…tick…tick…tick…

„I’m the sheriff. Not the white sheriff. Not the black sheriff. Not the soul sheriff. But the SHERIFF!“

…tick…tick…tick… ~ USA 1970
Directed By: Ralph Nelson

Jim Price (Jim Price) ist der neue, offiziell mehrheitlich gewählte Bezirkssheriff von Colusa County, einem prototypischen Südstaatennest. Widerwillig bis frustriert räumt sein Vorgänger John Little (George Kennedy) am Tag von Prices Amtsantritt seinen lange polierten Stuhl im Office; weniger, weil er Missgunst oder Neid empfindet, sondern weil Little ganz genau weiß: Mit Price als Sheriff steht Ärger ins Haus. Selbiger ist nämlich Afroamerikaner, eine Ungeheuerlichkeit in der noch immer halbheimlich von den guten alten Dixie-Werten und dem Einfluss des Ku-Klux-Klan geprägten Kleinstadt, in der people of colour zwar die Bevölkerungsmajorität stellen, jedoch wenig bis gar nichts zu melden haben. Und tatsächlich schlagen Price von Minute Eins an beinahe ausschließlich Ressentiments und Despektierlichkeiten entgegen: die vormaligen Deputys quittieren johlend den Dienst, die übrigen Weißen schauen ungläubig bis ablehnend drein. Vor allem der vormalige Hilfssheriff Springer (Don Stroud) mag sich so gar nicht mit dem neuen Ordnungshüter anfreunden. Und als Price „seiner“ Community versichert, er sei kein verlängerter Black-Power-Arm, ist er auch bei dieser untendurch. Als er einen betrunkenen Raser (Robert Random) aus dem Nachbarbezirk, der infolge eines selbstverursachten Unfalls ein kleines Mädchen auf dem Gewissen hat, festnimmt und einsperrt, gerät Price endgültig in Bedrängnis. Der Fahrer entpuppt sich als jüngster Filius des reichen und darüberhinaus rassistischen Patriarchen Braddock (Karl Swenson), der glaubt, über dem Gesetz zu stehen, zumal, da dieses vor Ort durch Price repräsentiert wird. Nunmehr ist jener nicht nur auf die Unterstützung seines frischgebackenen Deputys John Little angewiesen, sondern auf die sämtlicher Menschen der Kleinstadt, denn Braddock naht bereits mit einer Riesenkolonne, um den Sohnemann herauszuhauen…

Als durchaus domestizierter Anti-Rassismus-Polizeifilm in der Nachfolge zu Norman Jewisons „In The Heat Of The Night“ (aus dem gleich noch der hagere Anthony James zurückkehrt), dem man trotz der protagonistischen Mitwirkung des später genau in jenem Sektor reüssierenden Ex-Footballers Jim Brown kaum nachsagen kann, die gerade im Anrollen begriffene Blaxploitation-Welle zu antizipieren, bleibt „…tick…tick…tick…“ eher eine künstlerische Fußnote im Gesamtwerk seines Regisseurs Ralph Nelson. Mit dem nur etwa acht Monate später nachgeschobenen Western „Soldier Blue“, nicht zuletzt ja auch eine berühmte My-Lai-Paraphrase, trat Nelson mittels eines ungleich wütenderen und graphischeren Films nach, der seine Kritik am weißen amerikanischen Selbstverständnis völlig gnadenlos jedweder Versöhnlichkeit entledigte und Filmfiguren wie Publikum mit blankem Hass auf die fahlhäutigen Schlächter zurückließ. „…tick…tick…tick…“ wirkt da im Vergleich beinahe antithetisch; er predigt Akzeptanz, Toleranz, Verständnis und die Überwindung von Vorurteilen; Werte, die das gepflegt unglaubwürdige Finale nochmals gewinnend unterstreicht. Mit Ausnahme des unverbesserlichen Redneck-Proleten Springer helfen nämlich sämtliche Colusa-Männer, egal ob schwarz oder weiß, bei der (erfolgreich gewaltfrei praktizierten) Abwehr der üblen, frechen Selbstjustizler aus dem benachbarten County. Einigkeit macht, soviel immerhin darf als gesichert gelten, stark, zumal gegen die noch blöderen Hillbillys von jenseits des Flusses. Das erkennen sogar der greise Major Parks (Fredric March) und sein Hausboy Homer (Ernest Anderson), die insgeheim längst die Zeichen der jüngsten liberalism era erfasst haben. Mit Besonnenheit und Objektivität erwirtschaftet sich Sheriff Price also sein allseitiges Scherflein Respekt, dafür ganz ohne Häme oder gar Waffengewalt. Eine fromme, manchmal sogar zu verschmitzter Komik neigende Utopie, deren stets ausgleichend balancierende Liebenswürdigkeit die Realität, aber auch diverse Beteiligte und Nachzügler rasch Lügen straften: Nelson lieferte besagten „Soldier Blue“, Brown mischte unter anderem als waffenstarrender p.i. Jim Slaughter gleich zweimal weiße Mafiosi auf und Terence Young setzte vier Jahre später mit „The Klansman“ sein höchst persönliches, zutiefst versoffenes Südstaaten-Kleinstadt-Porträt nach, das zwar ungleich räudiger, aber auch wesentlich vitaler als „…tick…tick…tick…“ daherkam. Mit dem tatsächlichen Colusa in Kalifornien hat der Filmschauplatz trotz vor Ort abgelichteter Originalsets nebenbei nichts zu tun. Hier befinden wir uns zweifelsohne irgendwo in Kentucky, Georgia, Alabama oder Mississippi.

6/10

THE FRIGHTENERS

„Death ain’t no way to make a living!“

The Frighteners ~ NZ/USA 1996
Directed By: Peter Jackson

Seit einem Autonunfall vor einigen Jahren nebst persönlicher Nahtoderfahrung, bei dem auch seine Ehefrau Debra (Angela Bloomfield) starb, hat der Ex-Architekt Frank Bannister (Michael J. Fox) die vormalige Profession aufgegeben und arbeitet seither, stets kurz vor der Pleite stehend, als Geisteraustreiber. Möglich machen im dies seine tatsächlich hinzugewonnene Fähigkeit, Kontakt mit verstorbenen Seelen im Zwischenreich aufzunehmen sowie drei befreundete Zwischengänger: der in den Siebzigern verblichene, straßenweise Hustler Cyrus (Chi McBride), der bereits seit rund vierzig Jahren tote Student Stuart (Jim Fyfe) und ein aus dem Alten Westen stammender, schießfreudiger Richter (John Astin). Das derangierte Trio sucht zum Schein die Häuser unbedarfter Bürger heim, die dann in ihrer Not Bannister, den die meisten Ortsansässigen für einen spinnerten Scharlatan haltan, herbeirufen, um sich von ihm helfen zu lassen. Jüngst sorgt dieser dafür, das spießige Eigenheim des Ehepaars Lynskey „reinigen“ zu dürfen, nachdem Frank zuvor unfällig deren Vorgarten umgepflügt hat. Gesagt, getan, doch kurz darauf stirbt Ray Linskey (Peter Dobson) an einem Herzanfall. Nur einer von einer ganzen Reihe fast identisch gelagerter Todesfälle, die Bannister bald unter handfesten Verdacht stellen. In Wahrheit steckt jedoch eine ganz andere, jenseitige Entität hinter der Mordserie. Nunmehr ist es an Frank und Rays Witwe Lucy (Trini Alvarado), den wahren Killer dingfest zu machen. Kein leichtes Unterfangen, zumal auch der wirre FBI-Agent Dammers (Jeffrey Combs) ihnen diverse Steine in den Weg rollt…

Man muss sich kaum kognitiv ins Zeug legen, um „The Frighteners“, Peter Jacksons erste, von Robert Zemeckis protegierte Studioproduktion (Universal) nach einem Trio ebenfalls in Neuseeland entstandener, rasch zu anarchischen Underground-Lieblingen aufgestiegener Indie-Liebhaberstücke sowie einem feuilletontauglichen Coming-of-Age-Drama, als teures, familienkompatibles und inhaltlich verkomplexiertes, respektive andere motivische Schwerpunkte setzendes Remake seines eigenen Drittfilms „Braindead“ auszumachen. Ein junger Mann, einsam, traumatisiert und in seinem kleinen sozialen Mikrokosmos als Sonderling geltend, erlebt seine dräuende Alltagsmorbidität bald zu zusehends unkontrollierbarem Eigenleben erwacht. Der unfreiwillige Flirt mit Tod und modriger Vergänglichkeit bestimmt bald seine gesamte Existenz, bringt bei aller Turbulenz auch eine wahrhaft mörderische, monströse Bedrohung hervor und kann erst durch die heilende Kraft der Liebe von Erlösung und Neuanfang abgelöst werden. Soweit eine grobe Zusammenfassung beider Inhalte. Selbst einzelne Nebencharaktere erleben ihre Analogisierung oder zumindest eine Art „Remix“. Während „Braindead“ allerdings noch gezielt das Konzept des Splatterfilms dermaßen ad absurdum führte, dass jenes sich zugleich mit seinem eigenen, postmodernen Finalpunkt konfrontiert sah, rudert „The Frighteners“ zumindest in Bezug auf seine ästhetische Entfesselung wieder zurück. Oder anders gesagt: er substituiert die manuell beförderten und entleerten Gallonen von Kunstblut und -eingeweiden durch aufwändige, von Jacksons eigener, damals erst drei Jahre junger Firma „WETA Digital“ erstellte Computeffekte. Diese galten zeitgenössisch schon aufgrund ihres inflationären Einsatzes als ziemlich sensationell, was sich heuer eher beiläufig zur Kenntnis nehmen lässt. Das bei Jackson übliche vintage flair der Erzählung beschädigen sie jedenfalls glücklicherweise nicht, sondern hofieren den etwas stoffeligen Charme des comicesken, an die „Tales From The Crypt“-Comics angelehnten Plots, der zwanzig, dreißig Jahre zuvor gewiss auch einem William Castle kreative Höhenflüge entlockt hätte. Das dehnt sich zuweilen etwas und mag nicht immer auf den narrativen Überhang verzichten – eine originelle Arbeit aber ist „The Frighteners“ allemal und bestimmt dient er sich auch trefflich dazu an, Jacksons damals noch wesentlich prägnanter okurrierende Qualitäten als auteur zu identifizieren.

7/10

DON’T WORRY DARLING

„Keep calm and carry on!“

Don’t Worry Darling ~ USA 2022
Directed By: Olivia Wilde

Dass irgendetwas nicht stimmt in der hermetisch abgeschotteten Firmenkommune Victory mit ihrer pastellfarbenen Fünfzigerjahre-Bonbonidylle nebst überkandidelter Werbeästhetik scheint die an der Oberfläche glücklich anmutende Alice (Florence Pugh) insgeheim längst registriert zu haben. Als ihre Freundin Margaret (KiKi Layne) sich im Sinne der wohlfeil organisierten Gemeinschaft zudem plötzlich höchst seltsam benimmt, diverse ortsgebundene Regeln übertritt und nach einem Selbstmordversuch spurlos verschwindet, manifestieren sich schließlich auch Alices Bedenken. Analog dazu als sie beginnt, die gleichförmige Alltagskulisse von Victory zu hinterfragen, im Trüben zu stochern und ihr nach dem Company-Patriarchen Frank (Chris Pine) und dessen Frau Shelley (Gemma Chan) auch noch ihr eigener, geliebter Mann Jack (Harry Styles) die Gunst entzieht, bricht sich ihr Unterbewusstsein Bahn…

Olivia Wildes zweiter Film „Don’t Worry Darling“ möchte leider wesentlich cleverer sein als er es letzten Endes zu sein bewerkstelligt. Seine dezidiert twistorientierte Ausrichtung, auf die mit aller Gewalt hingearbeitet wird, erweist sich als Konglomerat diverser mental anverwandter (Genre-)Vorläufer und/oder Archetypen, die vermutlich nur dann halbwegs effektiv funktioniert, wenn sie auf ein entsprechend unbeflissenes Publikum trifft. Andernfalls schießen einem geradezu unwillkürlich rasch etliche, mögliche Inspirationsquellen durch den Kopf, mit denen Script und Regie ausgiebig Schlitten fahren, um daraus ein immerhin mäßig launiges Feminismuspamphlet zu stricken. Man stelle sich vor, die urhebenden Damen haben ein großes Süppchen angerührt aus: „The Stepford Wives“, „Skeletons“, „Dark City“, „Pleasantville“, „The Truman Show“, „The 13th Floor“, „The Matrix“ bis hin zu „Antebellum“ sowie natürlich David Lynchs albtraumhaften Vorstadt-Zerrbildern nebst Artverwandtem und das Ganze hernach in eine zeitgemäß aufgebrezelte, zumindest ambitioniert und kompetent inszenierte Form gegossen.
Die plotinterne VR, die Victory-Realität nämlich, entpuppt sich also als durch und durch misogyn und patriarchalisch geprägte virtual reality im technischen Wortsinne (und nicht etwa in ihrer plastisch konstruierten Form wie etwa bei Levin/Forbes, DeCoteau oder Weir), innerhalb der mit ganz wenigen Ausnahmen nur die Männer wissen, dass ihre Körper im abgeschalteten Ruhezustand schlummern, während „ihre“ dauersedierten Frauen unfreiwillig einem obsoleten, archaischen Rollenverständnis zum Opfer gefallen sind. Dabei inszeniert sich der ominöse, grauenhaft ölige Frank (eine ironische, nominelle Reminsizenz an Dennis Hoppers gleichnamige Figur in „Blue Velvet“ möglicherweise…?) als eine Art gönnerhafter Sektenguru, der im Zuge pompöser Auftritte predigt, was seine fehlgeleiteten Testsosteronfollower von ihm erwarten, bis ihm irgendwann, als die ganze Geschichte implodiert, die eigene Gattin schließlich enerviert den Versagerstöpsel zieht.
„Don’t Worry Darling“ ist kein schlechter Film und beinhaltet sogar eine amtliche Regieleistung. Er vermag seine RezipientInnenschaft abzuholen und über die gesamte Distanz mitzunehmen, trägt schlussendlich jedoch die nicht zu unterschätzende Bürde der kompromisslosen Durchschaubarkeit, die nach einigem Abstand zur Betrachtung doch recht viel heiße Luft hinterlässt.

6/10

HALLOWEEN ENDS

„You’re only a man.“

Halloween Ends ~ USA/UK 2022
Directed By: David Gordon Green

Oktober 2022: Vier Jahre nach Michael Myers‘ (James Jude Courtney) letztem Amoklauf, den damit verbundenen schrecklichen Ereignissen und seinem spurlosen Verschwinden leben Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) sowie ihre Enkelin Allyson (Andi Matichak) gemeinsam im neu hergerichteten Haus von Michaels früherer Familie. Laurie ist es gelungen, ihre Obsession um den „Schwarzen Mann“ mit therapeutischer Unterstützung weitestgehend beizulegen. Sie bemüht sich sogar, Allyson mit einem jungen Mann namens Corey Cunningham (Rohan Campbell) zu verkuppeln – erfolgreich, wie sich bald zeigen soll. Doch Corey schützt eine dunkle Vergangenheit vor: ein drei Jahre zurückliegender Babysitterjob endete mit dem Unfalltod des schutzbefohlenen Jungen (Jaxon Goldenberg). Seither gilt Corey als gemiedener Außenseiter in Haddonfield. Ein gemeinsamer Besuch mit Allyson bei einer Maskenparty endet für Corey katastrophal und beinahe tödlich als er schließlich Michael Myers begegnet. Der Wahnsinnige erkennt in dem unsicheren Sonderling eine verwandte Seele und lässt ihn zunächst ziehen. In den kommenden Tagen bekommt es die kleine Stadt mit zwei geisteskranken Mördern zu tun…

Wie bereits die beiden Vorgänger von David Gordon Greens höchst privater „Halloween“-Sequel-Trilogie, „Halloween“ und „Halloween Kills“, müht sich auch „Ends“ um eine diskursive Durchbrechung tradierter Slasher-Prinzipien und versucht, das klassische Subgenre um die Akzentuierung bislang weniger beachteter Topoi anzureichern. So spielen im Finale die seelischen Narben der abermals tiefversehrten Kleinstadt Haddonfield eine wesentliche Rolle, nebst den kollateralen Mitleidenschaften, die das Duell zwischen Laurie Strode und ihrer lebenslangen Nemesis Michael Myers in diesem Zuge hinterlassen haben. Ferner werden das Wesen und die Ausprägungen des menschlichen Bösen in reichlich vulgärphilosophischer Weise zu analysieren versucht. Der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen liegt darin, dass Myers ein kaum weniger sinistrer, in punkto Blutrunst gar gleichwertiger Geselle anheim gestellt wird, ein optionaler Erbe des haltlosen Irrsinns gewissermaßen. Offenbar genügt die frühere, elementare Bedrohung durch „The Shape“ (dessen Boogeyman-Nimbus nunmehr wieder auf ein relativ semirealistisches Maß zurechtgestutzt wird) nicht mehr in einer Welt, in der das wahre Grauen von unberechenbaren Regierungsspitzen und gierigen Autokraten ausgeht, deren medial-globale Omnipräsenz de facto keine Maske benötigt. Dieses bereits in seiner Blaupausenform fragwürdig anmutende Konzept geht allerdings nur bedingt und, wenn überhaupt, aus einer abstrakten Warte heraus betrachtet auf; als Spannungs- oder Suspense-Film ist „Halloween Ends“ gänzlich uninteressant. Ein paar illustre kills in der zweiten Hälfte können immerhin mit netten Makeup-Effekten glänzen; inwieweit die zentrale Vierecksbeziehung zwischen Laurie, Michael, Allyson und Corey sich im Zuge dessen entwickelt, bleibt jedoch belanglos. Stattdessen ergeht sich Green in einem Füllhorn mal mehr, mal weniger einfallsreicher Reminiszenzen an Carpenters ohnehin in jedweder Hinsicht unantastbares Original: Diverse Einstellungen daraus etwa finden sich in Konzentraten referenziert, exakt übernommen, variiert oder unerwartet aufgelöst, statt Nybys und Hawks‘ „The Thing From Another World“ gibt es Carpenters Remake im Halloween-TV-Programm und zum Abspann läuft sinnigerweise abermals der unverwüstliche Blue Öyster Cult – Klassiker „(Don’t Fear) The Reaper)“. Dass man es hier mit zu Staube kriechenden fanboys zu tun hat, wäre folglich minimal eklatant.
Eine weitere, eindimensionale Mordparade mochte man somit ergo nicht liefern, was ich als grundsätzlich respektabel erachte. Die Zeit wird zeigen, ob Greens kleinem Zyklus innerhalb der nunmehr elf Filme umfassenden Saga dereinst ein gewichtigerer Platz zuteil werden wird oder nicht.

5/10

37°2 LE MATIN

Zitat entfällt.

37°2 Le Matin (Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen) ~ F 1986
Directed By: Jean-Jacques Beineix

Die wilde Liebesgeschichte von Zorg (Jean-Hugues Anglade) und der wesentlich jüngeren Betty (Béatrice Dalle), die am sommerlich-heißen Mittelmeerstrand von Gruissan beginnt, Zwischenstation in Paris macht und in Marvejols tragisch endet.

Film und Buch (Philippe Dijan) beeinflussten ihren rasanten Aufstieg inmitten der achtziger Jahre reziprok; der Roman, in dem ein großer Teil der jugendlichen, mitteleuropäischen Leserschaft sich und ihr Lebensgefühl wiederzuerkennen glaubte, stand kaum abgekühlt in den Regalen, als Beineix bereits die Adaption vorlegte. Diese fand sich von der produzierenden Gaumont zum Start hin um ein gutes Drittel gekürzt, konnte, im Gegensatz zu Beineix‘ ein ähnliche Schicksal durchleidendem Zweitwerk und Vorgängerfilm „La Lune Dans La Caniveau“, jedoch später noch gerettet und wieder in seine gut dreistündige Integralfassung gebracht werden.
„37°2 Le Matin“ erzählt also die fatal(istisch)e Liebesgeschichte eines Bohémien-Pärchens, die schließlich unter der unaufgeschlüsselten Persönlichkeitsstörung der exaltierten Betty zerbrechen wird. „Die Welt ist zu klein für sie“, sagt Zorg einmal, um sich und seinem Kumpel Eddy (Gérard Damon) Bettys bizarre Ausraster transparent zu machen, und dies gilt vor allem auch im Umkehrschluss. Dabei gibt es soviel, was die beiden zusammenschweißt – sie haben erfüllenden, exzessiven Sex, lieben beide das planlose Leben in den Tag hinein, treffen oftmals irrational anmutende Entscheidungen und begeistern sich für dieselben Menschen und WegbegleiterInnen. Während Zorg jedoch seine negativeren Lebenserfahrungen im Schreiben und zynischen Gelegenheitsphilosophieren zu kanalisieren pflegt, fehlt der Kindfrau Betty eine etsprechende Gabe. Emotional herausfordernden Situation begegnet sie mit offener Gegenwehr, vor deren explosiver Veräußerung das jeweilige Gegenüber dann nurmehr kapitulieren kann. Diese Situationen sorgen für Konflikte und Konfrontationen mit dem Gesetz, die der besonnene Zorg dann zumindest zunächst jeweils auf mehr oder minder diplomatische Weise auflösen kann. Dabei gerät er im Laufe der Zeit auch selbst auf paradoxe Abwege – einmal überfällt er, als Frau verkleidet, eine Spedition und kauft Betty von der Beute ein Stückchen Land im Gévaudan. Als Betty jedoch die zerstörerische Erfahrung einer Scheinschwangerschaft machen muss, nimmt ihre latente Selbstverachtung irreparable Formen an – sie schneidet sich in Zorgs Abwesenheit selbst ein Auge heraus und landet, fixiert, sediert und katatonisch in der Psychiatrie. Für Zorg, der just endlich einen Verleger für sein Manuskript gefunden hat, ist damit klar, dass Bettys Feuer ein für allemal erloschen sein wird; die vitale, libertine Frau ist unwiederbringlich verloren. In einem Gnadenakt der Sterbehilfe verkleidet er sich abermals als sein feminines alter ego und erstickt Betty, genau wie einst der Indianer Bromden den lobotomisierten R.P. McMurphy, mit einem Kissen. Nunmehr wieder allein, verleiht ihm erst die Last der Einsamkeit die Flügel zum Schreiben zurück.
Inhaltliche Substanzlosigkeit wurde dem ausgesprochenen Sommerfilm „37°2 Le Matin“ angelastet, der sich darüberhinaus als typischer Vertreter des Cinéma du look auf bloße Oberflächenreize verlasse und kaum mehr denn eine Projektionsfläche für die bonbonfarbenen Impressionen seines Regisseurs sei. Dieser Vorwurf greift bei genauerem Hinsehen und insbesondere in Anbetracht des director’s cut natürlich überhaupt nicht (mehr). Der Film erzählt aufrichtig, leidenschaftlich und eng an seinen Hauptfiguren entlang die Episoden einer befristet erfüllten Partnerschaft, gesäumt von Lust, Leben und Lachen, bis hin zu ihrem Ende. Dessen recht spektakulärer Verlauf darf als Auswuchs literarischer Fabulierkunst gelten und macht erst all das zuvor Entblätterte umso nachvollziehbarer. Ist man bereit, Zorgs Perspektive einzunehmen und sich mit ihm durch sein von unvorhersehbaren Meilensteinen durchzogenes Künstlerleben treiben zu lassen, wird man sich – vielleicht ein wenig, vielleicht ein bisschen mehr – auch in die kaum einem modellhaften Schönheitsideal gerecht werdende, aber in all ihrer berserkerhaften Unschuld doch hocherotische Betty verlieben und Zorg um jede Minuten mit ihr, zumindest um jede glückliche, und derer waren die meisten, beneiden.

8/10

ANTLERS

„I’m hungry.“

Antlers ~ USA/MEX/CA 2021
Directed By: Scott Cooper

Siprus Falls, Oregon. Die Kleinstadlehrerin Julia Meadows (Keri Russell) macht sich gesteigerte Sorgen um ihren Schüler Lucas Weaver (Jeremy T. Thomas). Der Junge wirkt zunehmend abgemagert und verwahrlost. Julia, die gemeinsam mit ihrem Bruder Paul (Jesse Plemons), mit dem sie zusammenwohnt und der Sheriff von Siprus Falls ist, in ihrer Kindheit selbst zu Missbrauchsopfern ihres Vaters geworden war, befürchtet bezüglich Lucas ein ähnliches Schicksal. Gemeinsam mit ihrer Rektorin Ellen Booth (Amy Madigan) und ihrem Bruder Paul beschließt Julia, ihrem Verdacht nachzugehen. Ein erster Hausbesuch bei den Weavers, wo Lucas mit seinem verwitweten Vater Frank (Scott Haze), einem auf lokaler Ebene berüchtigten Kriminellen, und seinem kleinen Bruder Aiden (Sawyer Jones) zusammenlebt, endet für Booth tödlich. Damit nicht genug finden sich bald weitere grausig zugerichtete Leichen und Tierkadaver. Der Jäger Warren Stokes (Graham Greene) ahnt um die alles andere als beruhigende Lösung des Rätsels…

Der Wendigo ist ein Naturdämon mit amorpher Gestalt aus der Sagenwelt der Algonquin-Ureinwohner. Dessen Geist besetzt seine Wirt, verändert ihn innerlich und äußerlich und verdammt ihn zu ewigem Hunger, der proportional zu jeder weiteren erlegten Mahlzeit anwächst. Auch vor Kannibalismus schreckt der fleischfressende Wendigo dabei nicht zurück. Für „Antlers“, seinen ersten Horrorfilm, greift Scott Cooper ebenjenen Mythos, der, zumindest in protagonistischer Funktion, bislang ausschließlich auf der B- und Indie-Genreebene Verwendung fand, auf und beschert ihm seine Studio-Premiere. Hier lauert der Wendigo zu Beginn im Inneren einer stillgelegten Mine, in der Frank Weaver und sein Kompagnon sich ein kleines Meth-Labor eingerichtet haben und damit die Unruhe des Wesens stören. Der Geist des Wendigo sucht sich nämlich spätestens dann stets einen neuen Gastkörper, wenn sein vorheriger vernichtet wurde. Nachdem Frank und Aiden erste Anzeichen jener unstillbaren Besessenheit zeigen, sorgt ersterer selbst dafür, dass beide in häuslicher Zwangsquarantäne bleiben, derweil Lucas sie mit Aas versorgt. Natürlich kann der Wendigo in Franks Körper fliehen und beginnt sein blutiges Treiben unter freiem Himmel.
Coopers weitgehend in gepflegter Routine verharrendes monster movie verehrt dem Wendigo einen durchaus sehenswerten Großeinstand. Dabei orientiert sich das Script durchweg an klassischen Gattungsstrukturen, zumal solchen, in denen evil native spirits eine gehobene Rolle einnehmen. Erst nach und nach wird der in indianischer Geschichte freilich hoffnungslos unbeschlagenen weißen Community bewusst, welches übernatürliches Übel ihr auflauert und damit auch, welche Medizin dagegen einzusetzen ist. Die Protagonistin erfährt eine zusätzliche Charakter- und Motivationsebene durch ein persönliches Trauma, das sie empathisch für das Schicksal eines ihrer Schutzbefohlenen macht und jenen zu ihrem Schützling werden lässt. Ein wenig body horror kommt hinzu, wenn die gehörnte (respektiv „begeweihte“) Gestalt des Wendigo aus Franks Körper hervorbricht und als gewaltiges Ungetüm die Gegend unsicher zu machen beginnt. Das alles nimmt sich wie erwähnt angemessen kernig aus, begnügt sich jedoch damit, seinen sicheren Kurs stoisch beizubehalten und diesen nicht etwa von riskanten Innovationsbestrebungen stören zu lassen. Jene Vorgehensweise trägt „Antlers“ am Ende zwar keinen Innovationspreis ein, macht ihn aber doch zu einem weiteren, amtlichen Horrorstück der Gegenwart.

7/10

LITTLE CHILDREN

„So now cheating on your husband makes you a feminist?“

Little Children ~ USA 2006
Directed By: Todd Field

East Wyndam, Massachusetts. Die unzufriedene Hausfrau und Mutter Sarah Pierce (Kate Winslet) und der nicht minder unzufriedene Hausmann und Vater Brad Adamson (Patrick Wilson) beginnen quasi vom Spielplatz weg eine mehr oder weniger heimliche Affäre, für die die herbeiforcierte Freundschaft ihrer beiden kleinen Kinder (Sadie Goldstein, Ty Simpkins) als halbherziges Alibi fungiert. Die Flucht aus den Käfigen ihrer familiären Scheinsicherheit beschert dem unmoralischen Paar einen glücklichen Sommer, ein Ausbruch mitsamt gemeinsamer Zukunft erweist sich jedoch als träumerisches Luftschloss. Dann ist da noch der gestörte Pädophile Ronnie J. McGorvey (Jackie Earle Haley), der der gesamten Gemeinde ein Dorn im Auge ist und besonders von Brads Footbalkumpel Larry (Noah Emmerich), einem frustrierten Ex-Cop, aufs Korn genommen wird…

Amerikanisches Qualitätskino, Literaturverfilmung, Kleinstadtsatire und Ensemblestück in einem – diesbezüglich bildet Todd Fields „Little Children“ ganz gewiss keine Ausnahme von der keinesfalls marktunüblichen Regel. Im verspäteten Fahrwasser von observationsbeflissenen, neuenglischen Erfolgsautoren wie John Irving und Rick Moody (nebst Adaptionen) oder Sam Mendes‘ „American Beauty“ bemüht sich Fields zweite (und bis dato letzte) Regiearbeit, selbst als im weitesten Sinne literarisch zu erscheinen – ein auktorialer Off-Erzähler (Will Lyman) deklamiert mehr oder weniger regelmäßig mit gottesgleichem Timbre, was die handelnden Figuren umtreibt und motiviert. Das ist vor allem chic und vermeintlich wichtig, wirkt schlussendlich aber doch ein wenig wie eine scheinintellektuelle, tatsächlich jedoch redundante Veredelung der genuin filmischen Stilmittel. Diese hätten auch trefflich für sich selbst sprechen mögen, wobei die Klischees, mit denen „Little Children“ hausiert, auch so in die Legion gehen; seien es die bornierten Hausmütterchen-Nachbarinnen der akademisch gebildeten Sarah, die zu konservativ (oder einfach zu blöd?) sind, „Madame Bovary“ zu verstehen, seien es die eindimensionalen Charakterisierungen des wilden Liebespaares und seiner sich spiegelnden Lebenssituationen, sei es der wie stets sehenswerte Jackie Earle Haley, dessen Figur ausnahmslos sämtliche Stereotypen des sozial dezidiert aussortierten Kinderschänders erfüllt oder natürlich seine Nemesis Noah Emmerich. Eastwoods „Mystic River“ linst hier allenthalben kurz durchs Gebälk, wobei Field und Autor Perrotta sich und ihrem sittsamem Publikum dessen bitteren Fatalismus ersparen. Die schönsten Momente des Films erinnern an P.T. Anderson, etwa eine urkomische Freibadszene, in der Haley auf Tauchgang im Nichtschwimmerbecken geht, woraufhin selbiges sich leert wie das Küstenwasser beim falschen Haialarm in „Jaws 2“.
Insgesamt wohl eine passable Angelegenheit, die sich jedoch wesentlich bedeutsamer wähnt als sie es letzten Endes ist.

6/10

EXPLORERS

„Shut up, Heinlein!“

Explorers ~ USA 1985
Directed By: Joe Dan
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In einem verschlafenen Kleinstädtchen in Maryland finden sich drei Außenseiterjungs zusammen, um eine interstellare Reise zu unternehmen: Der aus behütetem Hause stammende Ben Crandall (Ethan Hawke) liebt neben der Schulschönheit Lori Swenson (Amanda Peterson) ganz besonders die Invasionsfilme der fünfziger Jahre und träumt eines nachts von einem Trip ins All. Sein bester Kumpel Wolfgang Müller (River Phoenix), ein präpubertärer Einstein und Computernerd, ist bestens dafür geeignet, Bens Visionen in handfeste Materie zu überführen. Der etwas verlotterte Darren Woods (Jason Presson) schließlich hat das Herz am rechten Fleck. Gemeinsam baut das Trio mit Schrottplatzutensilien ein kleines Raumschiff, das mithilfe einer aus dem All stammenden Energiekugel tatsächlich fliegen kann. Was die Freunde schließlich jenseits der Erdatmosphäre erleben, gestaltet sich recht unerwartet…

Joe Dante hat ja eigentlich ausschließlich echte Herzensfilme gemacht. Nach „Gremlins“ auf dem Höhepunkt seiner kommerziellen Auswertbarkeit angelangt, wählte der pulpkulturbeflissene Meister für seinen nächsten, bei Paramount entstandenen Film ein prototypisches Mittachtziger-Sujet, das ebensogut aus der Spielberg-Factory hätte stammen mögen und dann auch in zeitnaher Konkurrenz (mit fünf Wochen Abstand, um genau zu sein) zu Richard Donners „The Goonies“ gestartet wurde. Wo Donners Film letztlich reüssieren konnte, weil er mit viel Humor und Action ein breitgefächertes Publikum anzusprechen vermochte, blieb „Explorers“ eher eine wohlbehütete Preziose, ein Film primär von, über, mit und für Geeks. Wie gewohnt propfen Dante und Scriptautor Eric Luke ihre Geschichte voll mit Reminiszenzen an die gute alte Zeit der Drive-In-Kinos, Pulpcomics und SciFi-Klassiker und kombinieren diese mit den heimlichen Phantasmagorien der ersten Gamergeneration und dem Überfluss des in den USA bereits inflationären TV-Angebots. Folglich spielen der Computer, dazu passend computerbasierte Effekte und eben die zu jener Zeit quantitativ bereits beträchtliche Fernsehhistorie eine wesentliche Rolle innerhalb der von Dante porträtierten, popkulturellen Schnittmenge.
Ein wenig verliert man über diesen beinahe totalitären Referenzialitätscharakter des Ganzen das Innenleben der Protagonisten aus dem Blick – Ben, Wolfgang und Darren treiben natürlich nicht nur spaßbasierte Abenteuerlust um, sondern mindestens genau so sehr all die anderen Dinge, die Kids in ihrem Alter so beschäftigen, von der ersten großen Liebe über unverständige bis unfähige Eltern und gedankliche Instabilitäten bis hin zur ewigen Wegscheide des Coming of Age. Entsprechende inhaltliche Eckpunkte hätten sich angeboten, bleiben jedoch zumeist in den Startlöchern hängen. Man muss allerdings gleichsam hinzufügen, dass Dante nicht seine definitive Schnittfassung fertigstellen konnte, da das Studio hinsichtlich eine beschleunigten Release im Sommer insistierte und diverse eigentlich gefilmte Szenen außen vor bleiben mussten. Diese Inkonsistenz merkt man „Explorers“ nachhaltig an. Dennoch bleibt die conclusio – orientierungssuchende Teenager von unterschiedlichen Planeten mit ziemlich analogen Nöten und Träumen haben ein Meeting im All, werden Freunde und zeigen, dass vermeintliche Differenzen oftmals nur aus einem oberflächlichen Moment irriger Ersteindrücke resultieren – schlussendlich so charmant wie universell: Eine wohltuende Vorstellung, dass auch Aliens nur Menschen sind.

8/10

ULEE’S GOLD

„The bees and I have an understanding: I take care of them, and they take care of me.“

Ulee’s Gold ~ USA 1997
Directed By: Victor Nunez

Der knorrige Vietnam-Veteran Ulysses „Ulee“ Jackson (Peter Fonda) widmet einen Großteil seiner Leidenschaft seinem Beruf, der Imkerei. Der harte Job, dem er und seine Bienen in emsigen Schritten Jahr für Jahr nachgehen, produzieren den besonderen „Tupelo-Honig“, eine der edelsten Sorten überhaupt. Doch Ulee hat auch viele Probleme. Er ist Witwer, hat ein kaputtes Knie und einen lädierten Rücken, sein Sohn Jimmy (Tom Wood) sitzt wegen Raubüberfalls im Gefängnis, seine Schwiegertochter Helen (Christine Dunford) ist auf Droge und er hat seine beiden Enkeltöchter Casey (Jessica Biel) und Penny (Vanessa Zima) in Obhut. Als Helen bei Jimmys Kumpanen Eddie (Steven Flynn) und Ferris (Dewey Weber) in Orlando auftaucht, lässt sich Ulee überreden, sie dort abzuholen. Doch damit nicht genug: Eddie und Ferris haben von der völlig bedröhnten Helen erfahren, dass Jimmy noch eine beträchtliche Summe des gemeinsamen Raubzugs versteckt hält. Damit gerät die gesamte Familie in Gefahr…

Victor Nunez‘ unspektakuläre Charakterstudie ist ein typischer Spätneunziger-Indie; brav, solide, herzig, lebensfroh und ohne echte Gefahrenzonen. Vor allem darf man „Ulee’s Gold“ wohl als persönliches Geschenk an Peter Fonda werten, der in dem ihm auf den Leib geschriebenen Part zu glänzen weiß wie selten und die Rolle wohl auch als Reminszenz an seinen Vater gestaltet hat.
Leitmotivik und Symbolismus in „Ulee’s Gold“ gestalten sich dabei relativ simpel und luzid: Ulees Familie entspricht einem nicht ganz leicht zu händelnden Bienenvolk, das besonderer Betreuung und Pflege bedarf. Da sind die beiden Mädels, eine davon (Zima) im Grundschulalter und herzensgut, die andere (Biel) immerhin alt genug, um um ihre dysfunktionalen Familienverhältnisse zu wissen und bereits ähnlich rebellische Verhaltensweisen an den Tag zu legen wie ihre Eltern. Aus seiner Enttäuschung gegenüber dem kriminell gewordenen Filius macht Ulee, der an eherne Maximen wie Arbeitsamkeit, Selbständigkeit und Verantwortung glaubt, keinen Hehl, ebensowenig wie aus der zwischenzeitlichen Verlotterung seiner Schwiegertochter. Dennoch bekommt er mithile seiner neuen Nachbarin, der geschiedenen Krankenschwester Connie (Patricia Richardson), irgendwie alles wieder in rechte Bahnen gelenkt, auch wenn das einigen Stress mit den beiden Ganoven Eddie und Ferris bedeutet.
Nunez achtet dabei in seinem Script darauf, alles zum Guten zu wenden; unter Ulees straighter, patriarchalischer Führung wächst die Familie wieder zusammen und auch ihn selbst wird ein neues Glück mit der sympathischen Connie (bezeichnender Nachname: Hope) erwarten. Dass sich da schwere, eigentlich kaum lösbare Beziehungskonflikte, Sucht, Depression und Neurosen wie schlechten Träumen gleich kurzerhand und spurlos verflüchtigen, gehört zur Agenda des Films, der zwar von einer durchaus schönen und kontemplativen Gestaltung lebt, es sich andererseits aber auch allzu leicht macht, um seine Feel-Good-Zielgerade um jeden Preis zu erreichen. Familie ist eben doch etwas komplexer als ein Bienenvolk.

7/10

TRICK `R TREAT

„Happy Halloween!“

Trick `r Treat ~ USA 2007
Directed By: Michael Dougherty

In der Kleinstadt Warren Valley, Ohio geschieht zum diesjährigen Halloween-Umzug allerlei wahrhaft Grausiges: Der hiesige High-School-Direktor Wilkins (Dylan Baker) entpuppt sich als Serienkiller, der es sowohl auf adipöse Süßigkeiten-Junkies wie auch auf hübsche Backfische abgesehen hat; ein Quartett von Teenagern (Britt McKillip, Isabelle Deluce, Jean-Luc Bilodeau, Alberto Ghisi) spielt einer Außenseiterin (Samm Todd) einen bösen Streich, der schwer nach hinten losgeht; eine Gruppe weiblicher Werwölfe veranstaltet eine Party mit jungen Männern als Hauptgang; der ein schlimmes Geheimnis hütende Säufer Kreeg (Brian Cox) bekommt nicht nur eine alte Rechnung präsentiert, sondern muss sich zudem noch des überaus regelgestrengen Sam (Quinn Lord), des inkarnierten Geists der Halloweennacht, erwehren.

Thematisch um Halloween kreisende Horrorfilme oder zumindest solche, die im Kontext des besonders in den USA ausgelassen gefeierten, den All Saint’s Day und den Day of the Dead antitipierenden Maskenfests spielen, sind zahlreich. Man kann durchaus von einem eigenen, kleinen Subgenre sprechen, dem der phantastikaffine Michael Dougherty nach einigen Scripts für Superheldenfilme von Bryan Singer und unter dessen produzierender Ägide 2007 sein Regiedebüt zusetzte. Gestaltet als ein Quasi-Episodenfilm, dessen einzelne Segmente sich jedoch inhaltlich wechselseitig beeinflussen und teilweise kausal bedingen, gibt es im Wesentlichen vier narrative Hauptstränge und einen sie alle mehr oder weniger verbindenden Überbau in Form eines kleines Dämons, der darauf achtet, dass die spirituelle Tradition von Samhain stets gewahrt bleibt. Wer diese in jedweder Form missachtet oder gar ignoriert, bekommt seinen Frevel auf dem Fuße hart entgolten. Seine hübschen Storys, in denen die allermeisten, die sich auf die eine oder andere Weise moralisch verschulden, einer bitteren Strafe entgegensehen, für die nicht immer zwangsläufig der Halloween-Dämon verantwortlich zeichnet, inszeniert Dougherty als grelles fright fest im Sinne klassischer Horrorcomics und wahrt dabei stets einen zumeist sehr galligen Humor, der gern auch mit der einen oder anderen augenzwinkernden, den Connaisseur reizenden Avance hausiert. Dadurch, dass Dougherty seine Geschichten zudem parallel montiert, sie also nicht losgelöst voneinander erzählt, entsteht eine Art von Homogenität, die eine nette Alternative zum klassischen Korsett des üblichen episodisch erzählten Horrorfilms darstellt. Einen instant classic erhält man dadurch zwar noch nicht, sehr wohl aber eine hübsche Alternative für den jährlichen, effektvoll zu gestaltenden Themenabend am 31. Oktober.

7/10