung der Covid-Pandemie und des zeitweiligen Umgangs mit ihr, die darüberhinaus zahllos okkurierenden Popkultur- (und Selbst-)referenzen zu entdecken, überlässt Johnson findigen Zuschauern noch als zusätzliches Bonmot. Wesentlich mehr jedoch bleibt sich über den allseitig professionell (und demzufolge gediegen überrschungsfrei) gehandhabten „Glass Onion“, der seinen etwas unsinnigen Untertitel wohl ausschließlich zur Steigerung des Wiedererkennungseffekts trägt, kaum zu sagen. Das Beziehungsgeflecht der illustren Beteiligtenschar nimmt sich ebenso vordergründig kompliziert wie obsolet aus und dient allein dem Alibi der großzügigen Erzählzeit. Es hagelt MacGuffins in Hülle und Fülle, sowohl in Objektform, als auch in narrativen Finten. Spaß macht „Glass Onion“ nichtsdestotrotz schon, zumal er in kommenden Jahren vielleicht als endgültige Initiation einer Art internationaler „Traumschiff“-Variante für die Festtagssaison gelten mag. Einen Blanc alle zwei, drei Jahre zu Weihnachten, hell, schick und ein kleines bisschen hohl, fände ich durchaus erträglich. Den als einziges Ingredienz völlig aus dem Rahmen fallenden, schlurrigen Kifferhippie Derol (Noah Segan), der erfreulicherweise gar keine Funktion besitzt (außer vielleicht die, findigen Freizeitdetektiven frustrierte Fragezeichen zu entlocken), sollte man allerdings als künftigen running gag gern beibehalten.

7/10

BONES AND ALL

„Maybe love will set you free.“

Bones And All ~ USA/I 2022
Drected By: Luca Guadagnino

Virginia, um die Mitte der achtziger Jahre. Die Teenagerin Maren (Taylor Russell) lebt mit ihrem Vater (André Holland), der versucht, sie weitestgehend von Gleichaltrigen und der Gesellschaft überhaupt abzuschirmen, in einem kargen Bungalow. Als sich Maren eines Abends zu einer Freundin (Kendle Coffey) schleicht, um an einer Pyjama-Party teilzunehmen, kommt es zu einem befremdlichen Ereignis: Maren beißt einem der Mädchen selbstvergessen in den Finger und isst das Fleisch. Kurz darauf ist ihr Vater, dem Maren das Ganze zuvor beichtet, verschwunden. Außer ihrer Geburtsurkunde, ein wenig Bargeld und einer Cassette mit ausführlichen Erläuterungen ihres Dads darauf hinterlässt er ihr nichts. Maren beginnt eine lange Reise Richtung Minnesota, wo ihre ihr unbekannte Mutter Janelle (Chloë Sevigny) leben soll. Durch das Tape und die Begegnung mit einem kauzigen alten Drifter namens Sully (Mark Rylance) erfährt Maren, wer und was sie ist: Sie gehört zu einer genetisch mutierten Gemeinschaft kannibalistisch lebender Außenseiter, den sich selbst so nennenden „Eaters“, die von Zeit zu Zeit der unbändige Drang überkommt, Menschenfleisch zu verzehren und deren Phänotyp sich von Generation zu Generation weitervererbt. Als Maren während der Eiterfahrt auf den etwa gleichaltrigen Eater Lee (Timothée Chalamet) trifft, bahnt sich zwischen den beiden eine Romanze an, die Maren nach einem verstörenden Treffen mit ihrer psychiatrisch institutionalisierten Mutter jedoch wieder abbricht. Schließlich begreift sie, dass sie und Lee sich brauchen und kehrt zu ihm zurück. Gemeinsam beschließt man, sich eine konventionelle Existenz aufzubauen, doch das Schicksal meint es anders…

Mit „Bones And All“, der Adaption eines romantischen Jugend-Horrorromans von Camille DeAngelis, legt Luca Guadagnino ein elegisches, ebenso behutsam wie gemächlich erzähltes Road Movie vor, das den traditionellerweise eher garstig konnotierten Genretopos Kannibalismus (die Eaters könnten eine Art Nachfahren des mythologischen „Wendigo“-Dämons sein) auch für ein wohlfeil abgestecktes Arthouse-Publikum goutierbar werden lässt. Diese zugegebenermaßen etwas brüske Einordnung ist dabei keineswegs abschätzig gemeint, sondern soll vielmehr unterstreichen, in welche Richtung sich das Horrorkino in den letzten Jahren entwickelt. Filme wie „dieser“Bones And All“ beweisen eindrucksvoll, dass die Gattung sich eine Form der Anerkennung und Mündigkeit erobert hat, die vor einem Vierteljahrhundert in dieser Ausprägung noch undenkbar gewesen wäre; raus aus dem schummrigen Dämmerlicht des stets als etwas schmuddelig verrufenen Effektevents für verschwitzte Convention-Besucher hin zum respektierten Gesellschaftsdiskurs mit Blut und Eingeweiden. Wie James Grays just von mir genossene, überaus wesensverwandte Coming-of-Age-Bestandsaufnahme „Armageddon Time“ blickt auch „Bones And All“ zurück auf die den nordamerikanischen Kontinent ergreifende Verzweiflung der aufziehenden respektive bereits aufgezogenen Ära Reagan und reflektiert anhand dieser die nicht minder akute, zeitgenössischere Ratlosigkeit Trump-Jahre. Die in Anbetracht des sie nachhaltig verunsichernden Realitätsabgleichs in Abgründe starrende Maren und der jüngere New Yorker Paul Graff haben mancherlei gemein: Als Außenseiter einer zunehmend reaktionärer und repressiver agierenden Gesellschaft sehen sie sich, an biographischen Wegscheiden stehend, mit basalen Existenzfragen konfrontiert: Wie viel von mir darf ich überhaupt noch ausleben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Wie viel unbequeme Individualität ist gestattet in einer Welt aus Angst und Hass? Der Kannibalismus als ultimatives Sozialtabu lässt sich da leicht als übergeordnetes Bild interpretieren für alles Mögliche, was der Konservativismus an Zielscheiben ausersieht; seien es Ressentiments gegen bestimmte Ethnien, sexuelle Orientierungen oder andere vermeintliche Unangepasstheiten. Das durchaus konsequente Ende erschien mir dann wie ein versöhnlich umgedeuteter Brückenschlag zu Eckhart Schmidts exakt vierzig Jahre älterem „Der Fan“ (mit dem eine gemeinsame Betrachtung vielleicht ohnehin gar nicht uninteressant wäre): Die komplette Einverleibung des Geliebten als ultimativer Treuebeweis.

9/10

THE UNBEARABLE WEIGHT OF MASSIVE TALENT

„Nick… . FUCKIIIIIIIIING Cage!“

The Unbearable Weight Of Massive Talent (Massive Talent) ~ USA 2022
Directed By: Tom Gormican

Um seiner geflissentlich darbenden Karriere und dem damit einhergehend darbenden Bankkonto zu begegnen, nimmt Hollywood-Schauspieler Nicolas Cage (Nicolas Cage) leicht widerwillig ein außergewöhnliches Engagement an: Er soll gegen eine Million Dollar als prominenter Geburtstagsgast des auf Mallorca lebenden Unternehmenschefs Javi Gutierrez (Pedro Pascal) erscheinen. Javi, ein glühender Verehrer von Cage und seinem Gesamtwerk, der jenen außerdem gern als Hauptdarsteller für sein erstes, eigenes Drehbuch gewönne, lockt den zunächst distanzierten Star mit Drinks und anderen Lustigmachern, woraufhin sich rasch tatsächliche Sympathien zwischen den beiden Männern entwickeln. Doch die putzige Harmonie trübt alsbald ein: Die CIA hat Javi im Visier als Kidnapper der Tochter (Katrin Vankova) des katalinischen Präsidenten und setzt ausgerechnet den überrannten Cage als Maulwurf gegen seinen Gastgeber ein. Tatsächlich jedoch ist ohne dessen Wissen Javis Cousin, der Mafioso Lucas (Paco Léon) für die Entführung verantwortlich. Dies rettet zwar die Freundschaft der beiden männer, macht ihre Gesamtsituation jedoch nicht weniger lebensgefährlich…

Dass Hollywood-Schaffende sich immer wieder selbst spielen, bildet zwar keine Seltenheit; dass sie sich höchstselbst als Protagonisten eines fiktiven Abenteuers um ihre eigene Person zur Verfügung stellen, darf man jedoch nach wie vor als kleine Rarität erachten. Vor diesem Hintergrund stellen sich dann auch mehr oder weniger unweigerliche Assoziationen zu einer anderen, noch sehr viel grotesker aufgezogenen Selbstdemontage eines amerikanischen Weltstars ein, nämlich zu Spike Jonzes „Being John Malkovich“. Gegen den Wahnwitz von Jonzes und Charlie Kaufmans wahnwitziger Dramödie, die einst Malkovich himself zum Endgefäß für einen bizarren, mentalen Geburtskanal modelte, kommt „The Unbearable Lightness Of Massive Talent“ zwar nicht an, findet aber dennoch hübsche Wege, das Buddy-Duo Cage und Pascal vor der lichtdurchfluteten, mallorquinischen Kulisse in ein paar lustige, später auch actionreiche Episoden zu verstricken. Dabei gibt der Leinwand-Cage, ebenso wie damals der Leinwand-Malkovich freilich, eine Alternativversion seines tatsächlichen Selbst; so werden ihm etwa eine fiktive Ex-Frau (Sharon Horgan) und Teenagertochter (Lily Mo Sheen) herbeigedichtet, die er durch seine arrogante Selbstherrlichkeit verprellt.
Im weiteren Hergang outet sich der Film schließlich als ähnlich versiert in punkto Cage-Facts wie seine zweite Hauptfigur Javi Gutierrez; es kommt erwartungsgemäß zu diversen title drops und Reminiszenzen an frühere Beiträge aus dem umfangreichen Œuvre des Darstellers, der unterdessen allenthalben von seinem eigenen, jüngeren alter ego aus der Ära „Wild At Heart“ heimgesucht und traktiert wird. Das nimmt sich alles recht amüsant und tragfähig aus, verzichtet jedoch nicht auf die eine oder andere Redundanz. Am komischsten empfand ich dabei dabei jene Szenen, in denen Cage, intoxiniert durch diverse Rauschmittel von Alkohol bis Acid (einmal sogar durch ein hochpotentes Spionage-Sedativ), torkelnd oder sonstwie diffus durch die mediterrane Gegend laviert. Nicht, dass der Film unter späterem Verzicht auf derlei Sperenzchen gegen Ende hin geerdeter würde; es bleibt angenehm bescheuert. Trotzdem – auf den ganz großen Anarcho-Irrsinn, die totale Cage-Kirmes gewissermaßen, wird wohlweislich verzichtet. Schade.

7/10

SAVAGE SALVATION

„Welcome to the family, Shelby John.“

Savage Salvation (Pfad der Vergeltung) ~ USA 2022
Directed By: Randall Emmett

Kriegsveteran Shelby John (Jack Huston) und seine Freundin Ruby Red (Willa Fitzgerald) sind Heroinjunkies. Ihren Stoff beziehen sie von dem rücksichtslosen Straßendealer Elvis (Swen Temmel), der recht ungehalten reagiert, als das Paar durchblicken lässt, nach einem kalten Entzug clean geworden zu sein und auf den Pfad der Tugend zurückkehren zu wollen. Shelby hat Ruby mittlerweile sogar einen Heiratsantrag gemacht und sie möchte sich darüberhinaus zur Feier der Entwöhnung baptistisch taufen lassen. Doch dazu kommt es nicht mehr; Elvis bringt Ruby auf dumme Gedanken, woraufhin diese sich den goldenen Schuss setzt. Für den wutschäumenden Shelby – ganz zum Unwillen von Sheriff Church (Robert De Niro) – Grund genug, seine kombattanten Fertigkeiten zu reaktivieren und sich mit deren Einsatz bis zum unerwarteten Kopf der hiesigen Drogenmafia vorzuarbeiten…

Als wahres Cringefest entpuppte sich dieser offenbar von der Baptistenkirche gesponsorte, erzreaktionäre Film aus dem Bodensatz einer spezifischen medialen Trübnis, in der ich künftig erst gar nicht weiter stochern möchte. Natürlich lockten die Namen De Niro und Malkovich, bis vor rund zwei Dekaden zwei der zuverlässigsten und besten Schauspieler im anglophonen Raum, von denen man nie und nimmer gedacht hätte, dass sie ihr Brot dereinst so sauer würden verdienen müssen. Es dürfte ihnen, wie ja offenbar recht vielen betagteren Darstellern, die ihr Altersauskommen in käsigem Genreschmodder für den DTV-Markt gefunden haben, mittlerweile recht mies gehen, um ihre Kunst für Müll wie „Savage Salvation“ korrumpieren lassen zu müssen. Der Regisseur Randall Emmett entpuppt sich nach kurzer Recherche als bedauernswerter Produzent zahlloser Bruce-Willis-Vehikel, den der dem Vernehmen nach recht lädierte Akteur einzig und allein durch Mini-Auftritte seinen Stempel aufdrückte und die recht unansehnlich sein sollen. Für seine zweite eigene Inszenierung standen Emmett dann zumindest drei renommierte Namen zur Verfügung, doch was helfen die im Angesicht einer dezidiert biblisch-konservativ konnotierten Rachegeschichte, die letztlich nur für regelmäßige Kirchgänger und Sonntagsspaziergänger genießbar sein kann?
„Savage Salvation“ bedient ausnahmslos jedes zur Verfügung stehende dulle figurale Klischee; der PTBS-versehrte Veteran und seine schöne Maid ziehen sich gegenseitig am Schopf aus dem Sumpf der Drogenhölle, nur um dann doch wieder zu Opfern der unnachgiebigen Pusher zu werden, jene natürlich vornehmlich unkaukasischer Ethnie zugehörig. Dem trauernden Verlustierer bleibt nurmehr blutige Vigilanz, irgendwann sogar mit dem zähneknirschenden Segen des treusorgenden Sheriffs, der den eigenen Sohnemann einst ebenfalls ans Rauschgift verlor. Am auch noch die allerletzten Sympathien kapernden Ende lässt sich dann auch Shelby John nach getanem Werk kopfüber in den Fluss tunken – ein Schäfchen mehr für Gottes wackre, weiße amerikanische Reihen. Dass dabei selbst die versprenkelt eingestreuten Actionszenen lahm und unbeholfen daherkommen – geschenkt. Ernsthaft: schon lange nicht mehr so im Strahl gekotzt.

2/10

ARMAGEDDON TIME

„I want you to be better than me.“

Armageddon Time (Zeiten des Umbruchs) ~ USA/BRA 2022
Directed By: James Gray

Queens, New York im Herbst 1980. Der Teenager Paul Graff (Banks Repeta) ist ein Träumer, ganz zum Unwohlsein seiner Familie, die den mit Vorliebe Superhelden zeichnenden Jungen als „etwas langsam“ etikettiert. Einzig Pauls Großvater Aaron (Anthony Hopkins), der noch höchstselbst den sich sukzessiv steigernden Antisemitismus in der Alten Welt miterlebt hat, gelingt es, zu dem eigensinnigen Paul durchzudringen und ihm die eine oder andere Lebensweisheit mit auf den Weg zu geben. Die Zeiten sind demzufolge nicht einfach für Paul. Die Freundschaft zu seinem noch wesentlich ausgegrenzteren, afroamerikanischen Klassenkameraden Johnny (Jaylin Webb), der dem ihm unentwegt entgegenbrandenden Rassismus mit offener Rebellion begegnet, sorgt für mancherlei Ärger und führt schließlich dazu, dass Paul dieselbe elitäre Privatschule besuchen muss wie sein Bruder Ted (Ryan Sell), eine Brutstätte für weiße Oberklassenrepublikaner, die den just zum 40. US-Präsidenten gewählten Ronald Reagan als neuen Heilsbringer erachten. Dennoch bricht Pauls Freundschaft zu Johnny nicht wirklich ab; der verzweifelte Versuch, aus ihrer beider Trostlosigkeit auszubrechen, scheitert jedoch.

James Grays Filme sind, beginnend mit seinem 1994er Debüt „Little Odessa“, allesamt wunderbar und folgen einem ungebrochen gepflegten Autorenethos, der seiner zumindest in thematischer Hinsicht durchaus heterogenen Arbeit noch keinen Qualitätseinbruch beschert hat. Auch in seiner achten Langfilmregie kultiviert Gray, New-York-Chronist und ausgewiesener Melancholiker, aufs Neue seinen für ihn längst typischen, oftmals schwermütig anmutenden Hang zur Langsamkeit, die ihre Dramatik aus unspektakulär anmutenden Alltagsgeschehnissen bezieht. Jene halten für einen Jungen an der Schwelle zur Pubertät eine Vielzahl biographischer Zäsuren bereit. Gray bemüht dazu vor herbstlichen Sepiabildern diverse autobiographische Details und Anekdoten, die „Armageddon Time“ zu einem seiner bislang persönlichsten Filme machen. Viel passiert in diesem New Yorker November 1980: Paul registriert zunächst hilflos, dass er seinen Eltern (Anne Hathaway, Jeremy Strong) de facto mehr Kummer als Stolz bereitet – sein Freund Johnny bringt ihn parallel dazu pausenlos auf dumme Gedanken. Renitentes Verhalten gegenüber dem überforderten Klassenlehrer (Andrew Polk), eine Tour auf eigene Faust durch Manhattan, schließlich ein Joint auf dem Schulklo. Genug, um den Vater zur Verabreichung einer gehörigen Tracht Prügel zu veranlassen, den Besuch der öffentlichen Bildungsanstalt dringlichst abzuwürgen und Paul stattdessen auf die „Forest Manor“ zu schicken, eine von Fred C. Trump (John Diehl) beschirmherrte Privatschule mit entsprechender Klientel. Sowohl Trump (Donalds Vater) als auch seine Tochter Maryanne (Jessica Chastain) lassen es sich nicht nehmen, die Schülerschaft allenthalben durch ideologisch verbrämte Ansprachen „auf Kurs“ zu bringen, analog zu Reagans sich abzeichnendem Wahlsieg. Ethnische Minderheiten gelten an der Forest Manor wenig bis nichts; Paul fühlt sich unwohl, verspürt zugleich aber dennoch die Notwendigkeit, dazu gehören zu müssen. Als sein geliebter Großvater Aaron an Konchenkrebs stirbt, erschüttert dies die gesamte Familie derart bis in die Grundfesten, als sei ihr Rückgrat gebrochen. Doch aus der geplanten Flucht nach vorn, einem Ausriss mit Johnny Richtung Florida, wird nichts. Paul verliert den Freund und muss sich den Unebenheiten und Ungerechtigkeiten des Erwachsenwerdends fügen.
Seinen Titel verdankt „Armageddon Time“ zweierlei: zum einen dem inflationären Gebrauch des Terminus durch Reagan, der seinerzeit mit den dräuenden Ängsten vorm atomaren Weltende jonglierte wie ein Schimpanse mit Bananen, zum anderen der B-Seite der Clash-Single „London Calling“, einer wunderbar dub-infizierten Coverversion des Willie-Williams-Songs „Armagideon Time“. Entsprechend leitmotivisch verfolgt der Track Paul und den Film vom Anfang bis zum Ende.

8/10

BLACK PANTHER: WAKANDA FOREVER

„Only the most broken people can be great leaders.“

Black Panther: Wakanda Forever ~ USA 2022
Directed By: Ryan Coogler

Ein Jahr nach dem (natürlichen) Tod von König T’Challa führt dessen Mutter Ramonda (Angela Bassett) die monarchischen Regierungsgeschäfte von Wakanda. Das internationale Interesse an dessen exklusiver Ressource, dem Metall Vibranium, lässt derweil nicht nach. Just als die Dora-Milaje-Kriegerin Okoye (Danai Gurira) wieder ein paar umtriebige Spione hochnimmt, entdecken die Amerikaner im Atlantik eine unterseeische Vibranium-Quelle. Die maritime Expedition wird jedoch von unbekannten Wesen komplett aufgerieben. Als Urheber jener Aktion erweist sich Namor (Tenoch Huerta), Oberhaupt der mehrere Jahrhunderte alten, submarinen Zivilisation Talokan, die um jeden Preis unentdeckt bleiben soll. Namor zwingt Ramonda und T’Challas Schwester Shuri (Letitia Wright), ihm die Erfinderin des neuartigen Vibranium-Sensors zu bringen und auszuliefern, eine brillante amerikanische Studentin namens Riri Williams (Dominique Thorne), die nebenbei noch eine neue Iron-Man-Rüstung entwickelt hat. Nachdem Shuri und Okoye sie aufspüren können, gelangen Riri und Shuri in Namors Gewalt, können jedoch von T’Challas vormaliger Geliebter Nakia (Lupia Nyong’o) begreit werden, woraufhin ein Krieg zwischen Wakanda und Talocan entbrennt, der erst beendet werden kann, als Shuri als neuer Black Panther Namor im Duell in die Knie zwingt.

Prinz Namor oder auch der Submariner zählt zu den ältesten Marvel-Figuren. Vor nunmehr ganzen 83 Jahren debütierte er bei Timely Comics als elementarer Gegenpol zum feurigen Androiden Jim Hammond, der ersten „Human Torch“. Während Namor zunächst eher schurkische Züge innehatte – er pflegte einen unbezähmbaren Hass auf die Oberflächenbewohner und drohte unter anderem, Manhattan zu ertränken, zog er gemeinsam mit Hammond und Captain America Steve Rogers im Zuge jugendgerechter Kriegspropaganda gegen die Achsenmächte ins Feld. Mit Ausnahme ein paar spärlicher Auftritte wurde es dann ruhig um den Submariner, bevor er in den frühen Sechzigern Teil von Stan Lees großangelegtem Marvel-Launch wurde und in der Reihe „Fantastic Four“ (in der ja auch T’Challa debütierte) zu einem eminenten Charakter jenes Comic-Universums avancierte. Wiederum blieben Namors Motive wechselhaft und undurchschaubar; mal trieben ihn seine latenten Eroberungsgelüste in den Kampf gegen die anderen Superhelden, mal unterstützte er sie im Kampf gegen noch mächtigere Bedrohungen. Zeitweilig war er sogar ein Avenger. Dass Namor erst so spät Teil des MCU wurde, lässt sich wohl mit dem sich für ein diesbezüglich unbeflissenes Kinopublikum ohnehin bereits gewaltig ausnehmendem Überschwang an Haupt- und Nebenfiguren erklären. Zudem bleiben hinsichtlich seiner späten Einführung einige logi(sti)sche Fransen, so etwa die Fragen, warum er sich nicht bereits in den Konflikt gegen Thanos involvierte, der ja doch eine ungleich größere Bedrohung darstellte als die Vibranium-Gier der verhassten „surface dwellers“.
Nun denn, Namor ist also here to stay und mit ihm gleich noch eine gehörigst umgedichtete origin, die ihn als mutierten Maya-Abkömmling ausweist und zugleich seine mittelamerikanisch anmutende Physiognomie erklärt. Den albernen Nasenschmuck hätte man allerdings auch weglassen dürfen. Gewiss dient „Black Panter: Wakanda Forever“ demzufolge primär zu Namors Initiation – als Requiem auf Chadwick Boseman und Black Panther funktioniert der Film trotz gegenseitiger Beteuerungen seitens Kevin Feige und Konsorten eher bedingt. Auf der ästhetischen Ebene hat Cooglers Sequel indes Reichliches und Kostspieliges zu bieten; insbesondere Shuris Reise nach und durch Talokan gestaltet sich als ein visuelles, psychedelisch betuchtes Fest; die zwei Haupt-Actionsequenzen, in denen Wakandaner und Talokaner aufeinanderprallen und sich bekriegen, erweisen sich als gewohnt rasant und kinetisch inszeniert. Zudem tauchen die meisten Nebenfiguren aus „Black Panther“ abermals auf und das, auch eine Leistung, ohne den bloßen Wiedererkennungseffekt zu bedienen.
Insgesamt ein erfreulicher MCU-Beitrag, der es mit dem Erstling nicht ganz aufnehmen kann, für meinereiner aber immer noch hinreichend Glücksmomente bereithält.

7/10