BLACK ADAM

„Force is always necessary.“

Black Adam ~ USA/CA/NZ/HU 2022
Directed By: Jaume Collet-Serra

Kahndaq, ein kleines Land im Mittleren Osten, 2600 v.u.Z.: Hurut (Jalon Christian), der Sohn des versklavten Minenarbeiters Teth-Adam (Benjamin Patterson), erhält durch den Zauberer Shazam (Djimon Hounsou) gottgleiche Kräfte, setzt diese nach seiner Verwandlung zum Champion der Stadt jedoch scheinbar zu blutigen Rachezwecken gegen das Regime des Königs Ahk-Ton (Marwan Kenzari) ein, wird daher flugs wieder eingefangen und für die kommenden Jahrtausende sicher verwahrt.
In der Gegenwart steht Kahndaq wiederum unter einer Minidiktatur, die diesmal die kriminelle Organisation Intergang zu verantworten hat. Die Archäologin und Widerständlerin Adrianna Tomaz (Sara Shahi) will verhindern, dass Intergang in den Besitz der Krone von Sabbac gerät, die seinerzeit schon Ahk-Ton seine Macht verlieh. Während eines Scharmützels mit Söldnern befreit sie den noch immer verzauberten Champion aus seinem Gefängnis. Dieser setzt seinen gewalttätigen Feldzug sogleich fort, rettet Adrianna jedoch das Leben. Zeitgleich wird die umtriebige Amanda Waller (Viola Davis) auf die Ereignisse in Kahndaq aufmerksam und entsendet mit Carter „Hawkman“ Hall (Aldis Hodge), Kent „Dr. Fate“ Nelson (Pierce Brosnan), Maxine „Cyclone“ Hunkel (Quintessa Swindell) und Al „Atom Smasher“ Rothstein (Noah Centineo) vier Mitglieder der JSA (Justice Society of America), um den mächtigen Wüterich auf den Weg zur Tugend zurück zu führen. Dieser lässt sich jedoch nichts sagen und prügelt unverzagt gegen das Superheldenquartett los, bis er sich als Teth-Adam entpuppt, auf den Hurut einst seine Kräfte übertrug. Nach einem vermeintlich siegreichen Kampf gegen Intergang-Oberhaupt Ishmael (Marwan Kenzari), der sich als letzter lebender Nachfahr König Ahk-Tons der Krone von Sabbac zu bemächtigen trachtet, ergibt sich Teth-Adam der JSA und lässt sich in kryogenischen Schlaf versetzen. Doch Ishmael kehrt als Sabbac himself aus der Hölle zurück und nun bedarf es doch wieder eines Teth-Adam, um Kahndaq und die gesamte restliche Welt ein weiteres Mal zu retten…

„Black Adam“ erweist sich schon nach den ersten Minuten als bislang zweitschwächster Vertreter des revitalisierten Kino-DCEU, nur unwesentlich ansehnlicher als der erste „Suicide Squad“-Beitrag von David Ayer (wobei ich „Birds Of Prey And The Fantabulous Emancipation Of One Harley Quinn“ allerdings wohlweislich ausgespart habe). Die Gründe für das mäßige Abschneiden von Collet-Serras Comicadaption sind dabei durchaus vielgestaltig: Der Film versteht sich in seiner Gesamtheit zuvorderst als Vehikel für seinen Hauptdarsteller, dessen gebuildeter Body selbst noch gut sichtbar durch das schwarze Shazam-Kostüm des Titelhelden prangt. Immerhin bekommt man mit „dem Felsen“ unter Verzicht auf die pomadige Frisur und die spitzen Ohren des gezeichneten Vorbildes ein amtliches physiognomisches Alias geliefert, der die tiefbrodelnde Wut des aus der arabischen Antike stammenden, Fascho-Liberalen Teth-Adam sogar momentweise zu transportieren weiß. So erreicht „Black Adam“ seine denkwürdigsten Momente, wenn der kräftemäßig Superman durchaus gewachsene Protz mit den bösen Jungs von Intergang aufräumt und seinem kleinen Stadtstaat quasi im Alleingang eine Führungsrenovierung verabreicht. Daran, den insbesondere u.a. von den Autoren James Robinson, David S. Goyer und Geoff Johns (der hier wie so oft mitproduziert hat) innerhalb der ab 1999 formidabel relaunchten JSA-Strecke reaktivierten Black Adam in all seiner facettenreichen Charakterisierung zu zeigen, ist der Film indes mitnichten interessiert. Als buchstäblicher Anti-Held, der im Gegensatz zu diversen seiner Kolleginnen und Kollegen einen sehr dehn- und somit streitbaren Moralbegriff pflegt, ist Teth-Adam zugleich auch Massenmörder, Verschwörer und Diktator; einer, der stets die eigenen Ziele im Blick hat und mit Kahndaq, ähnlich wie der bei der Konkurrenz von Marvel beheimatete Dr. Victor Von Doom mit Latveria, seinen eigenen, kleinen Problem- und Schurkenstaat regiert. Für derlei Tiefenschärfe findet sich in dem auf oberflächlichen Popcornrabatz getunten „Black Adam“ jedoch kein Platz. In ihrem ersten Kinoauftritt schrumpft die JSA, immerhin das allererste Superheldenteam überhaupt und seit 82 Jahren zur Stelle, zweifelsohne der Komplexitätsreduktion wegen auf ein eher niedliches Miniclübchen zusammen, das in dieser Ausprägung natürlich nicht gegen Teth-Adam bestehen kann. Es macht jedoch selbst mit Einschränkungen Freude, Figuren wie Hawkman und Dr. Fate in Aktion auf der großen Leinwand erblicken zu können. Und dann ist da ja noch Henry Cavills Auftritt während der end credits. Dass wahre Gänsehautmomente – und dies sei bitte ironisch aufzufassen – sich am besten im Abspann machen, hat DC immerhin von Marvel gelernt. Leider nicht wesentlich mehr.

6/10

SMILE

„You’re gonna die.“

Smile ~ USA 2022
Directed By: Parker Finn

Seit sie als kleines Mädchen (Meghan Pratt Brown) den Suizid ihrer Mutter miterleben musste, ist die Psychiaterin Rose Cotter (Sosie Bacon) selbst traumatisiert. Mittlerweile glaubt sie sich wieder stabil, bis sich die hysterische Akutpatientin Laura Weaver (Caitlin Stasey) in ihrer Gegenwart auf grauenvolle Weise das Leben nimmt. In den nächsten Stunden und Tagen beginnt sich das, was Rose seitens Laura zunächst für irrationales Gestammel hielt, prophezeiungsgleich auch für sie selbst in schreckliche Realität zu verwandeln: lebende und tote Bekannte erscheinen ihr und verhalten sich, dabei sinister lächelnd, in höchstem Maße bedrohlich. Rose findet heraus, dass sich ein Besessenheitsfluch auf sie übertragen hat, hinter dem eine dämonische Entität steht, die ihre Kraft aus den Traumata ihrer Wirte bezieht. Es gibt jedoch einen Weg, die Kette kurzzeitig zu unterbrechen…

Wenn ich in letzter Zeit des Öfteren auf diesen Seiten anmerkte, dass das Horrorgenre sich in jüngerer Zeit doch wieder deutlich interessanter gestaltete als in den Jahren zuvor, dann bezog ich mich garantiert nicht auf Konfektionsgut wie am Reißbrett entworfene, verzichtbare Studioware wie „Smile“. Das jawohl teils überaus erfolgreich gelaufene Langfilmdebüt des Regisseurs Parker Finn verzeichnet keinerlei originelle Ideen und hält sich bereits für besonders clever, wenn es den Kamerawinkel verschrägt oder gleich ganz auf den Kopf stellt. Die Konzeption von „Smile“ orientiert sich an den hinlänglich bekannten Heimsuchungs- und Besessenheitsstorys, wie sie vor allem die diversen um die Jahrtausendwende entstanden, ostasiatischen Gattungsvertreter etablierten: Ein verstörendes Erlebnis geht einher mit dem Wirtskörperwechsel eines übersinnlichen, parasitären Wesens, dass sich an den Ängsten seiner Opfer labt und stärkt, um sie dann in den Selbstmord zu schicken, wenn wieder eine weitere Ablösung naht. Die vermeintliche „Innovation“, das ganze via tiefer Protagonistinnenempathie möglichst erschreckend darzubieten, besteht darin, die Besessenen mit bösartig grinsendem Volk aus dem persönlichen Sozialzirkel zu konfrontieren – jede/r könnte plötzlich anfangen, die schneeweißen Zähne zu blecken, Drohungen von sich zu geben oder sich sonstwie horribel zu verhalten. Hinzu kommt, dass niemand der armen Rose Glauben schenken mag. Im Gegenteil sind die resiliente, aber kreuznervige Schwester (Gillian Zinser) nebst Pantoffelheldenschwager (Nick Arapoglou), der fatzkige Verlobte (Jessie T. Usher) und nicht zuletzt die eigene Therapeutin (Robin Weigert) durchweg der Überzeugung, Rose würde zunehmend gesellschaftlich inkompatibel und versuchen, ihr mittels aller möglichen redundanten, diesseitigen „Hilfsmaßnahmen“ beizukommen. Auch dies samt und sonders hinlänglich bekannte Motive aus wesentlich spannenderen Vorläufern und Archetypen, die man besser einmal mehr einer Revision unterziehen sollte, bevor man sich diesem allerhöchstens stellenweise anregenden, zudem ziemlich vulgärpsychologisch betankten Produkt aussetzt.

4/10

THE NIGHT HOUSE

„You were right. Here is nothing. You’re safe now.“

The Night House (The House At Night) ~ USA/UK 2020
Directed By: David Bruckner

Vom einen auf den anderen Tag ändert sich das Leben für die High-School-Lehrerin Beth (Rebecca Hall) radikal: ihr Mann Owen (Evan Jonigkeit) schießt sich nächtens gänzlich unerwartet in den Kopf – dabei galt doch sie selbst stets als der labile, depressive Part innerhalb ihrer Beziehung. Die nunmehr allein in dem von Owen in Eigenarbeit gebauten, pittoresken Seehaus in Upstate New York lebende Beth ist nach einigen paranormalen Erlebnissen schon bald der festen Überzeugung, dass Owens Geist noch präsent ist und ihr etwas mitteilen möchte, das über die kurzen drei Sätze in seiner schriftlich hinterlassenen Abschiedsnachricht hinausgeht. Ihre Recherchen fördern bald Vieles zutage, das sie nicht über Owen wusste, ihn respektive als noch mysteriöser erscheinen lässt. So findet Beth diverse Handyfotos, die Frauen zeigen, die ihr selbst physisch sehr ähnlich sind und entdeckt auf der gegenüberliegenden Seeseite ein leerstehendes, verlottertes Haus, dessen Grundriss dem ihren fast exakt gleicht – nur, dass dort alles spiegelverkehrt ist…

Das Jenseitige als Inversion des Diesseits mit dem Spiegel als Tor in die Zwischenwelt – dieses Bild wurde schon häufig als effektives Gimmick im Genrekino genutzt. Man denke an entsprechende Sequenzen aus Raimis „The Evil Dead“ oder Carpenters „Prince Of Darkness“, in denen Wandspiegel ihre physikalische Zuverlässigkeit einbüßen und in eine unergründliche, anderweltliche Chaosdimension münden. David Bruckners schöner „The Night House“ gründet auf diesem Topos gewissermaßen seine gesamte Geschichte – ein viele Jahre zurückliegendes Nahtoderlebnis der Protagonistin Beth erweist sich als keineswegs so substanz- und folgenlos, wie die gemeinhin als skeptische Atheistin bekannte Frau es sich selbst stets weiszumachen trachtete. Zumindest wurde sie bei ihrem Kurzausflug auf die andere Seite entdeckt und wahrgenommen, obschon ihre eigene Wahrnehmung ihr dies offenbar verschwieg. Mit welcher Vehemenz ebenjene Entität seither versucht, sich ihrer zu bemächtigen, das bekommt sie nach Owens überraschendem Suizid bald selbst zu spüren. Dass ihr Gatte zumindest über weite Phasen seines Privatlebens hinweg nicht der war, der er zu sein vorgab, gehört ebenso zur Entschlüsselung dieses Geheimnisses wie gleichermaßen zunehmend bedrohliche wie verwirrende Erlebnisse, die allmählich die Grenzen zwischen Traum und Realität aufzulösen beginnen. Bruckners gelassener, in entscheidenden Momenten allerdings gekonnt die Daumenschrauben anziehender Erzählduktus mit einigen glänzenden audiovisuellen Einfällen vertraut sich dabei ganz der Perspektive der von Rebecca Hall einnehmend gespielten Hauptfigur an. In diesem Zuge entspinnt sich ein hübscher Mysterythriller von angenehm ernster Gestalt, ein Horrorfilm zudem für ein ausgewiesen erwachsenes Publikum.
Dabei hat die eigentlich schönste Szene wenig mit der sich später herausschälenden Genreausprägung zu tun und liegt ziemlich am Anfang. BerufsgenossInnen werden wissen, welche ich meine…

8/10

ANTLERS

„I’m hungry.“

Antlers ~ USA/MEX/CA 2021
Directed By: Scott Cooper

Siprus Falls, Oregon. Die Kleinstadlehrerin Julia Meadows (Keri Russell) macht sich gesteigerte Sorgen um ihren Schüler Lucas Weaver (Jeremy T. Thomas). Der Junge wirkt zunehmend abgemagert und verwahrlost. Julia, die gemeinsam mit ihrem Bruder Paul (Jesse Plemons), mit dem sie zusammenwohnt und der Sheriff von Siprus Falls ist, in ihrer Kindheit selbst zu Missbrauchsopfern ihres Vaters geworden war, befürchtet bezüglich Lucas ein ähnliches Schicksal. Gemeinsam mit ihrer Rektorin Ellen Booth (Amy Madigan) und ihrem Bruder Paul beschließt Julia, ihrem Verdacht nachzugehen. Ein erster Hausbesuch bei den Weavers, wo Lucas mit seinem verwitweten Vater Frank (Scott Haze), einem auf lokaler Ebene berüchtigten Kriminellen, und seinem kleinen Bruder Aiden (Sawyer Jones) zusammenlebt, endet für Booth tödlich. Damit nicht genug finden sich bald weitere grausig zugerichtete Leichen und Tierkadaver. Der Jäger Warren Stokes (Graham Greene) ahnt um die alles andere als beruhigende Lösung des Rätsels…

Der Wendigo ist ein Naturdämon mit amorpher Gestalt aus der Sagenwelt der Algonquin-Ureinwohner. Dessen Geist besetzt seine Wirt, verändert ihn innerlich und äußerlich und verdammt ihn zu ewigem Hunger, der proportional zu jeder weiteren erlegten Mahlzeit anwächst. Auch vor Kannibalismus schreckt der fleischfressende Wendigo dabei nicht zurück. Für „Antlers“, seinen ersten Horrorfilm, greift Scott Cooper ebenjenen Mythos, der, zumindest in protagonistischer Funktion, bislang ausschließlich auf der B- und Indie-Genreebene Verwendung fand, auf und beschert ihm seine Studio-Premiere. Hier lauert der Wendigo zu Beginn im Inneren einer stillgelegten Mine, in der Frank Weaver und sein Kompagnon sich ein kleines Meth-Labor eingerichtet haben und damit die Unruhe des Wesens stören. Der Geist des Wendigo sucht sich nämlich spätestens dann stets einen neuen Gastkörper, wenn sein vorheriger vernichtet wurde. Nachdem Frank und Aiden erste Anzeichen jener unstillbaren Besessenheit zeigen, sorgt ersterer selbst dafür, dass beide in häuslicher Zwangsquarantäne bleiben, derweil Lucas sie mit Aas versorgt. Natürlich kann der Wendigo in Franks Körper fliehen und beginnt sein blutiges Treiben unter freiem Himmel.
Coopers weitgehend in gepflegter Routine verharrendes monster movie verehrt dem Wendigo einen durchaus sehenswerten Großeinstand. Dabei orientiert sich das Script durchweg an klassischen Gattungsstrukturen, zumal solchen, in denen evil native spirits eine gehobene Rolle einnehmen. Erst nach und nach wird der in indianischer Geschichte freilich hoffnungslos unbeschlagenen weißen Community bewusst, welches übernatürliches Übel ihr auflauert und damit auch, welche Medizin dagegen einzusetzen ist. Die Protagonistin erfährt eine zusätzliche Charakter- und Motivationsebene durch ein persönliches Trauma, das sie empathisch für das Schicksal eines ihrer Schutzbefohlenen macht und jenen zu ihrem Schützling werden lässt. Ein wenig body horror kommt hinzu, wenn die gehörnte (respektiv „begeweihte“) Gestalt des Wendigo aus Franks Körper hervorbricht und als gewaltiges Ungetüm die Gegend unsicher zu machen beginnt. Das alles nimmt sich wie erwähnt angemessen kernig aus, begnügt sich jedoch damit, seinen sicheren Kurs stoisch beizubehalten und diesen nicht etwa von riskanten Innovationsbestrebungen stören zu lassen. Jene Vorgehensweise trägt „Antlers“ am Ende zwar keinen Innovationspreis ein, macht ihn aber doch zu einem weiteren, amtlichen Horrorstück der Gegenwart.

7/10

TRICK `R TREAT

„Happy Halloween!“

Trick `r Treat ~ USA 2007
Directed By: Michael Dougherty

In der Kleinstadt Warren Valley, Ohio geschieht zum diesjährigen Halloween-Umzug allerlei wahrhaft Grausiges: Der hiesige High-School-Direktor Wilkins (Dylan Baker) entpuppt sich als Serienkiller, der es sowohl auf adipöse Süßigkeiten-Junkies wie auch auf hübsche Backfische abgesehen hat; ein Quartett von Teenagern (Britt McKillip, Isabelle Deluce, Jean-Luc Bilodeau, Alberto Ghisi) spielt einer Außenseiterin (Samm Todd) einen bösen Streich, der schwer nach hinten losgeht; eine Gruppe weiblicher Werwölfe veranstaltet eine Party mit jungen Männern als Hauptgang; der ein schlimmes Geheimnis hütende Säufer Kreeg (Brian Cox) bekommt nicht nur eine alte Rechnung präsentiert, sondern muss sich zudem noch des überaus regelgestrengen Sam (Quinn Lord), des inkarnierten Geists der Halloweennacht, erwehren.

Thematisch um Halloween kreisende Horrorfilme oder zumindest solche, die im Kontext des besonders in den USA ausgelassen gefeierten, den All Saint’s Day und den Day of the Dead antitipierenden Maskenfests spielen, sind zahlreich. Man kann durchaus von einem eigenen, kleinen Subgenre sprechen, dem der phantastikaffine Michael Dougherty nach einigen Scripts für Superheldenfilme von Bryan Singer und unter dessen produzierender Ägide 2007 sein Regiedebüt zusetzte. Gestaltet als ein Quasi-Episodenfilm, dessen einzelne Segmente sich jedoch inhaltlich wechselseitig beeinflussen und teilweise kausal bedingen, gibt es im Wesentlichen vier narrative Hauptstränge und einen sie alle mehr oder weniger verbindenden Überbau in Form eines kleines Dämons, der darauf achtet, dass die spirituelle Tradition von Samhain stets gewahrt bleibt. Wer diese in jedweder Form missachtet oder gar ignoriert, bekommt seinen Frevel auf dem Fuße hart entgolten. Seine hübschen Storys, in denen die allermeisten, die sich auf die eine oder andere Weise moralisch verschulden, einer bitteren Strafe entgegensehen, für die nicht immer zwangsläufig der Halloween-Dämon verantwortlich zeichnet, inszeniert Dougherty als grelles fright fest im Sinne klassischer Horrorcomics und wahrt dabei stets einen zumeist sehr galligen Humor, der gern auch mit der einen oder anderen augenzwinkernden, den Connaisseur reizenden Avance hausiert. Dadurch, dass Dougherty seine Geschichten zudem parallel montiert, sie also nicht losgelöst voneinander erzählt, entsteht eine Art von Homogenität, die eine nette Alternative zum klassischen Korsett des üblichen episodisch erzählten Horrorfilms darstellt. Einen instant classic erhält man dadurch zwar noch nicht, sehr wohl aber eine hübsche Alternative für den jährlichen, effektvoll zu gestaltenden Themenabend am 31. Oktober.

7/10

ANYTHING FOR JACKSON

„A mother’s a mother…“

Anything For Jackson ~ USA 2020
Directed By: Justin G. Dyck

Um seinen bei einem Autounfall zu Tode gekommenen, kleinen Enkelsohn Jackson (Daxton William Lund) zurück ins Leben zu holen, sucht das ansonsten durchaus liebenswerte, ältere Ehepaar Audrey (Sheila McCarthy) und Henry Walsh (Julian Richings) in seiner Verzweiflung Hilfe in satanischen Praktiken. Henry ist zudem Gynäkologe und betreut als Patientin die partnerlose, werdende Mutter Shannon Becker (Konstantina Mantelos), deren Leibesfrucht das ideale Gefäß für Jacksons Wiederkehr bietet. Also entwickeln die Walshs einen großangelegten Plan für ein passendes Beschwörungsritual, kidnappen Shannon und fesseln sie in einem schallisolierten Raum ihres Hauses ans Bett. Doch die hernach eingeleitete Prozedur entpuppt sich als Rechnung ohne Wirt: Mit Jacksons Geist und dem behelfsweise angerufenen Dämon bahnen sich nämlich noch einige andere Wesen aus dem Zwischenreich ihren Weg ins Haus der Walshs, die nicht allerbester Laune sind. Zudem duldet der Dämon keinerlei Störungen durch Außenstehende. Da alles nicht so ganz wie versprochen läuft, suchen die Walshs Hilfe bei dem Nachwuchssatanisten Ian (Josh Cruddas) – ihr letzter Fehler.

Ein Blick in das bisherige Œuvre von Regisseurs Justin G. Dyck ernüchtert dann doch etwas: Der Mann hat mit Ausnahme des vorliegenden Horrorjuwels ausschließlich und wie am Fließband Familienspäße und Adaptionen von RomCom-Geschichten des Groschenroman-Publishers „Harlequin“ inszeniert, darunter eine ganze Reihe (mutmaßlich ziemlich) kitschiger (augenscheinlich jedoch recht beliebter) Weihnachtsfilme fürs kanadische Kabelfernsehen.
Dass ausgerechnet aus dem zementgleichen Schaffen eines solchen Herrn eine schwarze Blume wie „Anything For Jackson“ hervorsprießt, verwundert da nicht wenig. Dyck und sein Autor Keith Cooper haben sich da offenbar lustvoll von ihrer (teilweise gemeinsamen) üblichen Profession freigeschärlt, um etwas ihrer „regulären“ Arbeit gänzlich Diametrales entgegenzusetzen – mit verdientem Erfolg. „Anything For Jackson“ erzählt sein winterliches Teufelsmärchen geradezu unaufgeregt und mit immer wieder aufblitzendem, sanftem Humor, der ebenso schwarz wie subtil um die Ecken lugt. Dass der Stoff im Prinzip knallharte Genrekost bietet, lässt der visuell vergleichsweise zurückhaltende Film dabei allerdings nie außer Acht und geht seinen Weg unbarmherzig bis zum bösen Ende. Erfrischend fand ich dabei die Observierung kleinstädtischer satanistischer Subkultur, der „Anything For Jackson“ eine Mini-Milieustudie spendiert: Die Walshs sind, natürlich einzig wegen ihrer persönlichen Agenda, Mitglieder in einer lokalen „Church Of Satan“, die ihre Messen im Hinterzimmer der hiesigen Bibliothek abhalten und die ansonsten aus eher gelangweilt scheinenden Außenseitern zu bestehen scheint – mit Ausnahme des später bemüßigten Ian, eines verschrobenen, Black Metal hörenden Muttersöhnchens, das den vermeintlichen Mummenschanz im Gegensatz zu den anderen jedoch ziemlich ernst nimmt.
Wo üblicherweise unbedarfte Teenager mit Ouija-Brettern hantieren, beschwört in „Anything For Jackson“ nun ein gesetztes, gesellschaftlich sehr respektables Ehepaar eine höllische Heerschar herauf. Der Endeffekt ist allerdings ähnlich und wohl nicht erst seit Goethe stets derselbe. Wie die eigentlich doch wohlmeinenden Walshs dann von Geistern und vor allem einem sich in letzter Instanz manifestierenden, unförmigem Dämon heimgesucht werden, das erzählen Dyck und Cooper absolut gekonnt, ideenreich und einwandfrei – und drehen lahmarschigen, aber sehr viel teureren 08/15-Studio-Produktionen wie etwa dem jünsten „Conjuring“-Sequel zugleich eine lange Nase.

8/10

THE CONJURING: THE DEVIL MADE ME DO IT

„I don’t want to go down there.“

The Conjuring: The Devil Made Me Do It (Conjuring 3 – Im Bann des Teufels) ~ USA/UK 2021
Directed By: Michael Chaves

Im Jahre 1981 untersucht das Okkultisten-Paar Lorraine (Vera Farmiga) und Ed Warren (Patrick Wilson) den Fall des besessenen, elfjährigen David Glatzel (Julian Hilliard). Im Zuge des später anberaumten Exorzismus bietet sich Arne Johnson (Ruairi O’Connor), der Freund von Davids älterer Schwester Debbie (Sarah Catherine Hook), dem Dämon als Ersatzwirt an. Ed erleidet während der Ereignisse einen beinahe tödlichen Herzinfarkt. Zwar ist der kleine David hernach kuriert und auch sonst scheint zunächst alles in Ordnung, bis Arne einige Wochen später im Zuge scheinbarer geistiger Umnachtung seinen Vermieter Bruno Sauls (Ronnie Gene Blevins) ersticht. Nachdem Arne sich widerstandslos verhaften lässt und wegen Mordes angeklagt wird, findet Lorraine heraus, dass der Dämon noch immer latent mit Arne in Verbindung steht. Die Warrens entdecken einen satanistischen Fetisch unter dem Haus der Glatzels, der sie auf die Spur einer im Hintergrund agierenden, mächtigen Drahtzieherin (Eugenie Bondurant) setzt. Jene hatte den sinistren Dämon einst heraufbeschworen und trachtet nun wiederum mit dessen Hilfe Arnes Leben ein Ende zu setzen.

Im dritten Teil der mittlerweile ja recht fruchtbar unterverzweigten „Conjuring“-Reihe ermitteln die Warrens nach ihrem Abstecher nach London wieder in heimischen, neuenglischen Gestaden. James Wan, der ja mittlerweile wohl vornehmlich Projekte größeren Stils dirigiert, fungiert nurmehr als Produzent und Co-Autor, derweil „Llorona“-Regisseur Michael Chaves hier seine zweite Langfilm-Arbeit inszeniert. Die Story-Prämisse bildete diesmal der in den USA recht bekannte „Devil Made Me Do It“-Gerichtsprozess, in dessen Zuge Arne Cheyenne Johnson unter Berufung auf die Warrens beteuerte, während des ihm zur Last gelegten Gewaltaktes Opfer dämonischen Einflusses gewesen zu sein. Dass er der infolge eines Totschlags-Urteils der drohenden Todesstrafe entging und trotz einer wesentlich höheren Freiheitsstrafe bereits nach fünf Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde, suggeriert der Film während des Abspanns noch als indirekten Effekt der warrenschen Insistierung, obschon dieser während des eigentlichen Prozesses keinerlei Evidenz zukam.
Man kann sich als Filmfreund glücklich schätzen, dass die echten Warrens mit Vera Farmiga und Patrick Wilson zwei recht sympathische filmische Stellvertreter erhalten haben, zeugen selbst oberflächichste Rechecherche nebst anhängenden Archivaufnahmen des Ehepaars doch von ausgesprochen wenig Vertrauen erweckenden Spinnern und/oder Scharlatanen, deren authentisches „Wirken“ im besten Falle tatsächlich ausschließlich als halbgare Kintopp-Inspiration dienen mag; von der immer wiederkehrenden Effektivität rein christlich basierter Gegenmaßnahmen im Zuge ihrer Aktionen einmal gar nicht zu reden.
Was Chaves‘ eigentlichen Film anbelangt, so bescheidet sich dieser mit einem biederen, überraschungsfreien und mit wenigen Ausnahmen annähernd spannungslosen Aufzug. Schöne, atmosphärisch angelegte Figuren wie der Valak oder der Crooked Man, die der letzte Teil noch aufzubieten wusste, fehlen faktisch gänzlich. Ein fetter, nackter Geist (Jay Peterson) und die strippenziehende Satanistin Isla (Bondurant) bieten da nur vergleichsweise schmalen Ersatz. Stattdessen gibt es gnadenlos kitschige Rückblicke auf die jugendliche Kennenlernzeit der Warrens, deren romantisches Band sich dann am Ende auch als funktionalste Waffe wider die Mächte des Bösen ausgestellt findet. Formal wie darstellerisch medioker scheint sich somit auch dieses Franchise allmählich der Ermüdung feilzubieten, wobei es noch einige Geschichten um die Warrens gibt, die erzählt werden könnten. Ob sie dies auch wirklich sollten, wird die Zukunft zu zeigen haben.

5/10

UNDER THE SHADOW

ZItat entfällt.

Under The Shadow ~ UK/JO/QA 2016
Directed By: Babak Anvari

Teheran, in den achtiger Jahren. Während der Erste Golfkrieg tobt, ist es der jungen Ehefrau und Mutter Shideh (Narges Rashidi) unmöglich, ihr Medizinstudium wieder aufzunehmen. Im Zuge der Kulturrevolution war sie als Linksaktivistin umtriebig, was der auch sonst durchweg progressiven Shideh unter dem Chomeini-Regime als Subversion ausgelegt wird. Frustriert nimmt sie darüber hinaus zur Kenntnis, dass sich ihr Mann Iraj (Bobby Naderi), ein ausgebildeter Arzt, für den lebensgefährlichen Fronteinsatz meldet. Shideh bleibt mit ihrer kleinen Tochter Dorsa (Avin Manshadi) allein in der Mehrfamilienhauswohnung zurück. Als Bagdad die Bombadierung Teherans beginnt, schlägt eine Rakete ins Dach des Hauses, ein Stockwerk über Shidehs Appartment, ein ohne zu explodieren. Dorsa steht derweil heimlich im Kontakt mit dem Flüchtlingsjungen Mehdi (Karam Rasjayda), der beide Eltern verloren hat. Das Mädchen berichtet Shideh, Mehdi habe sie vor einem Djinn gewarnt, der angeblich das Haus heimsuchen soll. Tatsächlich verschwinden urplötzlich Mutter und Tochter wichtige Dinge – eine Puppe, ein geerbtes Medizinlexikon. Während sämtliche anderen Hausbewohner aus Sorge vor den immer frequentierteren Bombardierungen das Gebäude verlassen, weigert sich Shideh, die selbst zunehmend in den Konflikt zwischen Raison und Aberglauben gerät, weiterhin standhaft, zu den Schwiegereltern zu ziehen…

Als leiser, an Polanskis Mietshaus-Trilogie angelehnter Horrorfilm ist „Under The Shadow“ weniger interessant. Die „Auftritte“ des Djinn, also eines im islamischen Glauben verankerten Dämons, finden sich mit standesgemäßen, leidlich überzeugenden Mitteln wie jump scares aufbereitet und bieten somit kaum Innovation. Als deutlich involvierender gestaltet sich indes der Diskurs hinsichtlich der äußeren historischen und sozialpolitischen Implikationen des Mittachtziger-Iran und deren Reziprozität mit dem intradiegetischen Geschehen: Shideh lebt und leidet als selbstbewusste Frau in einem Albtraum systemischer Repression. Für die geringsten Regelübertretungen drohen drakonische Strafen, der unbeirrbare Glaube bildet die oberste, existenzielle Maßgabe. Ohne Hijab und schwarzes Gewand ist kein Schritt in der Öffentlichkeit möglich, ein verbotenes Jane-Fonda-Aerobic-Video, Shidehs kleines, tägliches Fenster zur Selbstbestimmtheit, wird gehütet wie ein Kleinod. Selbst dafür, dass sie Auto fährt, sieht man Shideh allerorten schief an. Dass sie infolge der eigenen, biographischen Erfahrungen, die sich bis in die Gegenwart hinein aus Unterdrückung und Unfreiheit speist, im Grunde längst überzeugte Atheistin ist, muss unter allen Umständen ein Geheimnis bleiben. Das Höchste der Gefühle besteht darin, ihrer affirmativen Nachbarin (Aram Ghasemy) entnervt zu bedeuten, dass sie den Glauben an Djinn und ähnliche Höllenwesen für Unsinn halte. Jene Überzeugung sieht sich alsbald allerdings einer harten Prüfung unterworfen, indem sich die unerklärlichen Phänomene häufen, zumindest in der Wahrnehmung Shideh und ihrer Tochter Dorsa, deren Beziehung infolge dessen ebenfalls auf eine schwere Probe gestellt wird.
Zwar lässt Anvari offen, ob Mutter und Kind tatsächlich zu Opfern einer übernatürlichen Entität werden oder sich lediglich ihre Wahrnehmung infolge ihrer immens belastenden Lebensumstände verschiebt (letzteres wäre in diesem speziellen Fall wünschenswert) – an einer Tatsache jedoch kann kein Zweifel bestehen: Wenn das Böse einen Fuß in die Tür zwischen seiner eigenen, mystischen und unserer realen Welt bekommt, dann liegt das stets daran, dass wir jene Pforte zuvor geöffnet haben, sei es durch religiösen Fanatismus, diktatorisches Gebahren, Unterdrückung oder Krieg. Die Hölle ist stets da, wo Menschen sind.

7/10

HIS HOUSE

„It has followed us here.“

His House ~ UK 2020
Directed By: Remi Weekes

Das aus dem Südsudan stammende Ehepaar Rial (Wunmi Mosaku) und Bol (Sope Dirisu) lebt nach seiner Ankunft in England in einer Flüchtlingsunterkunft. Nyagak (Malaika Wakoli-Abigaba), die Tochter der beiden, ist zuvor während der Schiffspassage ertrunken. Ihr Verlust hat tiefe Risse bei Bol und Rial hinterlassen. Schließlich wird dem Paar unter strikten Aufenthaltsauflagen ein verwahrlostes Reihenhaus in einer anonymen Vorstadtsiedlung zugewiesen. Es dauert nicht lange, bis Bol, dem der Verbleib in der neuen Heimat über alles geht, Geister zu sehen beginnt. Vor allem Nayagaks unruhige Seele scheint voller Wut auf ihn und treibt Bol mit ihren ebenso aggressiven wie anklagenden Erscheinungen an die Grenzen des Wahnsinns. Auch Rial nimmt die Gespenster wahr. Für sie handelt es sich um einen Apeth, einen Dämon, der mit Schuld beladene Opfer bis aufs letzte Haar verschlingt, bevor er wieder Ruhe gibt. Während Bols und Rials Betreuer (Matt Smith) sich Sorgen zu machen beginnt, gilt es für die beiden, den Apeth irgendwie wieder los zu werden…

Dass der jüngere Horrorfilm sich, wie es den Wurzeln des Genres ja ohnehin seit eh und je entspricht, einer der kulturell bedeutsamsten Indikatoren für diverse gesamtgesellschaftlich geführte Diskurse zeigt, sollte keinem halbwegs aufmerksamen Genrebetrachter entgangen sein. Remi Weekes‘ „His House“ nun ist wohl einer der ersten Beiträge der Gattung zur Flüchtlingsthematik, und ein gleichermaßen sensibler wie berückender dazu. Ohne den Haunted-House-Topos seiner fest eingeschriebenen Ingredienzien zu berauben oder diese gar formal zu innovieren, erzählt Weekes wie beiläufig, was es heißt, eine krisengeschüttelte Heimat um Leibes und Lebens Willen hinter sich lassen und all die weiteren Entbehrungen auf sich nehmen zu müssen, die damit einhergehen, in das so sicher scheinende Mittel- bzw. Westeuropa zu migrieren. Denn die diversen, psychobiographisch versiegelten Traumata, die Albträume und möglicherweise auch auf sich geladene Schuldkomplexe bleiben – auch wenn der neu betretene Grund und Boden nicht von sichtbarem Blut getränkt sein mag. Der Apeth, die symbolische Manifestation all des Zurückgelassenen, ist längst nicht die einzige unnehmbar scheinende Hürde zur Sorgenfreiheit. Da sind auch noch die fremde Sprache, die andersartige Kultur, die hässliche, graue Zubetoniertheit der westlichen Urbanität, die Despektierlichkeit der hiesigen, weißen Ureinwohner mit all ihren kleinen und großen alltagsrassistischen Ressentiments, die aus ihrem Widerwillen und ihrem Unverständnis größenteils erst gar keinen Hehl machen. Ein schmuckloses, verkommenes Haus ohne Leben mit Müll, Dreck und Ungeziefer, Nachbarn ohne zwischenmenschliche Regungen, ein paar Pfund zum (Über-)Leben, dumme Bemerkungen, Verbote und Einschränkungen allerorten. Rial und Bol kommt das gepriesene, sichere England vor wie eine Teildiktatur mit ihnen selbst als humanem Bodensatz. Als ob all das nicht ausreichte, sind da noch die Schreie der Ertrunkenen, Ermordeten, Zurückgebliebenen, die in jeder ruhigen Minute ihr unablässiges Echo platzieren. Welcher Weg der richtige ist, müssen Rial und Bol erst herausfinden, wo „His House“ ihn stellvertretend für sie bereits gepflastert hat und nun mit ihnen beschreitet. Die einzige Option muss (und kann nur) lauten: weitermachen, kämpfen, niemals aufgeben.

8/10

AMULET

„What is happening to me?“

Amulet ~ UK/AE 2020
Directed By: Romola Garai

Der Veteran Tomaz (Alec Secareanu) hat seinen Kriegsdienst einst als Grenzposten auf irgendeinem osteuropäischen Konfliktschauplatz verrichtet. Nun lebt er als Flüchtling und Tagelöhner in London. Als das Heim, in dem er schläft, abbrennt, nimmt sich die Nonne Schwester Claire (Imelda Staunton) seiner an. Tomaz soll der in einem halbverfallenen Haus mit ihrer gebrechlichen Mutter lebenden, Magda (Carla Juri) helfen, notdürftig das Gebäude instand zu halten. Dafür bekommt er Kost und Logis. Die eigenbrötlerische Magda fasziniert den immer wieder von traumatischen Flashbacks heimgesuchten Ex-Soldaten und obwohl er ahnt, dass die kaum menschlich erscheinende Gestalt auf dem Dachboden, die Magdas Mutter sein soll, ein schreckliches Geheimnis umgibt, verliebt er sich in die junge Frau. Zwischenzeitliche Entschlüsse, dem Haus und den Frauen den Rücken zuzukehren, revidiert Tomaz immer wieder, bis er schließlich die grauenhafte Wahrheit erkennen muss und auch, dass seine Rolle in einem schicksalhaften, übernatürlichen Gefüge schon lange determiniert ist.

Das grandiose Regiedebüt der bislang ausschließlich als Darstellerin in Erscheinung getretenen Romola Garai reiht sich thematisch in die Garde des feministisch geprägten, jungen Horrorkinos ein und bereichert dieses um einen weiteren, ebenso hochinteressanten wie sehenswerten Beitrag. Garai, die auch als eine der vielen Anklägerinnen im Weinstein-Prozess fungierte (und somit nochmal eine zutiefst persönliche Agenda in diese Arbeit einfließen ließ), erweist sich als erstaunlich stilsichere Filmemacherin, die sich nicht davor scheut, ein extrem gemächliches Erzähltempo vorzulegen, in stark artifizialisierte Bereiche vorzudringen, Ellipsen einzusetzen oder mit kräftigen Formalia wie ausgeprägtem Chiaroscuro, von denen andere DebütantInnen eher wohlweislich die Finger ließen, zu arbeiten. Das komplexe Resultat ist ein mutiges, fabulierfreudiges, wenngleich sich betont sperrig und unzugänglich gebendes Genrestück, das das Unverständnis, mit dem ihm ein Großteil des unterhaltungsbedürftigen Publikums begegnen dürfte, nicht nur bereitwillig in Kauf nimmt, sondern a priori tapfer einkalkuliert. Dabei lohnt es sich immens, sich auf „Amulet“ einzulassen, da seine Mehrdimsionalität, seine labyrinthische Struktur und vor allem die fabulierfreudigen Bilderwelten sich erst im letzten Drittel zur Gänze erschließen. Dass unter den gleichermaßen geschmackvollen wie entgleisten Schichten ferner ein dezidiert antipatriarchalischer Thesenfilm lauert, der Motive um paganistische Entitäten mit feministischer Kraft auflädt, wird manch männlichen Zuschauer nachhaltig befremden. Gut so!

8/10