FREEJACK

„What about us?“ – „‚Us‘ was eighteen years ago.“

Freejack ~ USA 1992
Directed By: Geoff Murphy

Der New Yorker Rennfahrer Alex Furlong (Emilio Estevez) staunt nicht schlecht, als er sich nach einem spektakulären Crash statt im Jenseits in einem futuristischen Krankenwagen wiederfindet. Des Rätsels Lösung, die sich erst nach und nach entblättern wird: Alex wurde unmittelbar vor seinem natürlichen Ableben durch eine Zeitmaschine ganze 18 Jahre in die Zukunft versetzt, um dort seinen jungen, gesunden Körper einem ebenso todkranken wie zahlungskräftigen wie Klienten zur Verfügung zu stellen – das Ganze natürlich höchst unfreiwillig. Doch Alex gelingt die Flucht vor seinen Kidnappern, womit er ein „Freejack“ ist, ein Vogelfreier, dessen Ergreifung dem emsigen potenziellen Fänger Millionen von Dollars verspricht. Die Ära des Jahres 2009 entpuppt sich nämlich als mittelgradiger Albtraum aus endgültiger Klassentrennung, kapitalistischer Dystopie und Umweltverschmutzung, in der es nurmehr Superreiche und Subprekariat gibt. Spezialisiert auf die Ergreifung von Freejacks sind die sogenannten „bonejackers“, Kopfgeldjäger unter der Führung von Victor Vacendak (Mick Jagger), die über allerlei wirkungsvolle Mittel verfügen. Alex‘ einzige und letzte Chance liegt darin, seine damalige Freundin Julie (Rene Russo), mittlerweile Topmanagerin in der alles beherrschenden „McCandless Corporation“, ausfindig zu machen und auf seine Seite zu ziehen…

Der seinerzeit in Ehren gefloppte „Freejack“, eine lose auf Ronald Sheckley, respektive dessen 1959er-Roman „Immortality Inc.“ basierende, dystopische Actionkomödie, hatte es nie leicht – aus relativ eklatanten Gründen. Den knackigen, gleichermaßen klugen wie gewalttätigen Habitus der noch in den Köpfen befindlichen Verhoeven-Dystopien entbehrend, schert sich „Freejack“ (bemerkenswerterweise trotz der abermaligen Script-Beteiligung durch Ronald Shusett) relativ wenig um sein im Prinzip durchaus reizvolles dystopisches Szenario, sondern konzentriert sich zu voller Gänze auf die teils albernen Fluchteskapaden seines von Emilio Estevez gespielten Protagonisten. Jener, ein klein gewachsener, nicht sonderlich gescheiter Bursche, der eigentlich nichts kann, außer schnelle Autos (zu Schrott) zu fahren, kann es dann auch erwartungsgemäß nicht mit dem Kaliber des ansonsten für derlei Stoff zuständigen Arnold Schwarzenegger aufnehmen, der ja bereits in (dem gewissermaßen auch über Umwege Sheckley-Motive verarbeitetenden) „The Running Man“ einen Zukunftsflüchtling spielte. Vorab-Screenings müssen entsprechend debakulös ausgefallen sein, woraufhin knapp die Hälfte des Films nachgedreht wurde und Geoff Murphy gern seinen Namen zurückgezogen hätte. Mick Jagger und Anthony Hopkins, der, wohl noch vor seinen Oscar-Ehren, den Haupt-Villain spielt, meinten später, dass sie besser nicht in „Freejack“ hätten mitspielen sollen und dass der Film „schrecklich“ sei. Die eine oder andere Rückprojektion schließlich sieht tatsächlich schlimmer aus als bei den „Power Rangers“. Eine Menge morsches Holz also.
Und dennoch, hinter seinem oberflächlichen Scheitern ist „Freejack“ wie viele seiner Schicksalsgenossen auch, ein durchaus sympathisches Werk, in dem es viel Spaßiges zu entdecken gibt. Da wäre zunächst die illustre Besetzung, die bis in kleine Nebenparts hinein mit etlichen bekannten, zudem gut aufgelegten Gesichtern punktet; etwa Amanda Plummer als rotzfreche Nonne, Frankie Faison als Penner, der eine Abhandlung über die Zubereitung von Flussratten und den Absturz des amerikanischen Adlers hält oder New York Dolls-Sänger David Johansen als verräterischer Altkumpel, witzigerweise ein gewisses lookalike von Jagger, mit dem er leider keine gemeinsame Szene abbekommen hat. Überhaupt Jagger – dessen Auftritte entpuppen sich immer wieder als die wahren, kleinen Filetstückchen des Films, auch, wenn sein häufig unter einem Motorradhelm hervoschauender Mittelscheitel eher dämlich aussieht. Als moralisch wankelmütiger Strippenzieher, der im Herzen doch an eine bessere Welt glaubt und Furlong daher nebst seiner großen Finte am Ende ziehen lässt, hat er mir sehr gut gefallen. Dank Jaggers Mitwirkung gibt es auch einen Cameo seiner Damalsfrau Jerry Hall in der wohl wirrsten Szene des Films: Als Reporterin interviewt sie zufällig Furlong, der nach einem Whiskey sturzbesoffen an einem Discotresen sitzt (im Hintergrund läuft, falls sich noch jemand daran erinnert, Jesus Jones‘ „International Bright Young Thing“) und sich live lallend im TV als der gesuchte Freejack zu erkennen gibt. Die ganz große Fliegenpatsche behält sich Murphys Film (ich nenne ihn an dieser Stelle mal ganz bewusst so) fürs Ende vor: Ihre nunmehr achtzehn Jahre Altersunschied frohgemut ignorierend (zumindest das eine durchaus aparte, überaus romantische Volte) werden Furlong und Julie ihre keinesfalls dys- sondern aufgrund der ihnen nunmehr zur Verfügung stehenden Milliarden utopisches Paradies genießen können. Ihre Oldtimer-Fahrt in den imaginären Sonnenuntergang wird ausgerechnet „gekrönt“ von einer abschließenden Scorpions-Nummer – meines Wissens das einzige Mal, dass die Hannoveraner Jungs in einem Hollywoodfilm gefeaturet wurden. Das Ding schwirrt mir seit gestern unablässig als Ohrwurm im Kopf herum. Fluch oder Segen…?

6/10

DON’T WORRY DARLING

„Keep calm and carry on!“

Don’t Worry Darling ~ USA 2022
Directed By: Olivia Wilde

Dass irgendetwas nicht stimmt in der hermetisch abgeschotteten Firmenkommune Victory mit ihrer pastellfarbenen Fünfzigerjahre-Bonbonidylle nebst überkandidelter Werbeästhetik scheint die an der Oberfläche glücklich anmutende Alice (Florence Pugh) insgeheim längst registriert zu haben. Als ihre Freundin Margaret (KiKi Layne) sich im Sinne der wohlfeil organisierten Gemeinschaft zudem plötzlich höchst seltsam benimmt, diverse ortsgebundene Regeln übertritt und nach einem Selbstmordversuch spurlos verschwindet, manifestieren sich schließlich auch Alices Bedenken. Analog dazu als sie beginnt, die gleichförmige Alltagskulisse von Victory zu hinterfragen, im Trüben zu stochern und ihr nach dem Company-Patriarchen Frank (Chris Pine) und dessen Frau Shelley (Gemma Chan) auch noch ihr eigener, geliebter Mann Jack (Harry Styles) die Gunst entzieht, bricht sich ihr Unterbewusstsein Bahn…

Olivia Wildes zweiter Film „Don’t Worry Darling“ möchte leider wesentlich cleverer sein als er es letzten Endes zu sein bewerkstelligt. Seine dezidiert twistorientierte Ausrichtung, auf die mit aller Gewalt hingearbeitet wird, erweist sich als Konglomerat diverser mental anverwandter (Genre-)Vorläufer und/oder Archetypen, die vermutlich nur dann halbwegs effektiv funktioniert, wenn sie auf ein entsprechend unbeflissenes Publikum trifft. Andernfalls schießen einem geradezu unwillkürlich rasch etliche, mögliche Inspirationsquellen durch den Kopf, mit denen Script und Regie ausgiebig Schlitten fahren, um daraus ein immerhin mäßig launiges Feminismuspamphlet zu stricken. Man stelle sich vor, die urhebenden Damen haben ein großes Süppchen angerührt aus: „The Stepford Wives“, „Skeletons“, „Dark City“, „Pleasantville“, „The Truman Show“, „The 13th Floor“, „The Matrix“ bis hin zu „Antebellum“ sowie natürlich David Lynchs albtraumhaften Vorstadt-Zerrbildern nebst Artverwandtem und das Ganze hernach in eine zeitgemäß aufgebrezelte, zumindest ambitioniert und kompetent inszenierte Form gegossen.
Die plotinterne VR, die Victory-Realität nämlich, entpuppt sich also als durch und durch misogyn und patriarchalisch geprägte virtual reality im technischen Wortsinne (und nicht etwa in ihrer plastisch konstruierten Form wie etwa bei Levin/Forbes, DeCoteau oder Weir), innerhalb der mit ganz wenigen Ausnahmen nur die Männer wissen, dass ihre Körper im abgeschalteten Ruhezustand schlummern, während „ihre“ dauersedierten Frauen unfreiwillig einem obsoleten, archaischen Rollenverständnis zum Opfer gefallen sind. Dabei inszeniert sich der ominöse, grauenhaft ölige Frank (eine ironische, nominelle Reminsizenz an Dennis Hoppers gleichnamige Figur in „Blue Velvet“ möglicherweise…?) als eine Art gönnerhafter Sektenguru, der im Zuge pompöser Auftritte predigt, was seine fehlgeleiteten Testsosteronfollower von ihm erwarten, bis ihm irgendwann, als die ganze Geschichte implodiert, die eigene Gattin schließlich enerviert den Versagerstöpsel zieht.
„Don’t Worry Darling“ ist kein schlechter Film und beinhaltet sogar eine amtliche Regieleistung. Er vermag seine RezipientInnenschaft abzuholen und über die gesamte Distanz mitzunehmen, trägt schlussendlich jedoch die nicht zu unterschätzende Bürde der kompromisslosen Durchschaubarkeit, die nach einigem Abstand zur Betrachtung doch recht viel heiße Luft hinterlässt.

6/10

WEDLOCK

„You non-conformists are all alike.“

Wedlock ~ USA/UK 1991
Directed By: Lewis Teague

In naher Zukunft: Technikgenie Frank Warren (Rutger Hauer) wird nach einem groß angelegten Diamantenraub zunächst von seinen beiden Kompagnons Noelle (Joan Chen) und Sam (James Remar) hintergangen, hernach geschnappt und in das neue, privat organisierte Hochsicherheitsgefängnis „Camp Holliday“ überstellt, freilich nicht, ohne die Beute vorher in Sicherheit gebracht zu haben. In Camp Holliday erwartet Frank kein Zuckerschlecken: Wie alle dort einsitzenden Männer und Frauen erhält er ein hochtechnologisches Funkhalsband mit eingearbeitetem Plastikspengstoff, das explodiert, sobald es sich mehr als 100 Yards von seinem Gegenstück entfernt – wobei natürlich niemand weiß, wer sein/e oder ihr/e Wedlock-PartnerIn ist. Chef und Direktor Holliday (Stephen Tobolowsky) will Frank zudem mit allen Mitteln das Versteck der Diamanten entlocken und befleißigt sich dazu diverser, schäbiger Mittel. Insbesondere der hochaggressive Mitgefangene Emerald (Basil Wallace), der in Hollidays Diensten steht, drangsaliert Frank unentwegt. Unterdessen eröffnet ihm Tracy, dass ihr Halsband mit dem von Frank in Verbindung stehe, was dieser nicht recht glauben mag. Als es zum unausweichlichen Duell zwischen Frank und Emerald kommt, gelingt es Tracy, mit Frank zu fliehen. Nunmehr gilt es, gewissermaßen bombensicher aneinander gefesselt, vor der Polizei, vor Hollidays Leuten und auch vor Sam und Noelle, die mit Holliday zusammenarbeiten, zu fliehen. Und auf Frank wartet noch eine weitere, unangenehme Überraschung…

Dass „Wedlock“, den ich heuer erstmals gesehen habe, vor allem eine Actionkomödie ist, war mir nicht ganz klar. Ich hatte, in Unkenntnis des Inhalts ferner, eher ein futuristisches Knastszenario Marke „Fortress“ oder „No Escape“ erwartet, doch weit gefehlt. Tatsächlich steht eher die gemeinsame, turbulente Flucht und Paarbildung von Rutger Hauer und Mimi Rogers im Zentrum des mehr oder weniger temopreich inszenierten Geschehens, wobei infolge der wechselnden Stationen quer durch den Golden State auch klare Road-Movie-Elemente durchschimmern. Das Ganze ließe sich wohl am Ehesten als eine postmodernisierte Variation von Stanley Kramers „The Defiant Ones“ umreißen, minus dessen souialkritischen Impact und stattdessen „angereichert“ mit allerlei romantischen Verirrungen. Als relativ preisgünstig hergestellter HBO-Produktion fehlt es „Wedlock“ allerdings an Möglichkeiten: Sein futuristisches, in Teilen dystopisch angelegtes Szenario etwa bleibt weitgehende Behauptung. Mit Ausnahme der Tatsachen, dass der US-Strafvollzug infolge privatisierter Gefängnisse (ohne humanitäres Ethos) noch abenteuerlichere Züge annimmt als ohnehin schon sowie einer ab und zu kolportierten Wasserknappheit, sieht alles aus wie 1991. Die wenigen Actionszenen bleiben ziemlich bisslos und sein geringes Spannungspotenzial schöpft das Script aus zwei Sequenzen, in denen die Distanz zwischen Frank und Tracy zu groß zu werden droht. Man darf wohl vermuten, dass Teague, der sich im Rückblick nicht unzufrieden mit seiner Arbeit zeigt, das Bestmögliche aus seinen eingeschränkten Bedingungen herausholt. So zehrt „Wedlock“ primär von seinem antiproportional zu den production values zu verortendem, frisch aufspielenden Ensemble, das ein deutlich gesetzter wirkender, irgendwo zwischen larmoyanter Selbstironie und diebischer Spielfreude befindlicher (und somit sehr sehenswerter) Rutger Hauer souverän anführt.
Schade in jedem Falle, dass Lewis Teagues goldene Regiezeit auf die 1980er-Dekade (und somit immerhin ganze fünf schöne Filme) beschränkt bleibt und er danach fast ausschließlich Fernsehen machen musste.

6/10

DON’T LOOK UP

„Shit’s all fucked up. Don’t forget to like and subscribe.“

Don’t Look Up ~ USA 2021
Directed By: Adam McKay

Durch Zufall entdecken die beiden Astronomen Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) und Randall Mindy (Leoardo DiCaprio) einen Kometen, der in rund sechs Monaten auf die Erde prallen und dessen Einschlag hier annäherend sämtliches Leben auslöschen wird. Die ebenso pr-geile wie intellektuell eingeschränkte US-Präsidentin Orlean (Meryl Streep) und ihr Stab zeigen sich von der apokalyptischen Hiobsbotschaft wenig beeindruckt, immerhin gilt es just, einen innerpersonellen Skandal auszubügeln. Auch der daraufhin eingeschlagene Weg, die Öffentlichkeit über eine populäre TV-Talkshow aufzurütteln, verpufft sang- und klanglos – die Leute interessieren sich sehr viel mehr für die Beziehungskrise eines prominenten Musikerpärchens (Ariana Grande, Kid Cudi). Als sich Wochen später die zerstörerische Existenz des mittlerweile nach seiner Erstsichterin Diabiasky getauften Kometen zumindest vulgärwissenschaftlich doch nicht mehr leugnen lässt, tut das Gros der Menschheit, was es eben so tut im Angesicht unverrückbarer Tatachen – leugnen, protestieren, ausweichen, verleumden, weg-, vor allem aber: bloß nicht nach oben sehen. Eine Zerstörungsmission wird im allerletzten Augenblick abgeblasen, denn Dibiasky besteht aus wertvollen Rohstoffen, die der Kommunikationselektronikindustrie ein Multibillionengeschäft bescheren würde. Leider misslingt ebenso der Alternativplan, den kosmischen Brocken in ungefährlichere Einzelteile aufzusprengen. Somit heißt es am Ende völlig zu Recht: Bye bye, humanity.

Die wirklich relevanten, bleibenden Filmsatiren bilden seit eh und je eines der geschmacksintensivsten Gewürze nicht allein im Comedysektor, zumal, wenn sie eine elementare gesellschaftspolitische Relevanz aufweisen. Man denke, um nur ein paar persönliche Lieblinge anzuführen, an Jahrhundertwerke wie „The Great Dictator“, „Dr. Strangelove“, „Network“, „Trading Places“ , „Natural Born Killers“ und „Fight Club“, allesamt bleibende Spiegelbilder besimmter Facetten der Verlorenheit ihrer jeweiligen Ära, allesamt brillant arrangiert, zutiefst gallig und doch urkomisch. „Don’t Look Up“ zieht nonchalant in jenen Olymp ein, er ist DER Film (zu) unserer Zeit. Und wie es sich für kontroverse Meisterwerke geziemt, ist das (angesichts der Verkaufsmechanismen und des gewaltigen Staraufgebots des Films bloß naturgemäße) Echo ein Panoptikum der Überforderung und bestätigt bloß, was McKay in seinem omnipotenten Rundumschlag wider ein Amerika des freidrehend pervertierten Wert- und Selbstverständnisses ohnehin zu jeder Sekunde durchblitzen lässt – unsere schöne Menschenwelt war und ist noch mehr eine der entgrenzten Borniertheit, der glattpolierten Oberflächenreize und der totalen Selbsträson. Zu uneingeschränkt positiven Stimmen zu McKays Königsgroteske mag sich scheibt’s keiner hinreißen lassen. Ein wenig Google spricht Bände: Die „Fans“ seien wütend, dass Matthew Perry herausgeschnitten wurde, dabei wäre dies doch sein überfälliges Comeback gewesen. Irrlichternde Parallelen zu Michael Bays „Armageddon“ (!) werden gezogen, und das nichtmal selten, der Klamauk moniert und die schlecht getimte Dramaturgie, die ihr Feuer ja allzu verfrüht verschieße. Die Realität habe den für einen früheren Starttermin und wegen Covid verschobenen „Don’t Look Up“ wiederholt und seine satirische Sprengkraft dadurch entscheidend entwertet.
Mir fällt in Anbetracht solcher völlig am Objekt vorbeischießender Aussagen (oder gehen sie alle vielleicht bloß McKay in die Falle?) nurmehr die Kinnlade herunter, aber bis auf den Boden, quasi Tex-Avery-mäßig. Tatsächlich liefert „Don’t Look Up“ nach meinem Dafürhalten nicht nur ein unfassbar passgenaues Zeitporträt, er ist vor allem auch ein formidabler Autorenfilm, mit dem Adam McKay endlich ganzheitlich zu sich selbst findet, nachdem er in den beiden hervorragenden Bale-Vehikeln „The Big Short“ und „Vice“ eine Abkehr von den Albernheiten seiner bis 2013 abgefeuerten Ferrell-Komödien hin zu mehr Respektabilität und vor allem Ernsthaftigkeit vollzogen hatte. „Don’t Look Up“ kombiniert gewissermaßen das Beste beider Welten – den anarchischen, genrebelassenen Humor der frühen Tage und die spätere, scharf sezierende Pespektivierung auf ein Amerika, das diesseits der Jahrtausendwende auch noch seinen letzten Rest Menschenverstand eingebüßt zu haben scheint. Dass dies nicht nur funktioniert, sondern sich vielmehr als überaus weise und durchaus ausgewogene Stilmixtur präsentiert, die auch mal den Mut zur Inkonsequenz aufweist, lässt sich anhand beinahe jeder Szene dieses unglaublich gelungenen Films ablesen. We’ll meet again…

10/10

NUEVO ORDEN

Zitat entfällt.

Nuevo Orden (New Order – Die neue Weltordnung) ~ MEX/F 2020
Directed By: Michel Franco

Just am Tage von Mariannes (Naian González Norvind) glamourös arrangierter Hochzeit probt das mexikanische Prekariat den landesweiten Aufstand: Schwer bewaffnet und mit grüner Sprühfarbe ausgestattet greifen die Millionen von indigenen Armen die schwerreiche, vornehmlich europäischstämmige Oberschicht an, plündern und schrecken auch vor Mord nicht zurück. Das Militär nutzt derweil die Unruhen, um im Hintergrund kurzerhand eine Diktatur zu installieren, zu morden und zu kidnappen. Ausgerechnet Mariannes soziales Gewissen wird ihr zum Verhängnis: Um der schwerkranken Frau (Analy Castro) ihres früheren Hausangestellten Rolando (Eligio Meléndez) eine lebensnotwendige Herzoperation zu ermöglichen, verlässt sie das Haus und gerät über Umwege in die Fänge der Junta. Mariannes mittlerweile in trügerischer Sicherheit befindliche, ahnungslose Familie erhält eine erpresserische Nachricht, zieht jedoch die völlig falschen Schlüsse…

Michel Francos dystopisches Drama rührte sein globales, vor allem jedoch das mexikanische Publikum in mannigfaltiger Weise an, wobei die schroff-trockene, teils dokumentarisch anmutende Inszenierung nicht selten für Verwirrung sorgte: Francos oberflächlich anmutender Verzicht auf jedweden politischen Kommentar riss diverse ZuschauerInnen dazu hin, „Nuevo Orden“ als neoliberales, rassistisches Manifest zu erachten, als warnenden Weckruf für die hellhäutigen Reichen, auf der Hut zu sein vor all dem, was im Lande außerhalb ihrer elitären alltäglichen Wahrnehmung so an Gefährdendem vor sich hin brodelt. Natürlich zielt eine derart plumpe Lesart im weiten Bogen an Francos tatsächlicher Agenda vorbei. Gewiss, sein von betonter narrativer Nüchternheit geprägter, bewusst spannungsarmer und dadurch doch nur umso realitätsnäherer Albtraum birgt tendenziöse Strickmuster, diese repräsentieren jedoch nicht mehr oder weniger als die unumwundene Spiegelung der realen Zustände. Der Mexiko prägende gesellschaftliche Separatismus indiziert einen immens fragilen sozialen Makrokosmos – eine „Mittelschicht“ ist dort noch weniger vorhanden als etwa in den Staaten der EU, Arm und Reich bilden klar voneinander abgegrenzte Fronten, die sich zudem durch ihre jeweilige ethnische Basis kennzeichnen. Hinzu kommen die organisierte Kriminalität mitsamt ihren filigran errichteten Hierarchien und ihrer immensen Gewaltbereitschaft sowie korrupte Staatsgewalten. Das von rund 130 Millionen Menschen bewohnte Land entspricht einem potenziellen Pulverfass und Michel Franco zeigt binnen knapper Erzählzeit lediglich eine mögliche Explosionsoption auf. Moralinsäure oder gar den erhobenen Zeigefinger erspart er sich dabei entgegen allen anderslautenden Unkenrufen; die in „Nuevo Orden“ geschilderten Ereignisse stehen vielmehr da als die grausigen, aber logischen Kausalitätsauswüchse sich sukzessive selbst abschaffender sozialer Gerechtigkeit.

8/10

SNOWPIERCER

„We go forward.“

Snowpiercer ~ KR/CZ 2013
Directed By: Joon-ho Bong

Wieder einmal erweist sich ein radikaler, wissenschaftlich implizierter Schritt zur Weltenrettung nurmehr als Beschleuniger des Armageddon: Nach Einsatz eines chemischen Kältemittels erstarrt der gesamte Globus zu einer einzigen Eiswüste. Die letzten etwa eintausend Überlebenden rasen in einem gewaltigen Zugungetüm, dem „Snowpiercer“, in endloser Umrundung um die Erde. Alles in dieser letzten großen Arche funktioniert scheinbar autark, der Antrieb, die Ernährung der Passagiere. Allerdings bleibt die Menschheit auch nach 17 Jahren „Snowpiercer“ strikt ihren althergebrachten Sozialstrukturen verhaftet: Das in Dreck, Dunkelheit und Gestank hausende Prekariat pfercht sich, ernährt von faden Proteinregeln und unter permanenter Knechtung von Wachtposten und der die Zugspitze repräsentierenden, unleidlichen Ministerin Mason (Tilda Swinton) in die hinteren Waggons, derweil die Oberklasse im vorderen Bereich ihren eigenen, sorgsam bewahrten Luxusgeschäftigkeiten nachgeht. Natürlich hat die revolutionäre Gärung unter den Armen längst eingesetzt, zumal ständig Kinder ohne weitere Erklärung mit nach vorn genommen werden und ein unbekannter Gesinnungsgenosse geheime Informationen aus dem Vorderzug absetzt. Diese gelangen in die Hände des Chefauständlers Curtis (Chris Evans), der schließlich die Rebellion wagt und sich mit seinen ihn begleitenden Leuten sowie der unverzichtbaren Unterstützung des unterdessen aus dem Tiefschlaf befreiten Ingenieurs Namgoong Minsoo (Kang-ho Song) immer weiter durch den Snowpiercer kämpft – bis ihn an dessen Spitze eine unerwartete Überraschung empfängt…

Joon-ho Bongs erster anglophoner Film mit einer sehr prominenten Besetzung basiert auf einer vierteiligen französischen Comicalbenreihe, die zwischen 1982 und 2015 erschien. Der Finalband wurde mit fünfzehn Jahren Abstand von einem anderen Autoren nachgesetzt, worauf wiederum mutmaßlich die vorliegende Adaption nachhaltigen Einfluss hatte. „Snowpiercer“ geriert sich auf den ersten Blick als relativ klassische Dystopie. Der Mensch erweist sich abermals als des Menschen Wolf und sorgt zunächst durch den von ihm selbst induzierten Klimawandel und hernach durch den verzweifelten Versuch, ebendiesen abzuwenden, für das (vorübergehende) Aus all seiner Existenzgrundlagen. Die vormalige Hierarchie zwischen Arm und Reich, Knechtschaft und Herrschertum projiziert sich auf die letzten Überlebenden. Wie in allen gegenwärtigen Hierarchien zeigt sich dabei schlussendlich, dass die dekadente Elite lediglich durch die „Pflege“ der Ärmsten ihren gewohnten Lebensstil pflegen und vor der totalen Derangierung bewahrt werden kann; ein Paradoxon, zumal die tote Außenwelt sich insgeheim bereits stellenweise zu erholen beginnt. Wie ebenfalls aus dem Plexus dystopischer Phantasien gewohnt, muss auch in „Snowpiercer“ der wohl nicht von ganz ungefähr mit Captain-America-Darsteller Evans besetzte Held eine verlustintensive Erkenntnisreise auf sich nehmen, um dem Ungeheuerlichen, das jene verwerflichen Systematiken am Laufen hält, auf die Spur zu kommen. Ebendiese Reise führt durch den „Snowpiercer“, einmal von ganz hinten bis nach ganz vorne und aus ebender Fragmentierung dieses Trips, die mit der sukzessiven „Erschließung“ immer weiterer, immer bizzarerer, physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Raum und Begrenzung scheinbar immer weniger gehorchenden Waggons einhergeht, liegt zugleich der Hauptreiz des Films. Curtis und seine Getreuen beteugen in symbolhafter Darstellung gewissermaßen die gesamte maslowsche Bedürfnispyramide in aufsteigendem Durchsturm, bis der gerecht zürnende Dissident, der die letzten zweieinhalb Dekaden von drögen, aus Ungeziefer bestehenden Proteinregeln leben musste, schließlich an des Großen Bruders Milfords (Ed Harris) Tafel sitzt, ein edles Filet auf dem kostbaren Teller. Der besagte Weg, der dorthin führt, erschließt in durchaus geschickter Weise, was die allermeisten von uns antreibt. Unabhängig von den aktionsreichen, natürlich stets aufregend bebilderten Kämpfen und Erleuchtungen, deren Bestreiten eher als schicke Makulatur im Gedächtnis bleibt, subsummiert sich Bongs Film auf die große, kosmische Wahrheit: Die einen fressen Scheiße, während die anderen Partys feiern in Saus und Braus. Der „Snowpiercer“ liefert für diese jahrtausendealte lediglich ein weiteres, postmodernes Bild – wobei es davon ja im Prinzip nie genug geben kann.

8/10

L’ULTIMO GUERRIERO

Zitat entfällt.

L’Ultimo Guerriero (Rockit – Final Executor) ~ I 1984
Directed By: Romolo Guerrieri

Jahre nach dem nuklearen Holocaust teilt sich die Menschheit grob in zwei unterschiedliche Gesellschaftsstränge: die „Ausgestoßenen“ dienen einer privilegierten Oberschicht, die die Hoheit über Nahrungsmittel und Waffen genießt, als bloße Jagdbeute. Eines Tages landen auch der Kybernetiker Alan Tanner (William Mang) und seine Partnerin (Cinzia Bonfantini) unter jenen bedauernswerten Todgeweihten. Sie geraten in die Fänge der Jägerin Hydra (Marina Costa) und ihres Trosses. Alans Frau wird in seinem Beisein vergewaltigt und ermordet, er selbst später offenbar tot zurückgelassen. Doch der Ex-Polizist Sam (Woody Strode) findet ihn, pflegt ihn gesund und hilft ihm später, sich auf seine Blutrache gegen Hydra und den nicht minder sadistischen Erasmus (Harrison Muller) vorzubereiten.

Nomen est omen: Romolo Guerrieris tatsächlich letzte vollwertige Regiearbeit fällt unter die zeitgenössisch angesagten italienischen Endzeit-Plagiatsfilme im Gefolge vor allem von „Mad Max 2“, muss sich allerdings leider zu deren schwächeren Vertretern zählen lassen. Begründen muss man dies vor allem mit den überaus bescheidenen production values. Gewiss, die Italiener haben für ihre Genrewerke insbesondere nach der Ära der internationalen Co-Produktionen, sprich: in den achtziger Jahren, nie sonderliche viele Lire springen lassen, was den meisten im postapokalyptischen Milieu angesiedelten Action-/SciFi-Filmen anzusehen ist. „L’Ultimo Guerriero“ jedoch wirkt mit seinem sichtlich schmalen Budget wie eine bloße Abschreibungsproduktion. Wo ansonsten zumindest flott umgebaute Fahrzeuge, mäßig maskierte Mutanten und fantasievolle Kostüme zu Trümpfen wurden, hat Guerrieris Finale praktisch nichts von alledem zu bieten. Das Hauptmotiv variiert abermals „The Most Dangerous Game“, kleidet den Manhunt-Topos in dystopische Gewandung und kombiniert es mit einer Rachegeschichte. Das Script wähnt sich clever, wenn es den karg bewaffneten Helden am Ende mit einem Résistance-Kreuz zur Gegenwehr schreiten lässt und zieht als bombe surprise den langsam steif werdenden, aber immer würdevoll bleibenden Woody Strode aus dem Ärmel, der sich, mit runden siebzig Lenzen auf dem immer noch drahtigen Buckel, zu jener Zeit ja immer wieder für kleine Jobs in Italien hergab. Hier spielt er im Prinzip einen bärbeißigen Schleifer, der zweifelsohne Louis Gossett jr.s oscarprämierten Part aus „An Officer and A Gentleman“ entsprechen soll. Strodes Auftritte, in der deutschen Vertonung von Wolfgang Hess geziert, finden sich dann erwartungsgemäß auch mit den schönsten Momenten von „L’Ultimo Guerriero“ verbunden. An zig anderen Stellen hapert’s dann aber doch arg. Als Exploitation-Kracher nimmt sich das Ganze allzu brav und zurückhaltend aus; wenn Leute erschossen oder von Muller mit seinem Samurai-Schwert attackiert werden, geschieht das völlig unblutig und ohne jedwede Effektaufwendungen – man fällt einfach schreiend um. Vermutlich fehlten selbst für Kunstblut noch die Moneten. Wären die paar Nacktszenen nicht, bliebe eigentlich gar nichts, was „L’Ultimo Guerriero“ überhaupt noch ein gewisses Bahnhofskino-Odeur anhaften ließe.
So bleibt Guerrieris Abschiedsvorstellung selbst innerhalb seiner Kopistenentourage noch ein Produkt zweiter Wahl und historisch betrachtet unwesentlich mehr denn ein reines Komplettierungsobjekt.

4/10

CAPTIVE STATE

„Noone gets taken alive.“

Captive State ~ USA 2019
Directed By: Rupert Wyatt

Zehn Jahre nachdem Aliens auf der Erde gelandet sind, hat sich der Zustand einzelner Regionen auf der Welt nachhaltig verändert. Unterhalb von Chicago etwa haben die Fremden, deren einziges Interesse an unserem Planeten darin besteht, dessen natürliche Ressourcen auszubeuten, tief in der Erde eine Basis errichten lassen, von der aus sie sämtliche politischen Geschicke der Metropole lenken. Dazu gehört auch, dass die als „Legislatoren“ bezeichneten Wesen Institutionen wie die Polizei kontrollieren. Die daraus resultierende, faschistoide Klassengesellschaft spaltet die Bevölkerung fortan noch mehr; den kopperativen, „nützlichen“ Menschen wird eine rosige Zukunft garantiert, während der funktionale Großteil als Arbeitsdrohnen zweckdienliche Aufgaben zu erfüllen hat. Totale Überwachung gehört zum Alltag, jedes Individuum hat einen Sender implantiert, der seinen Aufenthaltsort und seine Aktionen verrät. Dennoch schafft es eine revolutionäre Untergrundbewegung genannt „Phoenix“, weitgehend unerkannt und gegen die von ihnen als „Kakerlaken“ bezeichneten Außerirdischen zu operieren. Der junge Gabriel Drummond (Ashton Sanders), dessen Eltern einst bei einem Fluchtversuch von den Aliens getötet wurden und dessen älterer Bruder Rafe (Jonathan Majors) sich längst Phoenix angeschlossen hat, gerät zwischen die Fronten. Einerseits weiß er um die Aufenthaltsorte einiger Revolutionärer, andererseits sitzt ihm der Polizist Mulligan (John Goodman), der frühere Partner seines Vaters, im Nacken.

Rupert Wyatts finsteres dystopische Allegorie fand dem Vernehmen nach wohl eher wenig Freunde, was einerseits schade ist, andererseits jedoch kaum verwundert. „Captive State“, vielleicht der politisch engagierteste Invasionsfilm seit Carpenters „They Live“, positioniert sich und seine Agenda extrem weit links; er wettert gegen die besorgniserregenden Entwicklungen, denen diverse Staatsregierungen respektive deren mehr oder minder rechtmäßig eingesetzte Repräsentanten nicht erst seit der Jahrtausendwende anheim gefallen sind – allen voran natürlichdie USA selbst unter der Regierung Trump. Es lässt sich eigentlich kaum darüber streiten, ob und in wieweit Wyatts Werk offenen bis terroristischen Widerstand gegen repressive Systeme befürwortet oder gar dazu aufruft; seine im Nukleus der Geschichte verortete Fabel um gewaltbereite antidiktatorische Rebellion zumindest lässt kaum diesbezügliche Zweifel aufkommen. Abgesehen von den selten im Bild erfassten Extraterrestriern und einem von ihnen herbestellten, wiederum aus Aliens bestehenden Killerkommando, das eine Phoenix-Gruppe liquidieren soll, verankert sich Wyatts visuelle Sprache durchaus im Gegenwärtigen. Chicago, sein ehemaliges Arbeiterviertel Pilsen oder das florierende Wicker Park, nimmt die Kamera vordringlich als graue Trümmer- und Schuttlandschaften war, in denen selbst kaum noch Platz für rosige Entkommensträume herrscht. Gabriel und seine Freundin (Madeline Brewer) wähnen eine hoffnungsvollere Zukunft „am anderen Ufer des Sees“, offenbar ein noch etwas freieres Fleckchen Erde. Ein Boot steht bereit, doch mehr als symbolisches Objekt des Ausbruchs. Die Fluchtpläne bleiben diffus. Allenthalben aufploppende Termini wie „Fracking“ veranschaulichen indes die de facto rein ökonomischen Pläne der nach Gewinn strebenden Kakerlaken, deren Unternehmung auch Exxon oder Chevron heißen könnte; weder geht es ihnen darum, unseren Planeten für sich ur- der bewohnbar zu machen, noch interessiert sie die Lebensform homo sapiens besonders. Es geht um die bloße Ausbeutung von Bodenschätzen, das Danach ist irrelevant. Hin, bohren und wieder weg. Welche Optionen bleiben uns im Angesicht des verordneten globalen Exitus? Die Antworten, die „Captive State“ gibt, sind so unbequem wie radikal und wohl ein wesentlicher Grund, was dem Film den Weg zu everybody’s darling unmöglich macht.

8/10

THE LOBSTER

„It’s no coincidence that the targets are shaped like single people and not couples.“

The Lobster ~ IE/UK/GR/F/NL/USA 2015
Directed By: Yorgos Lanthimos

Der etwas bieder anmutende, kurzsichtige David (Colin Farrell) wird von seiner Frau (Rosanna Hoult) wegen eines anderen verlassen. Das bedeutet, er muss unverzüglich in ein am Meer befindliches Hotel voller SchicksalgenossInnen ziehen, wo ihm wie den übrigen Gästen 45 Tage Zeit bleiben, eine neue Partnerin zu finden, die ein wesentliches Persönlichkeitsmerkmal mit ihm teilt. Gelingt dies nicht, wird David in ein Tier seiner Wahl verwandelt, einen Hummer, und nur in dieser Form der Freiheit zurücküberantwortet. Die Gäste können sich allerdings zusätzliche Aufenthaltstage erkaufen, indem sie bei unregelmäßig stattfindenden Jagden rund um das Hotel Einzelgänger fangen, die dort leben. Dafür erhält jeder Gast ein Betäubungsgewehr mit Pfeilen. Eine verbitterte, als „herzlos“ geltende Frau (Angeliki Papoulia) etwa verzichtet bereitwillig auf optionale Liebeleien und hält stattdessen den Rekord im Singlejagen. So verlängert sich ihr Aufenthalt Tag um Tag. Ausgerechnet sie kürt David zur vermeintlichen Herzdame, indem er sich ebenso gefühlsbar gibt wie sie. Doch sein Plan misslingt und David ist gezwungen, sich als Outlaw im Wald zu den Einzelgängern unter der Führung einer gehässigen Dame (Léa Seydoux) zu gesellen. Unter den Singles, die als gesellschaftliche Outlaws leben, gelten ähnlich strenge Regeln wie im Hotel: wer flirtet oder Zärtlichkeiten austauscht, wird drakonisch bestraft. Als David sich in eine ebenfalls kurzsichtige Einzelgängerin (Rachel Weisz) verliebt, steht er somit vor dem nächsten Problem…

Und weiter im Kosmos des mir immer wundersamer anmutenden Yorgos Lanthimos, nach dem herrlichen „Kynodontas“ und in (sich demnächst aufhebender) Ermangelung des zwischenzeitlich entstandenen „Alpeis“.
„The Lobster“ ist Lanthimos erster von bis dato drei anglophonen Filmen, für den ihm sogleich eine mehr denn ansehnliche, internationale Besetzung zur Seite eilte. An der irischen Ostküste gefilmt, entwirft „The Lobster“ das wiederum dystopische Bild einer unsrigen sehr stark ähnelnden Parallelwelt, die sich jedoch durch ein wesentliches Merkmal unterscheidet: Wer hier keine/n LebenspartnerIn vorweisen kann, wird auf produktive Weise entsorgt. Anders als in klassischen, zumeist ernster konnotierten SciFi-Szenarien, in denen Überalterung, Übervölkerung, emotionale Freigiebigkeit oder sonstige systemische Insubordination zumeist ohne Federlesens mit dem Tode bestraft werden, darf die oder der Unangepasste hier weiterleben, indem er künftig in freigewählter Form die Wildfauna des Planeten bereichert.
Dass sich David für den Hummer entscheidet, hat zuvorderst praktische Gründe: Hummer leben im Meer, sie besitzen blaues Blut wie Aristokraten und – überaus praktisch – eine harte Schale. Innerhalb des recht eng befristeten Zeitrahmens wen Neues zu finden, ist nicht einfach, zumal als Grundbedingung nicht nur eine besondere Gemeinsamkeit herhalten muss, sondern die neu sprießende Liebe zudem am Anfang penibel überwacht wird. So schummelt sich manche/r durch die Regularien, verharrt in determinierter Resignation oder wählt gleich den Sprung aus dem dritten Stock. Was David anbelangt, so verläuft sein weiteres Schicksal in umgekehrter Relation zu seinem gleichmütigen Charakter. Als dann nämlich doch noch die wahre Liebe zuschlägt, erweist sich auch das als Widernis gegen die mittlerweile veränderten Umstände – in der Welt von „The Lobster“ sind Aufrichtigkeit und Erwartungshaltung nur sehr selten passgenau.
Trotz seines bleiernen Dystopismus‘ und der stillen Gräulichkeit der äußeren Bedingungen transportiert Lanthimos einen bezaubernd verqueren, manchmal gar aufreizend albernen Humor, der ihn in die unmittelbare Genealogie der großen melancholischen Komödienfilmer mit Hang zu erwachsenenmärchenhaften Skurrilitäten von Woody Allen über Wes Anderson, Spike Jonze, Michel Gondry und Charlie Kaufman setzt.
Formidabel, more to follow.

9/10

PARASITE

„I need the other one!“

Parasite ~ USA 1982
Directed By: Charles Band

Die Zukunft: Nach einem atomaren Weltkrieg hat die „XYREX-Corporation“, ein allmächtiger Großkonzern, der von skrupellosen Oligarchen, den sogannten „Merchants“, angeführt wird, die Macht in den Großstädten übernommen. Die wenigen freien Menschen, die noch auf dem Land leben, lassen sich in kleinen Provinzörtchen nieder und versuchen, sich dort miteinander zu arrangieren. In genau solch eine Ansiedlung flieht der Wissenschaftler Paul Dean (Robert Glaudini). Dieser hat im Auftrag der Merchants eine parasitäre Lebensform gezüchtet, die sich von Menschenfleisch ernährt und ihren Wirt binnen wenigr Stunden tötet. Auch Dean selbst trägt infolge eines Laborunfalls so ein Wesen in sich, kann es jedoch mit Sedativspritzen ruhigstellen. Durch einen unbedachten Überfall des Rumtreibers Ricus (Luca Bercovici) und seiner Gang kommt der andere Parasit, den Dean mit sich trägt, frei, und macht sich sogleich an sein gefräßiges Werk. Während Paul mithilfe der netten Zitronenfarmerin Patricia (Demi Moore) versucht, die dräuende Katastrophe aufzuhalten, taucht ein ihm von den Merchants nachgeschickter Profikiller, „der Wolf“ (James Davidson), auf und bringt noch mehr Unruhe in die Gegend…

Charles Bands dritter Film als Regisseur, eine kleine, postapokalyptisch angehauchte SciFi-/Monstermär, die er noch vor der Gründung seiner ersten Produktionsfirma „Empire“ auf die Beine stellte, besitzt trotz seiner naiven Unbedarftheit sichtlich begrenzten Mittel noch genug Charme und Herz, um den Freund des Achtziger-Genrekinos zufriedenzustellen. Dafür trägt zu einem großen Teil die verlässliche Mannschaft Rechnung, die Band für seinen Indie zur Seite stand – so war der Schwede Mac Ahlberg für die Photographie zuständig und niemand Geringerer denn Stan Winston für das schleimige Design der Parasiten, die, der klingende Name lässt es erwarten, selbst in close-ups noch richtig hübsch eklig aussehen. Einen besonderen Clou versuchte Band damit zu landen, „Parasite“ in StereoVision 3-D zur Aufführung zu bringen, eine kleines Gimmick, das anno 82 eigentlich als Marketinggag für die Sequels „Friday The 13th Part 3“ und „Jaws 3-D“ genutzt wurde, um deren jeweiligen Sequelstatus in besonders witziger Weise zu pimpen. Obgleich beide genannten Filme keine Ruhmesblätter darstellen, erübrigt es sich wohl, Bands „Parasite“ rückblickend zum kommerziellen Verlierer des lustigen Trios zu küren – nicht jedoch zum kreativen, zumal hinter „Friday“ und „Jaws“ ja jeweils große Studios standen. Fraglos schielte Band betreffs der Erschaffung seiner fiesen, bissfesten Egel sowie hinsichtlich der Einbettung seines Plots in ein dystopisches Szenario auch zu Cronenbergs sieben Jahre älterem „Shivers“ hinüber, vermochte, dessen bestimmend-satirisches, sozialkritisches Timbre allerdings nicht zu repetieren. Band ging es als ewigem Pulp-Lieferanten offensichtlich schon damals vornehmlich darum, dem Titelmonster eine zumindest halbwegs stabile Plotbasis zu verschaffen. Nun, dies immerhin hat er geschafft.

5/10