LA TRAQUE

„Help!“

La Traque ~ F/I 1975
Directed By: Serge Leroy

Die an der Uni von Caen tätige Engländerin Helen Wells (Mimsy Farmer) plant, sich für ein paar Herbsttage auf ein entlegenes Grundstück in der Normandie zurückzuziehen. Ihre Ankunft vor Ort fällt auf ein Treibjagdwochenende, zu dem der wohlhabende Pächter Sutter (Michael Lonsdale) eingeladen hat. Zu dessen ausschließlich männlichen Gästen zählen auch die rüpelhaften Danville-Brüder Albert (Jean-Pierre Marielle) und Paul (Philippe Léotard), die sogleich ein Auge auf Helen werfen. Als sie ihnen bei einem Spaziergang im Wald begegnet, vergewaltigt Paul die junge Frau mithilfe Alberts. Eine kurz darauf stattfindende, weitere Begegnung mit der angsterfüllten Helen endet für Paul mit einer Gewehrkugel im Bauch. Stillschweigend und unausgesprochen beschließt der Jagdtross, einen Skandal zu vermeiden. Das bedeutet, dass Helen verschwinden muss…

Im neowoken Zeitalter von #MeToo kommt die Wiederentdeckung von Serge Leroys „La Traque“ gewissermaßen der Hebung eines kleinen, vergessenen Schatzes galliger filmischer Gesellschaftskritik gleich. Fast gänzlich ohne die explotativen Elemente zeitgenössischer, wütend-berüchtiger Rape-&-Revenge-Filme wie Cravens „The Last House On The Left“, Lados quasi-analogem „L’Ultimo Treno Della Notte“, Collinsons „Open Season“ oder Zarchis „I Spit On Your Grave“ auskommend, gleicht Leroys Drama eher einer bitterbösen Sozialstudie inmitten ähnlich konnotierter Arbeiten von Chabrol oder Buñuel, dabei jedoch ohne den Einsatz stilistischer Extravaganzen oder gar Surrealismen. Vielmehr erzählt Leroy so straight, irden und schmucklos wie irgend möglich vom heimlichen Überleben ruraler Feudalismusstrukturen in der französischen Provinz, die, geprägt von einem gleichermaßen ständisch wie maskulin geprägtem Selbstverständis, bis in die Gegenwart reichen und ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Die Jagdgesellschaft besteht ausschließlich aus wohlhabenden Männern mittleren Alters, deren heimlicher Kopf mit David Sutter zugleich der Reichste und gesellschaftlich Höchststehende von ihnen ist. Doch auch der Rest der Gruppe hat ihre wohlfeil zugewiesenen Plätze – Mansart (Jean-Luc Bideau), aufstrebender Lokalpolitiker, ist einerseits von der Gunst Sutters abhängig, setzt ihm auf der anderen Seite jedoch Hörner mit dessen Frau Françoise (Françoise Brion) auf; der alternde Rollin (Paul Crauchet) sucht als trockener Alkoholiker, der einst eine schwere, ungesühnte Bürde auf sich geladen hat, sein Heil im Katholizismus; für Kriegsveteran Nimier (Michel Constantin) gehen Ehrenkodex und Gruppenzusammenhalt über alles; der nervöse, unbeholfene Chamond (Michel Robin) gilt dem Rest eher als Spottzielscheibe. Aufseher Maurois (Gérard Darrieu) gibt ganz den untertänigen Knecht. Die Danvilles schließlich, ihres Zeichens Altmetallhändler, wissen um jeden Dreck, den die Übrigen am Stecken haben und vervollständigen als laut krakeelende Proletarier das durchweg unsympathische Kränzchen. Wie ein unangepasster Fremdkörper platzt die zierliche Britin Helen in diesen festgefahrenen Mannesfilz, wird gnadenlos missbraucht, gejagt und ausgespien. Dass weder Moral noch irgendeine andere Form von Gerechtigkeit soweit ab von der Zivilisiertheit der Großstadt einen Platz haben kann oder gar darf, wird auch im Gefüge des vom Script sorgfältig aufgebauten Personengefüges rasch offenbar – der als Opfer eines übermächtigen Mikrokosmos designierten Helen Wells werden weder Gnade, noch Flucht oder gar Gegenwehr zuteil.

8/10

TITUS

„Rome is but a wilderness of tigers.“

Titus ~ UK/I/USA 1999
Directed By: Julie Taymor

Der Feldherr Titus Andronicus (Anthony Hopkins) kehrt siegreich nach Rom zurück, die gefangene Gotenkönigin Tamora (Jessica Lange), ihre Söhne und ihren heimlichen Galan Aaron (Harry Lennix), Tamoras Liebhaber, im triumphalen Schlepptau. Den Gebräuchen gemäß lässt Titus Tamoras Ältesten Alarbus (Raz Degan) im Gegenzug für den Verlust vieler seiner eigenen, auf dem Schlechtfeld gefallenen Söhne opfern und beschwört damit den grenzenlosen Zorn Tamoras herauf. Dadurch, dass Titus selbst auf den just freigewordenen Thron des Kaisers verzichtet und für dessen Sohn Saturninus (Alan Cumming) wirbt, beeinflusst er zugleich nachhaltig sein eigenes Schicksal: Saturninus ehelicht Tamora, die mithilfe Aarons und ihrer anderen zwei Söhne Demetrius (Matthew Rhys) und Chiron (Jonathan Rhys Meyers) Titus das meiste von alldem nimmt, was ihm lieb und teuer ist. Schließlich ist es an Titus und den Seinen, sich grausam für die erlittene Schmach zu rächen.

Die Shakespeare-Expertin Julie Taymor inszenierte dieses als besonders blutrünstig geltende Stück des Meisters als ihre erste reguläre Spielfilmarbeit (ihr eigentliche Debüt „The Lion King“ bildete zwei Jahre zuvor eine abgefilmte Bühnenadaption des gleichnamigen Stoffs). Während „Titus Andronicus“ zeitgenössisch erfolgreich gespielt wurde, wandte das Theater sich in den folgenden Jahrhunderten von ihm ab – allzu geschmacklos erschienen die befleißigten Topoi und Motive, die Shakespeare hier in farbigster Exploitation auszuformulieren pflegte.
Taymor indes kombinierte kurz vor der Millenienwende Bühne und Film in durchaus aufregender Weise – an „Originalschauplätzen“ entstanden, wählte sie für das Setting eine alternierende Phantasierealität, die sich als eine Art Kaleidoskop aus spätem Römischen Reich, der Mussolini-Ära und einer verqueren, postapokalyptischen Ästhetik präsentiert, die Originaldialoge stets akribisch berücksichtigend. Aus der entsprechenden Gemengelage resultiert zugleich ein tiefschwarzer Humor, der sich immer wieder Bahn bricht und die Artifizialität seiner Wurzeln lustvoll prononciert. Schließlich werden selbst aktuelle popkulturelle Referenzen eklatant, wenn Anthony Hopkins als seine Rache vollendender Titus Andronicus im Finale eine eindeutige Brücke zu seiner Lebensrolle des Hannibal Lecter schlägt. Indes bildet der erzählerische Rahmen bei Taymor, die ihren „Titus“ primär aus der Perspektive von dessen Enkelsohn Lucius (Osgeen Jones) schildern lässt, ein versöhnliches Element, das das düstere Originalstück seinem Publikum stets vorenthielt: Während darin auch das in Unehre geborene Bastardkind von Tamora und Aaron sterben muss, offeriert im der Film eine mögliche, bessere Zukunft, indem es von Lucius dem Sonnenaufgang eines neuen Tages entgegengetragen wird – hier, im Zuge dieses hoffnungsvollen Schlussbildes, darf die friedvolle Zukunftsvision unverdorbener Jugend über den Defätismus von Usurpation und Faschismus obsiegen.

8/10

THE MASTER OF BALLANTRAE

„We need money! It’s blood for our veins! It’s air for the lungs of us!“

The Master Of Ballantrae (Der Freibeuter) ~ USA 1953
Directed By: William Keighley

Schottland, 1745. Im Zuge des Jakobitenaufstands gegen den englischen König Georg II schließt sich der adlige Haudegen und Lebemann Jamie Durie (Errol Flynn) den Dissidenten an. Nach der Niederschlag der Rebellion bei der Schlacht von Culloden müssen Jamie und ein neugewonnener Freund, der Ire Francis Burke (Roger Livesey), vor den Rotröcken der Krone fliehen. Eine eifersüchtige Geliebte (Yvonne Furneaux) Jamies verrät die beiden jedoch und Jamie kommt beinahe zu Tode, im Fehlglauben, sein jüngerer Bruder Henry (Anthony Steel) wäre der Denunziant. Jamie und Francis gelingt die Seeflucht über den Atlantik, wo sie sich nahe der Karibik der Besatzung des Freibeuters Arnaud (Jacques Berthier) anschließen. Im Hafen von Tortuga erleichtert man gemeinsam den feisten Piratenkapitän Mendoza (Charles Goldner) um dessen stolze Galeone, doch Arnaud treibt ein doppeltes Spiel mit seinen neuen Gefährten. Es gelingt Jamie und Francis, Arnaud den Garaus zu machen und, nunmehr um reiche Beute beschwert, inkognito zurück nach Schottland zu reisen. Dort will Jamie mit seinem Bruder abrechnen und platzt vor Ort just in die Verlobungsfeier Henrys mit Jamies geliebter Cousine Lady Alison (Beartrice Campbell)…

Das Ende einer Ära: Der lose auf der gleichnamigen Abenteuergeschichte von Robert Louis Stevenson basierende „The Master Of Ballantrae“ ist zugleich der letzte Film von Flynns Hausregisseur William Keighley wie auch der letzte Film Flynns für Warner Bros., mit dem er aus einem über 18 Jahre währenden Exklusivkontrakt entlassen wurde. Der schöne Australier litt zu dieser Zeit bereits an einer ihn auch physisch zeichnenden Hepatitis und hatte allerlei Mühe, den von ihm wie eh und je geforderten Swashbuckler-Aktivposten zu bestreiten. So werden denn die meisten seiner Fechtduelle, Rennritte und Turnereien durch die Schiffswanten offensichtlich von Stuntmen übernommen, derweil ihm selbst immerhin noch die mit hochgezogenen Augenbrauen bestrittenenen Wortgefecht-Close-ups zwischen Liebeswohl und -wehe blieben. Roger Livesey als hero’s best buddy sorgt für die humorigen Dreingaben und ansonsten sind es erwartungsgemäß vor allem die in der Karibik spielenden Piratenszenen, die das zeitgenössische Technicolor voll zu Geltung bringen. Mit der ganz großen Flamboyanz von Flynns unsterblichen Abenteuerklassikern aus den dreißiger Jahren kann „The Master Of Ballantrae“ demzufolge nicht abstrichlos mithalten, dazu wirkt er dann doch allzu routiniert und im Angesicht der heraufdämmernden Scope- und VistaVision-Epen der kommenden Jahre auch allzu kleinmütig. Trotzdem bürgen auch in diesem Falle allein die aufgebotenen Namen noch für unabdingbare Qualität.

7/10

POINT BLANK

„You done everything you could for him.“

Point Blank ~ USA 1998
Directed By: Matt Earl Beesley

Um sich der drohenden Todesstrafe zu entziehen, arrangiert eine Gruppe Schwerverbrecher unter der Leitung des Waffenhändlers Howard (Paul Ben-Victor) eine groß angelegten Flucht aus einem Hochsicherheitsbus mitsamt anschließender Geiselnahme eines Einkaufszentrums in Fort Worth. Auch Joe (Kevin Gage), der jüngere Bruder des mittlerweile auf der Farm seines Das (James Gammon) arbeitenden, ehemaligen Soldaten und Texas Rangers Rudy Ray (Mickey Rourke), gehört zu der Gang. Rudy beschließt, vor Ort nach dem Rechten zu sehen und seinen Bruder gegebenenfalls auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.

Aus der meritenreichen Kategorie „muss man gesehen haben, um es zu glauben“ stammt Matt Earl Beesleys einzige Langregiearbeit, in keinster Weise zu verwechseln mit John Boormans gleichnamigem Meisterwerk von 1967.
Das vornehmliche, mir seit der Betrachtung von „Point Blank“ im Kopf herumwabernde Attribut ist „kaputt“. Herrschaftszeiten, welch ein kaputter Film. Möglicherweise geplant als eine Art Rip-off-Konglomerat der Blockbuster „Die Hard“ und „Con Air“, mag das sich in den ästhetischen Bahnen typischer 90er-B-Film-Genreware, wie sie etwa die PM Entertainment Group zu kultivieren pflegte, bewegende Timbre des Projekts auf dem Planungspapier noch durchaus sinnstiftend gewirkt haben, das, was dann, konserviert für die staunende Nachwelt, in seine so abjekte wie amorphe Form gegossen wurde, lässt sich mit Worten jedoch tatsächlich kaum beschreiben. Die im Grunde gar nicht zu verachtende Besetzung – neben Stars der zweiten Reihe wie Michael Wright als wegen Selbstjustiz verurteilter Veteran Sonny oder dem unvermeidlichen Danny Trejo als psychotischem Indianer Wallace gibt es den Coppola-Veteranen Frederic Forrest als Rudys Mentor und Ausbilder zu (im wahrsten Wortsinne) bestaunen – ist natürlich Mickey Rourke die vorrangige, personelle Attraktion des Ganzen. Neben seinen bereits damals ungut aussehenden Gesichtschirurgie-Narben hatten Anabolika Bi- und Trizeps des vormals hochgelobten method actors auf schwarzeneggersche Maße anschwellen lassen und er durfte Roundhouse Kicks wie der selige Chuck Norris verteilen. Überhaupt ist Rourkes wortkarge Rolle kaum greifbar; er wirkt als Rudy Ray eher wie ein wandelnder Stereotyp, ein vorübergehend in Fleischgestalt gefangenes Schemen, das in kurzen, von jaulenden E-Gitarren unterlegten Zwischenschnitten Gangster abserviert. Darin verdeutlicht sich zugleich auch die verkorkste Mise-en-scène Beesleys. Er gefällt sich nachhaltig darin, die Kamera immer wieder in 45-Grad-Schieflage zu bringen und seinen Film damit auch visuell wortwörtlich schräg dastehen zu lassen; die wirre, elliptische Schnittkonzeption von „Point Blank“ könnte avantgardistisch gemeint sein, wirkt aber am Ende doch bloß auf inkompetente Art eklektisch. Beesley tritt Dramaturgie und Filmschulweisheit auf aggressive Weise mit Füßen, schneidet vollkommen willkürlich aus einem melancholischen Dialog mitten in eine Actionsequenz und wieder zurück, pfeift kurzerhand auf althergebrachte Schuss-Gegensuchuss-Schemata und macht jede Halbtotale und jeden Close-up zu einem lodernden Fanal der Hässlichkeit. Ähnliches gilt für das von nicht weniger als vier Autoren zusammengeklöppelte Script, das vermutlich mit mindestens so viel Koks gepudert wurde wie Trejo (dessen Figur Herz und Seele von „Point Blank“ vermutlich am Treffendsten subsummieren) es sich im Laufe des Films durch die Nase zieht. Überhaupt scheint Kokain mir für die Entstehung dieser zelluloidgewordenen Abseitigkeit ein nicht zu unterschätzender Motor zu sein. „Point Blank“ gefällt sich zudem in seiner überschwänglich dargebotenen Brutalität, die primär auf das Konto von Trejos sadistischer Wallace-Figur geht. Dass Beesley auch wohlplatzierten Hommages nicht abgeneigt ist [„Cobra“ und „The Wild Bunch“ (letzter in Sonnys mit „Silent Night, Holy Night“ unterlegter Sterbeszene nebst Gatling Gun) etwa finden sich genuin zitiert], gehört allerdings zum damals längst von Tarantino und seinen Jüngern eingeläutetem, postmodernen Genrefilm.
Dass dieser „Point Blank“, dessen deutscher Untertitel „Over And Out“ sich geradezu prophetisch ausnimmt, in all seiner ostenativen Misslungenheit natürlich trotz oder gerade wegen seiner irrlichternden Gestaltung einen wunderlichen, in der Summe seines gewaltigen Scherbenhaufens dann doch wieder flirrend glitzernden „baddie“ abgibt, möchte ich zu schlechter Letzt aber bitte nicht unerwähnt wissen.

4/10

NOBODY

„I’m nobody.“

Nobody ~ USA/J 2021
Directed By: Ilya Naishuller

Hutch Mansell (Bob Odenkirk) lebt ein biederes, gleichförmiges und nahtlos durchgetaktetes Vorstadtleben als Ehemann und Vater zweier Kinder. Als Zweitverdiener arbeitet er in einem Bürojob der Metallwarenfabrik seines Schwiegervaters (Michael Ironside). Als eines Nachts ein Räuberpärchen (Humberly González, Edsson Morales) bei ihm einbricht, händelt er die Situation besonnen und gewaltfrei, ganz zur Enttäuschung seines Sohnes (Gage Munroe).
Dennoch scheint ein Schalter bei Hutch umgelegt. Am folgenden Abend macht er sich, nachdem er über seinen mysteriösen Halbbruder Harry (RZA) die Identitäten der beiden Ganoven und die alte FBI-Marke seines Vaters (Christopher Lloyd) ausgeborgt hat, auf den Weg, sie zu stellen – vorgeblich, um die verschwundene Kitty-Spange seiner kleinen Tochter (Paisley Cadorath) wiederzubeschaffen. Das Pärchen entpuppt sich als arme Sozialempfänger mit krankem Baby, woraufhin Hutch zähnkenirschend wieder verschwindet. Und doch hat er im Folgenden noch ausgiebig Gelegenheit, sich reaktive Satisfaktion zu verschaffen: Eine Gruppe betrunkener, aggressiver russischer Gangster steigt just in in den Linienbus, der Hutch nach Hause bringt. Der folgende Konflikt befördert die Russen durchweg ins Krankenhaus – Hutch ist offenbar etwas wesentlich anderes als der ordinäre Spießbürger, der er zu sein vorgibt. Einer der Gangster (Aleksandr Pal) stellt sich hernach als jüngerer Bruder von Yulian Kuznetsov (Aleksey Serebryakov) heraus, einem soziopathischen Kriminellen, der darüberhinaus die Aufsichtsgewalt über den Obtshak, das Barvermögen weiter Teile der Russenmafia innehat. Kuznetsov will Rache für die erlittene Schmach und entfesselt damit eine unabsehbare Gewaltspirale…

Eines der wesentlichsten Kreativelemente im (post-)modernen Genrefilm besteht darin, längst etablierte Storyprämissen zu variieren, zu restrukturieren und gegebenenfalls auch zu ironisieren, um sie so sukzessiv einer immer feineren Zuspitzung zuzuführen – so lang vermutlich, bis sich die zugrundeliegende Konzeption allmählich zurückbildet, um dann irgendwann abzunutzen und wieder stumpf zu werden; gewissermaßen also der immerwährende Vitalzirkel.
Der überraschend funktionale „Nobody“ bildet dafür ein recht herausragendes Exempel. Das von Derek Kolstad gescriptete Buch des Films ist eine unschwer identifizierbare Paraphrase seiner eigenen Arbeit zu „John Wick“: Ein ehemaliger Superkiller, der eigentlich seit Jahren aus dem „Spiel“ ist, um in cognito ein adrenalin- und gewaltfreies Leben als liebender Normbürger zu führen, wird durch ein fremdverschuldetes Ereignis zurück in alte Fahrwasser gelotst, um darin dann die noch immer schlummernden, tödlichen Fertigkeiten zu reaktivieren und unter seinen Gegnern ein wahres Inferno zu entfesseln. Von jenem Vorbild unterscheidet sich „Nobody“ letzten Endes nur durch Nuancen; Bob Odenkirk als Hutch Mansell beispielsweise liefert ein etwas geerdeteres, psychologisch leicht ausgefeilteres Alias von John Wick. Mansell bekleidet keinen dem Zirkel einer global operierenden Geheimloge angehörigen Superkiller, sondern einen von der US-Regierung herangezüchteten und ausgebildeten „auditor“, der sich zwar ebenfalls als überaus harter und skrupelloser Knochen ausweist, im direkten Duell gegen Super-Wick jedoch mutmaßlich keine Chance hätte. Als frustrierter Familienvater erinnert Mansell eher an eine Art Vorstufe des suburbanen Biedermannes Lester Burnham. Mansell tauscht schon lange keine Zärtlichkeiten mehr mit seiner Frau Becca (Connie Nielsen) aus; sein heranwachsender Sohn Blake sieht in ihm keinerlei Vorbildfunktion mehr. Einzig Töchterchen Abby ist noch jung genug, um den merkwürdig passiv wirkenden Papa noch wirklich gernzuhaben. Hinzu kommt eine existenzielle Unzufriedenheit, die Mansell bereits in die ersten Ausläufer einer handfesten Mittlebensdepression treibt. Der Trigger in Form des nächtlichen Einbruchs und der daraus erwachsende Konflikt mit der Russenmafia bietet für Mansells zeitnahe Biographie also eine im Endeffekt durchaus positiv konnotierte Zäsur, die schlafende Lebensgeister zurückbeschwört und somit ironischerweise zugleich sein Familienleben bewahrt. Anders als der vornehmlich solitär operierende Wick ist Mansell im leichengesäumten Finale zudem auf die Hilfe seiner wiederum höchst wehrhaften, früheren Familie angewiesen: Halbbruder Harry und Vater David mischen gehörig mit bei der wohlfeil vorbereiteten, (möglicherweise von „Rambo: Last Blood“ inspirierten?) von booby traps gesäumten Privatschlacht gegen die osteuropäische Übermacht. Die videospielhafte Leichtigkeit, mit der ganze Armeen von Gegnern wie beiläufig ins Jenseits befördert werden, behält letztlich auch „Nobody“ einem entsprechend freigiebigem (oder derart geschulten) Publikum vor; ansonsten transportiert er eine liebenswerte, luftig schwebende Metagravitas, die im Subgenre der neuen Superkiller so bisher nicht vorkam, fortan aber gewiss ein weiteres Vorbild bekleiden wird.

8/10

TRESPASS

„We can all die, cause I don’t give a fuck anymore!“

Trespass ~ USA/BG 2011
Directed By: Joel Schumacher

Die dreiköpfige, wohlhabende Familie Miller wird zum Opfer eins erpresserischen Überfalls, in dessen Zuge sie ein Quartett Krimineller (Ben Mendelsohn, Cam Gigandet, Dash Mihok, Jordana Spiro) in ihrer heimischen Villa festsetzt mit dem Plan, Ehemann und Vater Kyle (Nicolas Cage) Diamanten und Bares abzutrotzen. Doch die nur vordergründig glücklichen Millers haben schon selbst mit diversen Problemchen zu hantieren…

Joel Schumachers letzter Film geriert sich als de facto wenig substanzielles, aber zumindest schick ausgestaltetes Home-Invasion-Thrillerdrama für den gradlinigen Alltagsgebrauch. Mit Cage und Kidman konnte Schumacher auf zwei ihm aus voherigen Kollaborationen bekannte HauptdarstellerInnen zurückgreifen, deren jeweilige Karrieren sich zum gegebenen Zeitpunkt in (altersbedingtem?) Talkurs befanden. Wie in William Wylers „The Desperate Hours“, der ehrwürdigen Mutter aller Subgenre-Filme, entwickelt sich die repressive Situation zur psychosanitären Belastungsprobe für die Belagerten: Unausgesprochene, jedoch längst akut dräuende Wahrheiten kommen auf den Tisch – die keinesfalls mehr so rosige Finanzsituation, unbestätigte Verdachtsmomente im Hinblick auf die mögliche Untreue von Mutter und Gattin Sarah (Kidman), die Entfremdung der pubertierenden, sich abgehängt wähnenden Tochter Avery (Liana Liberato). Den Millers gegenüber stehen die vier mit allen Klischeewassern gewaschenen Ganoven: Anführer Elias (Mendelsohn), der keineswegs so souverän ist, wie er tut, seine Freundin, die drogensüchtige und depressive Petal (Spiro), Elias‘ jüngerer Bruder Jonah (Gigandet), ein Psychotiker, der ständig „seine Pillen“ nehmen muss und schließlich der rigorose Ty (Mihok), der gewissermaßen für den glatten Ablauf des Coups sorgen soll. Nachdem den Figuren ihre Ausgangsstellung zugewiesen ist, entbrennt ein dialogintensives sich sukzessive zuspitzendes Hickhack, im Zuge dessen das Script (Karl Gajdusek) sich nach Kräften bemüht, die Spannung auf einem konstanten Level zu halten, was durch die Unentschlossenheit aller Beteiligten jedoch eher suboptimal gelingt. Insbesondere den Verbrechern, die infolge ihrer eigenen, immens fragilen Beziehungskonstellationen und ihres jeweils von situativer Unprofessionalität zu keinem Zeitpunkt als wirklich bedrohlich durchgehen, mangelt es an der für ein wirklich intensives Gattungsstück an der gebotenen Intensität, derweil ausgerechnet mit der sich als am stabilsten innerhalb des allseitigen Widersachrreigens erweisenden Avery die jüngste Beteiligte den kühlsten Kopf behält und für die maßgeblichen Wendungen sorgt. So geht auch sie als erfolgreiche Verteidigerin der proamerikanischen Trutzburg „Familie“ am Ende als Gewinnerin hervor, derweil die Gangster sich zur Hälfte bereits selbst dezimiert haben. Auf der Asche eines verlogenen und somit glücklicherweise verlorenen Lebenstraums können die Millers hernach wieder zu sich selbst finden.
Schumacher bedient diese schlussendlich doch recht bieder, in Teilen gar republikanisch-reaktionär auslaufende Americana mit der ihm zueigenen Routine als langjährig profilierter Meister ästhetisch reizvoller Bildkomposita und versteht es zumindest auf diese Weise, dem auf den zweiten Blick als galliger, aber doch ziemlich hausbacken konnotierter Kommentar zur damaligen Immobilienkrise lesbaren Drama seine Insignien zu verabreichen.
Für sein Finalwerk wäre ihm dennoch ein deutlich gravitätischerer Stoff vergönnt gewesen.

6/10

THE FOUNDER

„One word: persistence.“

The Founder ~ USA/GR 2016
Directed By: John Lee Hancock

Um die Mitte der 50er Jahre verkauft der emsige Klinkenputzer Ray Kroc (Michael Keaton) mit eher mäßigem Erfolg Milchshake-Automaten an Drive-In-Restaurants. Als eine ungewöhnlich große Bestellung aus San Bernadino bei ihm eingeht, macht er sich auf den Weg nach Kalifornien, um sich vor Ort ein Bild des offenbar überaus gut gehenden Schnellrestaurants zu machen. Die Inhaber desselben, die Brüder Richard (Nick Offerman) und Maurice McDonald (John Carroll Lynch) wiederum sind angetan von der Bewunderung Krocs betreffs ihres speziellen Konzepts und weihen ihn in ihre innovative Geschäftsidee ein: Höchste Effektivität in Form von blitzschneller Bedienung, stabiler Qualität, einer schmalen Produktpalette und steter Kundenfreundlichkeit haben „McDonald’s“ in der Region ein besonderes Renommee verschafft. Kroc ist der Überzeugung, dass diese Idee auch andernorts Erfolg haben muss und überredet die Brüder trotz einiger Bedenken ihrerseits dazu, ihr Restaurant zu einem Franchise-Unternehmen zu machen. Krocs nachfolgende Anstrengungen, Investoren zu finden, laufen zunächst nicht ganz problemlos vom Stapel; die Voraussetzung, das Konzept „McDonald’s“ unverändert und im Sinne seiner Begründer zu übernehmen, irritiert die Franchisenehmer teilweise. Dock Kroc setzt seine Pläne mit unbeirrbarem Stoizismus und bald gigantischem Erfolg durch. Dass dabei die zusehends besorgten Urheber ddes Ganzen auf der Strecke bleiben und irgendwann sogar das Recht an der Verwendung ihres eigenen Familiennamens einbüßen, nimmt Kroc mit dem gelassenen Habitus des selbstberauschten Großunternehmers billigend in Kauf.

Die Gründerväter des zwanzigsten Jahrhunderts waren die Pioniere des global funktionierenden Kapitalismus und eines dessen größter Sinnbilder sind die goldenen Bögen. McDonald’s steht wie keine andere weltweit operierende Marke mit Ausnahme vielleicht von Coca Cola für Vertrauen, Sicherheit und zivilisatorische Anbindung. Wer eine der weltweit knapp 40.000 McDonald’s-Filialen betritt, weiß im Regelfall, was er dort bekommt und was ihn erwartet und auch wenn milliarden von Menschen den Multi und seine rigoros ausbeuterische Funktionalität zurecht verdammen, lässt sich eine andere Milliarde tagtäglich von ihm ernähren. Das Biopic „The Founder“ berichtet mit sanfter Ironie und ansonsten völlig unaufgeregt davon, wie es rund sechzig Jahre zuvor dazu kommen konnte, dass „McDonald’s“ zu dem wurde, als das es heute die allermeisten Kinder kennen und lieben. Dafür sind zwei Faktoren von Bedeutung: zum einen Ray Kroc und zum anderen dessen gleichermaßen zündende wie verderbliche Mixtur aus Gier und Unternehmergeist. Gewiss erzählt „The Founder“ zuallererst auch eine exemplarische Kapitalismusstory, wie sie in dieser Form wohl annähernd originär für das Amerika der Nachkriegsära sein dürfte: aus einem kleinen Vertreter mit gesteigerter Tendenz zum Alkoholismus wird ein Selfmade-Millionär, dessen Vorgehensweise in Relation zu seiner Vermögensmehrung zunehmend rigoros wird. Greed is good. Am Anfang stehen zwei naive Brüder als stolze Existenzgründer mit ihrer sorgsam gehüteten, gleichsam uramerikanischen Idee, am Ende stehen sie als lachhaft abgespeiste Verlierer da. Der Gewinner indes hat ihr Baby zu einem Monster herangezüchtet, das die einstigen Väter nicht mehr begreifen.
Dass der in seiner Rolle exzellent aufspielende Michael Keaton Ray Kroc keineswegs als Ritter in schimmernder Rüstung bespielt, steht angesichts einer derartigen Prämisse wohl außer Frage. Obgleich praktisch keine Szene des Films ohne seine Präsenz auskommt, macht der Protagonist sich auch das Publikum nicht zu Freunden. Sein Narzissmus und seine Egozentrik wachsen parallel zu Einfluss und Geld, wobei auch Krocs Privatleben genau diese Entwicklung widerspiegelt. Seine erste Frau Ethel (Laura Dern) verliert den Bezug zu ihm, da sie weder fähig noch Willens ist, seiner selbstauferlegten Mission zu folgen; an ihre Stelle tritt die von Krocs machthungrigem Charme faszinierte Joan Smith (Linda Cardellini), die wiederum ihren vormaligen Gatten (Patrick Wilson) für ihn verlässt. Ein Schelm, wer darin den Verlust von Integrität zugunsten persönlicher Korruption reflektiert gefunden glaubt.

8/10

THE NORSEMAN

„Row!“

The Norseman ~ USA 1978
Directed By: Charles B. Pierce

Im 11. Jahrhundert segelt der Wikinger Thorvald (Lee Majors) mit einigen tapferen Mannen über den Atlantik, um die Spur seines bereits vor längerer Zeit übergesetzten Vaters, des Königs Eurich (Mel Ferrer), zu verfolgen. Die Reise wird schriftlich dokumentiert von Thorvalds jungem Bruder Erik (Chuck Pierce Jr.). An der fremden Küste angelangt, tauft Thorvald die unbekannten Gestade „Vinland“. Flugs werden die rauen Nordmänner von den feindlich gesinnten Ureinwohnern mit Pfeil und Bogen attackiert. Trotz des ungemütlichen Empfangs beschließt Thorvald, eine nahe Flussmündung hinaufzusegeln. Wie sich herausstellt, hat der fremde Stamm König Eurich und einige seiner Expeditionsteilnehmer gefangen genommen und geblendet. Winetta (Susie Coelho), ein bei dem eifersüchtigen Häuptling Kiwonga (Jerry Daniels) in Ungnade gefallenes Mädchen, hilft Thorvald, die Arretierten zu befreien.

„The Norseman“, für Sam Arkoffs A.I.P. und von Hauptdarsteller Lee Majors co-produziert, bildet gewissermaßen das bucklige Stiefkind in Charles B. Pierces Œuvre als Regisseur. Inmitten seiner ausgesprochen schönen (Indianer-)Western-Tetralogie quasi als deren verstoßener Bastardsohn entstanden, frönt Pierce darin scheinbar reuelos einer recht käsig anmutenden Camp-Attitüde, die man aus seinen sonstigen Arbeiten dieser Schaffensphase in dieser Form nicht kennt. Zwar sind auch etliche von Pierces üblichen standards enthalten – zu nennen wären da einige seiner gewohnten Ensemble-Mitglieder wie Jack Elam und Jimmy Clem, die für jene Hollywoodphase eher den großen Studiofilmen vorbehaltene Panavision-Breitwand-Photographie, der Einsatz eines Kindes (wie gehabt gespielt von Pierces Filius Chuck Jr.) in einer elementaren Rolle und die an Peckinpah angelehnten SloMo-Montagen – was jedoch überaus unüblich daherkommt, sind oftmals unfreiwillig komisch bis albern gestaltete Scriptpassagen und insbesondere die mangelnde Sorgfalt und Oberflächlichkeit im Zuge der Figurenzeichnungen, die unwillkürlich den Eindruck hinterlassen, als habe Pierce sich das Ganze mal eben zwischen zwei Gläsern Bourbon aus den Fingern gesogen. Die natives, sonst ja durchaus Pierces Sympathieträger, fungieren in „The Norseman“ mit einer Ausnahme einzig als Stichwortlieferanten für wechselseitig aufgebauschte Aggressionen und sehen alle erschreckend uniform aus mit ihren gelben Lendenschürzchen. Ähnliches gilt für die Wikinger; insbesondere über Majors mit feinrasierten Schnurbärtchen in der Titelrolle wurde sich zurecht schon mannigfaltig mokiert. Einen weiteren Gipfel der fimemacherischen Lethargie erreicht Pierce schließlich, indem er seinem Publikum das sonnenverwöhnte Florida als raues Neufundland anzudrehen trachtet.
Es empfiehlt sich in Anbetracht all dessen, „The Norseman“ (wie in meinem Falle auch) mit gebührlichem Abstand zu seinem ansonsten weitaus beseelteren Werk jener Ära, nominell des kleinen Meisterwerks „The Winds Of Autumn“, anzusehen, um nicht ziemlich rüde aus der ansonsten durchaus obligatorisch zu nennenden Qualitätsarbeit dieses Ausnahme-Auteurs herausrupfen zu lassen.

4/10

MANK

„What the buyer bought still belongs to the man who sold it. That’s the real magic of the movies.“

Mank ~ USA 2020
Directed By: David Fincher

Der bei den großen Studios in Ungnade gefallene Scriptautor Herman „Mank“ Mankiewicz (Gary Oldman) erhält von dem allerorten als Wunderkind gehandelten Youngster Orson Welles den Auftrag, das Script für dessen Regiedebüt zu erstellen. Kurz vor Antritt der Arbeit gerät Mank in einen Autounfall, der ihn für die kommenden Wochen ans Bett fesseln wird. Gemeinsam mit einer deutschen Pflegerin (Monika Gossmann) und einer englischen Schreibkraft (Lily Collins) wird der latente Alkoholiker in einem abgelegenen Häuschen in der Mojave-Wüste einquartiert, wo er seinen kreativen Ergüssen freien Lauf lassen soll. Am Ende seiner nicht unumständlichen Bemühungen steht ein handfester Streit mit dem Narzissten Welles, aber auch das Drehbuch zu „Citizen Kane“.

David Finchers Werk bleibt eigenwillig und nicht immer einfach entschlüsselbar. „Mank“, entstanden nach einem Drehbuch von Finchers Vater Jack, war eigentlich schon vor über 20 Jahren geplant, wurde dann aber bis auf Weiteres auf Eis gelegt, bis Netflix die Produktion übernahm. Wenngleich der Film viele etablierte Merkmale hollywoodtypischer Biopics aufweist, stehen doch mancherlei andere Bestrebungen seitens der Finchers im Vordergrund. Zuallervorderst wäre das eine breite Liebeserklärung an die Gilde der vielen intellektuellen Autoren, die in den zwanziger bis vierziger Jahren von den großen Studiobossen ausgelutscht und in die kreativen Knie gezwungen wurden, politischer und/ oder sozialer Denunziation zum Opfer und dem Alkohol verfielen und als wesentliche Bestandteile der Schöpfungsprozesse vieler heute als Klassiker anerkannter Kunstwerke nie das zeitgenössische Renommee erlangten, das ihnen ebenso wie den Stars und Regisseuren zugestanden hätte. Im Falle Herman Mankiewicz‘, dessen wesentlich prominenterer, jüngerer Bruder Joseph als Produzent und Regisseur einige der wichtigsten Filme des vergangenen Jahrhunderts (mit) zu verantworten hat, ist dieser Ansatz besonders naheliegend. Mankiewicz wurde keine 56 Jahre alt, galt vor allem in späteren Lebensjahren als unbequemer, vielen wirrköpfig scheinender, linker Philanthrop, der seine Erfolgschancen höchstselbst krachend torpediert habe. „Mank“ entwickelt dazu ein paar schöne, wohl recht ausgeschmückte Thesen und Anekdoten. Demnach fußt das „Citizen Kane“-Buch, Mankiewicz‘ persönliche Abrechnung mit dem mächtigen Pressezar William Randolph Hearst, auf einigen ganz speziellen Ereignissen, darunter Hearsts Busenfreundschaft mit dem MGM-Mogul Louis B. Mayer und deren gemeinsamen Umtrieben, die bis in die kalifornische Politik hineinreichten. So war das Löwenstudio durch die gezielte Produktion propagandistischer Spots maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass der sozialliberale Upton Sinclair 1934 die Wahl zum Staatsgouverneur gegen seinen republikanischen Gegner verlieren musste, eine Einflussnahme, die Mankiewicz den hohen Herren stets äuzßerst übel nahm. In einer späten Schlüsselszene fällt Mank stockbesoffen auf ein dekadentes Kostümfest in Hearst Castle ein und desavouiert den Gastgeber (Charles Dance) mittels der breit vorgetragenen Idee, ihn zum Mittelpunkt einer modernisierten Don-Quichote-Version zu machen, in der es um den Verlust einstiger Idealen und die Korrumpierung durch Geld und Macht gehen würde, bevor er vor versammelter Mannschaft auf den Teppich kotzt. Damit schließt Manks Mitgliedschaft in Hearsts Sympathisantenzirkel ebenso endgültig wie seine Engagements in Hollywood. Zugleich ist die Idee zu „Citizen Kane“ geboren.
Finchers Inszenierung befleißigt sich einer immensen Detailversessenheit und äußerster formaler Strenge; die Schwarzweiß-Fotografie präserviert einerseits das Zeitgefühl des Dreißiger-Jahre-Hollywoods, veranschaulicht durch ihre harte Kontrastierung jedoch gleichfalls den pathologischen Hedonismus des Titelcharakters. Szenen wie jene, in der Mank und Hearsts Geliebte Marion Davies in platonischer Verliebtheit durch den nächtlichen Privatzoo des Verlegers flanieren wären in schnöder Farbe jedenfalls so nicht vorstellbar. Künstlich eingepflegte cue marks (Finchers Faible dafür ist ja bereits aus „Fight Club“ bekannt) werden zu heimlichen, kapitelartigen Wegweisern zwischen nominellen“Flashbacks“ und filmischer Gegenwart und allerlei Hochherrschaften (zu viele, um sie aufzuzählen) der einstigen, goldenen Kinojahre finden sich durch kleine und größere Reminiszenzen nicht immer schmeichelhaft reanimiert; der aufreibende Jazz-Score von Trent Reznor und Atticus Finch transportiert ergänzend auch das Rezipientenohr achtzig Jahre in der Zeit zurück.
Die ohnehin etwas kleinkariert anmutende Tatsache, dass Hauptdarsteller Oldman (brillant wie eh und je) mit gut 61 eigentlich deutlich zu alt ist, um einen 43-jährigen zu spielen, mag man nebenbei großzügig übersehen.

8/10

CAPTIVE STATE

„Noone gets taken alive.“

Captive State ~ USA 2019
Directed By: Rupert Wyatt

Zehn Jahre nachdem Aliens auf der Erde gelandet sind, hat sich der Zustand einzelner Regionen auf der Welt nachhaltig verändert. Unterhalb von Chicago etwa haben die Fremden, deren einziges Interesse an unserem Planeten darin besteht, dessen natürliche Ressourcen auszubeuten, tief in der Erde eine Basis errichten lassen, von der aus sie sämtliche politischen Geschicke der Metropole lenken. Dazu gehört auch, dass die als „Legislatoren“ bezeichneten Wesen Institutionen wie die Polizei kontrollieren. Die daraus resultierende, faschistoide Klassengesellschaft spaltet die Bevölkerung fortan noch mehr; den kopperativen, „nützlichen“ Menschen wird eine rosige Zukunft garantiert, während der funktionale Großteil als Arbeitsdrohnen zweckdienliche Aufgaben zu erfüllen hat. Totale Überwachung gehört zum Alltag, jedes Individuum hat einen Sender implantiert, der seinen Aufenthaltsort und seine Aktionen verrät. Dennoch schafft es eine revolutionäre Untergrundbewegung genannt „Phoenix“, weitgehend unerkannt und gegen die von ihnen als „Kakerlaken“ bezeichneten Außerirdischen zu operieren. Der junge Gabriel Drummond (Ashton Sanders), dessen Eltern einst bei einem Fluchtversuch von den Aliens getötet wurden und dessen älterer Bruder Rafe (Jonathan Majors) sich längst Phoenix angeschlossen hat, gerät zwischen die Fronten. Einerseits weiß er um die Aufenthaltsorte einiger Revolutionärer, andererseits sitzt ihm der Polizist Mulligan (John Goodman), der frühere Partner seines Vaters, im Nacken.

Rupert Wyatts finsteres dystopische Allegorie fand dem Vernehmen nach wohl eher wenig Freunde, was einerseits schade ist, andererseits jedoch kaum verwundert. „Captive State“, vielleicht der politisch engagierteste Invasionsfilm seit Carpenters „They Live“, positioniert sich und seine Agenda extrem weit links; er wettert gegen die besorgniserregenden Entwicklungen, denen diverse Staatsregierungen respektive deren mehr oder minder rechtmäßig eingesetzte Repräsentanten nicht erst seit der Jahrtausendwende anheim gefallen sind – allen voran natürlichdie USA selbst unter der Regierung Trump. Es lässt sich eigentlich kaum darüber streiten, ob und in wieweit Wyatts Werk offenen bis terroristischen Widerstand gegen repressive Systeme befürwortet oder gar dazu aufruft; seine im Nukleus der Geschichte verortete Fabel um gewaltbereite antidiktatorische Rebellion zumindest lässt kaum diesbezügliche Zweifel aufkommen. Abgesehen von den selten im Bild erfassten Extraterrestriern und einem von ihnen herbestellten, wiederum aus Aliens bestehenden Killerkommando, das eine Phoenix-Gruppe liquidieren soll, verankert sich Wyatts visuelle Sprache durchaus im Gegenwärtigen. Chicago, sein ehemaliges Arbeiterviertel Pilsen oder das florierende Wicker Park, nimmt die Kamera vordringlich als graue Trümmer- und Schuttlandschaften war, in denen selbst kaum noch Platz für rosige Entkommensträume herrscht. Gabriel und seine Freundin (Madeline Brewer) wähnen eine hoffnungsvollere Zukunft „am anderen Ufer des Sees“, offenbar ein noch etwas freieres Fleckchen Erde. Ein Boot steht bereit, doch mehr als symbolisches Objekt des Ausbruchs. Die Fluchtpläne bleiben diffus. Allenthalben aufploppende Termini wie „Fracking“ veranschaulichen indes die de facto rein ökonomischen Pläne der nach Gewinn strebenden Kakerlaken, deren Unternehmung auch Exxon oder Chevron heißen könnte; weder geht es ihnen darum, unseren Planeten für sich ur- der bewohnbar zu machen, noch interessiert sie die Lebensform homo sapiens besonders. Es geht um die bloße Ausbeutung von Bodenschätzen, das Danach ist irrelevant. Hin, bohren und wieder weg. Welche Optionen bleiben uns im Angesicht des verordneten globalen Exitus? Die Antworten, die „Captive State“ gibt, sind so unbequem wie radikal und wohl ein wesentlicher Grund, was dem Film den Weg zu everybody’s darling unmöglich macht.

8/10