BONES AND ALL

„Maybe love will set you free.“

Bones And All ~ USA/I 2022
Drected By: Luca Guadagnino

Virginia, um die Mitte der achtziger Jahre. Die Teenagerin Maren (Taylor Russell) lebt mit ihrem Vater (André Holland), der versucht, sie weitestgehend von Gleichaltrigen und der Gesellschaft überhaupt abzuschirmen, in einem kargen Bungalow. Als sich Maren eines Abends zu einer Freundin (Kendle Coffey) schleicht, um an einer Pyjama-Party teilzunehmen, kommt es zu einem befremdlichen Ereignis: Maren beißt einem der Mädchen selbstvergessen in den Finger und isst das Fleisch. Kurz darauf ist ihr Vater, dem Maren das Ganze zuvor beichtet, verschwunden. Außer ihrer Geburtsurkunde, ein wenig Bargeld und einer Cassette mit ausführlichen Erläuterungen ihres Dads darauf hinterlässt er ihr nichts. Maren beginnt eine lange Reise Richtung Minnesota, wo ihre ihr unbekannte Mutter Janelle (Chloë Sevigny) leben soll. Durch das Tape und die Begegnung mit einem kauzigen alten Drifter namens Sully (Mark Rylance) erfährt Maren, wer und was sie ist: Sie gehört zu einer genetisch mutierten Gemeinschaft kannibalistisch lebender Außenseiter, den sich selbst so nennenden „Eaters“, die von Zeit zu Zeit der unbändige Drang überkommt, Menschenfleisch zu verzehren und deren Phänotyp sich von Generation zu Generation weitervererbt. Als Maren während der Eiterfahrt auf den etwa gleichaltrigen Eater Lee (Timothée Chalamet) trifft, bahnt sich zwischen den beiden eine Romanze an, die Maren nach einem verstörenden Treffen mit ihrer psychiatrisch institutionalisierten Mutter jedoch wieder abbricht. Schließlich begreift sie, dass sie und Lee sich brauchen und kehrt zu ihm zurück. Gemeinsam beschließt man, sich eine konventionelle Existenz aufzubauen, doch das Schicksal meint es anders…

Mit „Bones And All“, der Adaption eines romantischen Jugend-Horrorromans von Camille DeAngelis, legt Luca Guadagnino ein elegisches, ebenso behutsam wie gemächlich erzähltes Road Movie vor, das den traditionellerweise eher garstig konnotierten Genretopos Kannibalismus (die Eaters könnten eine Art Nachfahren des mythologischen „Wendigo“-Dämons sein) auch für ein wohlfeil abgestecktes Arthouse-Publikum goutierbar werden lässt. Diese zugegebenermaßen etwas brüske Einordnung ist dabei keineswegs abschätzig gemeint, sondern soll vielmehr unterstreichen, in welche Richtung sich das Horrorkino in den letzten Jahren entwickelt. Filme wie „dieser“Bones And All“ beweisen eindrucksvoll, dass die Gattung sich eine Form der Anerkennung und Mündigkeit erobert hat, die vor einem Vierteljahrhundert in dieser Ausprägung noch undenkbar gewesen wäre; raus aus dem schummrigen Dämmerlicht des stets als etwas schmuddelig verrufenen Effektevents für verschwitzte Convention-Besucher hin zum respektierten Gesellschaftsdiskurs mit Blut und Eingeweiden. Wie James Grays just von mir genossene, überaus wesensverwandte Coming-of-Age-Bestandsaufnahme „Armageddon Time“ blickt auch „Bones And All“ zurück auf die den nordamerikanischen Kontinent ergreifende Verzweiflung der aufziehenden respektive bereits aufgezogenen Ära Reagan und reflektiert anhand dieser die nicht minder akute, zeitgenössischere Ratlosigkeit Trump-Jahre. Die in Anbetracht des sie nachhaltig verunsichernden Realitätsabgleichs in Abgründe starrende Maren und der jüngere New Yorker Paul Graff haben mancherlei gemein: Als Außenseiter einer zunehmend reaktionärer und repressiver agierenden Gesellschaft sehen sie sich, an biographischen Wegscheiden stehend, mit basalen Existenzfragen konfrontiert: Wie viel von mir darf ich überhaupt noch ausleben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Wie viel unbequeme Individualität ist gestattet in einer Welt aus Angst und Hass? Der Kannibalismus als ultimatives Sozialtabu lässt sich da leicht als übergeordnetes Bild interpretieren für alles Mögliche, was der Konservativismus an Zielscheiben ausersieht; seien es Ressentiments gegen bestimmte Ethnien, sexuelle Orientierungen oder andere vermeintliche Unangepasstheiten. Das durchaus konsequente Ende erschien mir dann wie ein versöhnlich umgedeuteter Brückenschlag zu Eckhart Schmidts exakt vierzig Jahre älterem „Der Fan“ (mit dem eine gemeinsame Betrachtung vielleicht ohnehin gar nicht uninteressant wäre): Die komplette Einverleibung des Geliebten als ultimativer Treuebeweis.

9/10

THE GUNMAN

„I just need to shoot something.“

The Gunman ~ USA/UK/E/F 2015
Directed By: Pierre Morel

Acht Jahre, nachdem der nunmehr reuige Ex-Söldner Jim Terrier (Sean Penn) im Auftrag einer diesbezüglich wohlorganisierten Firma einen kongolesischen Minister (Clive Curtis) erschossen hat und darüber nicht nur seine Freundin Annie (Jasmine Trinca) verlassen musste, sondern zugleich mitverantwortlich für die folgenden Bürgerkriegsunruhen im Land war, arbeitet er, erst seit Kurzem zurück vor Ort, als NGO-Brunnenbauer. Als er von einigen Männern, die ihn töten wollen, angegriffen wird, erweisen sich seine alten Talente als nach wie vor ausgeprägt. Dennoch reist er umgehend nach London, um Kontakt zu seinem früheren Mitarbeiter Cox (Mark Rylance), der mittlerweile eine international operierende Securityfirma leitet, aufzunehmen und nach möglichen Gründen für den Anschlag auf sein Leben zu suchen. Auch seinen alten Freund und Partner Stanley (Ray Winstone) holt er ins Boot. Nach einem Zusammenbruch, der als mögliches Symptom einer PTBS diagnostiziert wird, reist Terrier mit Stanley weiter nach Barcelona, wo sich mit Felix (Javier Bardem) ein weiterer Ex-Partner niedergelassen hat. Felix hat als Organisator seinerzeit dafür gesorgt, dass Terrier für die Mordmission an dem Minister zuständig war und daraufhin die sich verlassen wähnende Annie geheiratet. Diese ihrerseits ist über Terriers Auftauchen höchst überrascht und offenbart, dass sie ihn noch immer liebt. Als auch Felix ermordet wird, stellt sich heraus, dass Cox danach trachtet, sämtliche Spuren seiner Vergangenheit zu verwischen, um sein aktualisiertes Renommee als seriöser Firmenboss nicht zu gefährden. Er tötet auch Stanley und lässt Annie kidnappen, was Terrier noch wütender macht…

Aussteigen gilt nicht: Es gibt tatsächlich nur einen einzigen Grund, warum ich überhaupt auf „The Gunman“ aufmerksam wurde, nämlich den, dass er auf Jean-Patrick Manchettes Roman „La Position Du Tireur Couché“ basiert, derselben Vorlage, die schon für das erst kürzlich geschaute Delon-Vehikel „Le Choc“ herangezogen wurde. Zudem habe ich Manchette erst jetzt als einen wichtigen Plotlieferanten für französische polars der siebziger und achtziger Jahre wahrgenommen. „The Gunman“ wäre demnach de facto eine filmische Neuauflage von „Le Choc“, allerdings, soviel sei gleich festzuhalten, mit einem überaus geringen Wiedererkennungswert. Bis auf wenige inhaltliche Elemente, vordringlich jene, dass der Protagonist denselben Nachnamen trägt, ein meisterhafter Profikiller ohne Interesse an der Weiterarbeit in seinem Leisten ist und von seinem früheren Chef partout nicht in Ruhe gelassen wird, handelt es sich um zwei grundverschiedene Filme. Immerhin firmiert „The Gunman“ ebenfalls als Stück, dass die Typologie seines Hauptdarstellers neu- respektive umzugestalten sucht. Der in späteren Jahren üblicherweise selbst als Filmemacher oder als Charakterdarsteller aktive, zum Drehzeitpunkt um vierundfünzigjährige Sean Penn tritt hier urplötzlich und dabei so selbstverständlich, als habe er überhaupt nie etwas anderes vorgelegt, als lupenreiner Actionheros in Erscheinung, dessen Physis in etwa so definiert daherkommt wie die von Sylvester Stallone in der „Rocky IV“-Phase und der, wohl selbst nicht ganz unbeeindruckt von seinem Trainingserfolg, den massigen Körper dann auch gleich mit inflationärer Quote ins Bild setzen lässt. Analog zu seinem gebuildeten Body prügelt und schießt er sich dann auch durch die Szenarien, wie es sich für einen Genrefilm dieser Zeit ziemt, wobei „The Gunman“ trotz mancher Avancen an den flott geschnittenen, farbintensiven Regiechic seiner Ära oder, in Bezug auf die Zurschaustellung luxuriös-mondäner Schauplätze und die an Bond-Filme angelehnte, touristikwerbeaffin inszenierte Städtetour durch Europa, seinen tief im Kern verankerten Achtzigergeist doch nie ganz verhehlen kann. Mark L. Lesters „Commando“ etwa kommt einem vor allem rückblickend unablässig in den Sinn, der Manchette bei näherer Betrachtung auch seinerseits eine ganze Menge verdankt. Sean Penn also in jener Form kommt natürlich nicht ganz umhin, der Tötungsmaschine by nature Terrier zusätzlich das charakterliche Klischeepathos des sühnevollen Junghumanisten anheim zu stellen, der zum schuldbewussten Entwicklungshelfer mutiert, was sich erwartungsgemäß selbst völlig ad absurdum führt. Die vormals bedeutungsvoll eingeführte PTBS-bedingte Amnesiegeschichte verfolgt die Dramaturgie ferner auch kaum sonderlich konsequent. Für Penn blieb es dann bei diesem solitären Genreausflug.
Als das, was er ist (und nicht ist), wohl ein ordentlicher Film mit einigen Schauwerten.

7/10

DON’T LOOK UP

„Shit’s all fucked up. Don’t forget to like and subscribe.“

Don’t Look Up ~ USA 2021
Directed By: Adam McKay

Durch Zufall entdecken die beiden Astronomen Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) und Randall Mindy (Leoardo DiCaprio) einen Kometen, der in rund sechs Monaten auf die Erde prallen und dessen Einschlag hier annäherend sämtliches Leben auslöschen wird. Die ebenso pr-geile wie intellektuell eingeschränkte US-Präsidentin Orlean (Meryl Streep) und ihr Stab zeigen sich von der apokalyptischen Hiobsbotschaft wenig beeindruckt, immerhin gilt es just, einen innerpersonellen Skandal auszubügeln. Auch der daraufhin eingeschlagene Weg, die Öffentlichkeit über eine populäre TV-Talkshow aufzurütteln, verpufft sang- und klanglos – die Leute interessieren sich sehr viel mehr für die Beziehungskrise eines prominenten Musikerpärchens (Ariana Grande, Kid Cudi). Als sich Wochen später die zerstörerische Existenz des mittlerweile nach seiner Erstsichterin Diabiasky getauften Kometen zumindest vulgärwissenschaftlich doch nicht mehr leugnen lässt, tut das Gros der Menschheit, was es eben so tut im Angesicht unverrückbarer Tatachen – leugnen, protestieren, ausweichen, verleumden, weg-, vor allem aber: bloß nicht nach oben sehen. Eine Zerstörungsmission wird im allerletzten Augenblick abgeblasen, denn Dibiasky besteht aus wertvollen Rohstoffen, die der Kommunikationselektronikindustrie ein Multibillionengeschäft bescheren würde. Leider misslingt ebenso der Alternativplan, den kosmischen Brocken in ungefährlichere Einzelteile aufzusprengen. Somit heißt es am Ende völlig zu Recht: Bye bye, humanity.

Die wirklich relevanten, bleibenden Filmsatiren bilden seit eh und je eines der geschmacksintensivsten Gewürze nicht allein im Comedysektor, zumal, wenn sie eine elementare gesellschaftspolitische Relevanz aufweisen. Man denke, um nur ein paar persönliche Lieblinge anzuführen, an Jahrhundertwerke wie „The Great Dictator“, „Dr. Strangelove“, „Network“, „Trading Places“ , „Natural Born Killers“ und „Fight Club“, allesamt bleibende Spiegelbilder besimmter Facetten der Verlorenheit ihrer jeweiligen Ära, allesamt brillant arrangiert, zutiefst gallig und doch urkomisch. „Don’t Look Up“ zieht nonchalant in jenen Olymp ein, er ist DER Film (zu) unserer Zeit. Und wie es sich für kontroverse Meisterwerke geziemt, ist das (angesichts der Verkaufsmechanismen und des gewaltigen Staraufgebots des Films bloß naturgemäße) Echo ein Panoptikum der Überforderung und bestätigt bloß, was McKay in seinem omnipotenten Rundumschlag wider ein Amerika des freidrehend pervertierten Wert- und Selbstverständnisses ohnehin zu jeder Sekunde durchblitzen lässt – unsere schöne Menschenwelt war und ist noch mehr eine der entgrenzten Borniertheit, der glattpolierten Oberflächenreize und der totalen Selbsträson. Zu uneingeschränkt positiven Stimmen zu McKays Königsgroteske mag sich scheibt’s keiner hinreißen lassen. Ein wenig Google spricht Bände: Die „Fans“ seien wütend, dass Matthew Perry herausgeschnitten wurde, dabei wäre dies doch sein überfälliges Comeback gewesen. Irrlichternde Parallelen zu Michael Bays „Armageddon“ (!) werden gezogen, und das nichtmal selten, der Klamauk moniert und die schlecht getimte Dramaturgie, die ihr Feuer ja allzu verfrüht verschieße. Die Realität habe den für einen früheren Starttermin und wegen Covid verschobenen „Don’t Look Up“ wiederholt und seine satirische Sprengkraft dadurch entscheidend entwertet.
Mir fällt in Anbetracht solcher völlig am Objekt vorbeischießender Aussagen (oder gehen sie alle vielleicht bloß McKay in die Falle?) nurmehr die Kinnlade herunter, aber bis auf den Boden, quasi Tex-Avery-mäßig. Tatsächlich liefert „Don’t Look Up“ nach meinem Dafürhalten nicht nur ein unfassbar passgenaues Zeitporträt, er ist vor allem auch ein formidabler Autorenfilm, mit dem Adam McKay endlich ganzheitlich zu sich selbst findet, nachdem er in den beiden hervorragenden Bale-Vehikeln „The Big Short“ und „Vice“ eine Abkehr von den Albernheiten seiner bis 2013 abgefeuerten Ferrell-Komödien hin zu mehr Respektabilität und vor allem Ernsthaftigkeit vollzogen hatte. „Don’t Look Up“ kombiniert gewissermaßen das Beste beider Welten – den anarchischen, genrebelassenen Humor der frühen Tage und die spätere, scharf sezierende Pespektivierung auf ein Amerika, das diesseits der Jahrtausendwende auch noch seinen letzten Rest Menschenverstand eingebüßt zu haben scheint. Dass dies nicht nur funktioniert, sondern sich vielmehr als überaus weise und durchaus ausgewogene Stilmixtur präsentiert, die auch mal den Mut zur Inkonsequenz aufweist, lässt sich anhand beinahe jeder Szene dieses unglaublich gelungenen Films ablesen. We’ll meet again…

10/10

READY PLAYER ONE

„It’s fucking Chucky!“

Ready Player One ~ USA 2018
Directed By: Steven Spielberg

2045 ist die Erde für einen Großteil der Menschheit ein kaum mehr belebenswerter Ort – nicht so jedoch die „OASIS“, eine virtuelle Parallelelt mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, die dem gefrusteten Slumeinwohner von morgen nahezu sämtliche nur denkbaren Möglichkeiten der Entfaltung im eigenen Kopf offeriert. Die Grenze ist die individuelle Vorstellungskraft. Der vor fünf Jahren verstorbene Programmierer der OASIS, der exzentrische James Donovan Halliday (Mark Rylance), hat zudem ein spektakuläres Easter Egg in seinem Kunstuniversum hinterlassen: Drei Schlüssel gilt es zu finden, die ihrem Entdecker Hallidays Billionen-Vermögen ebenso zusichern wie die Kontrolle über die OASIS. Für den in prekären Verhältnissen lebenden, jungen OASIS-Experten Wade Owen Watts (Tye Sheridan) ein wahrer Pixeltraum, dem er in Form seines OASIS-Avatars Parzival tagtäglich nachjagt. Gemeinsam mit der Rebellin Samantha Evelyn Cook (Olivia Cooke), respektive deren VR-Pendant Art3mis, verbucht Parzival bald erste Erfolge auf der Suche nach Hallidays Schatz. Doch ihr Gegenspieler, der OASIS-Verwalter Nolan Sorrento (Ben Mendelsohn), ist ebenfalls nicht faul und arbeitet zudem mit schäbigen Tricks.

Jede Generation von Kinogängern bekommt gewissermaßen ja nicht nur die Filme, nach denen sie verlangt, sondern schlussendlich auch jene, die sie verdient. Mit „Ready Player One“, der Adaption des gleichnamigen Romans von Ernest Cline, erreicht nun die von J.J. Abrams und von Netflix forcierte Retromanie ihren vorläufigen Höhepunkt. Wer die Heiligen Geekgrale der achtziger und neunziger Jahre nebst der vielen darüber hinaus reichenden Popkultur-Artefakte bestenfalls selbst miterlebt oder (beinahe ebensogut) zumindest emsig studiert hat, für den bildet die Kopfgeburt James Donovan Hallidays, die OASIS, das multimediale Äquivalent zum Schlaraffenland. Sämtliche nur denkbaren Film-, Comic-, Musik- und Videospielhelden und -Szenarien jener Tage lassen sich in der OASIS auffinden, variieren und wahlweise interaktiv ge- oder missbrauchen. Damit sich eine narrative Einbindung für dieses hochglänzende Reverenzkonglomerat ergab, konstruierte Cline eine wenig innovative Geschichte um eine kapitalistische Dystopie und eine damit verbundene Suche nach MacGuffins, die de facto nichts weniger denn die (virtuelle UND reale) Weltherrschaft offerieren, drumherum. Die megalomanische Überhöhung eines feuchten Nerdtraumes, in dem sich sämtliches tummelt, alles kreucht und fleucht, was die Rechteverwertung eben so gerade zulässt. Sogar auf die traditionellen, getragenen Partituren John Williams‘ hat der Altmeister diesmal zugunsten der flotteren Eighties-Dynamik eines Alan Silvestri verzichtet.
Man könnte ein nettes Trinkspiel daraus machen: Wer einen Querverweis entdeckt, darf einen Hieb aus der Pulle nehmen. Die Einbindung mancher Ideen geriert sich hübsch, während andere schlicht um ihrer Selbst Willen abgehakt werden. Entsprechende Auflistungen verkneife ich mir an dieser Stelle; die ließen sich andernorts sicher ohnehin noch sehr viel akribischer studieren.
Formalästhetisch ist das wohl mit der gebührenden Perfektion verrichtet worden. An den realen Figuren, ihren Träumen, Emotionen und Geschicken verlor ich jedoch ziemlich rasch jedwedes Interesse. Dass Dreh- und Angelpunkt sämtlicher labyrinthischer Verzwickungen lediglich das einsame Los eines seiner verlorenen Liebe nachtrauernden Stubenhockers sind, passt nebenbei zum übrigen, recht einfältigen Konstrukt des Plots. Dass ich mit Computerspielen und insbesondere der suchtartigen Manie, die sie bei zugänglicheren Konsumenten und Kultisten auszulösen vermögen, noch nie etwas anfangen konnte, war der Betrachtung von „Ready Player One“ natürlich alles andere als zweckdienlich. Vor allem in der ersten Hälfte hatte ich sehr oft das Bedürfnis, den Film abzubrechen und mich Trauterem zuzuwenden; irgendwie vermochte ich dann doch noch die letzten Respekts- und Höflichkeitsreserven zu aktivieren und es bis zum wenig überraschenden Ende nach einer gefühlten Ewigkeit zu schaffen. Spiel durchgezockt. Oder doch sehr viel eher: ohne größere Blessuren überstanden. Die spielbergsche Flamboyanz und das Brennen für seinen Stoff in allen Ehren, zumal er hier gewiss etwas geschaffen hat, das viele der erreichten Adepten nicht nur sehr zu schätzen wissen, sondern gar aufrichtig lieben werden, und das vermutlich nicht einmal zu Unrecht. Für mich war’s über weite Strecken eine  kräftezehrende Tortur, der ich mich freiwillig wohl kein weiteres Mal aussetzen werde.

3/10

DUNKIRK

„Seeing home doesn’t help us get there.“

Dunkirk ~ UK/USA/NL/F 2017
Directed By: Christopher Nolan

Dünkirchen, Ende Mai 1940. Rund 370.000 britische und französische Soldaten sitzen in der französischen Hafenstadt fest, hoffnungslos eingekesselt von der deutschen Wehrmacht. Als einziger Fluchtweg bleibt nurmehr der Weg über den Ärmelkanal, der hier die englische Küste über rund vierzig Luftkilometer vom europäischen Festland trennt. Während die Männer am Strand ausharren und um ihr Leben bangen, initiiert die britische Kommandatur ihre Evakuierung, die „Operation Dynamo“. Dabei soll vor allem die Zivilbevölkerung behilflich sein, die die Soldaten mit allen möglichen Wasserfahrzeugen an die Küste von Dover überzusetzen angehalten ist. Während der junge Gefreite Tommy (Fionn Whitehead) sich durch die Wirren am Strand von Dünkirchen schlägt und dabei gleich mehrere Fluchtfehlversuche erlebt, setzt der Zivilist Dawson (Mark Rylance) gemeinsam mit seinem Sohn Peter (Tom Glynn-Carney) und dessen Freund George (Barry Keoghan) mit einer kleinen Yacht über. Unterwegs nehmen sie einen havarierten, schwer traumatisierten Soldaten (Cillian Murphy) an Bord, der gar nicht mit der Fahrtrichtung einverstanden ist. Der RAF-Pilot Farrier (Tom Hardy) unterstützt derweil mit seiner Spitfire die Evakuierungsoperation aus der Luft heraus.

Die Schlacht um Dünkirchen und die anschließende Massenevakuierung, die sich auf wundersame Weise deutlich erfolgreicher gestaltete als zunächst abzusehen war, kommentierte Winston Churchill in seiner berühmten Kampfesrede „We shall fight on the beaches“ vom 4. Juni 1940 mit den Worten „Wars are not won by evacuations“, was den faktisch erzwungenen Rückzug der Briten in einem eher zweifelhaften Licht dastehen ließ. Dabei wäre den Männern als Alternative nur der Tod geblieben – bis heute sind sich Kriegshistoriker uneins darüber, warum Hitler nicht den Befehl zum Losschlagen seiner geschlossen aufgebotenen Panzer gegeben hat, gegen die die feindlichen Armeen keine Chance gehabt hätten. Dünkirchen hat dem Zweiten Weltkrieg insofern einen seiner entscheidenden Wendepunkte versetzt, indem es die Kampfesmoral vor allem der Briten trotz des militärstrategisch als Fehlschlag zu betrachtenden Ausganges der Schlacht gewissermaßen revitalisierte.
Christopher Nolan, most beloved darling der allermeisten selbsternannten Cineasten mit Überhangsliebe zum Gegenwartskino, machte daraus das Thema seines jüngsten Films, des mittlerweile zehnten von ihm geschriebenen und inszenierten, und schon jetzt ist der Beifall seiner umfangreichen Fangemeinde wieder inkommensurabel. Nüchtern betrachtet zeigt „Dunkirk“ allerdings primär aufs Neue die grenzenlose Affektiertheit und Selbstverliebtheit seines Vordenkers. Selbstverständlich ist Nolan ein beachtenswerter Regisseur, daran besteht wohl kein Zweifel. Andererseits scheint es mir, als wolle er gleichfalls diffuse Erwartungshaltungen erfüllen, von denen er die meisten wahrscheinlich selbst an sich richtet. Warum sollte er auch sonst mit zig verschiedenen Kameras und Formaten arbeiten und seinem Film je nach Art der Vorführung eine spezielle Betrachtungs-Exklusivität verleihen? IMAX, 70mm, Röhrenkiste, ja was denn nun? Hans Zimmer wird plötzlich hochgejubelt, weil er noch was Anderes kann als flötige Ethnoklänge und instrumentalen Hurrapatriotismus – sowas schafft derzeit außer Quentin Tarantino, dem man ja ebenfalls unentwegt alles abkauft, was er liefert, wohl nur Christopher Nolan. Ein fragwürdiges Phänomen, wie ich finde. Und natürlich wäre eine strunzgewöhnliche, straighte Narration gleichfalls viel zu gewöhnlich gewesen. Nein, drei Geschichten, drei Chronologien, drei Perspektiven müssen es sein, mehr oder weniger sinnstiftend gegeneinandermontiert, auf jeden Fall aber ungewöhnlich und extrapoliert. Demnächst dann vielleicht komplett auf links gedreht? Ach nee, das hatten wir ja schonmal. Nolan ist gewiss nicht der erste, der danach trachtet, aus Krieg Kunst zu machen, aber bei ihm wirkt das dann doch deutlich gefälliger und anbiedernder als üblich. Wenn es darum geht, aufrichtig Intimität und Empathie beim Zuschauer zu erzeugen, versagt Hundenschnauze Christopher jedoch. Man schaut seinem Film in etwa so zu, wie das Kleinkind der laterna magica, kurzfristig affiziert aber ohne besonderen Nachhall.
Am Ende überwiegen bei „Dunkirk“ aller Kritik zum Trotze die positiven Aspekte. Der gesamte Aufzug des Films präsentiert sich gewaltig, laut und höchst perfektionistisch. Er sieht phantastisch aus und klingt auch so, ein paar britische Erster-Klasse-Akteure (darunter zwei Nolan-Standards) gibt’s quasi gratis obendrauf. Er bemüht mancherlei Erzählfaktoren des klassischen Kriegsfilms, was man ihm gut und gern als gelungene Hommage auslegen darf. Nur das, was er zu gern wäre – ein veritables Meisterwerk -, das ist er eben nicht.

7/10

BRIDGE OF SPIES

„Would it help?“

Bridge Of Spies ~ USA/D/IN 2015
Directed By: Steven Spielberg

New York, 1957: Zunächst eher unfreiwillig nimmt Anwalt James Donovan (Tom Hanks) das Mandat zur Verteidigung eines sowjetischen Spions an, den das FBI verhaftet hat. Dass Rudolf Abel (Mark Rylance) als Kommunist die Todesstrafe verdient, scheint dabei jedem klar, nur Donovan nicht. Dieser verteidigt Abel nach bestem Wissen, Gewissen und mit stichhaltigen Argumenten und schlägt so schließlich eine Gefängnisstrafe für ihn heraus. Kurze Zeit später erweist sich dies als höchst weitsichtig. Der Spionagepilot Francis Powers (Austin Stowell) wird über russischem Staatsgebiet abgeschossen und inhaftiert, fast zeitgleich gerät der US-Student Frederic Pryor (Will Rogers) in Stasi-Gefangenschaft. Donovan wird als Unterhändler nach Berlin entsandt und bewerkstelligt über einige Umwege den Austausch von Abel gegen Powers und Pryor.

Routinekino aus altmeisterlicher Fabrikation. Spielberg will ganz offensichtlich niemandem mehr etwas beweisen und nurmehr unbehelligt sein Handwerk ausüben. So lang dabei noch immer Sehenswertes wie „Bridge Of Spies“ herauskommt ist dagegen nichts zu haben. Allerdings muss die antizipatorische Haltung entsprechend sein: Wirklich umwerfendes Kino darf man aus dieser Richtung kaum mehr erwarten. Seinem aktuellen Film zugrunde liegt ein historisch interessanter Stoff, der von Spielberg mit den nach wie vor großen Augen des nach wie vor überraschten Unterhaltungs-Chronisten aufbereitet wird. Auf der Habenseite stehen demzufolge geflissentliche Spannungsmomente, formaler Perfektionismus, eine nette Lehrstunde zum Kalten Krieg, gute Darstellerleistungen und insgesamt ein Film, dem gewiss niemand böse sein kann. Dem gegenüber befindet sich allerdings eine klaffende Innovationslücke, die im Grunde niemanden überraschen dürfte, der sich mit geschichtlich konnotierten Politdramen aus Hollywood insbesondere der letzten Jahre auch nur ein wenig eingehender befasst.
Angesichts all dessen stellt sich die Frage, ob einem das genügt und man sich mit dem Gebotenen zufrieden geben mag, oder ob man sich von der bald rigorosen Weigerung eines Filmemachers, auf seine alte Tage noch unentflammte Feuer zu schüren, enttäuschen lässt. Glücklicherweise ist ja niemand zu nichts gezwungen, so auch nicht, sich „Bridge Of Spies“ anzusehen. Ob man ihn dann im Nachhinein als eher bereichernd oder auch als redundant einzuordnen geneigt ist, liegt im jeweiligen Betrachterauge. Beides wäre wohl verständlich.

7/10