…tick…tick…tick…

„I’m the sheriff. Not the white sheriff. Not the black sheriff. Not the soul sheriff. But the SHERIFF!“

…tick…tick…tick… ~ USA 1970
Directed By: Ralph Nelson

Jim Price (Jim Price) ist der neue, offiziell mehrheitlich gewählte Bezirkssheriff von Colusa County, einem prototypischen Südstaatennest. Widerwillig bis frustriert räumt sein Vorgänger John Little (George Kennedy) am Tag von Prices Amtsantritt seinen lange polierten Stuhl im Office; weniger, weil er Missgunst oder Neid empfindet, sondern weil Little ganz genau weiß: Mit Price als Sheriff steht Ärger ins Haus. Selbiger ist nämlich Afroamerikaner, eine Ungeheuerlichkeit in der noch immer halbheimlich von den guten alten Dixie-Werten und dem Einfluss des Ku-Klux-Klan geprägten Kleinstadt, in der people of colour zwar die Bevölkerungsmajorität stellen, jedoch wenig bis gar nichts zu melden haben. Und tatsächlich schlagen Price von Minute Eins an beinahe ausschließlich Ressentiments und Despektierlichkeiten entgegen: die vormaligen Deputys quittieren johlend den Dienst, die übrigen Weißen schauen ungläubig bis ablehnend drein. Vor allem der vormalige Hilfssheriff Springer (Don Stroud) mag sich so gar nicht mit dem neuen Ordnungshüter anfreunden. Und als Price „seiner“ Community versichert, er sei kein verlängerter Black-Power-Arm, ist er auch bei dieser untendurch. Als er einen betrunkenen Raser (Robert Random) aus dem Nachbarbezirk, der infolge eines selbstverursachten Unfalls ein kleines Mädchen auf dem Gewissen hat, festnimmt und einsperrt, gerät Price endgültig in Bedrängnis. Der Fahrer entpuppt sich als jüngster Filius des reichen und darüberhinaus rassistischen Patriarchen Braddock (Karl Swenson), der glaubt, über dem Gesetz zu stehen, zumal, da dieses vor Ort durch Price repräsentiert wird. Nunmehr ist jener nicht nur auf die Unterstützung seines frischgebackenen Deputys John Little angewiesen, sondern auf die sämtlicher Menschen der Kleinstadt, denn Braddock naht bereits mit einer Riesenkolonne, um den Sohnemann herauszuhauen…

Als durchaus domestizierter Anti-Rassismus-Polizeifilm in der Nachfolge zu Norman Jewisons „In The Heat Of The Night“ (aus dem gleich noch der hagere Anthony James zurückkehrt), dem man trotz der protagonistischen Mitwirkung des später genau in jenem Sektor reüssierenden Ex-Footballers Jim Brown kaum nachsagen kann, die gerade im Anrollen begriffene Blaxploitation-Welle zu antizipieren, bleibt „…tick…tick…tick…“ eher eine künstlerische Fußnote im Gesamtwerk seines Regisseurs Ralph Nelson. Mit dem nur etwa acht Monate später nachgeschobenen Western „Soldier Blue“, nicht zuletzt ja auch eine berühmte My-Lai-Paraphrase, trat Nelson mittels eines ungleich wütenderen und graphischeren Films nach, der seine Kritik am weißen amerikanischen Selbstverständnis völlig gnadenlos jedweder Versöhnlichkeit entledigte und Filmfiguren wie Publikum mit blankem Hass auf die fahlhäutigen Schlächter zurückließ. „…tick…tick…tick…“ wirkt da im Vergleich beinahe antithetisch; er predigt Akzeptanz, Toleranz, Verständnis und die Überwindung von Vorurteilen; Werte, die das gepflegt unglaubwürdige Finale nochmals gewinnend unterstreicht. Mit Ausnahme des unverbesserlichen Redneck-Proleten Springer helfen nämlich sämtliche Colusa-Männer, egal ob schwarz oder weiß, bei der (erfolgreich gewaltfrei praktizierten) Abwehr der üblen, frechen Selbstjustizler aus dem benachbarten County. Einigkeit macht, soviel immerhin darf als gesichert gelten, stark, zumal gegen die noch blöderen Hillbillys von jenseits des Flusses. Das erkennen sogar der greise Major Parks (Fredric March) und sein Hausboy Homer (Ernest Anderson), die insgeheim längst die Zeichen der jüngsten liberalism era erfasst haben. Mit Besonnenheit und Objektivität erwirtschaftet sich Sheriff Price also sein allseitiges Scherflein Respekt, dafür ganz ohne Häme oder gar Waffengewalt. Eine fromme, manchmal sogar zu verschmitzter Komik neigende Utopie, deren stets ausgleichend balancierende Liebenswürdigkeit die Realität, aber auch diverse Beteiligte und Nachzügler rasch Lügen straften: Nelson lieferte besagten „Soldier Blue“, Brown mischte unter anderem als waffenstarrender p.i. Jim Slaughter gleich zweimal weiße Mafiosi auf und Terence Young setzte vier Jahre später mit „The Klansman“ sein höchst persönliches, zutiefst versoffenes Südstaaten-Kleinstadt-Porträt nach, das zwar ungleich räudiger, aber auch wesentlich vitaler als „…tick…tick…tick…“ daherkam. Mit dem tatsächlichen Colusa in Kalifornien hat der Filmschauplatz trotz vor Ort abgelichteter Originalsets nebenbei nichts zu tun. Hier befinden wir uns zweifelsohne irgendwo in Kentucky, Georgia, Alabama oder Mississippi.

6/10

GLASS ONION: A KNIVES OUT MYSTERY

„I’ve learned through bitter experience that an anonymous invitation is not to be trifled with.“

Glass Onion: A Knives Out Mystery ~ USA 2022
Directed By: Rian Johnson

Gemeinsam mit einigen anderen mehr oder weniger wertigen Gästen findet sich der weltbeste Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) auf der sonnenverwöhnten, privaten Ägäis-Insel des exzentrischen Multimilliardärs Miles Bron (Edward Norton) wieder. Dieser hat seinen erlesenen Freundeszirkel für ein Exklusivwochenende in seinen luxuriösen Wohnkomplex „Glass Onion“ eingeladen, um dort ein gleichfalls partyseliges wie kriminalistisch herausforderndes Wochenende zu verbringen, mit ihm selbst als Mordopfer und der sich daraus ergebenden Frage um den Täter und dessen Motiv. Da mit Ausnahme des Detektivs alle Anwesenden gleichermaßen in einem perfiden Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem „Freund“ und Gastgeber stehen, kommt jeder in Frage, doch Blanc, der, wie sich bald herausstellt, mitnichten auf Brons Wunsch hin vor Ort ist, torpediert dessen Spiel kurzum und nonchalant. Bald jedoch gibt es eine wirkliche Leiche…

Benoit Blancs wiederum von Rian Johnson geschriebenes und inszeniertes zweites Filmabenteuer wird aktuell direkt von bzw. via Netflix lanciert, was eigentlich auch ganz gut passt zu dem sich bereits jetzt als strukturgewohnt abzeichnendem Kriminal-Serial. Seine satireaffine Poirot-Liebe bringt Johnson abermals in Höchstmaßen zu Geltung; wer die Kinostücke um Peter Ustinov kennt, weiß grob umrissen bereits, was Daniel Craig alias Benoit Blanc zu bieten hat: mondäne Schauplätze, luxuriöses Ambiente, spektakuläre Architektur und Interieurs. Dazu ein zumindest halbwegs prominent besetztes Ensemble, das genussvoll eine Schar grober, von Egozentrik, Gier und Arroganz zerfressener Unsympathen darbietet, an deren Spitze – natürlich – das (in diesem Fall eigentlich nur potenzielle) Mordopfer steht. Als recht witzig entpuppen sich die diersen Seitenhiebe in Richtung der Covid-Pandemie und des zeitweiligen Umgangs mit ihr, die darüberhinaus zahllos okkurierenden Popkultur- (und Selbst-)referenzen zu entdecken, überlässt Johnson findigen Zuschauern noch als zusätzliches Bonmot. Wesentlich mehr jedoch bleibt sich über den allseitig professionell (und demzufolge gediegen überrschungsfrei) gehandhabten „Glass Onion“, der seinen etwas unsinnigen Untertitel wohl ausschließlich zur Steigerung des Wiedererkennungseffekts trägt, kaum zu sagen. Das Beziehungsgeflecht der illustren Beteiligtenschar nimmt sich ebenso vordergründig kompliziert wie obsolet aus und dient allein dem Alibi der großzügigen Erzählzeit. Es hagelt MacGuffins in Hülle und Fülle, sowohl in Objektform, als auch in narrativen Finten. Spaß macht „Glass Onion“ nichtsdestotrotz schon, zumal er in kommenden Jahren vielleicht als endgültige Initiation einer Art internationaler „Traumschiff“-Variante für die Festtagssaison gelten mag. Einen Blanc alle zwei, drei Jahre zu Weihnachten, hell, schick und ein kleines bisschen hohl, fände ich durchaus erträglich. Den als einziges Ingredienz völlig aus dem Rahmen fallenden, schlurrigen Kifferhippie Derol (Noah Segan), der erfreulicherweise gar keine Funktion besitzt (außer vielleicht die, findigen Freizeitdetektiven frustrierte Fragezeichen zu entlocken), sollte man allerdings als künftigen running gag gern beibehalten.

7/10

ROMEO IS BLEEDING

„You don’t own love. Love owns you.“

Romeo Is Bleeding ~ USA/UK 1993
Directed By: Peter Medak

Der im Zeugenschutzprogramm tätige Jack Grimaldi (Gary Oldman) gehört zur schlimmsten Sorte korrupter Cops. Gegen saftiges Entgelt verrät er die Aufenthaltsorte brisanter Kronzeugen an die Mafia und nimmt dafür auch in Kauf, dass bei den anschließenden Exekutionsaktionen seine eigenen Kollegen dran glauben müssen. Seine Ehefrau Natalie (Annabella Sciorra) betrügt er derweil mit der naiven Kellnerin Sheri (Juliette Lewis). Als Grimaldi von Berufs wegen die russische Profikillerin Mona Demarkov (Lena Olin) kennenlernt, gerät er zwischen alle Fronten. Während Mafiaboss Falcone (Roy Scheider) die Demarkov, mit der er früher ein Techtelmechtel hatte, tot sehen will und Grimaldi erpresserisch nötigt, den Auftrag auszuführen, verführt diese den irrlichternden Beamten und bringt ihn dazu, ihr dabei zu helfen, ihren eigenen Tod zu fingieren. Doch nicht nur, dass sie sich hernach weigert, Grimaldi zu bezahlen, wird die psychotische Mörderin für ihn selbst zur tödlichen Gefahr…

„Romeo Is Bleeding“ entstand im Zuge der Neo-Noir-Welle in den frühen bis mittleren Neunzigern, während derer eine ganze Reihe in Aficionadokreisen beleumundeter Filmemacher der allmählich aufziehenden Ratlosigkeit des zusehends blasierter werdenden Blockbuster-Kinos entsprechende Werke entgegensetzten. Loner und Drifter waren deren Antihelden, betrügerische Femmes fatales und korrupte Bullen, mutige Kleinstadtsheriffs, unbeirrbare Killer, obercoole Gangster und Pärchen auf der Flucht. Die gezeigte und suggerierte Gewalt nahm sich häufig übermäßig aus und selten kam es zu glücklichen Abschlüssen für die ProtagonistInnen. Quentin Tarantino profitierte bekanntermaßen ganz besonders von dieser Strömung, avancierte zu everybody’s darling und hernach zu deren vorderstem Leitwolf und Stichtwortgeber, indem er die zuvor noch bierernst durchgespielte Nostalgie der relativ dicht an die klassischen hardboiled stories angelehnten Krimis ironisch aufbrach und seinem ausgesprochen kalifornischen Märchengauneruniversum einverleibte. Zuvor jedoch gab es Filme wie den vorliegenden von Peter Medak, in dem der ungebremste, tiefe Fall der Hauptfigur im Zentrum steht, gänzlich unkomisch und ergänzend mit dem diegetischen Pathos des Off-Kommentars versehen.
Jack Grimaldi wird von Gary Oldman wie eine Art Vorstudie zu seinem kurz darauf interpretierten, noch hundertmal toxischeren Polizisten Stansfield aus Luc Bessons „Léon“ angelegt. Dessen endgültige Gewissenlosigkeit und haltlose Diabolik muss sich Grimaldi erst noch aneignen, vielleicht wird er später unter anderem Namen bei den New Yorker Narcs anfangen. Dabei ist sein abwärts gerichtetes Schicksal rundheraus selbst verschuldet: Dieser Polizist lügt, betrügt, übervorteilt und verkauft die eigene Seele, bis er allein in irgendeinem Kleinstadtkaff vergeblich auf die unter Garantie niemals eintretende Erlösung wartet. Dabei meint es auch das Fatum selbst alles andere als gut mit ihm; der sinistren Cleverness seiner Widersacherin etwa ist Grimaldi völlig unterlegen. Sie bringt ihn dazu, seine Frau aufzugeben, sein Betthäschen und später noch den hiesigen Paten umzubringen. Von seinen sorgsam angehäuften, im Garten verscharrten Müllsäcken mit schmutzigem Cash wird er nichts mehr haben. Der letzte Akt der Abrechnung schließlich kommt so verzweifelt wie persönlich daher, doch auch dieser kann Grimalds tote Träume nicht wieder zum Leben erwecken.

7/10

SUR MES LÈVRES

Zitat entfällt.

Sur Mes Lèvres (Lippenbekenntnisse) ~ F 2001
Directed By: Jacques Audiard

Die fast taube Carla (Emmanuelle Devos) arbeitet als Angestellte in einem mittelständischen Bauunternehmen in Paris. Mit 35 ist sie noch immer alleinstehend, obwohl ihre geheimen Sehnsüchte eine ganz andere Sprache sprechen. Ihr schüchternes, affirmatives und biederes Wesen verhindert jedoch offene oder gar intime Kontakte zu Männern, derweil ihre Freundin Annie (Olivia Bonamy), deren kleines Kind Carla allenthalben babysittet, umso wilder durch die Betten tobt. Als der auf Bewährung entlassene Ex-Knacki Paul (Vincent Cassel) Carla als Bürounterstützung zugeteilt wird, entwickelt sich nach und nach ein ambivalentes Verhältnis zwischen den beiden outcasts, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Carla fühlt sich auf seltsame Weise von Paul abgestoßen und zugleich für ihn verantwortlich. Der Kleinkriminelle wiederum plant bereits die Flucht nach vorn, indem er den Nachtclubbesitzer Marchand (Olivier Gourmet) abzocken will. Ausgerechnet Carla, die aufgrund ihrer Behinderung hervorragend von Lippen lesen kann, soll ihm bei der Durchführung behilflich sein…

Eine ungewöhnliche Romanze hat Jacques Audiard mit seiner dritten Langfilm-Regiearbeit vorgelegt: das schicksalsbedingte Zusammentreffen zweier vereinsamter Individuen, die sich geradezu determinstisch brauchen und verdienen, für die Erkenntnis dieses Faktums jedoch erst diverse, nicht selten bizarre Umwege und Nebenstraßen benötigen. Audiard kleidet diese Odyssee vom Suchen und Finden in einen wie beiläufig erzählten Kriminalplot mit Noir-Elementen nebst antiklimaktischer Conclusio, die zum Ende hin nochmal unterstreicht, wie zweckdienlich die vermeintlichen Genreavancen eigentlich sind. Als sehr viel elementarer für seine Anordnung erweisen sich die ungeheuer sorgfältig ausgearbeiteten Charakterisierungen seiner Hauptfiguren Carla und Paul, wobei vor allem erstere eine sukzessive Wandlung vom unbeachteten, einsamen Mauerblümchen hin zur selbstbestimmten Frau durchlebt mit dem kaum minder verloren wirkenden Paul als Emanzipationstrittbrett. Eine erste unbeholfene Annäherung seinerseits, die ohnehin eher als unbeholfene Form der Gegenleistung gedacht ist, erweist sich als im schlechtesten Wortsinne unfruchtbar; erst Carla selbst findet eine Form, den bisherigen Existenzversager für ihre (karrieristischen) Zwecke zu instrumentalisieren. Damit endet ihr wechselseitiges Engagement jedoch nicht; Paul führt Carla in „seine“ Welt ein, die der kleineren und größeren Gangster, des Nachtlebens und des wechselseitigen Übervorteilens. Darin inbegriffen ist auch, dass die Gefahrenlage zuweilen beinahe tödliche Ausmaße annimmt, ebenso, wie sie zwei Solitäre zusammenschweißen kann. Trotz des verdienten happy ends lässt Audiard die Kehrseite amourösen Großstadtfatums nicht außer Acht: ausgerechnet Pauls ehern scheinender Bewährungshelfer (Olivier Perrier) verbirgt hinter seiner alternden Fassade die tiefsten Abgründe.

8/10

CONGO CROSSING

„Well, the Belgians will need a chief of police too.“

Congo Crossing (Blutroter Kongo) ~ USA 1956
Directed By: Joseph Pevney

Congotanga, eine kleine, politisch autarke, westlich-abgespaltene Region des kongolesischen Staatsterritoriums, liefert keine Kriminellen aus. Daher gilt das Fleckchen auch als Paradies für halbseidene Flüchtlinge aus Europa, die allenthalben per Flugzeug hier ankommen und vor Ort versuchen, sich mit krummen Geschäften über Wasser zu halten. Der sich geflissentlich überfordert gebende Polizeichef Colonel Arragas (Peter Lorre) hält den status quo mit leidgeprüfter Miene aufrecht. Wahrlich unter den Zuständen zu leiden hat jedoch der aufrechte Arzt Dr. Gorman (Rex Ingram), der versucht, sein Urwaldkrankenhaus am Laufen zu halten, derweil Gangsterboss Rittner (Tonio Selwart) sämtliche seiner Medikamentenlieferungen abgreift und weiterverkauft. Der Landvermesser David Carr (George Nader) indes versucht Gorman zu helfen und findet insgeheim die passende Methode: Weil ein Kongo-Zufluss den natürlichen Lauf verändert, verschöbe sich auch die Staatsgrenze zu Belgisch-Kongo, womit Gormans Krankenhaus auf sicherem Terrain läge. Rittner versucht mit aller Gewalt, an Carrs Karten zu kommen. Jener wiederum muss sich zudem noch mit der Mordverdächtigen Louise Whitman (Virgina Mayo) abplagen sowie dem geldgierigen O’Connell (Michael Pate), der bei Bedarf über Leichen geht…

Den unübersichtlichen Anschein, den obige Synopse hinterlassen mag, bestätigt Joseph Pevneys „Congo Crossing“ eigentlich kaum. Der inmitten einer gewaltigen Flut kleinerer Universal-Produktionen der fünfziger Jahre entstandene Abenteuerfilm gefällt sich schlicht darin, eine Vielzahl ominöser Charaktere in seinen narrativen Schmeltiegel zu werfen und gründlich auszukochen. Nicht nur infolge des Auftritts von Peter Lorre lässt das Szenario häufig an „Casablanca“ denken und dessen schurkenaffine Noir-Atmosphäre, die auch „Congo Crossing“ trotz seines (behaupteten) Afrika-Dschungel-Ambientes vorschützt. Gut, Lorre wäre hier, seine unnachahmliche Präsenz berücksichtigend, eher das Pendant zu Claude Rains‘ Polizeipräfekt Renault und die Liebesgeschichte zwischen Nader und Mayo kommt deutlich pulpiger daher, aber ansonsten passt die schwitzige Menagerie zwilichtiger bis übler Gesellen recht genau.
Pevney, einer der vielen zuverlässigen Routiniers seiner produktiven Ära, der als Schauspieler am Theater begann, ab 1950 in die Filmregie wechselte und erst 2008 im gesegneten Alter von 96 Jahren verstarb, war überhaupt stark darin, kostengünstiges, ehrliches Leinwandhandwerk zu zimmern, ohne den oftmals gewaltigen Putz der A-Garde aufzutünchen. „Man Of Thousand Faces“, eine vergleichsweise aufwändige Lon-Chaney-Biographie mit James Cagney in der Titelrolle, hätte Pevneys Prestige und Marktwert deutlich aufmöbeln sollen, blieb jedoch eine Fußnote. In seinen insgesamt zweiunddreißig Regiearbeiten, vornehmlich Genrefilmen jedweder Couleur, standen ihm dennoch meist ordentliche Besetzungen und trefflicher Stabsupport zur Seite. Wie viele Kollegen ereilte ihn gegen Ende der sechziger Jahre das branchenübliche Schicksal, nurmehr Episoden für TV-Serien (darunter allein vierzehn „Star Trek“-Folgen) inszenieren zu können, was in Anbetracht flotter Kost wie „Congo Crossing“ durchaus bedauernswert anmutet.

7/10

HARLEM NIGHTS

„Kiss my entire ass!“

Harlem Nights ~ USA 1989
Directed By: Eddie Murphy

Harlem zur Prohibitionszeit: Seit er ihm als kleiner Junge (Desi Arnez Hines II) das Leben rettete, ist Vernest Brown alias Quick (Eddie Murphy) gleichberechtigtes Mündel des Nachtclubbesitzers Sugar Ray (Richard Pryor). Jahre später führt jener sein Etablissement, in dem neben Alkoholausschank auch andere Trostspender vom Jazz über das Glücksspiel bis hin zur Prostitution florieren, hinter der legalen Fassade eines Konfektgeschäfts. Dem sich immer breiter machenden Gangsterboss Bugsy Calhoune (Michael Lerner) derweil ist der Club Sugar Ray ein Dorn im Auge, weshalb er mithilfe des korrupten Polizisten Phil Cantone (Danny Aiello) Sugar Ray und Quick zusehends unter Druck sitzt. Während der junge Heißsporn Quick sich zum Krieg bereit macht, zieht der weitaus besonnenere Sugar Ray es vor, das Feld zu räumen und die Stadt zu verlassen – freilich nicht, ohne Calhoune und Cantone gehörig über den Tisch zu ziehen…

Mit einer Art afroamerikanischer Variationsmelange aus George Roy Hills „The Sting“ und Francis Ford Coppolas „The Cotton Club“ versuchte sich Eddie Murphy, damals auf dem Zenit seine stardoms, zum bis dato ersten und einzigen Mal als Regisseur und gewissermaßen auch als auteur. Ganz Murphys höchstpersönliches Baby, setzt sich „Harlem Nights“ mit einigem übersteigerten Selbstbewusstsein ziemlich breitärschig zwischen alle Stühle. Der schwarzen New Yorker Unterweltkultur der zwanziger und dreißiger Jahre zollt der insofern nicht immer ganz treffsichere Film ebenso Tribut wie den etwas aufgelockerteren Blaxploitation-Beiträgen der Siebziger (etwa „Cotton Comes To Harlem“) und vermengt diese Einflüsse mit Murphys derbem Bühnen-Stand-Up-Duktus. Murphy demonstriert zudem offenherzig, dass er in Sachen pointierten Leinwand-Humor-Timings einiges von John Landis gelernt hat, dem er ja immerhin zwei seiner Hits aus den Vorjahren verdankt und der ironischerweise mit seinem „Oscar“-Remake kurz darauf eine ganz ähnlich strukturierte Gangsterfarce vor historischem Setting ablieferte.
Der nicht eben kostengünstige „Harlem Nights“ legt viel Wert auf sein mit einigem Chic inszeniertes Zeitkolorit; auf augenfällige Requisiten und Kostüme, derweil die urbane Außendarstellung völlig bewusst artifiziell gehalten ist und ganz wie die Warner-Filme der frühen Tonära auf gut als solche identifizierbare Studio- und Atelieraufnahmen zu setzen scheint. Was die Figurenzeichnung anbelangt, konzentriert sich Murphy derweil vor allem auf die liebevolle Konturierung schillernder Nebencharaktere, darunter Redd Foxx und Della Reese als grantelndes, alterndes Ehepaar oder Vic Polizos als liebeskranker Richie Vento, die die schönsten Szenen abbekommen. Andere Auftritte, wie der hoffnungslos enervierende von Arsenio Hall etwa, laufen blinden Auges ins Leere.
Murphys Film lanciert weit von jeder Art Formvollendung entfernt, dafür ist er schlicht zu ungeschlossen und weiß manchmal selbst nicht recht wohin mit sich. Dennoch lässt sich bescheinigen, dass „Harlem Nights“ den über weite Strecken amüsanten Versuch eines von seinem unbändigen Erfolg selbstberauschten Aufsteigers markiert, sein kreatives Spektrum zu erweitern, wenngleich jener damit auf imposante Weise scheitert.

7/10

FOREVER MINE

„You will never be loved the way you are now. You have have never been and you will never be.“

Forever Mine ~ USA/CA/UK 1999
Directed By: Paul Schrader

Im Sommer 1973 arbeitet der Student Alan Riply (Joseph Fiennes) in einem mondänen Strandhotel als „cabana boy“. Hier verliebt er sich auf den ersten Blick in Ella (Gretchen Mol), die Gattin des wohlhabenden Geschäftsmannes und Urlaubsgasts Mark Brice (Ray Liotta), die Alan fortan umgarnt. Bald erwidert Ella seine Gefühle und die beiden verleben eine nur wenige Tage währende Kurzromanze, bevor Ella und ihr Mann nach New York zurückkehren. Alan weigert sich jedoch, das geliebte Wesen einfach aufzugeben, reist ihr kurzerhand hinterher und beginnt vor Ort eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Als die streng katholische Ella Mark ihre Affäre beichtet, setzt dieser alles daran, Alan „unschädlich“ zu machen. Zunächst hängt er ihm eine Verurteilung wegen Drogenbesitzes an, doch Alan lässt sich selbst im Gefängnis nicht ausbooten und schreibt Ella einen Liebesbrief nach dem anderen, bis der immer eifersüchtigere Mark keinen anderen Ausweg sieht, als den Nebenbuhler um die Ecke bringen zu lassen. Alan überlebt jedoch schwer verletzt und sinnt auf Rache. Vierzehn Jahre später ist es soweit: Unter neuer Identität als Rechtsberater Manuel Esquema kehrt er zu den Brices zurück und mischt die Karten neu…

„Forever Mine“, eine Liebeserklärung an die Liebe, zählt zu den eher selten erwähnten Werken in Schraders Œuvre, dabei handelt es sich nach meinem Dafürhalten um einen seiner schönsten Filme. Voller Reminiszenzen und Avancen an Wegbegleiter und Kulturgenossen steckt seine zwölfte Kinoregie, eine sehr revisionistisch gefärbte Noir-Romanze in Breitwand, wie sie – zumindest auf rein inhaltlicher Ebene – auch ebensogut in den vierziger oder fünfziger Jahren hätte entstehen mögen. So rekurriert Schraders Inspirationspool neben dem geradeheraus zitierten, berühmten Flaubert-Roman „Madame Bovary“ unter anderem auf Robert Floreys wunderbaren „The Face Behind The Mask“, Elmore Leonard und das Kino von Brian De Palma (für den Schrader 1976 das Script zu „Obsession“ verfasst hatte und dessen Hauskomponist Angelo Badalamenti in „Forever Mine“ durchaus ähnliche Harmonien erklingen lässt). Die für Schraders Verhältnisse ungewöhnlich herzlich und herzergreifend erzählte Liebesgeschichte scheut keinerlei Kitschrisiken, wobei der auteur die entsprechenden Momente freilich stark zu transzendieren weiß – auch „Forever Mine“ offeriert trotz seines völlig typologisch eingesetzten Ensembles und der mit weichgezeichneten Rückblenden versetzten Oberflächenpolitur eine vornehmlich düstere, nicht selten melancholische Atmosphäre, wobei Missgunst, Gefahr und Brutalität vornehmlich von dem gehörnten Ehemann ausgehen, der zu arrogant ist, um klein beizugeben und seine immer weiter forttreibenden Felle schwimmen zu lassen. Allein durch sein rücksichtsloses Intervenieren wird irgendwann auch Alan Riply gezungen, kriminell zu werden und sämtliche ursprünglich avisierten Lebensentwürfe über den Haufen zu werfen.
Freilich lassen sich auch hier die ewigen Schrader-Topoi Calvinismus, (Über-)Lebenskampf, Schuld, Sühne und Erlösung ausmachen; diesmal jedoch in einer dem reinen Streben nach verdienter Zweisamkeit untergeordneten Auslotung, was „Forever Mine“ sehr gut tut. Ich muss zugeben, dass ich gerade jetzt in einer höchst empfänglichen Stimmung für derlei Schmonziges bin, warum „Forever Mine“ auch unerwartet massiv bei mir einschlagen konnte.
Schön!

9/10

OCCHIALI NERI

Zitat entfällt.

Occhiali Neri (Dark Glasses – Blinde Angst) ~ I/F 2022
Directed By: Dario Argento

Der Serienkiller Matteo (Andrea Gherpelli), dessen Beuteschema teure Luxusprostituierte vorsieht, der stets mit einem Van unterwegs ist und seine Opfer mit Vorliebe stranguliert, macht Rom unsicher. Schließlich gerät auch das Callgirl Diana (Ilenia Pastorelli) an den Wahnsinnigen, die versucht, ihm mit dem Auto zu entkommen. Dabei kommt es zu einem Unfall mit einer chinesischen Familie, den nur der kleine Chin (Andrea Zhang) überlebt. Diana selbst erblindet aufgrund einer schweren Kopfverletzung. Mithilfe der empathischen Trainerin Rita (Asia Argento) und der Blindenhündin Nerea fasst Diana ganz allmählich neues Selbstvertrauen. Als sie Kontakt zu dem im Heim untergebrachten Chin aufnimmt, flüchtet sich dieser aus Angst, in eine Pflegefamilie zu müssen, zu ihr in die Wohnung. Matteo bleibt jedoch nicht untätig und will zu Ende bringen, was er einmal angefangen hat. Gemeinsam versuchen die Blinde und das Kind verzweifelt zu überleben…

After the eclipse: Meine persönliche Argento-Lücke ist zu meiner Schande mittlerweile recht umfangreich und spart sämtliche Regiearbeiten der letzten 21 Jahre aus. Da es ohnehin längst an der Zeit ist, dem Abhilfe zu leisten, warum nicht gleich bei seinem aktuellen Werk „Occhiali Neri“ ansetzen? Vorwegzunehmen wäre, dass dessen Betrachtung insbesondere auch dem nicht berufsmäßigen Argento-Apologeten mancherlei abverlangt. Logik und inhaltliche Kohärenz zählten nie zu den vorrangigen Interessen des Maestro und daran hat sich auch jenseits seines achtzigsten Lebensjahres nichts geändert. Vielmehr begeistert er sich ungebrochen für Topoi, Chiffren und Kausalitäten, die andere stirnrunzelnd als redundant beiseite schieben würden. Was man gemeinhin als dramaturgische Fettnäpfchen erachtete, bildet bei Argento zudem und au contraire die Bedienung steter werkimmanenter Motive (Dunkelheit und Licht, Raumkonstruktion, An- und Abwesenheit von Farbspektren, körperliche und/ oder psychische Versehrtheit, Außenseitertum, Angstfacetten, brave und mörderische Tiere als Erfüllungsgehilfen etc.). Die Zeit bleibt seit eh und je stehen mit und bei ihm, was gleichfalls bedeutet, dass er auch anno 2022 keinerlei Zugeständnisse an Entwicklungsprozesse in Medium oder Genre vollzieht und ganz in sich selbst ruht, ungeachtet dessen, dass es damit nahezu ausgeschlossen ist, sich ein unerfahrenes Publikum außerhalb seiner getreuen Rezeptionshemisphären zu erschließen. Ein vergleichsweises mediales Novum wie ein Smartphone für Blinde wirkt da fast wie ein postfuturistisches Artefakt, das in Argentos Welt eigentlich keinen Platz hat und, seiner diegetischen Funktion einmal entledigt, auch keine weitere Rolle mehr spielt. Ferner befreit sich der Filmemacher von scheinbar obsolet gewordenem Ballast wie einer Mörder-Psychologisierung. Zählten früher noch ein gewisses (wenn auch selten luzides) Profiling oder gar Whodunit-Elemente zu seinen obligatorischen Script-Bestandteilen, bedarf es heuer auch dieser nicht mehr. Der Killer wird ohne große Umschweife oder Mysterien bereits im ersten Drittel nebst Gesicht und Namen vorgestellt; warum er tut, was er tut, erfährt man de facto nicht. Das Incel-Motiv Misogynie erscheint mir jedenfalls etwas weit hergeholt – Matteos Charakterisierung beschränkt sich darauf, dass er nämlich im Grunde durchaus nicht unattraktiv ist, körperhygienisch jedoch ziemlich verwahrlost, in einer Baracke außerhalb der Stadt haust, große Hunde entführt und illegal weiteverkauft und mit Vorliebe kokst. Ein nachgerade unsympathisches Individuum also, was soweit genügen muss. Wenn es überhaupt ein personelles Interesse gibt, dann liegt dies in der Beziehung zwischen Diana und Chin, die als zwei einsame, gehandycapte Seelen auf kognitiver Augenhöhe durch das Schicksal aneinandergekettet werden und damit klarzukommen haben. An dieser Stelle erklimmt der oberflächliche Kriminalplot bereits eindeutig die Schnittstelle zur Symbolhaftigkeit. Und natürlich gelingt Argentos dp Matteo Cocco in dessen erster Zusammenarbeit mit dem Altmeister noch eine oftmals poetische Bebilderung; man denke nur an die Laughton-Hommage, eine fabelhafte Sequenz, in der die hoffnungslos verirrte, auf sich gestellte Diana aus dem finsteren nächtlichen Wald auf eine sternenerleuchtete Lichtung hinausstolpert. Die MakeUp-F/X von Sergio Stivaletti geben sich betont old school und finden sich, auch das gewiss ein altehrwürdiges Kontinuum, genüsslich ausgekostet.
Summa summarum manifestiert sich in diesem Alterswerk das reduzierte, bald reaktionäre Ethos des arrivierten Künstlers, der keinerlei nachvollziehbare Gründe darin sieht, sich oder der Welt noch irgend etwas zu beweisen. „Occhiali Neri“ gleicht insofern eher dem alljährlichen, harmonischen Familientreffen, auf dem der liebenswerte, zunehmend gebrechlich werdende Uropa seine alten Geschichten auspackt. Man hört zwar weiterhin interessiert zu, lächelt insgeheim jedoch Jahr für Jahr ein bisschen milder in sich hinein – vielleicht auch bloß ein Signium barer Arroganz.

6/10

A.C.A.B. – ALL COPS ARE BASTARDS

Zitat entfällt.

A.C.A.B. – All Cops Are Bastards ~ I/F 2012
Directed By: Stefano Sollima

Die drei römischen Bereitschaftspolizisten Cobra (Pierfrancesco Favino), Negro (Filippo Nigro) und Mazinga (Marco Giallini) bezeichnen sich selbst als „Brüder“. Sie werden immer dann herbeigerufen, wenn die vorderste Front gefragt ist. Fußballspiele mit gewaltbereiten Hooligans gehören ebenso dazu wie Hausräumungen, politische Demonstrationen oder Auflösungen illegaler Flüchtlingslager. Vierter im Bunde ist der mittlerweile ausgeschiedene, als Parkwächter arbeitende Carletto (Andrea Sartoretti), der jedoch im Grunde noch nahtlos dazugehört. Sowohl ihre Arbeit als auch ihre Vorgehensweise findet sich gestützt von einer allseitigen, unerschütterlichen Selbsträson. Man sieht sich etwas larmoyant als notwendiges Übel; als die, die die Drecksarbeit verrichten müssen, eben weil sie es so gut können. Umso breitärschiger kultiviert das Quartett seinen Hass auf alle gesellschaftlichen Störfaktoren: Neonazis, Kommunisten, Ausländer, Asylanten, Ultras, Schnorrer, Obdachlose – das Gesocks lauert in jedem Winkel. Strafverfahren wegen Gewaltanwendung, wie eines gegen Cobra, der einem Fußballfan die Vorderzähne ausgeschlagen hat, sind eben eine obligatorische Begleiterscheinung des Drecksjobs.
Als der deutlich jüngere, unwirsche Neuling Adriano Costatini (Domnenico Diele) zur Bereitschaft kommt, nehmen die Übrigen sich seiner quasi-väterlich an. Der Junge muss eben noch etwas zurechtgestutzt werden. Doch das Altherren-Idyll droht an seinem eigenen Selbstverständnis zu zerbrechen, als Mazinga bei einem Einsatz ein Messer ins Bein bekommt und berufsunfähig wird. Diese Aktion schreit nach Rache, und zwar ganz inoffiziell. Doch der bald geworfene Bumerang kommt ebenso schnell wieder zurück und für Costatini ist der Punkt erreicht, an dem kein Freundschaftspakt der Welt mehr zur Rechtfertigung herhält…

Fast zeitgleich mit „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ erschien der ebenfalls englisch betitelte „A.C.A.B. – All Cops Are Bastards“, dessen klassisches, programmatisches Akronym gleichermaßen von Links wie Rechts verwendet wird. Sollimas Polizeifilm eignet sich insofern gut als companion piece zu Vicaris berückendem Meisterwerk, als dass Genua ’01 und die gewaltsame Räumung der Diaz-Schule auch hierin eine – obschon eher hintergründig besetzte – zentrale Motivrolle einnehmen: Cobra, Nero, Mazinga und Carletto waren einst nämlich höchstselbst Teil der Hundertschaft, die die friedlichen Demonstranten krankenhausreif prügelten – ein Erlebnis, das selbst diesem hartgesottenen Quartett noch sechs Jahre später Bauchschmerzen bereitet. Das schlechte Gewissen hält jedoch keinen von ihnen davon ab, nach die persönliche Agenda nach wie vor zur oberen Maxime zu machen, auch wenn Cobra Costatini zunächst mehrfach davon abhält, gegen mögliche Verdächtige übergriffig zu werden oder ihn nach einem Gewaltausbruch sogar deckt. Ihr jeweiliges persönliches Versagen im Privatleben tut das Übrige dazu, insbesondere den hochaggressiven Negro zusehends die (Selbst-)Kontrolle verlieren zu lassen. Cobra, als Junggeselle noch mit den wenigsten außerberuflichen Problemen belastet, tut sein Möglichstes, um den Kern der Bruderschaft zusammenzuhalten, doch gegen die Tatsache, dass Mazingas Sohn Giancarlo (Eugenio Mastrandrea) sich längst von dem liebesunfähigen Vater abgewandt und zum Nazi-Skin geworden ist, kann selbst er nichts ausrichten, ebensowenig wie gegen die Anzeige wegen Körperverletzung, die Negro zu Recht anhängig ist, seit er seine Ex-Frau (Eradis Josende Oberto) bedroht und geschlagen hat. Alles bröckelt. Schließlich wird Costatini zum Denunzianten, als er sich an die Abteilung für innere Angelegenheiten wendet. Wie der filmfinale Einsatz gegen eine Unzahl rach- und blutsüchtiger Ultras (wegen der Ermordung des Lazio-Fans Garbriele Sandri durch einen Polizisten), der die drei Freunde nochmals zusammenführt, von Sollima im unzweideutigen Gedenken an „Assault On Precinct 13“ inszeniert, endet, bleibt dem Zuschauer vorenthalten. Als jedoch das Stichwort „Diaz“ am Ende wieder aufploppt, ahnt Cobra, dass sich hier möglicherweise eine Art metaphysischer Schuldspirale schließen wird. Trotz seiner Zeitbezüge gemahnt „A.C.A.B.“, den Sollima gekonnt und druckvoll inszenierte, deutlich direkter an Sidney Lumets Polizeifilmzyklus denn an politisches Kino. Im Mittelpunkt stehen die vier Protagonistenschicksale und deren Reziprozität, die einmal mehr in den Abgrund weist.

8/10

LA CRIME

Zitat entfällt.

La Crime (Wespennest) ~ F 1983
Directed By: Philippe Labro

Der renommierte Wirtschaftsanwalt d’Alins (Jacques Dacqmine) wird in seinem Büro im Justizpalast von zwei als Gendarmen verkleideten Killern (Charlie Nelson, Bernard Tixier) erschossen. Commissaire Martin Griffon (Claude Brasseur), Vorsitzender einer Sonderabteilung, macht sich im direkten Auftrag des Innenministeriums an die hochbrisanten Ermittlungen. Dabei wird ihm als Anstands-Wauwau sein alter Kollege Rambert (Jean-Claude Brialy) zur Seite gestellt. Während d’Alins‘ linkischer Sohn Philippe (Daniel Jégou) den Anschein erwecken möchte, sein Vater sei das Opfer irgendeines rachsüchtigen, früheren Klienten geworden, ist Griffon rasch davon überzeugt, dass wesentlich mehr hinter der Sache steckt. Gemeinsam mit der Jungjournalistin Sybille (Gabrielle Lazure) beginnt er tiefer zu bohren und stößt auf eine gewaltige Mauer des verschleiernden Widerstands, die noch weitere Tote mit sich bringt.

Ein sonderbarer Film ist Philippe Labros „La Crime“, und das ganz gewiss nicht aufgrund seines durchaus konventionellen Kriminalplots nebst allem Dazugehörigen von Verschwörung über Korruption bis hin zum Verrat. Vielmehr wirkt er wie der leicht irrläufige Versuch, den klassisch-finsteren Polar der Vorgängerdekade an die insbesondere durch Delon und Belmondo stark modifizierten, kommerzialisierten Genrestrukturen der achtziger Jahre zu adaptieren. Claude Brasseur als Hauptdarsteller steht ganz für die innere Zerrissenheit von „La Crime“: in einer Mischung aus systembedingter Resignation, persönlicher Depression und Lakonie als Selbstschutz bewegt er sich, belgisches Bier trinkend (jede Flasche wird mit den Zähnen geöffnet), Kette rauchend und hustend von Setting zu Setting, interviewt, verhört, verachtet lässt jede/n seine rotzige Geringschätzigkeit spüren mit Ausnahme eines jungen, aufrechten Kollegen (Luc-Antoine Diquéro), der als einziger noch seinen Anstand wahrt. Das Ganze inszeniert Labro mit einem beinahe analog scheinendem Eklektizismus: manche Einstellungen wirken beinahe aufreizend unbetreiligt bis lustlos, gerade so, wie für eine x-beliebige TV-Serie inszeniert, wieder andere scheinen ultradramatischen Seufzern gleich, so etwa die, in der die Prostituierte Suzy (Dayle Haddon), just, als sie auf dem Wege ist, um reinen Tisch zu machen, in einem Fahrstuhl mit Benzin übergossen und angezündet wird, untermalt vom berühmten 2. Satz aus Beethovens 7. Sinfonie. Typen wie der verzweifelt strampelnde Philippe d’Alins, der einmal eine Dose Eierravioli serviert, wirken beinahe wie ein comic relief, derweil Trintignant nach einem prägnanten Kurzauftritt Seppuku mit einem Schälmesser begeht.
„La Crime“, immerhin ein sehr interessantes, durchaus launiges Werk (und von Dominik Graf wohl sehr geschätzt), lässt also schon das eine oder andere Fragezeichen aufploppen, die sich dann auch bewusst aller Antwort verweigern.

7/10