„I want you to be better than me.“
Armageddon Time (Zeiten des Umbruchs) ~ USA/BRA 2022
Directed By: James Gray
Queens, New York im Herbst 1980. Der Teenager Paul Graff (Banks Repeta) ist ein Träumer, ganz zum Unwohlsein seiner Familie, die den mit Vorliebe Superhelden zeichnenden Jungen als „etwas langsam“ etikettiert. Einzig Pauls Großvater Aaron (Anthony Hopkins), der noch höchstselbst den sich sukzessiv steigernden Antisemitismus in der Alten Welt miterlebt hat, gelingt es, zu dem eigensinnigen Paul durchzudringen und ihm die eine oder andere Lebensweisheit mit auf den Weg zu geben. Die Zeiten sind demzufolge nicht einfach für Paul. Die Freundschaft zu seinem noch wesentlich ausgegrenzteren, afroamerikanischen Klassenkameraden Johnny (Jaylin Webb), der dem ihm unentwegt entgegenbrandenden Rassismus mit offener Rebellion begegnet, sorgt für mancherlei Ärger und führt schließlich dazu, dass Paul dieselbe elitäre Privatschule besuchen muss wie sein Bruder Ted (Ryan Sell), eine Brutstätte für weiße Oberklassenrepublikaner, die den just zum 40. US-Präsidenten gewählten Ronald Reagan als neuen Heilsbringer erachten. Dennoch bricht Pauls Freundschaft zu Johnny nicht wirklich ab; der verzweifelte Versuch, aus ihrer beider Trostlosigkeit auszubrechen, scheitert jedoch.
James Grays Filme sind, beginnend mit seinem 1994er Debüt „Little Odessa“, allesamt wunderbar und folgen einem ungebrochen gepflegten Autorenethos, der seiner zumindest in thematischer Hinsicht durchaus heterogenen Arbeit noch keinen Qualitätseinbruch beschert hat. Auch in seiner achten Langfilmregie kultiviert Gray, New-York-Chronist und ausgewiesener Melancholiker, aufs Neue seinen für ihn längst typischen, oftmals schwermütig anmutenden Hang zur Langsamkeit, die ihre Dramatik aus unspektakulär anmutenden Alltagsgeschehnissen bezieht. Jene halten für einen Jungen an der Schwelle zur Pubertät eine Vielzahl biographischer Zäsuren bereit. Gray bemüht dazu vor herbstlichen Sepiabildern diverse autobiographische Details und Anekdoten, die „Armageddon Time“ zu einem seiner bislang persönlichsten Filme machen. Viel passiert in diesem New Yorker November 1980: Paul registriert zunächst hilflos, dass er seinen Eltern (Anne Hathaway, Jeremy Strong) de facto mehr Kummer als Stolz bereitet – sein Freund Johnny bringt ihn parallel dazu pausenlos auf dumme Gedanken. Renitentes Verhalten gegenüber dem überforderten Klassenlehrer (Andrew Polk), eine Tour auf eigene Faust durch Manhattan, schließlich ein Joint auf dem Schulklo. Genug, um den Vater zur Verabreichung einer gehörigen Tracht Prügel zu veranlassen, den Besuch der öffentlichen Bildungsanstalt dringlichst abzuwürgen und Paul stattdessen auf die „Forest Manor“ zu schicken, eine von Fred C. Trump (John Diehl) beschirmherrte Privatschule mit entsprechender Klientel. Sowohl Trump (Donalds Vater) als auch seine Tochter Maryanne (Jessica Chastain) lassen es sich nicht nehmen, die Schülerschaft allenthalben durch ideologisch verbrämte Ansprachen „auf Kurs“ zu bringen, analog zu Reagans sich abzeichnendem Wahlsieg. Ethnische Minderheiten gelten an der Forest Manor wenig bis nichts; Paul fühlt sich unwohl, verspürt zugleich aber dennoch die Notwendigkeit, dazu gehören zu müssen. Als sein geliebter Großvater Aaron an Konchenkrebs stirbt, erschüttert dies die gesamte Familie derart bis in die Grundfesten, als sei ihr Rückgrat gebrochen. Doch aus der geplanten Flucht nach vorn, einem Ausriss mit Johnny Richtung Florida, wird nichts. Paul verliert den Freund und muss sich den Unebenheiten und Ungerechtigkeiten des Erwachsenwerdends fügen.
Seinen Titel verdankt „Armageddon Time“ zweierlei: zum einen dem inflationären Gebrauch des Terminus durch Reagan, der seinerzeit mit den dräuenden Ängsten vorm atomaren Weltende jonglierte wie ein Schimpanse mit Bananen, zum anderen der B-Seite der Clash-Single „London Calling“, einer wunderbar dub-infizierten Coverversion des Willie-Williams-Songs „Armagideon Time“. Entsprechend leitmotivisch verfolgt der Track Paul und den Film vom Anfang bis zum Ende.
8/10