…tick…tick…tick…

„I’m the sheriff. Not the white sheriff. Not the black sheriff. Not the soul sheriff. But the SHERIFF!“

…tick…tick…tick… ~ USA 1970
Directed By: Ralph Nelson

Jim Price (Jim Price) ist der neue, offiziell mehrheitlich gewählte Bezirkssheriff von Colusa County, einem prototypischen Südstaatennest. Widerwillig bis frustriert räumt sein Vorgänger John Little (George Kennedy) am Tag von Prices Amtsantritt seinen lange polierten Stuhl im Office; weniger, weil er Missgunst oder Neid empfindet, sondern weil Little ganz genau weiß: Mit Price als Sheriff steht Ärger ins Haus. Selbiger ist nämlich Afroamerikaner, eine Ungeheuerlichkeit in der noch immer halbheimlich von den guten alten Dixie-Werten und dem Einfluss des Ku-Klux-Klan geprägten Kleinstadt, in der people of colour zwar die Bevölkerungsmajorität stellen, jedoch wenig bis gar nichts zu melden haben. Und tatsächlich schlagen Price von Minute Eins an beinahe ausschließlich Ressentiments und Despektierlichkeiten entgegen: die vormaligen Deputys quittieren johlend den Dienst, die übrigen Weißen schauen ungläubig bis ablehnend drein. Vor allem der vormalige Hilfssheriff Springer (Don Stroud) mag sich so gar nicht mit dem neuen Ordnungshüter anfreunden. Und als Price „seiner“ Community versichert, er sei kein verlängerter Black-Power-Arm, ist er auch bei dieser untendurch. Als er einen betrunkenen Raser (Robert Random) aus dem Nachbarbezirk, der infolge eines selbstverursachten Unfalls ein kleines Mädchen auf dem Gewissen hat, festnimmt und einsperrt, gerät Price endgültig in Bedrängnis. Der Fahrer entpuppt sich als jüngster Filius des reichen und darüberhinaus rassistischen Patriarchen Braddock (Karl Swenson), der glaubt, über dem Gesetz zu stehen, zumal, da dieses vor Ort durch Price repräsentiert wird. Nunmehr ist jener nicht nur auf die Unterstützung seines frischgebackenen Deputys John Little angewiesen, sondern auf die sämtlicher Menschen der Kleinstadt, denn Braddock naht bereits mit einer Riesenkolonne, um den Sohnemann herauszuhauen…

Als durchaus domestizierter Anti-Rassismus-Polizeifilm in der Nachfolge zu Norman Jewisons „In The Heat Of The Night“ (aus dem gleich noch der hagere Anthony James zurückkehrt), dem man trotz der protagonistischen Mitwirkung des später genau in jenem Sektor reüssierenden Ex-Footballers Jim Brown kaum nachsagen kann, die gerade im Anrollen begriffene Blaxploitation-Welle zu antizipieren, bleibt „…tick…tick…tick…“ eher eine künstlerische Fußnote im Gesamtwerk seines Regisseurs Ralph Nelson. Mit dem nur etwa acht Monate später nachgeschobenen Western „Soldier Blue“, nicht zuletzt ja auch eine berühmte My-Lai-Paraphrase, trat Nelson mittels eines ungleich wütenderen und graphischeren Films nach, der seine Kritik am weißen amerikanischen Selbstverständnis völlig gnadenlos jedweder Versöhnlichkeit entledigte und Filmfiguren wie Publikum mit blankem Hass auf die fahlhäutigen Schlächter zurückließ. „…tick…tick…tick…“ wirkt da im Vergleich beinahe antithetisch; er predigt Akzeptanz, Toleranz, Verständnis und die Überwindung von Vorurteilen; Werte, die das gepflegt unglaubwürdige Finale nochmals gewinnend unterstreicht. Mit Ausnahme des unverbesserlichen Redneck-Proleten Springer helfen nämlich sämtliche Colusa-Männer, egal ob schwarz oder weiß, bei der (erfolgreich gewaltfrei praktizierten) Abwehr der üblen, frechen Selbstjustizler aus dem benachbarten County. Einigkeit macht, soviel immerhin darf als gesichert gelten, stark, zumal gegen die noch blöderen Hillbillys von jenseits des Flusses. Das erkennen sogar der greise Major Parks (Fredric March) und sein Hausboy Homer (Ernest Anderson), die insgeheim längst die Zeichen der jüngsten liberalism era erfasst haben. Mit Besonnenheit und Objektivität erwirtschaftet sich Sheriff Price also sein allseitiges Scherflein Respekt, dafür ganz ohne Häme oder gar Waffengewalt. Eine fromme, manchmal sogar zu verschmitzter Komik neigende Utopie, deren stets ausgleichend balancierende Liebenswürdigkeit die Realität, aber auch diverse Beteiligte und Nachzügler rasch Lügen straften: Nelson lieferte besagten „Soldier Blue“, Brown mischte unter anderem als waffenstarrender p.i. Jim Slaughter gleich zweimal weiße Mafiosi auf und Terence Young setzte vier Jahre später mit „The Klansman“ sein höchst persönliches, zutiefst versoffenes Südstaaten-Kleinstadt-Porträt nach, das zwar ungleich räudiger, aber auch wesentlich vitaler als „…tick…tick…tick…“ daherkam. Mit dem tatsächlichen Colusa in Kalifornien hat der Filmschauplatz trotz vor Ort abgelichteter Originalsets nebenbei nichts zu tun. Hier befinden wir uns zweifelsohne irgendwo in Kentucky, Georgia, Alabama oder Mississippi.

6/10

ANNA KARENINA

„We’ll be punished because we’re happy.“

Anna Karenina ~ USA 1935
Directed By: Clarence Brown

Moskau, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die gesellschaftlich geachtete Beamtengattin Anna Karenina (Greta Garbo) kommt aus St. Petersburg, um die Ehe und Familie ihres Bruders, des spitzbübischen Stiva Oblonskij (Reginald Owen), zu retten, der einmal mehr seine Gattin Dolly (Phoebe Foster) betrogen hat. Dabei lernt sie Stivas Freund, den adligen Offizier Wronskij (Fredric March) kennen, der sich Hals über Kopf in Anna verliebt und im Gegenzug die wiederum ihn anhimmelnde Kitty (Maureen O’Sullivan), die jüngere Schwester Dollys, links liegen lässt. Wronskij folgt Anna nach St. Petersburg und macht ihr trotz allseitiger Warnrufe solange den Hof, bis auch sie ihm verfällt. Als Annas steifer Ehemann Karenin (Basil Rathbone) von der Affäre Wind bekommt, verlangt er von seiner Frau Contenance, ausschließlich um sein persönliches Renommee in Sorge. Eine Reise von Wronskij und Anna nach Venedig hat zur Folge, dass Karenin den Kontakt zwischen Anna und ihrem heißgeliebten Sohn Sergei (Freddie Bartholomew) einen endgültigen Riegel vorschiebt. Das Leben als öffentlich geächtete, untreue Ehefrau, die Schuld auf sich geladen hat, wird für Anna mehr und mehr zur Qual. Im Gegenzug wendet sich Wronskij langsam von ihr ab und meldet sich schließlich für einen Balkan-Feldzug. Anna sieht den letzten ihr verbleibenden Ausweg im Selbstmord.

Tolstois „Anna Karenina“, ein berühmtes Sittenbild des spätzaristischen Russland und zudem ein exemplarisches Stück zum allseits bemühten Epochensujet der nach einem erotischen Fehltritt in sozialen Zugzwang geratenden Heldin dürfte vermutlich einer der am häufigsten adaptierten Romane der Weltliteratur sein. Diese Hollywood-Verfilmung der MGM, damals Greta Garbos Vertragsgesellschaft, entstand zum Einen infolge von David O. Selznicks durch die Inaussichtstellung, mit der Garbo produzieren zu können, forcierten Wechsel von der RKO zum Löwenstudio und zum anderen durch Garbos persönliche Insistierung, in ihrem nächsten Film eine historische Rolle übernehmen zu dürfen. Die Wahl fiel auf „Anna Karenina“, eine Figur, die die Garbo bereits acht Jahre zuvor schon einmal unter der Regie von Edmund Goulding gespielt hatte. Erwartungsgemäß hatte das Projekt mit mehrerlei Unwägbarkeiten zu kämpfen: Als kurz nach dem Greifen des Hays Code angesetzte Produktion musste sich das Script allzu offensiver Schlüpfrigkeiten enthalten; zudem gebot das maßgebende 95-Minuten-Korsett noch eine relativ rücksichtlose Komplexitätsreduktion der Vorlage, die ja mehrere, parallel erzählte Handlungsstränge aufweist. So spart der Film etwa mit Annas zweiter Schwangerschaft nebst der Geburt ihrer und Wronskijs Tochter Annie sowie der anschließenden Wirrungen ein wichtiges inhaltliches Element komplett aus, ebenso wie die Beschreibung der krisengebeutelten Beziehung von Kitty und ihrem wankelmütigen Gatten Ljewin (Gyles Isham), dem im Film die Funktion eines eher unwesentlichen Nebencharakters zufällt. Wie so oft bei Literaturadaptionen sollte man demnach sein Hauptaugenmerk auf die rein filmischen Qualitäten richten, die selbiges in diesem Fall dann auch absolut rechtfertigen. Mit der Garbo und Fredric March gibt es zwei glamouröse Stars ihrer Tage zu bewundern, wobei besonders die inbrünstige Darastellung der Diva eigentlich den gesamten Film an sich reißt. „Anna Karenina“ bietet sich geradezu hervorragend an, um die ikonographische, bald ätherische Faszination, die die lediglich bis zu ihrem 36. Lebensjahr aktive Aktrice bis heute umweht, begreifen und nachvollziehen zu können. Mitreißend, wenn auch routiniert inszeniert, dürfte Ihre Interpretation der sich in ständischen Verfänglichkeiten verheddernden, tragischen Frauengestalt, die ihre Fehltritte mit tiefer Verzweiflung, seelischer Gesundheit und schließlich dem Freitod bezahlt und deren Leidensweg sie von einer lebensbejahenden Persönlichkeit zu einem traurigen Häuflein Elend degradiert, trotz aller Distanz zum prosaischen Vorbild die Essenz jener großen Figur beispielhaft einfangen. Dass eine solche Leistung nicht allein von Leinwandcharisma getragen werden kann, sondern ihr vor allem große Schauspielkunst vorausgeht, mag in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.

8/10

MAN ON A TIGHTROPE

„You’re a lousy coward. Except when you’re in the cage.“

Man On A Tightrope (Der Mann auf dem Drahtseil) ~ USA 1953
Directed By: Elia Kazan

Gemächlich bewegt sich der Zirkus Cernik fast unmittelbar im tschechoslowakischen Grenzgebiet, jenseits des Eisernen Vorhangs, von Vorstellung zu Vorstellung. Doch Ruhe und Frieden trügen: Immer wieder pfuschen Polizeiapparat, SNB und Propaganda-Ministerium dem Zirkuschef Karel Cernik (Fredric March), der selbst als Clown und Seiltänzer in der Manege auftritt, ins Konzept. Ganze Programmpunkte muss Cernik ändern, um sie zum Wohle der sozialistischen „Volksvertretung“ zu gestalten und langjährige Zirkusmitglieder soll er aufgrund völlig nichtiger Verdachtsmomente entlassen. Als der Regierungsangestellte Fesker (Adolphe Menjou) Cernik eines Tages mal wieder vorlädt und seine Personalien einbehält, wird es dem leidgeprüften Direktor zu bunt – die insgeheim bereits seit Jahren geplante Flucht über die bayrische Grenze muss innerhalb der nächsten Stunden vollzogen werden. Doch selbst bis ins Cerniks Wohnwagen reichen die Tentakel der Überwachung. Einer seiner Vertrauten muss ein Regierungsspion sein. Cernik hat zunächst den Pferdedompteur Joe (Cameron Mitchell), zugleich der Freund seiner Tochter Tereza (Terry Moore), in Verdacht, doch der wirkliche Verräter ist viel näher bei ihm. Zwar gelingt es Cernik, diesen vorrübergehend auszuschalten und die langersehnte Grenzüberquerung mit Mann, Elefant und Maus kann wie geplant eingestielt werden, doch es sind noch Hürden zu überwinden.

Mit Zirkussen habe ich’s eigentlich gar nicht. Die Tiere in den Käfigen tun mir leid und Clowns finde ich eher gruselig als komisch. Was ich jedoch liebe, das sind Filme über Zirkusse oder auch solche, in denen Zirkusse zumindest prominente Rollen spielen. Hier trifft eine inszenierte Sensationswelt auf eine andere und das Ergebnis ist häufig von einer ebenso glamourösen wie unschuldigen Schönheit. Der Zirkus im Film, das ist häufig auch ein grandioser Symbolträger oder Motivlieferant für campige Seifenopern und großes Genrekino.
Seltener wird der Filmzirkus zum Politikum: „Man On A Tightrope“ entstand leise und klammheimlich während der kreativen Gipfelphase Elia Kazans. Zwischen den beiden großen Brando-Filmen „Viva Zapata!“ und „On The Waterfront“ fertigte er dieses wunderbare Kleinod, das vielleicht nicht ganz den epischen Hauch des Vorgängers oder den knallharten Realismus des Nachfolgers bedient, in seiner wunderbar menschlichen, leisen Poesie für mich aber dennoch zu den besten Filmen des Regisseurs gezählt werden muss. Der frühere Kommunist Kazan hatte sich mittlerweile von den sozialistischen Idealen als utopische, in der humanen Wirklichkeit unrealisierbare Wunschträume losgesagt und den Einfluss des ursprünglischen Gleichstellungsgedankens auf die jeweilige Führungskaste des Regimes als verderblich und wahrhaft zersetzend identifiziert. Davon zeugt nach „Viva Zapata!“, der den großen Revoluzzer als Spielball der ihn einengenden Realität zeigt, ganz besonders auch „Man On A Tightrope“, nebenbei wieder mit einem Ensemble ausgestattet, nach dem man sich alle zehn Finger lecken muss. Sogar Gert Fröbe huscht zu Beginn als SNB-Angestellter durchs Bild.
Freiheit, das ist in der Welt Karel Cerniks, der sein Land seit jeher liebt und ihm so weit es ging die Treue hielt, keine Option mehr. Der Staat und seine Behörden kontrollieren jeden und alles, selbst eine auf geringstmögliche soziale Komplexität heruntergebrochene Institution wie den Zirkus, ein, wenngleich nicht immer harmonisches, so jedoch betont apolitisches Refugium für Freundschaft und Familie. Als Karel Cernik der Absurdität des sozialistischen Alltags mit all seinen Kontrollen, Forderungen und den ewigen Verdächtigungen nicht länger entsprechen mag, reift der Fluchtgedanke in Windeseile. Damit beeindruckt er – seine aufatmenden Leute, seine zweite Ehefrau Zama (Gloria Grahame), die ihn immer für einen furchtsamen Duckmäuser hielt und selbst seinen alten Konkurrenten und Berufsgenossen Barovic (Robert Beatty). Und wer zuvor vielleicht wacklig oder undurchsichtig schien, erweist sich in der Stunde der Flucht als Held und Retter des Unternehmens: Der ehemalige Deserteur Joe, der feige Löwendompteur Rudolph (Alexander D’Arcy) und der kleinwüchsige Kalka (Hansi) – sie alle werden zu Helden in der Stunde der Not.
Das alte (und dumme) Klischee, dass das Leben die besten Geschichten schreibt, stimmt hier ausnahmsweise sogar: Die Geschichte des fliehenden Zirkus Cernik hat nämlich ein reales Vorbild, und zwar in dem 1950 aus Ostdeutschland „rübergemachten“ Zirkus Baumbach, aus dem in „Man On A Tightrope“ sogar ein paar echte Artisten zu sehen sind.

10/10