TOP GUN: MAVERICK

„I’m where I belong, sir.“

Top Gun: Maverick ~ USA 2022
Directed By: Joseph Kosinski

35 Jahre nach seiner eigenen Ausbildung in der Navy-Eliteeinheit TOPGUN ist Pete „Maverick“ Mitchell (Tom Cruise), noch immer ganz der renitente Heißsporn von dazumal, nunmehr tätig als Testpilot für Überschallmaschinen. Kurz bevor er wegen neuerlicher Subordination wieder einmal davorsteht, das Korps verlassen zu müssen, wird er nach Kalifornien beordert, einmal mehr protegiert von seinem alten Freund und Rivalen „Iceman“ Kazansky (Val Kilmer), der, mittlerweile todkrank, als Commander der Pazifikflotte stets seine schützende Hand über Maverick hielt. Dieser soll nun eine junge Fliegerstaffel auf einen eigentlich unmöglichen Einsatz in einem „Schurkenstaat“ vorbereiten. Der besondere Haken dabei: Bradley „Rooster“ Bradshaw (Miles Teller), der Sohn von Mavericks verstorbenem besten Freund Goose, ist ebenfalls Teil der Truppe. Aufs Neue mit der traumatischen Vergangenheit konfrontiert, setzt Maverick alles daran, Rooster vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren wie es einst seinen Vater ereilte.

De facto ein Airforce-Remake von Clint Eastwoods hochreaktionärem, alten Gassenhauer „Heartbreak Ridge“, avancierte „Top Gun: Maverick“ im nicht mehr ganz so krisengeschüttelten Kinojahr 2022 zu everybody’s darling, zum Retter der Leinwände vor der abklingenden Corona-Hysterie und zu Tom Cruises bis dato erfolgreichstem Film. Sonnenlichtdurchflutete Militärromantik funktionierte im Hollywoodkino schon seit jeher vortrefflich als zuverlässige eskapistische Ingredienz; egal ob vor dem Hintergrund diverser Kampfeinsätze, in die die USA seit dem Zweiten Weltkrieg verwickelt war oder eben in Friedenszeiten. Schmucke junge und alte Männer in Uniform, ihre darbenden Dämchen daheim und ihre kernigen Kumpels an der Frontlinie, das entsprach stets dem Geschmack (nicht nur) amerikanischer Kinoaudienzen. Wie Tony Scotts seit ehedem gleichermaßen geliebtes wie gescholtenes Original setzt auch Joseph Kosinskis mit reichlicher Verspätung entstandene Fortsetzung auf die erwähnten Schemata und das mit – wie sich hinlänglich bewies – gigantischem Erfolg. Schon die Titelsequenz, die musikalisch und visuell analog zu der von 1986 gestaltet ist, kündigt an, wo die nun folgende Reise hingeht: ins Reich unumwundener nostalgischer Verklärung und eigentlich längst hoffnungslos verfilzt geglaubter Patriotismuspropaganda. Während in Osteuropa eine neue Form des Kalten Kriegs entfesselt wird, liefern Cruise und Produzent Bruckheimer also die „passende“ Replik aus Übersee: Higway to the danger zone. Die schönen Frauengesichter von vor 35 Jahren, die von (der zumindest in einer kurzen Rückblende und auf Fotos zu sehenden) Meg Ryan und Kelly McGillis nämlich, sind mittlerweile obsolet – als entstelltes Schönheits-OP-Monster scheint Ryan, 61, ähnlich unvorzeigbar im Sinne des hermetischen Ästhetikkonzepts des „Top Gun“-Universums wie McGillis, 64, mit ihrem Alter gemäßer Physis. Mavericks damalige Flamme „Charlie“ Blackwood wird auf inhaltlicher Ebene kurzerhand totgeschwiegen und durch die von vermutlich ewiger Schönheit begünstigte Jennifer Connelly, 51, substituiert in einer beschwingt-eindimensionalen Rolle, die in den vierziger und fünfziger Jahren von Donna Reed oder Phyllis Taxter gespielt worden wäre. Und wo ich gerade bei der vergleichenden Lebensjahrbezifferung bin: Cruise ist vier Jahre älter als Eastwood zum Drehzeitpunkt von „Heartbreak Ridge“, sieht aber mindestens zehn Jahre jünger aus. Gut – im Gegensatz zu Gunny Highway war Maverick ja auch weder in Korea noch in Vietnam. Die Golfkriegsnarben, sie sind offensichtlich nicht mehr so tief wie die von damals. Und Val Kilmer (62)? Der hat gelebt, man sieht’s ihm an, und er bekommt immerhin seinen knarzigen Kurzauftritt als (im Gegensatz zum Titelhelden) hochdekorierter Regierungsknecht und muss dafür auch flugs wieder scheiden, die traditionelle Begräbnisszene nebst Zapfenstreich inbegriffen.
Doch genug des ohnehin allzu offenkundigen p.c.-Geblökes – Kosinskis vierte Regiearbeit (und sein zweites Spätsequel nach dem 10er-„Tron“) liefert nicht zuletzt auch ein glänzendes Mainstream-Unterhaltungsprodukt, dem man in Anbetracht seiner sich so herrlich naiv gebenden Weltsicht trotz (oder vielleicht gerade wegen) sich geradezu maßgeschneidert selbsterfüllenden Kalküls kaum wirklich böse sein mag. „Top Gun: Maverick“ ist nämlich nicht nur in ideologischer Hinsicht im Prinzip ein Film von vorgestern. Auch auf der fomalästhetischen Ebene beschwört er die Ära von Regisseuren wie dem im Abspann gehuldigten Tony Scott, denen die eigene Kunstfertigkeit und der persönliche Inszenierungsstil weit über das zu bebildernde Sujet hinaus gingen. Entsprechend reichhaltig birst das Ganze vor atemberaubend choreographierten Fliegereiaufnahmen und perfekt durchgestylter Parallelrealität. Sonnenbräune, Schweiß, Haarlack, Goldkettchen, Sixpacks und Motorräder fungieren darin gewissermaßen als alternative Uniformierung und liefern auch heuer noch ungebrochen aufreizendes eye candy.
Es wird wohl seine Gründe haben, dass eine Menge Menschen diesen Film lieben.

7/10

RUN ALL NIGHT

„Tell everyone to get ready. Jimmy’s coming.“

Run All Night ~ USA 2015
Directed By: Jaume Collet-Serra

Nachdem der irischstämmige New Yorker Jimmy Conlon (Liam Neeson) viele Jahre als Killer für seinen besten Freund, den Syndikatsboss Shawn Maguire (Ed Harris) gearbeitet hat, fristet er sein Leben als dauerbesoffener Schnorrer und Tagedieb. Sein Sohn Mike (Joel Kinnaman), verheiratet und Vater zweier Kinder, will von ihm nichts wissen. Shawn hat derweil seinerseits Probleme mit dem eigenen Filius Danny (Boyd Holbrook), einem koksenden, lauten Störenfried, der seinen Vater gern in Geschäfte mit der albanischen Heroinmafia einspannen würde. Als dieser ablehnt und Danny jede weitere Hilfe versagt, erschießt dieser die beiden entsandten Albaner (Radivoje Bukvic, Tony Naumovski) kurzerhand, wird dabei jedoch durch einen dummen Zufall von deren Chauffeur, Mike Conlon, beobachtet. Nunmehr macht Danny Jagd auf Mike. Jimmy erfährt von der Sache und rettet Mike das Leben, indem er Danny tötet. Der vor Wut schäumende Maguire Senior vergisst alle Freundschaft und will weder Vater noch Sohn Conlon lebend davon kommen lassen. Ihn und seine Leute, einen übereifrigen Police Detective (Vincent D’Onofrio) und einen psychopathischen Profikiller (Common) auf den Fersen, erwartet die Conlons eine lange Nacht.

Einen der kaum mehr überschaubar vielen Genrefilme, auf die sich Liam Neeson im Alter und wohl beginnend mit Pierre Morels „Taken“ verlegt hat. Auch gemeinsam mit dessen Regisseur, dem spanischstämmigen Jaume Collet-Serra, hat Neeson nunmehr bereits vier Filme gemacht, wobei ich „Run All Night“ immerhin hinreichend ansehnlich fand, mir die übrigen drei in Kürze auch anschauen zu wollen. Nun darf man von diesem, einem grundsätzlich amttlich gecrafteten Gebrauchsfilm immerhin, keine sonderliche Innovation erwarten. Collet-Serras diverse neo-klassische Elemente aus Action- und Gangsterkino fusionierendes Werk schippert auf den ersten Blick im direkten Fahrwasser von Chad Stahelskis „John Wick“: Ein verzogener Gangsterfilius weckt durch sein koksinduziertes, egomanisches Verhalten einen eigentlich zu allseitiger Milieuberuhigung lange schlafenden Hund, der sein vormaliges Handwerk reumütig an den Nagel gehängt glaubt. Der aufgrund fehlgeleiteter Familienehre gekränkte Bossvater entfesselt daraufhin eine leichenreiche Hatz, deren Verlierer am Ende zwangsläufig er selbst und seine Organisation sein müssen, da die sie mitreißende Ein-Mann-Naturgewalt allzu entschlossen agiert. Soweit das Grundprinzip eben auch von „Run All Night“, der insofern noch interessant ist, als dass er sich ein wenig in die Subkultur irischen Migrantentums vortastet und mit Ed Harris einen diesbezüglich ja hinlänglich beschlagenen Antagonisten aufbietet. So ist es vor allem das Väterduell der beiden alternden Stars, das das Herz das Films schlagen lässt. Davon unabhängig, dass der eine der beiden, zumindest bezogen auf ihren gegenwärtigen Clinch, auf der moralisch sicheren Seite steht, hat Jimmy Conlon freilich allzu viele Sünden auf dem Kerbholz, um dem im Morgengrauen und upstate angesiedelten Finale als Katholik noch lebend entweichen zu dürfen – zu viele Opfer sind dem zeitweilig als „The Gravedigger“ Berüchtigten ehedem vor den Lauf geraten. Dabei sühnt Jimmy im Inneren bereits seit vielen Jahren. Vom Gewissen erdrückt, dem Sohn entfremdet und dem Suff verfallen, ist er seinen alten Kumpanen bestenfalls noch für schäbige Scherze gut und darf gerade noch volltrunken den Weihnachtsmann auf Shawns Familienfeier darbieten. Doch wehe, es wird persönlich (und das wird es) – Jimmy ist schneller nüchtern als die nächste Whiskeyflasche entkorkt und türmt im Nullkommanichts Leichen auf wie zu seinen besten Zeiten.
Collet-Serra inszeniert diesen doch relativ austauschbaren Plot dynamisch und wendungsreich; dabei gefällt er sich durch mäßig aufregende, um nicht zu konstatieren redundante Regiesperenzchen wie gewaltige time lapse shots durch das nächtliche New York, die dem eigentlichen Wesen des Narrativs als kammerspielartiger Doppelvendetta eher zuwider laufen. Dennoch bietet „Run All Night“ summa summarum noch immer genug an brauchbaren Elementen, um im leicht überdurchschnittlichen Qualitätssektor bestehen zu können.

7/10

SNOWPIERCER

„We go forward.“

Snowpiercer ~ KR/CZ 2013
Directed By: Joon-ho Bong

Wieder einmal erweist sich ein radikaler, wissenschaftlich implizierter Schritt zur Weltenrettung nurmehr als Beschleuniger des Armageddon: Nach Einsatz eines chemischen Kältemittels erstarrt der gesamte Globus zu einer einzigen Eiswüste. Die letzten etwa eintausend Überlebenden rasen in einem gewaltigen Zugungetüm, dem „Snowpiercer“, in endloser Umrundung um die Erde. Alles in dieser letzten großen Arche funktioniert scheinbar autark, der Antrieb, die Ernährung der Passagiere. Allerdings bleibt die Menschheit auch nach 17 Jahren „Snowpiercer“ strikt ihren althergebrachten Sozialstrukturen verhaftet: Das in Dreck, Dunkelheit und Gestank hausende Prekariat pfercht sich, ernährt von faden Proteinregeln und unter permanenter Knechtung von Wachtposten und der die Zugspitze repräsentierenden, unleidlichen Ministerin Mason (Tilda Swinton) in die hinteren Waggons, derweil die Oberklasse im vorderen Bereich ihren eigenen, sorgsam bewahrten Luxusgeschäftigkeiten nachgeht. Natürlich hat die revolutionäre Gärung unter den Armen längst eingesetzt, zumal ständig Kinder ohne weitere Erklärung mit nach vorn genommen werden und ein unbekannter Gesinnungsgenosse geheime Informationen aus dem Vorderzug absetzt. Diese gelangen in die Hände des Chefauständlers Curtis (Chris Evans), der schließlich die Rebellion wagt und sich mit seinen ihn begleitenden Leuten sowie der unverzichtbaren Unterstützung des unterdessen aus dem Tiefschlaf befreiten Ingenieurs Namgoong Minsoo (Kang-ho Song) immer weiter durch den Snowpiercer kämpft – bis ihn an dessen Spitze eine unerwartete Überraschung empfängt…

Joon-ho Bongs erster anglophoner Film mit einer sehr prominenten Besetzung basiert auf einer vierteiligen französischen Comicalbenreihe, die zwischen 1982 und 2015 erschien. Der Finalband wurde mit fünfzehn Jahren Abstand von einem anderen Autoren nachgesetzt, worauf wiederum mutmaßlich die vorliegende Adaption nachhaltigen Einfluss hatte. „Snowpiercer“ geriert sich auf den ersten Blick als relativ klassische Dystopie. Der Mensch erweist sich abermals als des Menschen Wolf und sorgt zunächst durch den von ihm selbst induzierten Klimawandel und hernach durch den verzweifelten Versuch, ebendiesen abzuwenden, für das (vorübergehende) Aus all seiner Existenzgrundlagen. Die vormalige Hierarchie zwischen Arm und Reich, Knechtschaft und Herrschertum projiziert sich auf die letzten Überlebenden. Wie in allen gegenwärtigen Hierarchien zeigt sich dabei schlussendlich, dass die dekadente Elite lediglich durch die „Pflege“ der Ärmsten ihren gewohnten Lebensstil pflegen und vor der totalen Derangierung bewahrt werden kann; ein Paradoxon, zumal die tote Außenwelt sich insgeheim bereits stellenweise zu erholen beginnt. Wie ebenfalls aus dem Plexus dystopischer Phantasien gewohnt, muss auch in „Snowpiercer“ der wohl nicht von ganz ungefähr mit Captain-America-Darsteller Evans besetzte Held eine verlustintensive Erkenntnisreise auf sich nehmen, um dem Ungeheuerlichen, das jene verwerflichen Systematiken am Laufen hält, auf die Spur zu kommen. Ebendiese Reise führt durch den „Snowpiercer“, einmal von ganz hinten bis nach ganz vorne und aus ebender Fragmentierung dieses Trips, die mit der sukzessiven „Erschließung“ immer weiterer, immer bizzarerer, physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Raum und Begrenzung scheinbar immer weniger gehorchenden Waggons einhergeht, liegt zugleich der Hauptreiz des Films. Curtis und seine Getreuen beteugen in symbolhafter Darstellung gewissermaßen die gesamte maslowsche Bedürfnispyramide in aufsteigendem Durchsturm, bis der gerecht zürnende Dissident, der die letzten zweieinhalb Dekaden von drögen, aus Ungeziefer bestehenden Proteinregeln leben musste, schließlich an des Großen Bruders Milfords (Ed Harris) Tafel sitzt, ein edles Filet auf dem kostbaren Teller. Der besagte Weg, der dorthin führt, erschließt in durchaus geschickter Weise, was die allermeisten von uns antreibt. Unabhängig von den aktionsreichen, natürlich stets aufregend bebilderten Kämpfen und Erleuchtungen, deren Bestreiten eher als schicke Makulatur im Gedächtnis bleibt, subsummiert sich Bongs Film auf die große, kosmische Wahrheit: Die einen fressen Scheiße, während die anderen Partys feiern in Saus und Braus. Der „Snowpiercer“ liefert für diese jahrtausendealte lediglich ein weiteres, postmodernes Bild – wobei es davon ja im Prinzip nie genug geben kann.

8/10

MOTHER!

„You never loved me. You just loved how much I loved you.“

Mother! ~ USA 2017
Directed By: Darren Aronofsky

Das irgendwo im Grünen liegende, noch in der Restauration begriffene Landhaus eines jungen Ehepaars (Jennifer Lawrence, Javier Bardem) wird eines Abends von einem fremden Herrn (Ed Harris) aufgesucht, der sich als Riesenfan von Ihm, seines Zeichens berühmter Autor mit gegenwärtiger Schreibblockade, zu erkennen gibt. Ihr ist dabei gar nicht recht, dass Er den seltsam kränkelnden Mann ohne Umschweife einlädt, ihr Gast zu sein. Dem Fremden folgt am nächsten Tag seine Ehefrau (Michelle Pfeiffer), eine dreiste Dame, und dann auch noch deren zwei zerstrittene Söhne (Brian Gleeson, Domhnall Gleeson), von denen der eine den anderen tötet. Die anschließende Trauerfeier findet im Haus des Ehepaars statt, derweil Sie die Ereignisse völlig überfordern. Die Gäste verwüsten schließlich große Teile des Hauses, werden dann endlich herauskomplentiert. Nach der anschließenden Liebesnacht ist Sie schwanger. Glückliche Monate folgen, bis das Baby sich ankündigt. Er hat mittlerweile sein neues Buch veröffentlicht, das sich als Megabestseller verkauft. Als sich eines Abends unter gewaltigem Medienecho mehr und mehr Seiner Fans vor dem Haus versammeln und Sie kurz vor der Niederkunft steht, kommt es zur Katastrophe: Die Menschenmassen stürmen das Haus, feiern Ihn und das Baby als Mentor und Messias und beginnen bald, sich gegenseitig anzugreifen und zu töten, derweil sie bald keinen anderen Ausweg mehr sieht, als das alles der überfälligen Vernichtung zuzuführen.

Ein tolles Ding hat Aronofsky da wieder vom Stapel gelassen, rund um seine zeitweilige Muse und Bettgenossin Jennifer Lawrence. Diesmal knöpft er sich nichts Geringeres als die Bibel vor, immerhin das „Buch der Bücher“, und nutzt deren inhaltliche Klammer, oder vielmehr Genesis und Neues Testament, um die darin beschriebenen Ereignisse vom Anfang und Ende der Welt in eine deftige, surreale Familienallegorie zu packen, wie sie Buñuel oder Pasolini vermutlich auch nicht schöner hinbekommen hätten. Man muss gar nicht viel heruminterpretieren an den Figuren und Geschicken, deren Metaphorik überdeutlich ins Auge springt: Bardem ist Gott, Lawrence Mutter Erde, Harris und Pfeiffer sind Adam und Eva, die Gleeson-Brüder Kain und Abel. Nach einem Zeitsprung, der gewissermaßen das Aufkommen des Monotheismus und die Schwangerschaft von Ihr, die ergänzend noch die Rolle der Maria zu übernehmen hat, abdeckt, geht es weiter mit der Geburt Jesu und damit der Initiation des Christentums und der anderen Religionen, die jede für sich die Wahrheit und die Welt beanspruchen und dieser am Ende nurmehr die Option der Selbstzerstörung lassen. Und weil sich alles, auch das Sein als solches, wiederholt, hat Gott am Ende eine neue Gattin/Mutter und ein neues Haus.
Kontroverse Aufnehme erfuhr „Mother!“, zweifelsohne klar einkalkuliert, wegen seiner zum Ende hin zunehmend deftig visualisierten Passionssymbolik, die etwa den Leib und das Blut Christi tatsächlich als solche erscheinen lassen und sich in Nihilismus, Chaos und Totschlag ergeht. Auch die kritische Charakterisierung Gottes wird manch Gläubigem wenig in den Kram passen: Nicht nur, dass er hier aussieht wie Javier Bardem und damit eine stattliche Personifikation durchläuft, lässt Aronofsky ihn trotz seiner Allmacht wenn schon nicht als bösen, so doch zumindest als eitle, dumme Entität erscheinen, die sich mit Vorliebe in der Sympathie ihrer Anhängerschaft suhlt und keinerlei Verantwortung für ihre eigenen Kreationen übernimmt, nachdem diese einmal erschaffen sind und selbst nicht über die notwendige Mündigkeit verfügen, ihr Erbe ordentlich und gerecht zu verwalten. Doch obschon Gott (eigentlich) sieht, das es schlecht ist, schert er sich nicht sonderlich, denn jede Mutter, die er sich selbst neu schafft, hinterlässt ihm immer wieder ihr ureigenes (im Film als herzgroßer Diamant dargestelltes) Wesen, woraus dann wieder alles von vorn entstehen kann.
Alles was wir sind, ist Sand im Wind, Hoschi.

8/10

RULES DON’T APPLY

„What about my auditioning?“

Rules Don’t Apply (Regeln spielen keine Rolle) ~ USA 2016
Directed By: Warren Beatty

Hollywood 1958: Der exzentrische Milliardär Howard Hughes (Warren Beatty) lässt sich in der Filmstadt nieder, um dort mit seiner RKO neue Projekte zu stemmen. Dafür lässt er unter anderem junge Provinzschönheiten aus allen Teilen des Landes einfliegen, die eine komfortable Bleibe und ein Festgehalt bekommen, während sie vor Ort in „Wartestellung“ zu verbleiben haben. Eine davon ist die Baptistin Marla Mabrey (Lily Collins) aus Virginia. Während Marla fest daran glaubt, eine Chance als kommender Filmstar zu haben, bahnt sich eine zarte Romanze zwischen ihr und dem nicht minder naiven exklusiv für Hughes arbeitenden Chauffeur Frank Forbes (Alden Ehrenreich) an. Ein alkoholisiertes, nächtliches Techtelmechtel zwischen Hughes und Marla hat schwerwiegende Folgen für sie, während Frank, im festen Glauben an eine gemeinsame Zukunft mit Marla, seine bisherige Verlobung löst. Ohne von ihr die Wahrheit zu erfahren, wird Frank wiederum von Marla fallen gelassen, steigt seinerseits jedoch zu einem engen persönlichen Vertrauten Hughes‘ auf und lernt die zahllosen Marotten des zunehmend entfesselten Superreichen quasi hautnah kennen. Erst einige Jahre später kann auch er dem übermächtigen Schatten des Moguls entsteigen.

Für den New-Hollywood-Veteranen Warren Beatty, der bereits seit rund vier Dekaden mit dem Wunsch nach einem Biopic über Howard Hughes schwanger ging und bereits einige Erfahrung mit der darstellerischen Interpretation schillernder authentischer Figuren hatte, ist seine jüngste Regiearbeit die fünfte binnen 38 Jahren und die erste seit 1998. Dass der Mann auf keinem seiner bevorzugten Kreativareale an Können eingebüßt hat, beweist „Rules Don’t Apply“ nachgerade: Der Film ist eine ebenso lustvolle wie verschmitzte Hommage an Hauptfigur und Ära. Beattys Hollywood der Spätfünfziger und Frühsechziger ist ein bonbonfarbenes Perversikum der dämmernden Studioära, der entfesselten, alternden Tycoons und ihrer Obsessionen. Dabei lässt Beatty himself es sich nicht nehmen, dem bereits zu dieser Zeit psychisch schwer angegriffene Hughes, just im Begriff, vom Management der TWA verklagt zu werden, von Medikamentenmissbrauch gezeichnet und irgendwo zwischen bipolarer und Angststörung vegetierend, höchstpersönlich sein Antlitz zu leihen. Mancherlei Assoziation an seine Interpretation des Bugsy Siegel in Levinsons Film von 1991 verschaffen sich da Raum, wenn Hughes sich ebenso wie einst der Gangster sich zielgerichtet in die Sackgasse narzisstischer Egomanie manövriert, um dort zusehends zu verwelken. Anders als Scorseses „The Aviator“ ist Beatty dabei nicht an biographischer Akkuratesse interessiert. Er nutzt Eckdaten und Episoden lediglich, um eine fiktionale Anekdote mit und über Hughes zu erzählen, in der selbiger zwar eine Schlüsselposition einnimmt, die eigentlich jedoch dem von ihm behinderten Liebespaar Marla und Frank gewidmet ist. Schon die Doppelinitialen ihrer beider Namen suggerieren eine gewisse, romantische Märchenhaftigkeit, die sich dann auch zunehmend und besonders zum Finale hin Bahn bricht.
Ein wunderhübsches Alterswerk ist „Rules Don’t Apply“, frei vom Ballast kommerzieller Erwartungshaltungen und auch sonst so flügge, wie ein Hollywoodfilm anno 16 überhaupt nur sein kann.

9/10

ENEMY AT THE GATES

„For us there is no land beyond the Volga.“

Enemy At The Gates (Duell – Enemy At The Gates) ~ USA/F/D/UK/IE 2001
Directed By: Jean-Jacques Annaud

Stalingrad im Herbst 1942: Der junge Russe Vassili Zaytsev (Jude Law) wird als Gefreiter der Roten Armee über die Wolga geschickt, um gegen die Wehrmacht zu kämpfen. Eher durch Zufall wird dem Politkommissar Danilov (Joseph Fiennes) im Kampf Vassilis ungeheure Schusspräzision gewahr. Mit Unterstützung von Chruschtschow (Bob Hoskins) baut Danilov den jetzt als Scharfschützen eingesetzten Vassili zu einem kleinen, propagandistischem Mythos auf, der zum einen die eigenen Soldaten befeuert und zu Anderen den Deutschen höllische Angst einjagt. Um Vassili kaltzustellen, lässt man eigens den als Meisterschützen gefürchteten Major Erwin König (Ed Harris) einfliegen, dessen Sohn bei der Panzerschlacht um die Stadt gefallen ist und der nun auch ein psychologisches Duell gegen Vassili entfesselt.

Anders als frühere Filme Annauds bleibt „Enemy At The Gates“ eher leidenschaftsloses Schaukino. Als Kriegsfilm passt er sich der damals grassierenden Mode an, setzt jedoch keine sonderlich individuellen Zeichen. Anders als Vilsmaiers „Stalingrad“, der es sehr viel besser verstand, das ohnehin nicht nachvollziehbare Leid der Soldaten und der Bevölkerung vor Ort zumindest ansatzweise transparent zu machen, gerät Annauds achter Spielfilm eher zu einem technisch zwar ehrgeizigen, anbetreffs seiner emotionalen Involvierung des Zuschauers jedoch wenig mitreißendes Ausstattungsstück. Natürlich muss auch eine (glücklich endende) Liebesgeschichte untergebracht werden, die – nicht minder konventionell – als Dreiecksromanze angelegt wird, aus der der sich heldenhaft opfernde Danilov als großer Verlierer hervorgeht. Ed Harris‘ Performance ist zwar gewohnt formidabel, die Entwicklung seines Charakters von einem erfreulich mehrdimensional angelegten Wehrmachtsoffizier hin zum funktionalen Nazi, der auch vor Kindsmord nicht zurückschreckt, enttäuscht jedoch und macht seine finale Hinrichtung durch Vassili zu einem eindeutig als befriedigend determinierten Erlebnis für den Zuschauer, das mit einiger Wahrscheinlichkeit symbolisch für den Sieg der Sovjets bei Stalingrad stehen soll. Zudem wirft die Geschichtsschreibung Annauds Aufarbeitung der Ereignisse um die authentische Figur des Snipers Vassili Zaytsev einiges an Klitterung vor, so etwa, dass es einen „Intimkonflikt“ mit eindem zudem vermutlich komplett fiktionalen deutschen Offizier überhaupt nicht gegeben habe. Nicht nur dies lässt „Enemy At The Gates“ eher als mäßig berührendes Actiondrama vor Kriegskulisse erscheinen. Dass für derlei Unterhaltungsstoff zudem ausgerechnet eines der schlimmsten historischen Fanale für sinnloses Massensterben im Zeichen des arroganten Schwanzvergleichs zweier größenwahnsinniger Diktatoren herhalten muss, stimmt nicht eben positiver. Was den Film letztlich noch akzeptabel macht, ist seine großartige, internationale Besetzung um einigen der besten Schauspieler überhaupt. Allein ihnen bei der kollektiven Ausübung ihrer Kunst zuschauen zu dürfen, bewegt hier wirklich etwas.

5/10

THE ROCK

„Losers always whine about their best. Winners go home and fuck the prom queen.“

The Rock ~ USA 1996
Directed By: Michael Bay

Der hochdekorierte US-General Hummel (Ed Harris) hat sich einen waghalsigen Plan ausgedacht, um auf die bei „inoffiziellen“ Militäroperationen gefallenen Kameraden aufmerksam zu machen und deren übergangenen Familien eine angemessene Entschädigung zukommen zu lassen: Er stiehlt vier mit dem hochgefährlichen Biokampfstoff VX bestückte Raketen und kapert mit ein paar Getreuen die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz nebst einer größeren Touristengruppe in der Bucht von San Francisco. Von dort aus droht er, den angrenzenden Großraum mit seinen Raketen zu beschießen und seine Geiseln zu töten, wenn die gestellten Forderungen nicht erfüllt werden. Abhilfe erwartet man sich von dem Bioterror-Experten Stanley Goodspeed (Nicolas Cage) und dem seit Jahrzehnten inhaftierten, britischen Agenten John Mason (Sean Connery), dem einst die Flucht von Alcatraz gelang. Gemeinsam mit der Kampfstaffel von Commander Anderson (Michael Biehn) soll das ungleiche Duo Hummel und seine Männer unschädlich machen.

Gemeinsam mit den zeitnah debütierenden „Executive Decision“ und „Mission: Impossible“ markierte „The Rock“ die Rückkehr des großbudgetierten, mainstreamtauglichen Actionblockbusters auf die Leinwände der abendländischen Kinos. Gekennzeichnet waren diese durch die Beteiligung von Superstars aus der A-Liga, durch teure Spezialeffekte und spektakuläre Stunts. Auch formal unterschieden sich diese Filme von ihren räudigeren, kleinen Onkeln und Tanten aus dem DTV- und B-Film-Segment sowie den Genre-Ahnherren der achtziger Jahre: Die Schnittfrequenz etwa wurde deutlich erhöht und die dramaturgische Regel, derzufolge regelmäßige Verschnaufpausen von der kinetischen Aktion das Publikum in Sicherheit wiegen, zunehmend ignoriert. Das Produzentenduo Jerry Bruckheimer und Don Simpson sowie der Regisseur Michael Bay wurden fortan zu einer Art Synonym für ein ebenso lautes wie vorlautes Krawall- und Oberflächenkino von nicht selten reaktionärer Gesinnung, patriotistischer Parolenschwingerei und eher geringer Intelligenz. Diese Vorwürfe greifen bei dem Quasi-Modellfilm „The Rock“ allerdings nur bedingt. Zwar wird sich die von Bay und seinem dp John Schwartzman bemühte Ästhetik der pausenlos in Bewegung befindlichen Kamera, der bewusst unübersichtlich gehaltenen Montage, der pittoresken Dämmerhorizonte und des unübersehbaren Militärfetischismus in den kommenden Jahren weiter etablieren, zumindest das kleine Fünkchen satirischer Systemkritik jedoch zeichnet „The Rock“ in besonderem Maße aus.
Sowohl Hummel als auch Mason sind Soldaten alten Schlages; kalte Krieger, effektive Tötungsmaschinen zwar, jedoch ebenso einem hehren Moralkodex verpflichtet, der im Prinzip für jede bis ins Mark korrumpierte Weltmacht pures Gift bedeutet und somit angetan ist, an deren Grundfesten zu sägen. Mason hat einst brisante Mikrofilme gestohlen, die die Wahrheit über sämtliche bis dato abgespeicherten Staatsgeheimnisse der USA enthalten und musste daher zwangsläufig mundtot gemacht werden. Der einzige Grund, warum er noch lebt, ist der, dass er das Versteck jener Mikrofilme nie preisgegeben hat. Hummel derweil hat über Jahrzehnte offizielle, vor allem jedoch auch inoffizielle Militäreinsätze geleistet und ist deshalb bestens über die schnutzige Imperialistenwäsche seines Vaterlandes im Bilde. Dass er eines Tages einen Gerechtigkeitstribut für die Schandtaten, deren Mitwerkzeug er stets bildete, verlangt, ist für einen Ehrenmann bloß konsequent, und umso mehr, wenn man am Ende erfährt, dass er bloß zu bluffen versuchte. Als Mason und Hummel sich begegnen, respektieren sie einander daher sofort, in stillem Einvernehmen und im intuitiven Wissen um die Integrität ihres Gegenübers. Nicht Hummel ist schließlich der Böse, sondern seine geldgierigen, angeheuerten Mitstreiter wie der ungute Captain Darrow (Tony Todd), die ja wiederum nicht ganz zu Unrecht auf die ihnen versprochene „Ablösesumme“ bestehen. Cage, der hier bereits dabei ist, sein bis heute mitunter unfassbares overacting zu kultivieren, wirkt angesichts dessen eher wie ein comic relief. Überhaupt lässt „The Rock“ mit seinem latenten, sublim gehaltenen Sarkasmus dafür, dass man ihn nie wirklich für bare Münze nimmt und seine hier und da überlaufenden Testosteronschübe gut verkraftet. Stilistisch überaus konsequent bildet Bays Film somit tatsächlich ein popkulturelles Inititiationsstück. Ob man dies im Angesicht seiner vielen, ideologisch oftmals mehr denn fragwürdigen Epigonen positiv oder negativ werten soll, das liegt, wie so oft, primär im individuellen Betrachterauge. Don Simpson jedenfalls hatte sich bereits rund ein halbes Jahr vor der Premiere seiner finalen Betätigung als Produzent zu Tode gekokst, Jerry Bruckheimer hat die weniger risikoreichen Vorzüge der TV-Arbeit für sich entdeckt und Michael Bay macht sowieso vornehmlich Filme, die mich zu 90 Prozent überhaupt nicht interessieren. Insofern finde ich „The Rock“ dann doch mehr als okay.

7/10

A BEAUTIFUL MIND

„I bet you’re very popular with the girls.“

A Beautiful Mind ~ USA 2001

Directed By: Ron Howard

Der Mathematik-Professor John Nash (Russell Crowe) muss nach der Heirat mit seiner vormaligen Studentin Alicia (Jennifer Connelly) erfahren, dass er schizophren ist und bereits seit vielen Jahren unter Halluzinationen leidet. Nicht nur sein vormaliger Zimmergenosse und bester Freund Charles (Paul Bettany) nebst dessen kleiner Nichte (Vivien Cardone) sind Johns Fantasie entsprungen; auch den Regierungsbeamten Parcher (Ed Harris), in dessen „Auftrag“ John besessen an der Dekodierung angeblicher kommunistischer Verschwörungsbotschaften arbeitet, hat es in Wahrheit nie gegeben. Neuroleptika helfen John zunächst über seine Psychose hinweg, doch er wird durch sie auch passiv, lethargisch, antriebslos und impotent. Als John die Medikamente heimlich absetzt, beginnen seine Wahnvorstellungen von Neuem und kosten sein Baby fast das Leben. Gemeinsam mit Alicia bewältigt er dennoch das unmöglich Gewähnte: er bekommt seine Krankheit auch ohne Medikation in den Griff und lernt, die ihn permanent verfolgenden Ausgeburten seines Geistes zu ignorieren.

Ein großer Film, den ich bei Weitem nicht als so gut in Erinnerung hatte.
Immer, wenn die hollywood’sche Filmindustrie sich eines gesellschaftlichen oder auch menschlichen Problems anzunehmen wagt, daraus einen prestigeträchtigen Film zimmert, der dann wohlmöglich auch noch den Oscar als bestes Jahreswerk heimträgt, ereifert sich der gebildetere Teil der globalen Cineasten-Gemeinde wie auf Knopfdruck über die Verlogenheit der Großproduktionen und moniert, dass Tinseltown, kommerzieller Erfolg und Herzenswärme a priori keine gemeinsame Schnittmenge haben könnten. Auch ich gehörte dereinst zu jenen Bedauernswerten, habe mich jedoch irgendwann selbst re-erleuchtet und gelernt, meiner eigenen Intuition zu vertrauen und keinen Vorhaltungen Gleichgesinnter. So und nur so darf es ohnehin bloß laufen. „A Beautiful Mind“ verfügt über einen erfolgsverwöhnten Regisseur, einen mehrfach ausgezeichneten Hauptdarsteller, ist Biopic und Bestandsaufnahme einer psychischen Erkrankung, die das unbelastete Leben ihres Opfer unmöglich macht und es somit behindert. Es könnte durchaus sein, dass man bereits bei der Vorproduktion des Films Richtung Academy geschielt hat. Und wenn schon. Unter jenen Filmen, die ihrem Publikum Krankheiten von Geist und Seele zu erläutern trachten, nimmt „A Beautiful Mind“ ganz gewiss einen der vordersten Plätze ein. Gemeinsam mit John Nash erlebt der Rezipient die bösen Streiche, die ihm sein Verstand spielt – und gemeinsam mit Nashs Gattin Alicia dann die bittere Wahrheit, an die man – warum auch nicht? – gemeinsam mit Nash zuvor so felsenfest geglaubt hat. Ausgerechnet der nette Charles und die süße Marcee soll es nie gegeben haben? Geschweige denn den harten Agenten William Parcher, der die USA vor der roten Weltverschwörung schützt? Und ja: Dieses aus Phantomen des Geistes bestehende Trio, das John Nash zeitlebens nicht von der Seite weichen wird, selbst, als er um ihre Irrealis weiß, ist reiner, herbeiimaginierter Hirnspuk.
In die Geistes- und Wahrnehmungswelt von Schizophrenen und Psychotikern vorzudringen gestaltet sich für unbelastete, vor allem unbedarfte Menschen als praktisch unmöglich. Die Symptome dieser Krankheiten kann man zwar ausschalten, jedoch nur mittels regelmäßiger und unablässiger Medikamentendreingabe, deren Nebenwirkungsgrad nach wie vor immens ist. Da die Patienten ihre Wahnvorstellungen für ebenso real halten wie tatsächliche Personen und Abläufe, ist es ihnen im Regelfalle auch nicht immer möglich, zuverlässig zwischen Trug und Sein zu unterscheiden. Im Aufzeigen dieser Hürde liegt gleichfalls die unumstößliche Kunst von Howards Film, einem seiner besten ohne Frage. So muss Nash im späteren Verlauf des Films ein Mitglied des Nobelpreis-Komitees, das sicherstellen soll, ob er der Verleihung bzw. Entgegennahme des ihm zugedachten Preises überhaupt „gewachsen“ ist, zunächst fragen, ob dieses echt sei. Zwar ist jene Szene leicht schmunzlerisch angelegt, demonstriert in Wahrheit jedoch den ganzen Schrecken, dem ein Mensch wie John Nash sich aussetzt. Damit kratzt das in jeder Beziehung brillante Biodrama „A Beautiful Mind“ an Genregrenzen: Wenn wir nicht mehr wissen, was um uns herum echt ist und was unecht; wenn wir uns selbst, unserer Wahrnehmung nicht, ja, nie mehr vertrauen können – wäre das nicht eine der schlimmste Vorstellungen überhaupt?

9/10