MAIS NE NOUS DÉLIVREZ PAS DU MAL

Zitat entfällt.

Mais Ne Nous Délivrez Pas Du Mal (Und erlöse uns nicht von dem Bösen) ~ F 1971
Directed By: Joël Séria

Die beiden besten Teenager-Freundinnen Anne (Jeanne Goupil) und Lore (Catherine Wagener) haben längst den festen Entschluss gefasst, samt und sonders alles, das sowohl ihre streng katholische Erziehung in einem Nonneninternat als auch ihre bourgeoisen Elternhäuser für unverzichtbare moralische Wegweiser auf dem Pfad zum Erwachsenwerden halten, abgrundtief zu verachten und rundheraus ins Gegenteil zu verkehren. Vor allem die beziehungsdominante Anne heckt einen boshaften Streich nach dem anderen aus, wobei sich deren Tragweite und Folgenreichtum immer weiter verschärfen, bis es während der Sommerferien, die Anne mit Ausnahme des Gesindes allein auf dem elterlichen Château verbringt, zur Katastrophe kommt. Doch selbst damit sind die Mädchen noch nicht am Gipfel angelangt…

Joël Sérias kleiner, unabhängig produzierter Film, der sich, wie Jahre später Peter Jacksons „Heavenly Creatures“, zumindest in Grundzügen an dem berühmten neuseeländischen Parker-Hume-Mordfall von 1954 orientiert, entwickelte sich im zeitgenössischen Frankreich zu einem mittelschweren Scandalon. Dem noch in den Nachwehen der Studentenunruhen liegenden Land kam jene Geschichte, in der zwei Mädchen im mittleren Teenageralter in einer Mischung aus existenzieller Orientierungslosigkeit und postinfantiler Anarchie völlig amoralische Verhaltensweisen entwickeln, dem Katechismus abschwören, sich Satan zuwenden und zunehmend boshaftere Aktionen bis hin zum öffentlichkeitswirksamen Doppelsuizid vollziehen, alles andere als zupass. Umso umwegsamer die Veröffentlichungsgeschichte dieses erst relativ spät wiederentdeckten, filmischen Beelzebubs, der als im Prinzip todtraurige Coming-of-Age-Story natürlich sehr viel einfühlsamer und poetischer daherkommt, als alle hochherrschaftlichen Verschwörer es dereinst glauben machen wollten. „Mais Ne Nous Délivrez Pas Du Mal“ setzt zwar ganz auf die Ich-Erzählperspektive der zutiefst verstörten Anne, eignet sich jedoch zu keiner Sekunde ihre persönliche Agenda an. Vielmehr ergeht sich Séria, der mit der Hauptdarstellerin Jeanne Goupil seine zukünftige Ehefrau kennenlernte, in einem weitestgehend unkommentierten Abriss eines fatalen Sommers, in dem die fehlgeleitete Anne sich selbst überlassen ist und dabei endgültig zur Missetäterin wird. Sie und die ihr auf dem Fuße folgende Lore bestimmen Rimbaud und Lautréamont, innerhalb ihres sozialen Mikrokosmos zutiefst verpönte Literaten, zu ihren maßstäblichen Ethiklieferanten; nutzen ihre sexuelle Wirkung ungerührt auf deutliche ältere, zumeist weit im kognitiven Abseits stehende Männer und „rächen“ sich für deren unbeholfene Reaktion mittels bösartiger bis grausamer Gegenwehr. Als sie schließlich, wiederum infolge gezielt ausgespielter Provokation, doch noch an „den Richtigen“ geraten, einen zunächst arglosen, mit seinem Wagen auf der Straße liegengebliebenen Familienvater (Bernard Dhéran), entgeht Lore nur dadurch einer Vergewaltigung, dass Anne den Wüstling erschlägt. Damit ist zugleich das Schicksal der Mädchen besiegelt, die den Totschlag zwar notdürftig verschleiern können, jedoch bald kurz vor der Entdeckung stehen, was gleichermaßen ihre Trennung wie die Übergabe in staatliche Autorität bedeutete. Also dient ihre letzte große Inszenierung auf offener Bühne unter Baudelaire-Zitaten der buchstäblichen rituellen Selbstverbrennung – eine Protesthandlung, ganz nach dem ikonischen Vorbild des buddhistischen Mönchs Thích Quảng Đức. Dass es auch hier erstmal einige lange Sekunden dauert, bis die begeistert applaudierende Elterngeneration begreift, was sich da tatsächlich vor ihren Augen abspielt, validiert Sérias finalen, galligen Kommentar.
Ein kleines, bitteres und recht unbequemes Meisterwerk, das in geschriebener Form vermutlich längst Einzug in jeden Schullektüre-Kanon gehalten hätte.

9/10

TITANE

Zitat entfällt.

Titane ~ F/BE 2021
Directed By: Julia Ducournau

Als kleines Mädchen fällt Alexia (Adèle Guigue) einem beinahe tödlichen Autounfall zum Opfer, an dessen Verursachung sie selbst nicht ganz unschuldig ist. Eine in ihrer rechten Schläfe chirurgisch implantierte Titanplatte rettet ihr das Leben. Jahre später, Alexia (Agathe Rousselle) ist mittlerweile erwachsen und pflegt einen höchst unkonventionellen Lebenswandel, hat sie enorme Schwierigkeiten, zu einer erfüllenden, sexuellen Identität zu finden. Sie lebt nach wie vor bei ihren wohlhabenden Eltern (Myriem Akkheddiou, Betrand Bonello), distanziert sich jedoch auf ganzer Linie von ihnen. Etwas Geld verdient Alexia auf Automobil-Conventions, während derer sie als erotische Tänzerin auftritt. Unterschiedlichen körperlichen Annäherungsversuchen begegnet Alexia mit rasenden Gewaltausbrüchen, die sie bald zu einer Serienmörderin werden lassen, während sie sich im Grunde einzig und allein durch Autos sexuell attrahiert fühlt. Einem koitalen Akt mit einem Wagen folgt bald darauf ein Massaker, das Alexia im Haus einer Kollegin (Garance Marillier) anrichtet. Anschließend lässt sie ihre eigenen Eltern in deren Haus verbrennen. Nunmehr auf der Flucht nimmt Alexia die Identität eines vor Jahren verschwundenen Jungen namens Adrien an. Tatsächlich glaubt dessen Vater Vincent (Vincent Lindon), Chef einer Feuerwehrstation, im Zuge einer Gegenüberstellung, Adrien in Alexia wiederzuerkennen und nimmt sich ihrer an. Es gelingt Alexia zunächst, ihre Weiblichkeit zu verbergen und geheimzuhalten, seit dem Liebesakt mit dem Auto ist sie jedoch schwanger und trägt einen Mensch-/Maschinenhybriden in ihrem Uterus. Irgendwann kann sich auch der aggressiv-maskuline Vincent der Wahrheit um Alexia nicht länger verschließen, doch da steht ihre Niederkunft bereits kurz bevor.

She’s not there: Julia Ducournaus zweiter Langfilm nach dem wunderbaren „Grave“ beschäftigt sich wiederum mit der individuellen Unmöglichkeit, sich an einen vor Normativitäten und Erwartungshaltungen strotzenden, sozialen Makrokosmos zu adaptieren. Die Hauptdarstellerin Agathe Rousselle, deren erstes Kinoengagement „Titane“ markiert und die sich bereits vor Jahren öffentlich als nonbinär-geschlechtlich definiert hat, spielt die Protagonistin Alexia mit wahnwitziger Intensität, gerade so, als fände sie in deren von gesellschaftlicher Ächtung gesäumten Suche nach Stabilität und Nähe auch ein kleines Stück von sich selbst wieder. Wo Alexias motivische Wurzeln liegen, was sie antreibt und zur Gewalttäterin werden lässt, überlässt Julia Ducournau den Mutmaßungen der Rezipientenschaft. Bereits die Alexia als Siebenjährige vorstellende, einführende Szene demonstriert ein höchst dysfunktionales Verhältnis zwischen ihr und ihrem Vater, über dessen Ursprünge wiederum gerätselt werden muss: Ist Alexia ein Opfer psychischen oder auch körperlich-sexuellen Missbrauchs oder wohnt ihr tatsächlich der sich regende, metaphysische Keim einer neuen, humantechnologischen Art inne? Diese Frage lässt sich bis zum konsequent angelegten Ende nicht beantworten, ebenso wie es schwerfällt, eine klare Position gegenüber Alexia einzunehmen. Obwohl sie bereits diverse Menschenleben auf dem Gewissen hat und wir dann höchstselbst Zeugen weiterer Massakrierungen werden, kann man sich der überirdischen, erotischen Faszination, die sie ausstrahlt, nie wirklich entziehen. Dies endet selbst nicht infolge der moralischen Kardinalssünde Elternmord – und zu Recht: Als sie sich in die paradoxe Obhut ihres Ersatzvaters Vincent flüchtet, offenbart sich zugleich Alexias tiefe Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit. Vincent als ihr Gegenpart indes erfährt eine recht schlüssige Charakterisierung – spätestens seit dem Verschwinden seines Sohnes Adrien scheint er weitgehend gebrochen und flüchtet sich in eine hoffnungslos pathologische Maskulinität, die er als sich selbst zum Übervater stilisierender Anführer seiner ausschließlich aus virilen, jungen Männern bestehenden Feuerwehrstaffel nochmals stilisiert. Mit Steroidspritzen pumpt er seinen alternden, langsam erschlaffenden Körper auf und riskiert damit den baldigen Herztod. Dass Alexia in der fadenscheinigen Rolle als verlorener Adrien in sein Leben tritt, gibt Vincent zumindest die Möglichkeit, zwischenzeitlich zu einer verqueren Form von Liebe, Zärtlichkeit und Aufopferung zurückzufinden. Doch scheitern seine Versuche, Alexia/Adrien zum „Mann“ zu machen, auf geradezu rührselige Art und Weise, wiewohl sämtliche Bestrebungen, Alexias Weiblichkeit zu ignorieren, irgendwann fehlschlagen müssen. Am Schluss steht Alexias Opfer zugunsten jenes unerhörten, neuen Maschinenwesens, das sie mit Vincents Geburtshilfe zur Welt gebracht hat – die Morgendämmerung einer neuen Zeitrechnung.

9/10

EYE OF THE DEVIL

„Am I seeking, or am I being sought?“

Eye Of The Devil (Die schwarze 13) ~ UK 1966
Directed By: J. Lee Thompson

Eines Abends erhält der glücklich mit Frau Catherine (Deborah Kerr) und den beiden Kindern Jacques (Robert Duncan) und Antoinette (Suky Appleby) in Paris lebende Weinberg-Besitzer Philippe de Montfaucon (David Niven) eine Nachricht, auf die er bereits seit längerem vorbereitet scheint: Er muss unverzüglich auf sein Familiengut Bellenac zurückkehren, da es dort bereits drei Missernten in Folge gab. Obwohl Philippe auf die Begleitung seiner Familie verzichten möchte, reisen Catherine und die Kinder ihm wenig später hinterher. Auf dem feudalen Schloss Bellenac, das findet Catherine rasch heraus, geht jedoch einiges nicht mit rechten Dingen zu: Das scheinbar allgegenwärtige, blonde Bruder-(David Hemmings) Schwester-(Sharon Tate) Paar de Caray benimmt sich mehr als sonderbar, nachts treffen sich Männer in schwarzen Kutten zu seltsamen Ritualen, der Geistliche Vater Dominic (Donald Pleasence) hat offenkundig ein Schräubchen locker, ein verwitterter, älter Herr (Emlyn Williams) rät Catherine, schnellstmöglich mit den Kindern zu verschwinden und Philippes ewig bedrückte Tante Estelle (Flora Robson) will ihr Wissen nicht mit der zusehends verzweifelnden Ehegattin teilen. Die Wahrheit entpuppt sich schließlich als ebenso grauenhaft wie unvermeidlich.

Menschenopfer und Sektenkult sind ja spätestens seit Ari Asters „Midsommar“ wieder ein gern aufgegriffenes Sujet im Horrorkino; ein recht früher Vertreter des Subgenres, noch vor Robin Hardys „The Wicker Man“, ist diese von J. Lee Thompson inszenierte Romanadaption nach Robin Estridge. Darin muss sich Deborah Kerr nach Jack Claytons „The Innocents“ abermals als auf sich ganz allein gestellte Frau mittlerer Jahre mit (zunächst) unerklärlichen Geschehnissen auf einem abgelegenen, adligen Landsitz auseinandersetzen, wobei sich deren Entschlüsselung im vorliegenden Fall jedoch mitnichten als die möglichen Phantastereien einer überspannten, sexuell unausgeglichenen Altjungfer entpuppen. Vielmehr steckt eine von den Provinzlern vor Ort bereits seit Jahrhunderten praktizierte, unaussprechliche Tradition zwischen Paganismus und Satanismus dahinter, die im Falle ausbleibender ökologischer Fruchtbarkeit die Selbstopferung des amtierenden Feudalherrn fordert. Dem jeweiligen Marquis de Bellenac ist diese eherne Verpflichtung bereits von Kindesbeinen an vertraut und anerzogen und wird von dem gesamten „Quasi-Hofstaat“ inklusive Gendarm (Ernest Clark) und Hausarzt (John Le Mesurier) mitgetragen. Analog zu der zwischenzeitlich in schwebende Belladonna-Rauschzustände versetzten Catherine wird diese Ungeheuerlichkeit auch für den Zuschauer nur allmählich zur dräuenden Gewissheit und damit auch zu einem gesetzten Umstand, der durch nichts und niemanden aufzuhalten ist. Den ganz großen Schocker bildet „Eye Of The Devil“, der, passend zum Opferungsritual zunächst „13“ geheißen hat, dabei nicht. Seiner teils bereits arrivierten britischen Besetzung gemäß gibt es eher ein gotisch ausgeprägtes Schauerdrama, in dem ein subtiler Diabolismus zwar omnipräsent ist, sich jedoch weniger in offen praktizierter Aktion denn im verschwiegenen Fanatismus nahezu aller Beteiligten äußert. Die stets formidable Kerr kann man wie gehabt nie genug loben und auch David Niven, den zumindest ich noch immer eher mit spitzfindigen Komödien assoziiere, ist überraschend gut als sich seiner unweigerlichen Determinierung fügender Adliger, der ob der Gewissheit seines näherrückenden Schicksals langsam in den Wahnsinn abdriftet. Sharon Tate, schon damals eine unglaublich auratische Frau, die auch super als hypnotisierende Teufelsgespielin durchgeht, lässt sich in ihrer ersten kreditierten Rolle zu bewundern und auch sonst passt besetzungsmäßig alles. Thompson genehmigt sich manch inszenatorisches Kabinettstückchen und wilde Montageaktion, wie sie 1966, als Englands Kultur bereits gehörig swingte, schon durchaus akzeptiert werden konnte. Dank seiner Könnerschaft sorgt der zwischenzeitlich allzu behäbige Charakter der ganzen Veranstaltung auch nie für ein etwaiges Abgleiten in die Langeweile.

7/10

COLT 45

Zitat entfällt.

Colt 45 ~ F 2014
Directed By: Fabrice du Welz

Der Nachwuchspolizist Vincent Milès (Ymanol Perset) gilt trotz seiner jungen 22 Jahre bereits als brillanter Schütze und Ballistik-Profi. Nach einem gewonnen Schießwettbewerb beginnen diverse Sondereinheiten, sich um ihn zu reißen, doch sein väterlicher Kollege Christian Chavez (Gérard Lanvin) rät ihm, über jedes Angebot wohlfeil nachzudenken. Als Vincent dem mysteriösen Spezialbullen und nicht minder exzellenten Waffennarr Milo Caldera (JoeyStarr) begegnet, ist auch dieser von Vincents Fähigkeiten angetan und plant, ihn mit allen Mitteln in sein abseits aller Regularien arbeitendes Team zu holen. Zu diesem Zweck entspinnt er eine Intrige, die den nichtsahnenden Vincent immer tiefer in den Abgrund reißt, bis dessen tödliches Echo schließlich zu Milo zurückgelangt.

Obschon bereits vor „Alléluia“ entstanden, erlebte „Colt 45“ mit diesem fast zeitgleich seine Premiere. Fabrice du Welz und Fathi Beddiar, der Autor des Films, sind auf das fertige Produkt wohl nicht sonderlich gut zu sprechen. Zum einen verhinderte das eingegrenzte Budget, dass alle Szenen so gedreht werden konnten, wie du Welz und Beddiar sich dies gewünscht hätten, zum anderen gab es zunehmende Querelen seitens der arrivierten Hauptdarstellern Lanvin und JoeyStarr. Die unglücklichen Umstände führten schließlich dazu, dass du Welz und Beddiar sich weigerten, „Colt 45“ zu promoten. Abgesehen von der auffallend kurzen Erzählzeit von etwa 80 Minuten, die das Aussparen der einen oder anderen Sequenz geradezu suggeriert, mangelt es dem Film dennoch nicht an Fluss und Spannung.
Die Story um den naiven, jungen, wenngleich hoch inselbegabten Anfänger, der in einen ihm unbekannten, nach eigenen Regeln funktionierenden Mikrokosmos aus Konkurrenz, Korruption, und reziproker Übervorteilung gerissen wird, ist dabei keineswegs neu, sei es bezogen auf den Polizeifilm oder auch auf andere Subgenres wie das Gerichtsdrama. Der zumindest traditionsbewusst erscheinende „Colt 45“ spielt das Sujet so solide wie gekonnt durch und vermag mit dem angenehmen Ymanol Perset einen noch relativ unbehauenen Jungakteuer als Spielball der erfahrenen Mächte ins Feld zu werfen, der, einmal entfesselt und seiner ihn schützenden moralischen Unschuld beraubt, schließlich selbst zum tödlichen Hauptakteur wird – die Geburtsstunde eines Killers.
So durchweg brauchbar „Colt 45“ als Genrestück daherkommt, so wenig findet sich darin Fabrice du Welz‘ bis dorthin etablierte, kurzlebige aber prägnante Signatur als auteur wieder. Nachdem er sich in seinen Vorgängerfilmen und auch im nachfolgenden „Alléluia“ mit unauslotbaren humanen Untiefen beschäftigte, kratzt das vorliegende Werk bestenfalls an diesbezüglichen Oberflächen, kommt jedoch kaum über ein relativ gewöhnliches Maß hinaus. Allzu grob silhouettiert bleiben die Figuren, allzu skizzenhaft ihre jeweilige Entwicklung.

7/10

J’ACCUSE

Zitat entfällt.

J’Accuse (Intrige) ~ F/I 2019
Directed By: Roman Polanski

Frankreich, 1894. Der jüdischstämmige Hauptmann Albert Dreyfus (Louis Garrel) wird unehrenhaft aus der Armee entlassen und zu einer lebenslangen Exilstrafe auf der Teufelsinsel verurteilt, weil er für die Deutschen spioniert haben soll. Fast zeitgleich findet sich der Offizier Picquart (Jean Dujardin) zum Leiter der militärischen Spionageabwehr befördert. Nach und nach wird der durchaus systemtreue Picquart sich nicht nur der extrem dünkelhaften Arbeitsmethoden des „deuxième bureau“ und seiner Mitarbeiter bewusst, sondern auch der Tatsache, dass Dreyfus zum unschuldigen Opfer eines Komplotts geworden ist. Als Picquart beginnt, in der Sache Nachforschungen anzustellen und den Fall wieder aufrollen zu wollen, schmiedet man auf höchster Ebene und trotz prominenter liberaler Unterstützung auch gegen ihn finstere Ränke.

Mit der Lässigkeit des Altmeisters, der weder sich noch der Welt irgendetwas zu beweisen hat, adaptiert Polanski in seinem 22. Spielfilm den sich mit der authentischen Dreyfus-Affäre befassenden Historienroman von Robert Harris. „J’Accuse“, der ein ebenso eminentes wie bewegendes Thema aufgreift, nämlich den bereits zum fin de siècle eklatant überbordernden Antisemitismus in Europa, scheint Polanski so leicht und behende von der Hand gegangen zu sein wie eine Fingerübung. Nach seinen drei letzten, weniger allgemeintaugliche Sujets verhandelnden Arbeiten, wirkt sein jüngstes Werk so straight, geradeheraus und luzid wie zuletzt vielleicht noch die brillante Dickens-Verfilmung „Oliver Twist“ – für die beiden sich unweigerlich ergänzenden Geschichten um den entehrten Mustersoldaten Dreyfus und seinen „Erlöser“ Picquart wählt Polanski weder Schnörkel noch formale Spielereien, sondern berichtet stattdessen mit der Engelsgeduld des engagierten Chronisten. Gewiss interessiert ihn nicht zuletzt die Ursachenforschung nach der brutalen Schassung Dreyfus‘, die eben zu gewichtigen Anteilen auch auf antisemitische Motive zurückzuführen ist, er hebt sie jedoch nie in den Vordergrund. Vielmehr verweigert sich Polanski der Verlockung zur Spekulation, nimmt eher die Warte des sich zur nüchterner Sachlichkeit verpflichtenden Gerichtsprotokollanten ein und liefert einen wohltemperierten, nichtsdestotrotz von gebührlicher Spannung getragenen Abriss der historischen Tatsachen.
Dass Polanski dabei abermals großes Erzählkino und noch dazu seinen besten Film seit vierzehn Jahren abliefert, ist erfreulich. Dass weiterhin mit ihm, zeitlebens einer meiner Lieblingsregisseure, zu rechnen ist, finde ich aber noch sehr viel erfreulicher.

9/10

THE STRANGE DOOR

„I don’t know the pain of a conscience! My way’s clear!“

The Strange Door (Hinter den Mauern des Grauens) ~ USA 1951
Directed By: Joseph Pevney

Unweit von Paris bewohnt der sinistre Adlige Alain de Maletroit (Charles Laughton) ein feudales, von zahlreichen Gängen unterkellertes Schloss, gemeinsam mit seiner von ihm adoptierten Nichte Blanche (Sally Forrest) und einer ihm hündisch ergebenen Gefolgschaft von Galgenstricken, allen voran dem Opportunisten Corbeau (William Cottrell). Sein ganzes böses Leben hat Maletroit nur einem Zweck gewidmet: der Rache. Nachdem seine Zukünftige einst Alains Bruder Edmond (Paul Cavanagh) ihm vorgezogen hat – Blanche ist das Resultat jener Affäre-, schäumt Maletroit im unablässigen Drang nach Vergeltung. Blanches Mutter verstarb einst bei ihrer Geburt und der von Allen totgeglaubte Edmond fristet seit zwei Jahrzehnten ein Dasein als vermeintlich wahnsinniger Gefangener in einem geheimen Schlossverlies. Nun soll Maletroits Rache perfekt werden: Die ahnungslose Blanche wird von ihm dazu gezwungen, eine Zwangsheirat mit dem dahergelaufenen Filou Denis de Beaulieu (Richard Wyler) einzugehen, was Maletroit durch eine geschickte Intrige in die Wege leitet. Beaulieu entpuppt sich jedoch als mitnichten so boshaft, wie es Maletroit Recht wäre und entgegen all dessen Bestrebungen verliebt sich das junge Paar ineinander. Damit bricht zugleich das Ende von Maletroits Schreckensregime herein…

Der sich auf eine Kurzgeschichte von Robert Louis Stevenson berufende „The Strange Door“ fällt in eine Ära, in der das Kino weitestgehend horrorabsent war; der Zweite Weltkrieg hatte die Weltbevölkerung wahres Grauen gelehrt, die klassischen Universal-Monster hatten (mit einer Ausnahme) ihre letzten mash-ups nebst Abbott und Costello hinter sich gebracht und auch sonst tat sich in den neun Jahren zwischen 45 und 54 kaum Genrebewegendes, von den wenigen frühen SciFi-Gehversuchen, die wie etwa Hawks und Nybys „The Thing“ recht unzweideutige Horrorelemente verarbeiteten, abgesehen. Das maßstäbliche, gotische Element indes, das vor allem die Verknüpfung zwischen den Klassikern der schauerromantischen Literatur und den Horrorfilmen der zwanziger bis mittvierziger Jahre vitalisierte, fand sich recht rückstandslos eliminiert. „The Strange Door“ bildet, ebenso übrigens wie Nathan Jurans kurz darauf entstandener „The Black Castle“ diesbezüglich eine Ausnahme. So wurde etwa Boris Karloff von der Universal reaktiviert, um Edmonds leicht tumben, aber gutherzigen Adlatus Voltan zu spielen (eine Rolle, die eigentlich perfekt für Lon Chaney Jr. gewesen wäre), was ihm nach Laughton immerhin den zweiten Darstellercredit einbrachte. Die unschwer erkennbar nicht nur von Stevenson, sondern ebenso von Elementen nach Poe und Dumas durchdrungene, wildromantische Story siedelt sich entgegen der nominellen Vorlage eher im frühen 18. Jahrhundert denn zu Zeiten des Hundertjährigen Krieges an, was, ergänzend zum bitterbösen Familiendrama, kleinere Gelegenheiten zu Kostümauftragungen und Swashbuckeleien bietet. Richard Wyler spielt jenen Tunichtgut, der nicht nur ein offensichtliches Interesse für Wein und Damenröcke, sondern auch eines für Kampfkunst und Folterhistorie pflegt und somit dem einen oder anderen Hundsfott gekonnt Paroli bieten kann. Ein Errol Flynn oder Tyrone Power ist an ihm allerdings nicht verlorengegangen. Die hauptsächliche Show gehört fraglos ganz Charles Laughton, der sich mit seiner unnachahmlichen Art als feister, selbsttrunkener Bösewicht durch den gesamten Film despotiert und selbst minimalste Anflüge von emotionaler Wärme flugs im Keim erstickt. Allein Laughtons herzerfrischend boshafte Darstellung bestimmt einen Großteil der Qualität von „The Strange Door“, was die ansonsten eher unkonturierte Arbeit des routinierten Regisseurs Pevney allenthalben vergessen macht.

7/10

JOAN OF ARC

„I’d rather go home and spin with my mother, for this is not my proper place.“

Joan Of Arc (Johanna von Orleans) ~ USA 1948
Directed By: Victor Fleming

Im Jahre 1429 erreicht die 17-jährige Johanna von Arc (Ingrid Bergman) eine Audienz beim Königshauptmann Baudricourt (George Coulouris). Einige Heilige, versichert sie ihm salbungsvoll, hätten zu ihr im Namen des Himmelskönigs gesprochen und ihr eröffnet, dass sie dazu bestimmt sei, die Engländer aus Frankreich zu vertreiben und dem Dauphin Charles VII (José Ferrer) dazu zu verhelfen, König zu werden. Nachdem bald darauf auch der Dauphin Johanna bei sich hat vorsprechen lassen und sich tief von der jungen Frau beeindruckt zeigt, erreicht sie, dass das darbende, gemeine Volk sich wieder hinter den letzthin eher schlechtgelittenen Charles stellt und neuen Patriotismus entwickelt. Johanna wird nach Orléans geschickt, um dort der Armee zuzusprechen. Trotz hoher Verluste auf beiden Seiten gelingt es den Franzosen unter Johannas moralischer Führung schließlich, die englische Festung Tourelles zu erobern. Charles wird zum König gekrönt, begreift jedoch, dass die eigentlichen Sympathien Frankreichs Johanna zufallen. Bevor sie mit den Soldaten gegen Paris marschieren kann, lässt Charles sich von seinen Gegnern, zu denen neben England auch die Burgunder zählen, korrumpieren und sorgt dafür, dass Johanna wieder ins Zivilleben zurückkehrt, wo ihr bereits die Verhaftung durch den Grafen von Luxemburg (J. Carrol Naish, einäugig) bevorsteht. Geleitet durch den arglistigen Bischof von Beauvais (Francis L. Sullivan) wird Johanna ein nur scheinbar kirchlicher Prozess gemacht, an dessen Ende ihre Verbrennung als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen steht. Dadurch wird sie erst zur eigentlichen Legende.

Eine der bekannteren Verfilmungen um Leben und Tod der heiliggesprochenen Nationalheldin Jeanne d’Arc alias Johanna von Orléans bildet Victor Flemings letzte Regiearbeit. Für das produzierende Studio RKO unter Präsident Howard Hughes, damals noch den Big Five, also den fünf maßgeblichen US-Studios, zugehörig, galt das monumentale Projekt in Technicolor als Prestigefilm. Ingrid Bergman hatte bereits jahrelang um eine Realisation mit ihr in der Hauptrolle gekämpft, dabei bedeutete im Nachhinein just dieser Film eine jahrelange Hollywood-Flaute für sie. Der zu erwartende Erfolg bei Kritik und Publikum blieb nämlich zunächst aus verschiedenen Gründen aus – zum einen machte die anders als ihr deutlich jüngeres (und jungfräuliches), authentisches alter ego bereits 33 Jahre alte Bergman durch eine außereheliche Liaison mit dem italienischen Neorealisten Roberto Rosselini unvorteilhafte Schlagzeilen, die sie etliche erboste Zuschauer kosteten, zum anderen versagte die Academy „Joan Of Arc“ zuvor als bombensicher geltende Nominierungen in den Königskategorien. Der Effekt echot bis heute durch die Filmhistorie: Flemings durchaus prachtvoll arrangierte Biographie genießt global betrachtet bei weitem nicht die Popularität anderer zeitgenössischer und ähnlich budgetierter Historien- und Bibelepen, sondern scheint im Rahmen jener Gattung gemeinhin eher zur cineastischen Fußnote degradiert. Dabei ist vieles an ihm noch immer bestaunens- und liebenswert; seien es die opulenten Kostüme, die schönen settings, die glamouröse Besetzung, die zwar nicht vor Superstars strotzt, dafür aber ein umso beeindruckenderes Ensemble an Charakterdarstellern und Statistenaufgebot vorweist, oder natürlich die ausnehmend herrliche Farbphotographie (u.a. Winton C. Hoch). Auf große Totalen und Außenaufnahmen gilt es zu verzichten, dafür erweisen sich die Atelierkulissen und matte paintings als umso kunstvoller arrangiert und dem allgemeinen Eindruck von golden age cinema absolut zuträglich. Dass die Bergman hier zudem in einer ihrer aufregendsten anglophonen Rollen zu bewundern ist, erweist sich in Anbetracht ihres vorhergehenden Engagements und ihrer offenbar tiefen, persönlichen spirituellen Verbundenheit zur historischen Johanna (sie spielte die Rolle für Rosselini sechs Jahre später abermals) als eklatant.

8/10

TRIPLE CROSS

„I’d rather live for Germany than die for England.“

Triple Cross (Spion zwischen 2 Fronten) ~ UK/F/D 1966
Directed By: Terence Young

London, 1939. Der Safeknacker Eddie Chapman (Christopher Plummer) treibt mit seinen dreisten Coups die Polizei zur Verzweiflung. Als ihm die Lage vor Ort eines Tages doch zu heiß wird, setzt sich der Gentleman-Ganove und Filou auf der sonnigen Kanalinsel Jersey ab, wird dort jedoch entdeckt, verhaftet und vor Ort ins Gefängnis gesteckt. Bald darauf besetzen die Deutschen das Eiland, während Chapman noch immer in seiner Zelle darbt. Er entschließt sich, seine Fähigkeiten gewinnbringend zu nutzen und sich der Abwehr als Spion anzubieten. Unter dem in Nantes stationierten Offizier Baron von Grunen (Yul Brynner) erlernt Chapman im Folgenden diverse Fertigkeiten, um bald in Aktion treten zu können, stets wachsam beäugt von dem misstrauischen Oberst Steinhäger (Gert Fröbe) nebst dessen Schatten Leutnant Keller (Harry Meyen) und in eine Affäre mit der schönen Gräfin Lindström (Romy Schneider) verbandelt. Nachdem Chapman sich das weitgehende Vertrauen der Deutschen erschlichen hat, sieht sein erster Auftrag vor, die De-Havilland-Flugzeugwerke zu sabotieren. Kaum über England abgeworfen, sucht Chapman jedoch den Kontakt zum Geheimdienst und arbeitet fortan als Doppelagent.

Die Geschichte von Eddie Chapman, der sich Terence Young in seinem international renommiert besetzten Agentenfilm annahm, fußt auf tatsächlichen Ereignissen, obgleich sowohl diverse Ereignisse, wie es bei Biopics üblich ist, in stark gekürzten, vereinfachten, oder schlicht falschen Zusammenhängen wiedegegeben werden, als auch die Namen sämtlicher weiterer Beteiligter geändert wurden. Young lässt sich von dieser Historienklitterung wenig beeindrucken. Vielmehr verleiht er seinem Protagonisten den von ihm ja unlängst zuvor mitkreierten Nimbus eines James Bond, dem Christopher Plummer ein kongeniales Auftreten beschert. Sein Eddie Chapman wahrt in jeder noch so brenzligen Situation stets seine große Klappe, ist ein Hedonist und Opportunist par excellence und holt sich auch in prekärster Lage noch die attraktivsten Damen ins Bett. Man könnte ihn mit Fug und Recht als Kriegsgewinnler bezeichnen, denn Chapman verstand es, die katastrophale kosmopolitische Lage zu seinem Vorteil zu nutzen, indem er auf beiden Seiten Protektorat und Gönnerschaft erlangte, den Nazis dabei in Wahrheit stets eine lange Nase drehte und nach dem Krieg sogar eine komplette Löschung seines Vorstrafenregisters erwirkte. Der echte Eddie Chapman starb, nachdem er weiterhin so abenteuerlustig und luxuriös gelebt hatte, wie es seinem Wesen entsprach, 1997 im Alter von 83 Jahren.
„Triple Cross“ stellt ihn passend dazu als eine Art frechen Quasi-Eulenspiegel dar, der so gut wie nie die Contenance einbüßt, bis auf einen Moment, in dem er glaubt, der Gestapo in die Falle gegangen zu sein und in Kürze scharf verhört zu werden. Die Zyankalikapsel bereits im Mund, besinnt er sich in letzter Sekunde doch noch eines Besseren und wird dann als erster Nichtdeutscher mit dem Eisernen Kreuz geehrt.
Noch sehr viel interessanter nimmt sich allerdings das weitere Figuren- (und DarstellerInnen-) Inventar aus. Als für einen nicht-deutschsprachigen Film ungewohnt mehrdimensional, ja sogar sympathisch werden etwa die Offiziere Von Grunen und Steinhäger gezeichnet. Beide sind natürlich insgeheim scharfe Regimekritiker, die Nationalsozialismus und Führerkult gänzlich ablehnen. Von Grunen ist dabei der typisch-urpreußische Aristokrat mitsamt Monokel, der ein Hitler gänzlich abgehendes Bild des distinguierten Militariers präserviert, während Steinhäger als vormaliger Polizist zwar oberflächlich systemtreu, dabei aber doch relativ handzahm bleibt. Witzigerweise ist in zwei kurzen Szenen ausgerechnet Howard Vernon nebst Sonnenbrille als eherner Nazi zu sehen.
Romy Schneider und die als Résistance-Kämpferin auftretende Claudine Auger befinden sich hier beide auf dem Höhepunkt ihrer mirakulösen Schönheit und verleihen jedem Aufzug, in dem eine von ihnen zu sehen ist, einen höchst aparten Glanz.
Trotz seiner manchmal ausartenden Erzählzeit und einer selten konzisen Inszenierung, wo die Befleißigung derselben eigentlich notwendig gewesen wäre, habe ich „Triple Cross“ somit als eine weitgehend liebenswerte Veranstaltung wahrgenommen.

7/10

MORT D’UN POURRI

Zitat entfällt.

Mort D’Un Pourri (Der Fall Serrano) ~ F 1977
Directed By: Georges Lautner

Eines frühen Morgens erhält der betuchte Manager Xavier Maréchal (Alain Delon) überraschend einen Besuch seines besten Freundes, des Abgeordneten Philippe Dubaye (Maurice Ronet). Dieser gesteht Xavier, ein paar Stunden zuvor seinen Kollegen Serrano (Charles Moulin) erschlagen zu haben. Serrano war im Besitz einer Akte voller kompromittierender Informationen über diverse Personen des Öffentlichen Lebens bis hin in höchste Staatsämter, darunter auch über Philippe, der Xavier zudem eröffnet, die Akte entwendet und bei seiner Freundin Valérie (Ornella Muti) versteckt zu haben. Als kurz darauf auch Philippe getötet wird, will Xavier, der sich kurz zuvor selbst in den Besitz der Akte gebracht hat, unbedingt herausfinden, wer hinter dem Mord steckt. Dieser Stich ins Wespennest sorgt dafür, dass sich Xavier umgehend von diversen Interessengruppen, darunter die Polizei und eine Art Freimaurerloge, belagert findet, die allesamt die Akte Serrano haben wollen. Während immer weitere Menschen aus seinem Umfeld Gewaltverbrechen zum Opfer fallen, wächst der Druck auf Philippe, bis er endgültig mit dem Rücken zur Wand steht…

Lautners und Delons in Ehren gescheiterter Versuch, der 1977 bereits stattlich angewachsenen Gruppe systemkritischer, linker französischer Politthriller um einen gemeinsamen Genreentwurf zu bereichern. Als ordinärer Kriminalfilm bleibt „Mort D’Un Pourri“ allzu gleichmütig und entschleunigt, als politisches Statement zu verwaschen. Nie erfährt man wirklich, wer oder was genau sich hinter mysteriösen Figuren wie dem reichen Fondari (Julien Guiomar) oder dem larmoyanten Ausländer Tomski (Klaus Kinski) verbirgt, oder welches konkrete Interesse sie an der als MacGuffin fungierenden Serrano-Akte haben, deren Inhalt wiederum ominös bleibt: „Ein Album der Korruption, eine Chronologie der Verfilzung“ soll sie sein. Dem Rezipienten wird ein hohes Maß an reger Phantasie zugemutet, was es entsprechend schwer macht, der sich so gewichtig gebenden Geschichte zu folgen. Maréchal, einen etwas öligen Bourgeois erster Klasse, ist man gezwungen, trotz seiner verwaschenen Agenda als Sympathie- und Identifikationscharakter in Kauf zu nehmen, wirklich sympathisch wird er einem jedoch nie. Die diversen Anschläge und inszenierten Autounfälle, die den zunehmend an ostentativer Gleichgültigkeit krankenden Volten innerhalb des Plots etwas Aktion verleihen sollen, überlebt er samt und sonders ohne weitere Blessuren und selbst die insgeheim wachsende Hoffnung, dass seine mächtigen Gegner am Ende doch noch die Überhand gewinnen, zerschlägt sich schließlich. Was „Mort D’Un Poulle“ schlussendlich dann doch noch potenziell sehenswert macht, sind Lokal- und Zeitkolorit des Paris der Spätsiebziger, die charmanten Verweise auf Delons und Ronets frühere Kollaborationen, die vortreffliche Besetzung und Philippe Sardes jazzige Musik. Eine spannendere, konkretere und vor allem involvierendere Geschichte – und somit Herz und Motor – bleibt der Film jedoch schuldig.

6/10

L’EAU DES COLLINES

Zitat entfällt.

L’Eau Des Collines, Première Partie: Jean De Florette (Jean Florette) ~ F/I/CH 1986
Directed By: Claude Berri

L’Eau Des Collines, Deuxième Partie: Manon Des Sources (Manons Rache) ~ F/I/CH 1986
Directed By: Claude Berri

Bastides, ein provenzalisches Dorf, im Jahre 1925. Der junge Bauer Ugolin (Daniel Auteuil), letzter Nachkomme der ursprünglich umfassenden Sippe der Soubreyans, kehrt zu seinem Onkel César (Yves Montand) zurück, den alle in der Gegend ehrfürchtig „Papet“ nennen. Ugolin hält wenig von Wein- und Gemüseanbau, sondern überzeugt Papet stattdessen, dass mit Zuchtnelken ein ordentliches Auskommen zu machen ist. Dafür benötigt Ugolin allerdings eine eigene Bewässerungsquelle. Papet hat das benachbarte Grundstück des alten Marius (Marcel Champel) im Auge, auf dem sich eine sprudelnde Quelle befindet. Ein provozierter Streit führt zum Tode Marius‘, doch dessen Erbe, der bucklige Steuerbeamte Jean Cadoret (Gérard Depardieu), ist mitnichten gewillt, das Stück Land zu verkaufen. Stattdessen plant der sich als intellektueller Träumer herausstellende Sohn von Césars verflossener Jugendliebe Florette, gemeinsam mit Frau Aimée (Elisabeth Depardieu) und Töchterchen Manon (Ernestine Mazurowna), eine Hasen- und Kürbiszucht aufzubauen und sich vor Ort niederzulassen. Der alte Papet und Ugolin beginnen, gegen die Cadorets zu intrigieren. Zunächst verschließen sie die Jean unbekannte Quelle mit Zement. Ugolin spielt sich hernach als Gönner und hilfsbereiter Freund Jeans auf, heimlich durchschaut von der kleinen Manon. Was später der fehlende Sachverstand Jeans und der heiße Sommer nicht besorgen, durchkreuzen die Soubreyans. Nachdem Jean sich bereits halb zu Tode geschuftet hat, will er, von Alkohol gezeichnet und halbwahnsinnig, verzweifelt eine eigene Quelle freisprengen und kommt dabei zu Tode. Papet kauft der bedürftigen Witwe das Grundstück ab, derweil Manon zufällig erfährt, dass die Soubreyans die Wasserquelle verstopft und ihren Vater damit in Ruin und Tod getrieben haben.

Einige Jahre später hat Ugolin auf dem ehemaligen Land der Cadorets seine erfolgreiche Nelkenzucht aufgebaut. Im Gegensatz zu ihrer Mutter ist die mittlerweile zu einer wunderschönen jungen Frau gereifte Manon (Emmanuelle Béart), die sich nie mit dem Schicksal ihres Vaters hat arrangieren wollen, in der Region geblieben, betätigt sich als Ziegenhirtin und schult autodidaktisch den von Jean ererbten Intellekt. Als Ugolin sie erstmals erblickt, verliebt er sich unsterblich in sie, Manon jedoch interessiert sich für den jungen Dorfschullehrer Bernard (Hippolyte Girardot). Als Ugolin ihr lauthals seine Liebe gesteht, wendet sie sich angewidert ab. Ein zufällig belauschtes Gespräch zwischen zwei älteren Dörflern aus Bastides eröffnet Manon, dass die gesamte Gemeinschaft um Papets damalige Verstopfung der Quelle wusste. Manon, die den Quellort für die gesamte Wasserversorgung von Bastides in den Bergen kennt, verschließt nun aus Rache ihrerseits die Zufuhr, so dass das gesamte Dorf zu darben hat. In diesem Zusammenhang wird Papets und Ugolins verbrecherische Übervorteilung endlich öffentlich. Ugolin, der endgültig begreift, dass Manon ihn niemals nehmen wird, erhängt sich an einem Baum. Von Bernard überzeugt, gibt Manon die Quelle schließlich wieder frei. Die alte Schuld scheint beglichen, doch auf Papet wartet noch eine letzte, furchtbare Wahrheit…

Im Zuge eines ebenso aufwändigen wie umfassenden Projekts nahm sich Claude Berri mit der bravourösen Unterstützung Gérard Brachs Marcel Pagnols rund dreißig Jahre zuvor in zwei Teilen veröffentlichten Roman vor und schuf daraus einen prachtvollen, wiederum als Diptychon angelegten Heimatfilm, der die von wunderschönen Primärfarben lebenden Bilder kontrastiert mit einer tieftraurigen, von Habsucht, Hybris, moralischen Fehlentscheidungen und verschlossenen Wahrheiten geprägte Familiengeschichte. Spätestens auf den zweiten Blick werden noch mehrere inhaltliche Ebenen offenkundig, die sich erst ganz am Ende der Betrachtung dieses ingesamt knapp vierstündigen Mammutwerks erschließen – wieder einmal sind es der Krieg und die mit ihm einhergehenden Entfrendungen und Missverständnisse, die Familien auseinanderreißen; die einen alternden Mann verhärten und zum gierigen Egoisten werden lassen. Immer wieder rekurriert die Frage des eigentlich grundgütigen, von Papet jedoch unentwegt negativ beeinflussten Ugolin, warum der Alte denn nie geheiratet habe und er denn nun seinerseits für die Dynastienachfolge sorgen solle. Dass Papet in der Vergangenheit das Herz herausgerissen wurde und ebendies ihn zum verbitterten, missgünstigen Zyniker hat werden lassen, lässt sich über lange Zeit lediglich erahnen. Welch bösen Schabernack das Schicksal wirklich mit ihm treibt, in Unkenntnis elementarer Fakten und durch eine Verkettung unglücklicher Fügungen, dessen wird sich der durch den verzweifelten Freitod seines Neffen (an dem Papet indirekt ebenfalls die Schuld trägt) bereits empfindlich Getroffene erst bewusst, als es längst zu spät ist. Wie eine Kerze verlischt der einstmals stolze Patriarch – und mit ihm der Name einer Familie, die die Region geprägt hat wie kaum eine andere.
„L’Eau Des Collines“ – das titelgebende Wasser will auch in seiner Symbolträchtigkeit als Lebensspender begriffen werden – ist somit gewissermaßen auch der finale Teil einer Chronik des Familienzerfalls, eines traditionellen literarischen Motivs somit. Und obschon alles auf das erschütternde Finale zusteuert, verzichtet Berri nie ganz auf sanfte, immer wieder eingeflochtene Ironiespitzen, die zumeist im Zusammenhang mit der Schlichtheit der Provinzbevölkerung stehen. In diesem Zusammenhang muss man jedoch keine Denunziation befürchten, sondern vielmehr liebevolle Beobachtungsdetails, deren Verzicht ebenso wie die eingangs erwähnte, überwältigende Naturphotographie, dem Drama vielleicht eine allzu bleierne Schwere überantwortet hätten. So, in dieser Ausgewogenheit, ist es jedoch perfekt.

10/10