FRESH

„I just don’t eat animals.“

Fresh ~ USA 2022
Directed By: Mimi Cave

Von Dating-App-Treffen hat Noa (Daisy Edgar-Jones) fürs Erste die Nase voll, nachdem der zuletzt frequentierte Typ (Brett Dier) sich abermals als die befürchtete Vollniete erwiesen hat. Als sie – ganz klassisch – den attraktiven Steve (Sebastian Stan) wie beiläufig im Supermarkt kennenlernt, ist sie daher umso begeisterter, zumal dieser das große Los abzugeben scheint. Nach ein paar romantischen Dates lädt Steve Noa dann zu einem Cottage-Wochenende ein. Entgegen allen Warnungen ihrer besten Freundin Mollie (Jojo T. Gibbs) sagt sie zu – und landet betäubt und angekettet im Keller eines schnieken Bungalows im Nirgendwo, wo ihr Steve seine wahren Beweggründe offenbart: Er verkauft Frauenfleisch an einen Zirkel höchst wohlhabender Kunden und delektiert sich allenthalben auch selbst gern an seiner exklusiven Ware. Noa wittert ihre einzige Chance zu überleben darin, den Kannibalen weiterhin zu becircen…

Als deftige #MeToo-Satire, die übergriffiges Männerverhalten bis ins wahrscheinlich letztmögliche Extrem treibt, passt „Fresh“ sich der noch recht jungen Wokeness-Genre-Kultur an. In seinen besten Momenten erinnert er an die Filme von Jordan Peele, verbeißt sich aber dann doch immer wieder sehr grantig in seine alles umreißende „Männer sind Schweine“-Agenda und lässt es an der Innovation intrinsischer Verrücktheiten mangeln. Die aburteilende Mittzwanziger-Realität von Noa und Mollie wirkt dabei auf den sich unschuldig wähnenden, heterosexuellen Penisträger wenig einladend – wer keinen Insta- oder Twitter-Account hat, ist automatisch ein Verdachtsfall und jedwedes Ressentiment an männliche Adressaten bestätigt sich irgendwann im Laufe des Films. Das formulieren Cave und die Scriptautorin Lauryn Kahn allerdings so hübsch konsequent-kiebig und mit ausschließlichen maskulinen Widerlingen auf der Antagonistenseite, dass es dann doch wieder mancher Sympathien wert ist, zumal Daisy Edgar-Jones das Ganze mit einiger Chuzpe zu tragen vermag. Als ausgewiesener Horrorfilm wäre „Fresh“ indes weniger bemerkenswert; das terrorisierende Psychopathen-Keller-Kidnapping-Szenario wurde nicht erst justament („Alone“, „The Black Phone“ et. al.) dann doch allzu häufig durchexerziert und ermüdet den Nicht-Gelegenheitsgucker demzufolge geflissentlich. Bleiben die netten Fleischverarbeitungs- (und -konsumierungs) -Momente, ein paar lang nicht gehörte Achtziger-Heuler (Steve tanzt gern zu seichter Popmusik jener Ära), der alles in allem als gelungen zu wähnende metaphorische Ansatz sowie die rekordverdächtig späte Einarbeitung der Titelsequenz in der 33. (!) Filmminute.

7/10

BARBARIAN

„You make a copy of a copy of a copy, you get that.“

Barbarian ~ USA 2022
Directed By: Zack Cregger

Tess Marshall (Georgina Campbell) kommt zu einem Vorstellungsgespräch bei der lokal tätigen Dokumentarfilmerin Catherine James (Kate Nichols) nach Detroit. Vor Ort hat sie zu diesem Zweck ein Vorstadthäuschen auf der Barbary Street inmitten des ansonsten großflächig verlassenen Vororts Brightmoor gemietet. Umso unwohler ist Tess zunächst, als sie feststellt, dass vor ihr bereits ein anderer Mieter das Haus bezogen hat. Der junge Keith Toshko (Bill Skarsgård) erweist sich jedoch als durchaus zuvorkommend und sympathischer als zunächst befürchtet. So arrangiert man sich und es bleibt ungeachtet einer kurzen nächtlichen Störung alles ruhig. Als Catherine Tess am nächsten Tag vor der Nachbarschaft warnt und ein seltsamer Obdachloser (Jaymes Butler) ihr zusätzlich Angst einjagt, entdeckt sie, das unter der kleinen Immobilie gewaltige Kellerschächte nebst überaus sonderbaren Räumlichkeiten ausgebaut wurden…

„Barbarian“ erweist sich nach dem zuvorderst enttäuschend konventionellen „Smile“ wieder als ein Horrorfilm mit Hirn und Herz, der seine Vorbilderpalette beseelt aufgreift, bedient und zugleich variiert. Wie schon Fede Alvarez‘ „Don’t Breathe“ sucht sich auch „Barbarian“ die dem Strukturwandel und den entsprechenden demografischen Veränderungen anheim gefallenen Detroiter Vorstädte als kongenialen Schauplatz aus für einen gallig-sarkastischen Kommentar zur Gesamtlage der Nation. Die desolaten suburbs mit ihren noch gut sichtbaren Spuren dereinst florierender Mittelklasseexistenzen lösen dabei mehr und mehr die noch vor kurzem gewohnheitsmäßig bemühten Hinterwäldlerbrachen der Südstaaten mit ihren Rednecks, Hillbillys und Moonshinern ab und zeigen den postmodernen Zivilisationszerfall als Spiegel urbaner Krisen. Wie einst das (zweifelsohne) große Vorbild „Psycho“ führt uns Regisseur und Autor Zach Cregger dabei zunächst auf eine gleich doppelt chiffrierte, falsche Fährte: Dass der etwas zu sympathisch anmutende Keith ein multipel gestörter Norman Bates sein könnte und Tess „seine“ in regnerischer Nacht in der Einöde ankommende Marion Crane, liegt da doch mehr denn nahe. Tatsächlich ist es jedoch Bill Skarsgård, der unerwartet rasch aus dem Spiel genommen wird und eine zu Beginn noch gänzlich unauslotbare Gefahr, die für den bals losbrechenden Terror sorgen wird. Die Flexion von Konventionen und rezeptorischen Erwartungshaltungen beherrscht Cregger dabei annähernd gut wie ein Jordan Peele, obschon das Monster (Matthew Patrick Davis) im buchstäblichen Wortsinne aus hauseigener Produktion stammt. Die Konfrontation mit der Wahrheit und auch deren nachfolgende Auflösung erweisen sich dabei wiederum als so geschickt wie bissig: Justin Long, der im Prinzip nochmal seine Rolle als irrlichterndes Verrücktenopfer aus „Tusk“ repetiert, symbolisiert als Hollywood-Seriendarsteller AJ Gilbride auf dem selbst angesägten Ast gleich mehrerlei an schieflaufendem humanen US-Müll. Nicht nur, dass er von der #MeToo-Debatte offensichtlich gar nichts mitbekommen hat, ist seine Figur auch noch schindludernden Immobilienspekulationen auf den Leim gegangen und zudem ein misogyner Feigling. Doch selbst er ist nur ein kleines Schwarzlicht im Vergleich zu den inzestuösen Monstrositäten, die die Unterwelt von Brightmoor bereithält.
Auch Danny Steinmanns „The Unseen“ und natürlich Stuart Gordons „Castle Freak“ mitsamt dessen von Lovecraft adaptierter Katakombenmythologie spendeten somit einiges an Quellmaterial für „Barbarian“, der schlussendlich jedoch immer noch hinreichend intelligent, vielschichtig, mitreißend sowie witzig erzählt und inszeniert ist, um seine Eigenständigkeit von grundauf zu wahren.

8/10

DON’T WORRY DARLING

„Keep calm and carry on!“

Don’t Worry Darling ~ USA 2022
Directed By: Olivia Wilde

Dass irgendetwas nicht stimmt in der hermetisch abgeschotteten Firmenkommune Victory mit ihrer pastellfarbenen Fünfzigerjahre-Bonbonidylle nebst überkandidelter Werbeästhetik scheint die an der Oberfläche glücklich anmutende Alice (Florence Pugh) insgeheim längst registriert zu haben. Als ihre Freundin Margaret (KiKi Layne) sich im Sinne der wohlfeil organisierten Gemeinschaft zudem plötzlich höchst seltsam benimmt, diverse ortsgebundene Regeln übertritt und nach einem Selbstmordversuch spurlos verschwindet, manifestieren sich schließlich auch Alices Bedenken. Analog dazu als sie beginnt, die gleichförmige Alltagskulisse von Victory zu hinterfragen, im Trüben zu stochern und ihr nach dem Company-Patriarchen Frank (Chris Pine) und dessen Frau Shelley (Gemma Chan) auch noch ihr eigener, geliebter Mann Jack (Harry Styles) die Gunst entzieht, bricht sich ihr Unterbewusstsein Bahn…

Olivia Wildes zweiter Film „Don’t Worry Darling“ möchte leider wesentlich cleverer sein als er es letzten Endes zu sein bewerkstelligt. Seine dezidiert twistorientierte Ausrichtung, auf die mit aller Gewalt hingearbeitet wird, erweist sich als Konglomerat diverser mental anverwandter (Genre-)Vorläufer und/oder Archetypen, die vermutlich nur dann halbwegs effektiv funktioniert, wenn sie auf ein entsprechend unbeflissenes Publikum trifft. Andernfalls schießen einem geradezu unwillkürlich rasch etliche, mögliche Inspirationsquellen durch den Kopf, mit denen Script und Regie ausgiebig Schlitten fahren, um daraus ein immerhin mäßig launiges Feminismuspamphlet zu stricken. Man stelle sich vor, die urhebenden Damen haben ein großes Süppchen angerührt aus: „The Stepford Wives“, „Skeletons“, „Dark City“, „Pleasantville“, „The Truman Show“, „The 13th Floor“, „The Matrix“ bis hin zu „Antebellum“ sowie natürlich David Lynchs albtraumhaften Vorstadt-Zerrbildern nebst Artverwandtem und das Ganze hernach in eine zeitgemäß aufgebrezelte, zumindest ambitioniert und kompetent inszenierte Form gegossen.
Die plotinterne VR, die Victory-Realität nämlich, entpuppt sich also als durch und durch misogyn und patriarchalisch geprägte virtual reality im technischen Wortsinne (und nicht etwa in ihrer plastisch konstruierten Form wie etwa bei Levin/Forbes, DeCoteau oder Weir), innerhalb der mit ganz wenigen Ausnahmen nur die Männer wissen, dass ihre Körper im abgeschalteten Ruhezustand schlummern, während „ihre“ dauersedierten Frauen unfreiwillig einem obsoleten, archaischen Rollenverständnis zum Opfer gefallen sind. Dabei inszeniert sich der ominöse, grauenhaft ölige Frank (eine ironische, nominelle Reminsizenz an Dennis Hoppers gleichnamige Figur in „Blue Velvet“ möglicherweise…?) als eine Art gönnerhafter Sektenguru, der im Zuge pompöser Auftritte predigt, was seine fehlgeleiteten Testsosteronfollower von ihm erwarten, bis ihm irgendwann, als die ganze Geschichte implodiert, die eigene Gattin schließlich enerviert den Versagerstöpsel zieht.
„Don’t Worry Darling“ ist kein schlechter Film und beinhaltet sogar eine amtliche Regieleistung. Er vermag seine RezipientInnenschaft abzuholen und über die gesamte Distanz mitzunehmen, trägt schlussendlich jedoch die nicht zu unterschätzende Bürde der kompromisslosen Durchschaubarkeit, die nach einigem Abstand zur Betrachtung doch recht viel heiße Luft hinterlässt.

6/10

PROMISING YOUNG WOMAN

„I forgive you.“

Promising Young Woman ~ USA/UK 2020
Directed By: Emerald Fennell

Cassandra „Cassie“ Thomas (Carey Mulligan) ist dreißig, wohnt bei ihren Eltern (Jennifer Coolidge, Clancy Brown) und arbeitet als Thekenkraft in einem kleinen Coffee Shop. An Wochenenden lebt sie jedoch eine alternative Identität: Dann geht sie in Clubs und Bars, spielt die Volltrunkene und wartet darauf, von einem ihre vermeintlich untervorteilte Situation ausnutzenden Typen „abgeschleppt“ zu werden. Es genügt dann in der Regel, dem betreffenden Mann im entscheidenden Augenblick die tatsächliche Nüchternheit und das Kalkül der Situation vor Augen zu führen, um ihn künftig von seinen lüsternen Umtrieben abzubringen. Doch warum stellt sich Cassie immer wieder dieser Situation? Den Auslöser dafür markiert eine entscheidende Sollbruchstelle in ihrer eigenen Biographie: Vor Jahren wurde Cassies schwesterliche, beste Freundin Nina während des gemeinsamen Medizinstudiums von einem Kommilitonen im betrunkenen Zustand vergewaltigt. Das Ganze wurde gefilmt und machte die Runde, bis hin zu einer Anzeige seitens Nina, die jedoch erfolglos abgeschmettert wurde. Während Nina in der tragischen Folge Suizid beging, muss Cassie mit ihren Dämonen fertigwerden, schwört jedweder Beziehungsanbahnung bereits im Vorhinein ab und demonstriert potenziellen Triebtätern stattdessen die Folgen ihrer Misogynie. Als sie eines Tages während der Arbeit ihren früheren Mitstudierenden Ryan (Bo Burnham) wiedertrifft und sich mit diesem in der Folge sogar zarte romantische Bande entwickeln, flammt die Vergangenheit wieder akut auf: Ryan kennt Ninas Vergewaltiger von einst, einen gewissen Al Monroe (Chris Lowell), der just zu heiraten plant…

Die #MeToo-Bewegung in Kombination mit ihren ungewohnt offensiven feministischen Bestrebungen hinterlässt zusehends tiefe Furchen, die sich längst auch ihren Weg in Mainstream-Unterhaltungssphären bahnen. „Promising Young Woman“, die erste Langfilm-Regiearbeit der Britin Emerald Fennell, wurden sogar Oscar-Ehren zuteil in Form von Nominierungen unter anderem für Carey Mulligan, die Regie und den besten Film sowie einer Auszeichnung für Fennells Script. Einen treffenderen Indikator für internationale Aufmerksamkeit, Akzeptanz und Wertschätzung gibt es in der Branche nicht, weshalb das Werk zugleich einen kleinen sozialpolitischen Triumph darstellt.
Feministische Gedanken, Gefühle und Bestrebungen zeichnen das jüngere Genrekino bereits seit einigen Jahren aus. Zu nennen wäre da, als radikaleres Exempel, die Remake-Reihe der „I Spit On Your Grave“-Filme seit 2010, aber auch deutlich nuanciertere, weniger exploitativ ausgeformte Stoffe wie Julia Ducournaus „Raw“, Carlo Mirabella-Davis‘ „Swallow“, Romola Garais „Amulet“ oder die Frauen-Western „Sweetwater“ von Logan Miller, Martin Koolhovens „Brimstone“ und Emma Tammis „The Wind“ stehen dafür neben einigen weiteren. „Promising Young Woman“ überführt das mit dem „Rape & Revenge“-Stempel bestenfalls sehr grob gekennzeichnete Sujet [es geht ja mindestens ebenso um den (historizierten) Status der Frau im Zuge ihrer fortlaufenden Reduktion auf das Objekt männlicher Sexualbegierden, ihr Selbstbewusstsein im Angesicht des gesellschaftlichen Patriarchats und ihre Reaktions- bzw. Abwehroptionen] nun also aus dem schummrigen Zwielicht oftmals transgressiver Indie-Produktionen in das grelle Spotlight filmischen Alltagskonsums und das ist gut so. Mit Ausnahme des so konsequent wie quälend umgesetzten Finales, in dem, man möge mir mein Gespoiler verzeihen, Cassies latente Todessehnsucht sich brutal erfüllen wird, erspart „Promising Young Woman“ seinem Publikum visuelle Grobheiten und belässt sie, so es denn überhaupt welche gibt (zu nennen wäre da im Prinzip ohnehin lediglich das spät auftauchende Handyvideo von Ninas Missbrauch), der Imagination. Somit entfällt jeder potenzielle Grund, den Blick und somit die Aufmerksamkeit abzuwenden. Allerdings ist Cassie Thomas auch keine Jennifer Hills oder sonst eine Dame aus deren direkter filmischer Genealogie: Sie entwickelt zwar einen (durchaus perfid angelegten) Racheplan gegen alle, die mit dem traumatischen Ereignis in verantwortlicher Verbindung stehen; bleibt dabei jedoch stets auf dem Bodengesellschaftlich akzeptabler Norm und entwickelt „lediglich“ ebenso kleine wie prägnante psychologische Reminder. Als sie dann am Ende sowohl ihr eigentliches Ziel als auch ihre vormalige Methodik aus den Augen verliert, kommt es zur (allerdings durchaus fest einkalkulierten) Katastrophe. Dass sie ihr Vorhaben dann noch posthum zum Finalclou führt, mag man zwiespältig betrachten. Als Vergeltungsmanifest, das ohne explizite Hinrichtungsarten auskommt, gelingt Cassie einerseits Bahnbrechendes; dass sie sich selbst dafür opfert kann und darf jedoch nicht der richtige Weg sein. Als (zumindest was meine blutigen Voyeursgelüste anbelangt) funktionalere Katharsis ziehe ich da glaube ich doch die eine oder andere Zwangskastration vor. Nein, das war ein dummer Scherz. „Promising Young Woman“ ist ein toller, bestens ausbalancierter, wichtiger und gebührend schmerzlicher Film.

8/10