THE GIFT

„Kids are mean.“ – „Kids are honest.“

The Gift ~ USA 2015
Directed By: Joel Edgerton

Das Ehepaar Simon (Jason Bateman) und Robyn Callem (Rebecca Hall) zieht von Chicago nach Los Angeles, wo Simon einen aufstiegsversprechenden Posten angetreten hat. Während die beiden dabei sind, das neue Haus einzurichten, treffen sie in der Mall auf Gordon Moseley (Joel Edgerton), einen alten Schulkameraden von Simon, an den dieser sich jedoch nicht unmittelbar erinnert. Von diesem Moment an heftet sich Gordon, genannt „Gordo“, immer dichter an das Ehepaar, hinterlässt Geschenke und besucht Robyn häufiger, wenn Simon auf der Arbeit ist. Diesem werden Gordos Aufdringlichkeiten bald zuviel und im Zuge eines etwas seltsam verlaufenden Besuch in dessen Haus macht Simon Gordo klar, dass er ihn und Robyn künftig in Ruhe lassen soll. Obschon Gordo in einem Brief versichert, dass er sich dieem Wunsch fügen wird, kommt es zu immer bedrohlicheren Ereignissen im Haus der Callems: Der Hund verschwindet für ein paar Tage spurlos, Robyn, die meint, einen Fremden im Haus zu sehen, erleidet einen mehrstündigen Blackout. Als sie schließlich schwanger wird – zum zweiten Mal, nachdem sie einst eine stressbedingte Fehlgeburt hatte -, und Simon befördert wird, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Eine Monate später stattfindende, zufällige Begegnung mit Gordo führt dazu, dass Robyn schließlich ihre eigenen Nachforschungen über dessen und Simons gemeinsame Vergangenheit anstellt. Diese offenbaren ihr vor allem eine Erkenntnis: Ihr Gatte ist nicht der Mann, den sie seit Jahren zu kennen glaubt…

Sein Langfilmdebüt als Autor und Regisseur konnte Joel Edgerton bei Blumhouse unterbringen, wobei „The Gift“ sich zumindest auf den ersten Blick durchaus konform in das genregeprägte Portfolio von Jason Blums Company eingliedert. In rein dramaturgischer Hinsicht arbeitet der Film nämlich zuvorderst mit zweierlei durchaus gängigen Suspense-Elementen: Der Evozierung einer von zunehmender Bedrohung geprägten Stalking-Atmosphäre sowie dem sorgsam vorbereiteten twist, der die vormals als halbwegs zuverlässig eingestufte Wahrnehmung der Rezipientenschaft mit der genüsslichen Weisheit der sich allmählich anbahnenden, eigentlich doch längst offensichtlichen Erkenntnis auf den Kopf stellt. Während mit Simon Callem und Gordo Moseley zwei männliche Antagonisten mit gemeinsamer, trüber Vergangenheit, die ganz genau um die sie unweigerlich aneinander schweißenden, lange zurückliegenden Ereignisse wissen, ihr heimliches Katz-und-Maus-Spiel entfesseln, ist man als ZuschauerIn auf die Perspektive der Protagonistin Robyn Callem angewiesen, einer von Rebecca Hall wie gewohnt als selbstbewusste, kluge und sympathische Person gespielten „Frau „woman with issues“. Denn auch diese gibt es, wie sich bald zeigt – Robyn litt vormals unter anscheinend paranoiden Episoden, die die Nutzung starker Beruhigungsmittel erforderten und wohl auch mitverantwortlich waren für den unfreiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Der Umzug nach Kalifornien soll demnach auch für sie eine biographische Zäsur mit sich führen – zumindest dürfte dies dem Traum ihres Ehemannes von einem makellosen Familienleben zupass kommen. Doch ist Simon eben nur vorgeblich selbst frei von charakterlichem Dunst. Ob er am Ende, als er, schicksalsbedingter wie moralisch ausgebooteter Verlierer und finale Projektionsfläche seiner Ränkespiele, alles verloren hat, zur große Selbsterkenntnis befähigt sein wird, bleibt fraglich. Wenn jedoch in jüngeren psychologisch gefärbten Medienessays von Narzissten, Sozio- oder Psychopathen und Gaslightern die Rede ist, dann ist zumindest die Publikums-„Analyse“ schnell bei der Hand: Um so einen (oder vielleicht alles auf einmal) handelt es sich auch bei Simon Callem, der zeitlebens rücksichtslos verbrannte Erde hinterlässt, weil er es eben kann.
Simons Demaskierung nun geht, mit Ausnahme des Verlusts von ein paar Koi-Karpfen, stets in halbwegs zivilisierten Bahnen vonstatten; selbst der putzige Haushund Mister Bojangles baumelt nicht wie zunächst befürchtet am Apfelbaum im Garten, sondern kommt einfach zurück. Moseley erweist sich als geschickt genug, seine frühere Nemesis mit den eigenen Waffen zu schlagen, ohne dabei selbst zum Kapitalverbrecher zu werden. Timing und suggestive Verunsicherung genügen. Damit ist „The Gift“ womöglich der cleanste Rachethriller der letzten zehn Jahre.

7/10

INEXORABLE

Zitat entfällt.

Inexorable (Eiskalter Engel) ~ B/F 2021
Directed By: Fabrice du Welz

Just als die reiche Verlegerin Jeanne (Mélanie Doutey) mit ihrem Gatten, dem einst von ihr berühmt gemachten Autoren Marcel Bellmer (Benoît Poelvoorde) und der gemeinsamen kleinen Tochter Lucie (Janaina Halloy) auf das stattliche Familienanwesen in der Provinz zurückzieht, macht die Familie die Bekanntschaft der verloren erscheinenden Gloria (Alba Gaïa Bellugi). Gloria gewinnt rasch Lucies Sympathien. Auch Jeanne und Marcel schenken ihr bald Vertrauen und stellen die junge Frau als Hausmädchen ein. Doch pflegt Gloria ihre ganz persönliche Agenda, die in einer dunklen, gemeinsamen Vergangenheit mit Marcel fußt und die das familiäre Idyll geradewegs in den Abgrund führt.

Seinen steten Hang zur Erkundung menschlicher Abseitigkeiten pflegt der Belgier Fabrice du Welz auch in seiner jüngsten Regiearbeit wieder aufs Neue. Obschon die durchaus klassisch anmutende Grundkonstellation, in der es um die umfassende Vergeltung einer um ihre Existenz geprellten und verratenen Frauen-, respektive Tochterfigur geht, vergleichsweise tradierte Tropen bedient, gelingt es du Welz dennoch, seiner Inszenierung eine tiefe Abgründigkeit zu verleihen, die andere Filmemacher in dieser Konsequenz möglicherweise gescheut hätten. Jener böse Fatalismus resultiert nicht zuletzt aus dem „Inexorable“ inhärenten Welt- und Menschenbild, in dem es im Prinzip nur zwei rundheraus unschuldige Figuren gibt: das noch im Grundschulalter befindliche Mädchen Lucie und den schneeweißen, zu Beginn des Films aus dem Tierheim adoptierten Schäferhund Odysseus. Dieser symbolisiert gewissermaßen den Dreh- und Angelpunkt für Glorias zunächst noch diffusen Plan. Indem sie sich das Vertrauen von Hund und Kind erschleicht, öffnen sich Gloria Tür und Tor zu ihrem eigenen Vorhaben, das bei aller Perfidie auf einer tief gestörten, autoaggressiv geprägten Borderline-Persönlichkeit gründet. Doch auch das Ehepaar krankt an Lügen und Trugbildern. Weder ist Marcel in Wahrheit der als genialisch gefeierte Literat, den alle Welt in ihm wähnt, noch vermag Jeanne seine vermeintlich mittelfristig stagnierende Kreativität durch ihre offenen, sexuellen Avancen zu befördern. Lucie legt auf ihrer eigentlich als soziale Initiation geplanten Geburtstagsparty ein empörliches Black-Metal-Playback hin; auf den armen, braven Odysseus wartet die Todesspritze. Der höhlende Wurm steckt da längst im Apfel; Gloria muss ihn nurmehr um ein paar wenige Häppchen nähren und ans Tageslicht locken. Am Ende ihrer destruktiven Bemühungen steht dann tatsächlich die Auflösung der Bastion Familie; die Karten liegen auf dem Tisch, das blutige Duell zweier reziprok entkernter Seelen endet mit einem Remis. Die Überlebenden werden diese sinistren Ereignisse noch lange beschäftigen.

8/10

LA HIJA

Zitat entfällt.

La Hija (Die geheime Tochter) ~ E 2021
Directed By: Manuel Martín Cuenca

Javier (Javier Gutiérrez) und Adela (Patricia López Arnaiz), ein kinderloses Paar, lebt fernab der Stadt in den andalusischen Bergen. Während Adela meist zu Haus bleibt, arbeitet Javier als Betreuer in einem Heim für straffällig gewordene Jugendliche. Dabei hat er auch die junge Irene (Irene Virgüez) kennengelernt, schwanger von dem im Gefängnis einsitzenden Kleinkriminellen Osman (Sofian El Ben). Javier und Adela bieten sich als heimliche Adoptiveltern für Irenes Baby an und fassen dafür einen höchst ominösen Plan: Irene soll sich bis zur Niederkunft in ihrem Haus versteckt halten, das Kind danach aufgeben und sich selbst absetzen, entgolten durch eine „angemessene“ finanzielle Entschädigung. Offiziell würde sie für den entsprechenden Zeitraum als spurlos verschwundene Ausreißerin gelten. Zunächst scheint alles in Javiers und Adelas Sinne zu funktionieren, doch als Osman einige Monate später entlassen wird, nach Irene sucht und Javier den beiden ein Treffen ermöglicht, wendet sich das Blatt: Die werdenden Eltern entschließen sich, ihr Baby zu behalten. Für Adela und Javier jedoch gibt es eine solche Option schön längst nicht mehr…

Schwangere Mütter und die aus multiplen Wahnideen geborene Gier nach der in ihren Körpern heranwachsenden Leibesfrucht beflügeln in schöner Regelmäßigkeit die Phantasie emsiger Genrefilmer. Während daraus in der Vergangenheit oftmals sehr intensive Beiträge entstanden, schickt sich der Spanier Manuel Martín Cuenca an, sein Sujet zumindest bis zu einem gewissen Punkt in vergleichsweise unspektakulärer, im Wortsinne dramatischer Weise zuzuspitzen. Ihn interessieren eher die brisante Dreierkonstellation des in der Hermetik der schroffen Gebirgswelt abgeschieden beherbergten Trios und die aus dieser Situation resultierenden, antizipierbaren Konflikte. Javier und Adela fühlen sich als unfruchtbares, bourgeoises Paar vom Schicksal betrogen und wähnen in Irenes Schwangerschaft einen letzten sich bietenden Ausweg. Die junge Frau betrachten sie, zunächst ingeheim und später zunehmend akut, als reines Mittel zum Zweck, als de facto asozialen outcast, der gewissermaßen naturgesetzmäßig nie im Stande wäre, dem Kind eine auch nur halbwegs adäquate Erziehung angedeihen zu lassen. Vor allem Adela, frustriert und offenbar depressiv infolge ihrer von ihr selbst als versagend wahrgenommenen Rolle, lässt ihren Neid auf Irene immer wieder durchschimmern, derweil in Javier zumindest noch Reste seines einstigen Idealismus als Sozialarbeiter aufblitzen. So weit könnte die Geschichte auch als moralethisch aufgeladener Dardenne-Topos durchgehen, bis Cuenca sich im letzten Erzähldrittel dann doch ganz den Genreformeln ergibt und einen amtlichen, durchaus spannenden Thriller-Showdown vorlegt. Damit straft er zwar eine ganze Menge zuvor entwickelter, diskursiver Ansätze Lügen, wirft im Gegenzug mit Ingredienzien wie einem Stahlnagel, einer Schrotflinte und ausgehungerten Schäferhunden allerdings eine ungeahnte Menge an Fahrt in die Waagschale. Eine dergestaltige dramaturgische Entscheidung wird verständlicherweise nicht jedermann und -frau zusagen, mir indes gefiel’s, zumal in der Kontrastierung der zuvor so gemächlich etablierten Narration.

7/10

LOVE AND MONSTERS

„Don’t settle. You don’t have to. Even at the end of the world.“

Love And Monsters ~ CAN/USA/AUS 2020
Directed By: Michael Matthews

In Abwendung eines drohenden Meteoriteneinschlags schießt die Menschheit biochemische Raketen ins All. Der anschließende Fallout sorgt dafür, dass sämtliche kaltblütigen Tiere zu gewaltigen, fressgierigen Monstern mutieren und die Erdbevölkerung von diesen dann doch noch stark dezimiert wird. Die verbliebenen Überlebenden schließen sich zu Kolonien zusammen, die sich, stets auf der Hut vor den Kreaturen, in hermetisch abgeriegelten Verstecken verbarrikadieren. Sieben Jahre nach der Apokalypse lebt der Midtwen Joel (Dylan O’Brien), der einst seine Eltern verloren hat, als einziger Single bei einer Kolonie unterirdisch hausender, junger Leute und begnügt sich dort mit einem eher ereignislosen Dasein als Suppenkoch. Als er eines Tages per Funk seine frühere Freundin Aimee (Jessica Henwick) aufspürt, reift in ihm der Wunsch, zu ihr zu gelangen, um die alte Liebe neu zu entflammen. Schließlich macht er sich zu Fuß auf die gefährliche Reise durch die Monsterwelt und findet am Ende etwas ganz anderes, als er erwartet hätte…

Nachdem ich bereits drauf und dran war, „Love & Monsters“ nach den ersten Minuten, in denen er sich geriert wie eine postapokalyptische nerd comedy im Stil des fürchterlichen „Zombieland“, flugs abzuhaken, holte mich Michael Matthews zweite Feature-Regie dann doch noch amtlich ab und nahm mich mit sich auf seine liebenswerte Reise. Spätestens in dem Moment, in der Joel seinen Hund Boy trifft und fortan mit ihm durch Dick und Dünn geht, hatte das hübsche Fantasymärchen auch euren Chronisten auf seiner Seite, bekanntermaßen ja großer Hundeliebhaber und insofern daraufhin voll bei der Stange. Doch natürlich ist der prächtige Boy nicht die einzige Attraktion, mit der der in Australien on location formidabel photographierte „Love And Monsters“ aufzuwarten weiß. Die glücklicherweise nicht inflationär, sondern als wohltemperierte Höhepunkte gesetzten Monsterkreationen gestalten sich durchweg grandios und sind von einer herzerfrischenden Kreativität, wie man sie im entsprechenden CGI-Bereich so selten findet. Dass die Viecher, zu denen man weitestgehend auch einen lädierten, Joel im Mittelteil über eine emotionale Durststrecke hinweghelfenden Roboter zählen kann, dann auch keinesfalls eindimensional, sondern sogar regelrecht nuanciert charakterisiert werden, zeugt von der gemeinhin recht anthroposophischen Weltsicht, die der Film trotz seines oberflächlich fatalistischen Themas zu transportieren schafft. Er liebt mit Ausnahme von den paar obligatorischen Bösewichtern am Ende seine menschlichen und tierischen Figuren und sogar seine Ungeheuer durch die Bank und setzt dem Zynismus der meisten Endzeitfilme damit ein geradezu kontrapunktives Signal. Auf blutige Details verzichtet „Love And Monsters“ dabei trotz deren eigentlich naheliegender Verwendung beinahe vollkommen und bietet sich somit gar als lohnenswertes Programm für etwas reifere Kinder an. Mein 9- oder 10-jähriges Ich hätte er jedenfalls zu frenetischen Begeisterungsstürmen hingerissen, doch auch die Fantasie im reiferen Manne kommt durchaus zu ihrem abenteuerlustigem Recht.
Dass Matthews – ob nun bewusst oder nicht – ganz nebenbei ein gar nicht mal so sehr auf den Kopf gestelltes Remake von Rob Reiners immergrünem Coming-of-Age-Klassiker „The Sure Thing“ liefert, welches aus Daphne Zunigas damaligem Part kurzerhand einen Australian Kelpie macht, ist ein weiterer Bonus dieses unerwartet schönen Films. Two thumbs up.

8/10

SYNCHRONIC

„Synchronic is the needle.“

Synchronic ~ USA 2019
Directed By: Justin Benson/Aaron Moorhead

In New Orleans geht eine neuartige Designerdroge namens „Synchronic“ um, mit deren Konsumentenauswirkungen die beiden Feuerwehrsanitäter und besten Freunde Steve Denube (Anthony Mackie) und Dennis Dannelly (Jamie Dornan) konfrontiert werden. Synchronic stimuliert die Zirbeldrüse, beeinflusst die Linearität des Zeitgefüges und versetzt seine User mit Haut und Haaren für ein kurzes, oft aber verhängnisvolles Fenster in irgendeine vergangene Epoche. Dass die Konsumenten sich damit zugleich unwägbaren, oft tödlichen Gefahren aussetzen, nehmen sie bereitwillig in Kauf. Als Brianna (Ally Ionnades), Dennis‘ Tochter, im Zuge eines selbstverabreichten Synchronic-Trips komplett in der Vergangenheit verschwindet, beschließt Steve, sie zurückholen. Steve selbst leidet unter einem fatalen Hirntumor, was seine persönliche Risikobereitschaft entsprechend erhöht. Also verschafft er sich sämtliche noch existenten Synchronic-Dosen und beginnt, mittels Selbstexperimenten dem Wirkungsschema der Droge auf die Spur zu kommen…

Mit wirklich großen Budgets kann das junge Filmemacher-Duo Moorhead/Benson auch im Zuge seines vierten gemeisamen Projekts (noch) nicht arbeiten; dafür wuchs und wächst die ihm zuteil werdende, internationale Aufmerksamkeit. So konnten sie sich immerhin des Hauptrollen-Engagements eines Hollywoodstars wie Anthony Mackie versichern und mit Universal einen big player mit entsprechender PR-Maschine als Verleih für „Synchronic“ gewinnen. Moorheads/Bensons jüngster Film bedient im Wesentlichen weiterhin jene Topoi, die schon „Resolution“ und „The Endless“ beseelten, ohne diesen allerdings bahnbrechend Neues hinzusetzen zu vermögen, von der psychologischen Tiefenschärfe des Protagonisten vielleicht abgesehen. Wieder geht es im Vordergrund um das physikalische Reizthema des Raum-Zeit-Durchbruchs sowie eine enge (hier: freundschaftliche) Männerbeziehung, die Diverses auszuhalten und sich somit gewaltigen Herausforderungen zu stellen hat. Dabei bleibt die Narration sehr eng an dem psychisch gebeutelten Steve, einem ausgiebigen Alkoholgenuss zugetanen Womanizer, der seinen besten Freund Dennis insgeheim zutiefst um dessen familiäre Stabilität, die Frau (Katie Aselton) und zwei Kinder beinhaltet, beneidet. Die niederschmetternde Diagnose „Hirntumor im unumkehrbaren Stadium“ führt Steve analog dazu noch weiter in die tiefe Frustration, da sich ihm somit selbst eine kurzfristige Änderung seines oberflächlichen Lebensentwurfs definitiv verbaut. Das Verschwinden Briannas, die für ihn selbst wie eine Tochter ist und im erweiterten Sinne die Konfrontation mit Synchronic verehrt ihm schließlich die Chance, seinem dämmernden Leben doch noch einen letzten, große Meilenstein zu verehren. Soweit die Motivation der Hauptfigur, die Mackie ansonsten mit einer ähnlichen unnahbaren Coolness versetzt wie seinen Cap-Kumpel Falcon im MCU. Das Spannungszentrum des Films nehmen schließlich seine minutiös angeordneten und durchgeführten Synchronic-Experimente ein, die gleichfalls klassischen SciFi-Inhalten entlehnt sind. In welche Zeit bzw. Ära Synchronic seinen Probanden versetzt, so findet Steve heraus, hängt etwa kausal damit zusammen, an welchem Ort man es zu sich nimmt. Diese kleine Finte gestattet den Agierenden Reisen in ganz unterschiedliche Erdzeitalter (deren Gestaltung sich vermutlich infolge der Budget-Limitierungen erschöpft). Dabei gilt es vor allem zu lernen und zu erkennen, dass die Vergangenheit zumeist mörderisch war; ob Vor- oder Eiszeit, ob Conquista oder Sezessionskrieg. Welches Statement mit dieser „Feststellung“ erfolgen soll, bleibt, wie mancherlei andere Aspekte des Films, erratisch und Mutmaßungen überlassen – möglicherweise wird hier auch bereits wieder im Geiste an einem optionalen Sequel geschraubt. Das muss dann ausnahmsweise die Zukunft erweisen.

7/10

BECKY

„When she was bad, she was horrid.“

Becky ~ USA 2020
Directed By: Jonathan Milott/Cary Murnion

Die dreizehnjährige Rebecca „Becky“ Hooper (Lulu Wilson) hat es nicht leicht. Ihre Mutter ist vor einiger Zeit an Krebs gestorben und ihr Dad (Joel McHale) beabsichtigt, sich neu zu verheiraten. Bereits die Vorstellung Beckys und der Stiefmutter (Amanda Brugel) in spe nebst deren Filius (Isaiah Rockcliffe) gerät zur Kleinkatastrophe, der die renitente Becky aus dem Weg geht, indem sie sich mit ihrem treuen Hund Diego in ihrer Waldhütte verschanzt. Zeitgleich taucht in dem entlegenen Wochenendhaus ein Quartett Krimineller (Kevin James, Robert Maillet, Ryan McDonald, James McDougall) auf, das von dem entflohenen Häftling und Neonazi Dominick (James) angeführt wird, der einen ominösen, im Haus versteckten Schlüssel sucht. Als Becky erkennen muss, dass mit den Verbrechern nicht zu spaßen ist, lässt sie ihrer lange im Verborgen gehaltenen Wut freien Lauf.

„Children In Heat“ sang Glenn Danzig einst, aber das mit „no resistance“ trifft auf Becky Hooper alles andere als zu. „You can’t control them“ schon eher. Eine der schönsten Überraschungen der letzten Zeit war dieser doch schwer Staunen machende Knüppelausdemsack des mir bislang unbekannten Regieduos Milott/Murnion. Zunächst lag „Becky“ gar nicht innerhalb meines Planungsradius, aus naheliegenden Gründen. Der den Film umwabernde, virale Dunst schien etwas in der Art einer derberen „Home-Alone“-Variante zu versprechen und auf ein naseweises Kind, dass Kevin James als Obergangster Mausefallen an die Nase pappt, hatte ich nicht wirklich Bock. Glücklicherweise hat mich ein nachgehend kaum mehr verifizierbarer, urplötzlicher Jieper doch noch umgestimmt – „glücklicherweise“, weil ich ja nicht ahnen konnte, welch böse, bärbeißige Überraschung sich hinter diesem oberflächlich so trivial anmutenden Kleinod verbirgt.
Der unscheinbar betitelte „Becky“ entbietet sich als ein gar nicht mal komischer, herber Home-Invasion- respektive Revenge-Thriller, garniert mit höchst unüblichen, weil extrem unbequem eingewebten Coming-of-Age-Versatzstücken. Wir hätten hier also ein nachhaltig frustriertes, frühpubertäres Mädchen in der Postlatenz, das ohnehin eine heftige Identitätskrise durchleben muss. Die Mutter tot, der Vater auf der Suche nach dem Weiterleben, der eine der beiden (Familien-)Pitbulls (Dora) everybody’s cozy darling. Bleibt eigentlich nur Beckys herzenstreuer Liebling Diego, der ihr dann auch nach Kräften im adrenalinzehrenden Kampf gegen die vier Unholde beisteht. Bei selbigem entwickelt die junge Dame dann höchst unfeine Einfälle, die sie mit aller unterschätzten Willenskraft in die Tat umsetzt, was für die Gangster bedeutet, dass die spätere Identifikation ihrer Leichen sich teils extrem schwierig gestalten wird. Wie Milott und Murnion jenen kleinen Feldzug gestalten, das ist tatsächlich ganz wunderbar und meistert die schwierige Gratwanderung zwischen Groteske und ernstzunehmendem Splatter absolut behende.
Lulu Wilson, die den Wahnsinn ja bereits per se ein wenig im Blick trägt, kultiviert ihre Titelrolle mittels einer bravourösen Mischung aus Orientierungslosigkeit, Traurigkeit und sublimierter Aggression, die Becky trotz ihrer verlorenen Position zu Beginn des grausamen Spiels tatsächlich zu einem Faktor macht, mit dem zu rechnen ist. Kevin James derweil genießt mit dick in den Nacken tätowierter Swastika erwartbar ausgiebig den Bonus, ausnahmsweise auch mal den bad guy geben zu können, was wiederum mit höchstens ganz feinen, ironischen Spitzen geschieht, die seinen als Nazi sowieso von grundauf verachtenswerten Charakter dessen angestammten Antagonistenplatz stets zur Gänze zugewiesen lassen. Dass die (MacGuffin-)Funktion jenes seltsamen Schlüssels, in dessen Besitz sich Becky bis zum Abspann befindet, der Publikumsspekulation überlassen bleibt, finde ich derweil wenig ansprechend gelöst. Eine mögliche Fortsetzung, in der die Kurze im amerikanischen Nazi-Untergrund aufräumt, möge uns um Himmels Willen erspart bleiben, der sehr gute Eindruck des rotzigen „Becky“ wäre gewiss dahin.

8/10

THE LOBSTER

„It’s no coincidence that the targets are shaped like single people and not couples.“

The Lobster ~ IE/UK/GR/F/NL/USA 2015
Directed By: Yorgos Lanthimos

Der etwas bieder anmutende, kurzsichtige David (Colin Farrell) wird von seiner Frau (Rosanna Hoult) wegen eines anderen verlassen. Das bedeutet, er muss unverzüglich in ein am Meer befindliches Hotel voller SchicksalgenossInnen ziehen, wo ihm wie den übrigen Gästen 45 Tage Zeit bleiben, eine neue Partnerin zu finden, die ein wesentliches Persönlichkeitsmerkmal mit ihm teilt. Gelingt dies nicht, wird David in ein Tier seiner Wahl verwandelt, einen Hummer, und nur in dieser Form der Freiheit zurücküberantwortet. Die Gäste können sich allerdings zusätzliche Aufenthaltstage erkaufen, indem sie bei unregelmäßig stattfindenden Jagden rund um das Hotel Einzelgänger fangen, die dort leben. Dafür erhält jeder Gast ein Betäubungsgewehr mit Pfeilen. Eine verbitterte, als „herzlos“ geltende Frau (Angeliki Papoulia) etwa verzichtet bereitwillig auf optionale Liebeleien und hält stattdessen den Rekord im Singlejagen. So verlängert sich ihr Aufenthalt Tag um Tag. Ausgerechnet sie kürt David zur vermeintlichen Herzdame, indem er sich ebenso gefühlsbar gibt wie sie. Doch sein Plan misslingt und David ist gezwungen, sich als Outlaw im Wald zu den Einzelgängern unter der Führung einer gehässigen Dame (Léa Seydoux) zu gesellen. Unter den Singles, die als gesellschaftliche Outlaws leben, gelten ähnlich strenge Regeln wie im Hotel: wer flirtet oder Zärtlichkeiten austauscht, wird drakonisch bestraft. Als David sich in eine ebenfalls kurzsichtige Einzelgängerin (Rachel Weisz) verliebt, steht er somit vor dem nächsten Problem…

Und weiter im Kosmos des mir immer wundersamer anmutenden Yorgos Lanthimos, nach dem herrlichen „Kynodontas“ und in (sich demnächst aufhebender) Ermangelung des zwischenzeitlich entstandenen „Alpeis“.
„The Lobster“ ist Lanthimos erster von bis dato drei anglophonen Filmen, für den ihm sogleich eine mehr denn ansehnliche, internationale Besetzung zur Seite eilte. An der irischen Ostküste gefilmt, entwirft „The Lobster“ das wiederum dystopische Bild einer unsrigen sehr stark ähnelnden Parallelwelt, die sich jedoch durch ein wesentliches Merkmal unterscheidet: Wer hier keine/n LebenspartnerIn vorweisen kann, wird auf produktive Weise entsorgt. Anders als in klassischen, zumeist ernster konnotierten SciFi-Szenarien, in denen Überalterung, Übervölkerung, emotionale Freigiebigkeit oder sonstige systemische Insubordination zumeist ohne Federlesens mit dem Tode bestraft werden, darf die oder der Unangepasste hier weiterleben, indem er künftig in freigewählter Form die Wildfauna des Planeten bereichert.
Dass sich David für den Hummer entscheidet, hat zuvorderst praktische Gründe: Hummer leben im Meer, sie besitzen blaues Blut wie Aristokraten und – überaus praktisch – eine harte Schale. Innerhalb des recht eng befristeten Zeitrahmens wen Neues zu finden, ist nicht einfach, zumal als Grundbedingung nicht nur eine besondere Gemeinsamkeit herhalten muss, sondern die neu sprießende Liebe zudem am Anfang penibel überwacht wird. So schummelt sich manche/r durch die Regularien, verharrt in determinierter Resignation oder wählt gleich den Sprung aus dem dritten Stock. Was David anbelangt, so verläuft sein weiteres Schicksal in umgekehrter Relation zu seinem gleichmütigen Charakter. Als dann nämlich doch noch die wahre Liebe zuschlägt, erweist sich auch das als Widernis gegen die mittlerweile veränderten Umstände – in der Welt von „The Lobster“ sind Aufrichtigkeit und Erwartungshaltung nur sehr selten passgenau.
Trotz seines bleiernen Dystopismus‘ und der stillen Gräulichkeit der äußeren Bedingungen transportiert Lanthimos einen bezaubernd verqueren, manchmal gar aufreizend albernen Humor, der ihn in die unmittelbare Genealogie der großen melancholischen Komödienfilmer mit Hang zu erwachsenenmärchenhaften Skurrilitäten von Woody Allen über Wes Anderson, Spike Jonze, Michel Gondry und Charlie Kaufman setzt.
Formidabel, more to follow.

9/10

LA TUA PRESENZA NUDA!

„He’s not an infant!“

La Tua Presenza Nuda! (Diabolisch) ~ UK/E/I/BRD 1972
Directed By: James Kelley/Andrea Bianchi

Elise (Britt Ekland), die junge, frischverheiratete, zweite Gattin des verwitweten Autors Paul Bezant (Hardy Krüger), wartet in der andalusischen Finca ihres Angetrauten auf dessen Rückkehr. Überraschend stößt zuvor noch Pauls zwölfjähriger Sohn Marcus (Mark Lester) zu ihr, der angeblich wegen eines Windpockenausbruchs eine Woche früher aus seinem Internat in die Sommerferien entlassen wurde. Marcus benimmt sich für einen Jungen seines Alters überaus untypisch; er hat keine gleichaltrigen Freunde, interessiert sich vornehmlich für Naturwissenschaften und Philosophie und macht Elise zudem unangenehme Avancen. Während der bald zu ihnen stoßende Paul seinen Filius unentwegt in Schutz nimmt und dessen Verhalten auf ein durch den Tod seiner Mutter (Colette Jack) hervorgerufenes Trauma schiebt, fügt sich für die eigenmächtig recherchierende Elise nach und nach ein gänzlich anderes Bild von Marcus zusammen: Das eines teuflisch durchtriebenen Psychopathen…

James Kelleys zweite und leider schon letzte Regiearbeit nach dem erst noch vor einigen Monaten von mir genossenen „The Beast In The Cellar“ entstand wie viele vornehmlich kommerziell ausgerichtete Werke der Ära unter internationaler europäischer Produktionsägide. Je nach Veröffentlichungsland fand sich Co-Regisseur Andrea Bianchi wahlweise gar nicht oder unter dem naheliegenden Pseudonym „Andrew White“ kreditiert; seinem künstlerischen Einfluss allerdings, der sich bereits zeitgenössisch in Grundzügen des Plots sowie ein paar semiskandalösen Nuancen in der Beziehung zwischen Elise und Marcus abzeichnete, lässt sich recht eindeutig nachspüren.
Ein (oder mehrere) Kind(er) und somit die zumindest qua Gesellschaftsvertrag unantastbar scheinendste Manifestation von moralischer und natürlich auch sexueller Unschuld als treibende, diabolische Kraft in einem psychologischen Vexierspiel einzusetzen, bildete 1972 noch eine relative Rarität, die in den Folgejahren jedoch immer mal wieder zum motivischen Hauptgegenstand innerhalb der Horror-/Thriller-Gattung erhoben wurde. Als wesentliche Pionierarbeit auf dem Sektor jenes Subgenres darf man wohl Mervyn LeRoys „The Bad Seed“ betrachten, wobei auch Henry James‘ damals bereits mehrfach filmisch adaptierte Novelle „The Turn Of The Screw“ entsprechende Avancen andeutete. Ibáñez-Serradors „¿Quién Puede Matar A Un Niño?“ war dann einer der Filme, die diesen Topos konkretisierten, ohne die zum Sinistren tendierende Persönlichkeit der minderjährigen Protagonisten direkt durch einen parapsychologischen oder sonstwie widernatürlichen Einfluss zu erklären. Doch auch „La Tua Presenza Nuda!“ darf in dieser Hinsicht als Schlüsselstück gelten. Das Engagement von Hauptdarsteller Mark Lester, der als Titelheld in Carol Reeds Dickens-Musical „Oliver!“ für Furore gesorgt und damit zum Kinderstar (mit wie üblich rasch in Drogenschwaden verpuffendem Ruhm) geworden war, bildete nicht zuletzt insofern einen kleinen Besetzungscoup. Wie sich sein Marcus Bezant im Verlaufe des Films als durch und durch boshafter Charakter erweist, der am Ende, nachdem er als ebenso durchtriebener wie pathologischer Lügner, Dieb, Spanner, Tierfolterer und -Mörder entlarvt wurde, den Mord an seiner zuvor fremdgegangenen Mutter gestanden hat, eine Therapeutin (Lili Palmer) genarrt und seine Stiefmutter in die Psychiatrie gebracht hat, schließlich auch noch die Ermordung seines Vaters plant um dessen (mittlerweile offiziell gesundete) Frau für sich zu gewinnen, das ist schon eine diskutable Breitseite, die, so möchte ich meinen, zumindest in der gebotenen Form heutzutage kaum mehr durchginge. So dürften ein paar besonders deftige Sequenzen, speziell jene, in denen sich die verbotene sexuelle Spannkraft zwischen Marcus und Elise bebildert findet, in ihrem dezidiert grenzgängerischen Impetus vor allem Bianchi zuzuschreiben sein. In jedem Fall ein in mehrfacher Hinsicht spannender, diskursfreudiger Film von einigem Nachhall.

8/10

CAMPFIRE TALES

„You’re so immature.“

Campfire Tales ~ USA 1997
Directed By: Matt Cooper/Martin Kunert/David Semel

Auf dem nächtlichen Rückweg von einem Konzert haben Cliff (Jay R. Ferguson), Eric (Christopher Masterson), Lauren (Christine Taylor) und Alex (Kim Murphy), die vier jungen Insassen eines PKW, einen Unfall infolge von Cliffs verantwortungslosem Fahrverhalten. Da der Wagen nicht mehr verkehrstüchtig ist und um die Zeit bis zum Morgen zu überbrücken, entzündet das Quartett ein kleines Lagerfeuer abseits des Highway und erzählt sich gegenseitig Gruselgeschichten:
1.) Zwei Flitterwöchner (Ron Livingston, Jennifer MacDonald) landen mit ihrem Camper in der tiefsten Provinz. Obwohl sie von einem mysteriösen Fremden (Hawthorne James) gewarnt werden, verlassen sie das Areal nicht – ein tödlicher Fehler. 2.) Am Vorabend ihres Geburtstags ist die zwölfjährige Amanda (Alex McKenna) allein im Haus der Familie, als sie mit Entsetzen feststellen muss, dass ihre vermeintliche Internet-Chatroom-Freundin Jessica in Wahrheit ein geistesgestörter Psychopath (Jonathan Fuller) mit ganz besonderen Vorlieben ist. 3.) Der Motorrad-Aussteiger Scott (Glenn Quinn) entdeckt ein abgelegenes Landhaus, in dem er die folgende Nacht bei der seltsamen, stummen Heather (Jacinda Barrett) verbringt. Als bald darauf auch Heathers Vater (Denny Arnold) auftaucht, wird Scott Zeuge eines uralten Fluchs.

Diesen charmanten Episoden-Horror (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen 91er-Titel von William Cooke und Paul Talbot), der anno 1997 mit seinen im Stil urbaner Legenden erzählten Kurzgeschichten eigentlich fernab der vorherrschenden Genretrends seiner Zeit lag, hatte ich seit VHS-Zeiten nicht mehr gesehen, erinnerte mich jedoch, dass er mir schon damals recht gut zu gefallen wusste (für Grusel-Omnibusse habe ich seit jeher ohnehin ein spezielles Faible). Dieser Eindruck bestätigte sich unlängst, mit kleineren Einschränkungen, die den wenigen, glücklicherweise nur selten okkurrierenden Unzulänglichkeiten von Script und Regie geschuldet sind. Über die Eleganz klassischer Kinobeiträge oder auch die visuelle Deftigkeit jüngerer Werke wie „Tales From The Darkside“ oder „Necronomicon“ verfügt der von drei Regisseuren co-inszenierte „Campfire Tales“ nicht, dafür jedoch über eine Reihe schöner Einfälle, anhand derer sich die persönliche Liebe der Kreativköpfe zur Gattung sehr schön ablesen lässt. Schon das vom Restfilm losgelöste, kurze Eingangssegment, im Grunde nicht mehr als ein schwarzweißes Bonmot vor Fifties-Kulisse, in dem zwei Turteltäubchen (James Marsden, Amy Smart), die nachhaltig wirkende Bekanntschaft eines Hakenhand-Killers machen, spricht dafür, ebenso wie die zu einer ebenso unerwartbaren wie tollen conclusio geführte Rahmenhandlung (mitsamt Ambrose-Bierce-Verweis) die ja ohnehin stets ein, wenn nicht gar das Sahnehäubchen auf Episoden-Filmen sein sollte. Die drei auf der Metaebene erzählten Segmente besitzen derweil keine durchgängig gehobene Qualität: Die erste Story „The Honeymoon“ kolportiert eine teilweise ungelenk dargebrachte, erklärungsscheue Erzählung um für den Zuschauer unsichtbar bleibende, möglicherweise übernatürliche Killer (offenbar einer Kannibalensippe) und mag keine rechte Spannung erzeugen. Sehr viel interessanter ist Episode 2 („People Can Lick Too“), eine ziemlich freche, schwarzhumorige Geschichte um einen pädophilen Internet-Predator, der gern die Hunde kleiner Mädchen abmurkst, sich unter deren Betten versteckt um ihnen die Finger abzuschlecken, eine nicht zuletzt in Anbetracht der Generation „TikTok“ offenbar zeitlose didaktische Parabel und mein privates Highlight. Im letzten Segment „The Locket“ gibt es dann noch eine sehr klassisch konnotierte Romanze um ein verfluchtes Geistermädchen, das seit hundert Jahren nach Erlösung strebt – hübsch und adrett, aber nicht ganz von der bitterbösen Güte der Vorgänger-Story. Summa summarum ergibt das für Gernhaber von Omnibus-Horrorfilmen eine noch immer lohnens- und sehenswerte Angelegenheit, die sich durchaus aus der Mottenkiste des Vergessens zu bergen lohnt.

7/10

PET SEMATARY 2

„No brain, no pain… think about it!“

Pet Sematary 2 (Friedhof der Kuscheltiere 2) ~ USA 1992
Directed By: Mary Lambert

Als seine Mutter (Darlanne Fluegel), eine bekannte Hollywood-Actrice, infolge eines von ihm miterlebten Unfalls am Set stirbt, ist der Teenager Jeff (Edward Furlong) am Boden zerstört, zumal sie sich möglicherweise bald wieder mit seinem Dad, dem Tierarzt Chase Matthews (Anthony Edwards), versöhnt hätte. Um seinen Filius auf andere Gedanken zu bringen, zieht Chase mit ihm in die Kleinstadt Ludlow in Maine, wo zudem einen vakante Praxis auf Chase wartet. Die örtlichen High-School-Bullys, allen voran der fiese Clyde Parker (Jared Rushton), machen es Jeff alles andere als leicht. Nur im fülligen Drew Gilbert (Jason McGuire) findet er einen Freund. Doch auch Drew hat schwer zu knabbern – an seinem Stiefvater Gus Gilbert (Clancy Brown) nämlich, einem Arschloch vor dem Herrn und dazu noch der hiesige Sheriff. Nachdem Gilbert eines Abends Drews geliebten Hund Zowie abknallt, bittet Drew seinen neuen Kumpel Jeff, das Tier mit ihm zu begraben – auf einem gewissen, im Wald verborgenen Indianerfriedhof, dem spezieller Eigenschaften zugeschrieben werden. Doch dies ist lediglich der Anfang einer Kette blutiger Ereignisse…

Zunächst einmal mutet es in Anbetracht des Scipts ein wenig bizarr an, dass Mary Lambert, die Regisseurin des ersten, beinahe makellos schönen „Pet Sematary“, sich bereit erklärte, auch dieses Sequel zu inszenieren, denn „Pet Sematary 2“ macht sich keinerlei Mühe, einen der King-Adaption in Atmosphäre oder Habitus auch nur im Ansatz ähnliches Werk vorzulegen. Wo dieses nämlich, zumindest auf dem damals eingeschränkten Feld des Mainstream-/Studio-Horror, eine der vordringlichsten und geschlossensten Arbeiten der Spätachtziger darstellt, spielt die Forsetzung mit einem gänzlich anders gearteten Blatt Mau-Mau statt Skat. Sie liebäugelt nämlich unverhohlen mit Drive-In, Camp und Grand Guignol, setzt über weite Strecken Kids in die treibenden Parts, um sich dann im letzten Drittel zu einer liebevoll übersteigerten Zombie-Mär aufzutürmen, die zumindest auf der reinen Mentalitätsebene wesentlich mehr mit O’Bannons „The Return Of The Living Dead“ und dem zum gegebenen Zeitpunkt zwar noch nicht existenten, aber in Teilen doch stark antizipierten „Braindead“ zu tun haben als mit dem eigentlichen Vorläufer. Zwar werden immer wieder kleine regionale und inhaltliche Bezugspunkte gesetzt, die eine Nachfolgeschaft zumindest offiziell kenntlich machen, dabei beließ man es aber auch.
Entsprechend weitflächig bis universell war und ist die Ablehnung, die „Pet Sematary 2“ seit eh und je entgegenwogte, bis heute. Ich bin mal so kühn, zu behaupten, der Grund dafür sei rasch zur Hand: „Pet Sematary“, das Original, geht (auch) durch als ein Film für Menschen, die Stephen King im Urlaub am Strand lesen und die von Kino wenig mehr erhoffen oder erwarten denn abendfüllendes Amüsement. Sein Nachfolger indes ist eindeutig und mehr oder weniger explizit für dedizierte Horrorliebhaber gedacht und gemacht. Hier werden zudem die vordringlichen Topoi noch um einiges subtiler und gleichzeitig psychologisch fundierter verhandelt. Es geht, und dies nicht unbedingt allzu offensichtlich, um Themen wie den frühen Verlust von Elternteilen,die daraus resultierende Sehnsucht nach deren Rück- (oder besser Wieder-) Kehr sowie den schwerigen Umgang mit ihrem Tod, die fehlende Akzeptanz für deren potenziellen Ersatz, aber auch um das Gefühl von Ablehnung in der Pubertät, dysfunktionale Familienstrukturen und Orientierungslosigkeit, kurz: ums stets präsente coming of age. Wo der erste Teil noch Louis Creed als mehrkanaligen Zerstörer seiner Familie zentriert, der durch seine ebenso unablässigen wie törichten Versuche, alles wieder geradezurücken, schließlich auch sich selbst und seinen letzten Freund ins Verderben reißt, übernehmen hier alsbald die untoten Wiedergänger, und das auf eine zunehmend abseitige Weise. Eine unglaubliche Szene und vielleicht die, die „Pet Sematary 2“ über alle Sphären hebt, zeigt den wiederauferstandenen Clancy Brown als Gus Gilbert, wie er mit seinem Stiefsohn Drew und dessen Kumpel Jeff beim Abendessen sitzt. Gus stellt widerliche Dinge mit der Nahrung (Kartoffelbrei und Erbsen) an, die er ja eigentlich gar nicht mehr benötigt, nur, um die Jungen zu ekeln und lacht sich selbst schlapp darüber. Erinnerungen an Clancy Browns nicht minder sagenhafte Kurgan-Interpretation in „Highlander“, die sich im Folgenden sogar noch intensivieren, sind da bereits unvermeidlich und geben dann auch die vorherrschende Tonart an. Damit hat der Film zumindest meine Wenigkeit komplett im Sack.
Die Zombies entwickeln im Sequel eine gemeinschaftliche Agenda, säen (noch mehr) Tod und Untergang, können sprechen, Auto fahren, und organisieren sich, mit dem ja bereits zu unseligen Lebzeiten bösartigen Gilbert als Anführer, sogar wider die Lebenden. Da ist dann richtig was los im Staate Maine. Und dann gibt es auf der Tonspur statt eines einzigen Ramones-Songs im Abspann diesmal noch eine ganze, modische Musikkompilation von Clip-Meisterin Lambert (u.a. mit The Jesus & Mary Chain, L7 und einer weiteren Ramones-Nummer).
Kein Wunder, dass His Majesty mit „Pet Sematary 2“ (im ersten hatte er sich noch ein Cameo als Priester gegönnt) am Ende nichts mehr zu tun haben wollte und seinen Namen komplett aus den credits streichen ließ. Derart kreuzsympathischer Überschwang war dann selbst einem nominellen Schreibkönig zuviel.

8/10