BARBARIAN

„You make a copy of a copy of a copy, you get that.“

Barbarian ~ USA 2022
Directed By: Zack Cregger

Tess Marshall (Georgina Campbell) kommt zu einem Vorstellungsgespräch bei der lokal tätigen Dokumentarfilmerin Catherine James (Kate Nichols) nach Detroit. Vor Ort hat sie zu diesem Zweck ein Vorstadthäuschen auf der Barbary Street inmitten des ansonsten großflächig verlassenen Vororts Brightmoor gemietet. Umso unwohler ist Tess zunächst, als sie feststellt, dass vor ihr bereits ein anderer Mieter das Haus bezogen hat. Der junge Keith Toshko (Bill Skarsgård) erweist sich jedoch als durchaus zuvorkommend und sympathischer als zunächst befürchtet. So arrangiert man sich und es bleibt ungeachtet einer kurzen nächtlichen Störung alles ruhig. Als Catherine Tess am nächsten Tag vor der Nachbarschaft warnt und ein seltsamer Obdachloser (Jaymes Butler) ihr zusätzlich Angst einjagt, entdeckt sie, das unter der kleinen Immobilie gewaltige Kellerschächte nebst überaus sonderbaren Räumlichkeiten ausgebaut wurden…

„Barbarian“ erweist sich nach dem zuvorderst enttäuschend konventionellen „Smile“ wieder als ein Horrorfilm mit Hirn und Herz, der seine Vorbilderpalette beseelt aufgreift, bedient und zugleich variiert. Wie schon Fede Alvarez‘ „Don’t Breathe“ sucht sich auch „Barbarian“ die dem Strukturwandel und den entsprechenden demografischen Veränderungen anheim gefallenen Detroiter Vorstädte als kongenialen Schauplatz aus für einen gallig-sarkastischen Kommentar zur Gesamtlage der Nation. Die desolaten suburbs mit ihren noch gut sichtbaren Spuren dereinst florierender Mittelklasseexistenzen lösen dabei mehr und mehr die noch vor kurzem gewohnheitsmäßig bemühten Hinterwäldlerbrachen der Südstaaten mit ihren Rednecks, Hillbillys und Moonshinern ab und zeigen den postmodernen Zivilisationszerfall als Spiegel urbaner Krisen. Wie einst das (zweifelsohne) große Vorbild „Psycho“ führt uns Regisseur und Autor Zach Cregger dabei zunächst auf eine gleich doppelt chiffrierte, falsche Fährte: Dass der etwas zu sympathisch anmutende Keith ein multipel gestörter Norman Bates sein könnte und Tess „seine“ in regnerischer Nacht in der Einöde ankommende Marion Crane, liegt da doch mehr denn nahe. Tatsächlich ist es jedoch Bill Skarsgård, der unerwartet rasch aus dem Spiel genommen wird und eine zu Beginn noch gänzlich unauslotbare Gefahr, die für den bals losbrechenden Terror sorgen wird. Die Flexion von Konventionen und rezeptorischen Erwartungshaltungen beherrscht Cregger dabei annähernd gut wie ein Jordan Peele, obschon das Monster (Matthew Patrick Davis) im buchstäblichen Wortsinne aus hauseigener Produktion stammt. Die Konfrontation mit der Wahrheit und auch deren nachfolgende Auflösung erweisen sich dabei wiederum als so geschickt wie bissig: Justin Long, der im Prinzip nochmal seine Rolle als irrlichterndes Verrücktenopfer aus „Tusk“ repetiert, symbolisiert als Hollywood-Seriendarsteller AJ Gilbride auf dem selbst angesägten Ast gleich mehrerlei an schieflaufendem humanen US-Müll. Nicht nur, dass er von der #MeToo-Debatte offensichtlich gar nichts mitbekommen hat, ist seine Figur auch noch schindludernden Immobilienspekulationen auf den Leim gegangen und zudem ein misogyner Feigling. Doch selbst er ist nur ein kleines Schwarzlicht im Vergleich zu den inzestuösen Monstrositäten, die die Unterwelt von Brightmoor bereithält.
Auch Danny Steinmanns „The Unseen“ und natürlich Stuart Gordons „Castle Freak“ mitsamt dessen von Lovecraft adaptierter Katakombenmythologie spendeten somit einiges an Quellmaterial für „Barbarian“, der schlussendlich jedoch immer noch hinreichend intelligent, vielschichtig, mitreißend sowie witzig erzählt und inszeniert ist, um seine Eigenständigkeit von grundauf zu wahren.

8/10

BLACK ADAM

„Force is always necessary.“

Black Adam ~ USA/CA/NZ/HU 2022
Directed By: Jaume Collet-Serra

Kahndaq, ein kleines Land im Mittleren Osten, 2600 v.u.Z.: Hurut (Jalon Christian), der Sohn des versklavten Minenarbeiters Teth-Adam (Benjamin Patterson), erhält durch den Zauberer Shazam (Djimon Hounsou) gottgleiche Kräfte, setzt diese nach seiner Verwandlung zum Champion der Stadt jedoch scheinbar zu blutigen Rachezwecken gegen das Regime des Königs Ahk-Ton (Marwan Kenzari) ein, wird daher flugs wieder eingefangen und für die kommenden Jahrtausende sicher verwahrt.
In der Gegenwart steht Kahndaq wiederum unter einer Minidiktatur, die diesmal die kriminelle Organisation Intergang zu verantworten hat. Die Archäologin und Widerständlerin Adrianna Tomaz (Sara Shahi) will verhindern, dass Intergang in den Besitz der Krone von Sabbac gerät, die seinerzeit schon Ahk-Ton seine Macht verlieh. Während eines Scharmützels mit Söldnern befreit sie den noch immer verzauberten Champion aus seinem Gefängnis. Dieser setzt seinen gewalttätigen Feldzug sogleich fort, rettet Adrianna jedoch das Leben. Zeitgleich wird die umtriebige Amanda Waller (Viola Davis) auf die Ereignisse in Kahndaq aufmerksam und entsendet mit Carter „Hawkman“ Hall (Aldis Hodge), Kent „Dr. Fate“ Nelson (Pierce Brosnan), Maxine „Cyclone“ Hunkel (Quintessa Swindell) und Al „Atom Smasher“ Rothstein (Noah Centineo) vier Mitglieder der JSA (Justice Society of America), um den mächtigen Wüterich auf den Weg zur Tugend zurück zu führen. Dieser lässt sich jedoch nichts sagen und prügelt unverzagt gegen das Superheldenquartett los, bis er sich als Teth-Adam entpuppt, auf den Hurut einst seine Kräfte übertrug. Nach einem vermeintlich siegreichen Kampf gegen Intergang-Oberhaupt Ishmael (Marwan Kenzari), der sich als letzter lebender Nachfahr König Ahk-Tons der Krone von Sabbac zu bemächtigen trachtet, ergibt sich Teth-Adam der JSA und lässt sich in kryogenischen Schlaf versetzen. Doch Ishmael kehrt als Sabbac himself aus der Hölle zurück und nun bedarf es doch wieder eines Teth-Adam, um Kahndaq und die gesamte restliche Welt ein weiteres Mal zu retten…

„Black Adam“ erweist sich schon nach den ersten Minuten als bislang zweitschwächster Vertreter des revitalisierten Kino-DCEU, nur unwesentlich ansehnlicher als der erste „Suicide Squad“-Beitrag von David Ayer (wobei ich „Birds Of Prey And The Fantabulous Emancipation Of One Harley Quinn“ allerdings wohlweislich ausgespart habe). Die Gründe für das mäßige Abschneiden von Collet-Serras Comicadaption sind dabei durchaus vielgestaltig: Der Film versteht sich in seiner Gesamtheit zuvorderst als Vehikel für seinen Hauptdarsteller, dessen gebuildeter Body selbst noch gut sichtbar durch das schwarze Shazam-Kostüm des Titelhelden prangt. Immerhin bekommt man mit „dem Felsen“ unter Verzicht auf die pomadige Frisur und die spitzen Ohren des gezeichneten Vorbildes ein amtliches physiognomisches Alias geliefert, der die tiefbrodelnde Wut des aus der arabischen Antike stammenden, Fascho-Liberalen Teth-Adam sogar momentweise zu transportieren weiß. So erreicht „Black Adam“ seine denkwürdigsten Momente, wenn der kräftemäßig Superman durchaus gewachsene Protz mit den bösen Jungs von Intergang aufräumt und seinem kleinen Stadtstaat quasi im Alleingang eine Führungsrenovierung verabreicht. Daran, den insbesondere u.a. von den Autoren James Robinson, David S. Goyer und Geoff Johns (der hier wie so oft mitproduziert hat) innerhalb der ab 1999 formidabel relaunchten JSA-Strecke reaktivierten Black Adam in all seiner facettenreichen Charakterisierung zu zeigen, ist der Film indes mitnichten interessiert. Als buchstäblicher Anti-Held, der im Gegensatz zu diversen seiner Kolleginnen und Kollegen einen sehr dehn- und somit streitbaren Moralbegriff pflegt, ist Teth-Adam zugleich auch Massenmörder, Verschwörer und Diktator; einer, der stets die eigenen Ziele im Blick hat und mit Kahndaq, ähnlich wie der bei der Konkurrenz von Marvel beheimatete Dr. Victor Von Doom mit Latveria, seinen eigenen, kleinen Problem- und Schurkenstaat regiert. Für derlei Tiefenschärfe findet sich in dem auf oberflächlichen Popcornrabatz getunten „Black Adam“ jedoch kein Platz. In ihrem ersten Kinoauftritt schrumpft die JSA, immerhin das allererste Superheldenteam überhaupt und seit 82 Jahren zur Stelle, zweifelsohne der Komplexitätsreduktion wegen auf ein eher niedliches Miniclübchen zusammen, das in dieser Ausprägung natürlich nicht gegen Teth-Adam bestehen kann. Es macht jedoch selbst mit Einschränkungen Freude, Figuren wie Hawkman und Dr. Fate in Aktion auf der großen Leinwand erblicken zu können. Und dann ist da ja noch Henry Cavills Auftritt während der end credits. Dass wahre Gänsehautmomente – und dies sei bitte ironisch aufzufassen – sich am besten im Abspann machen, hat DC immerhin von Marvel gelernt. Leider nicht wesentlich mehr.

6/10

NOPE

„Right here, you are going to witness an absolute spectacle!“

Nope ~ USA/CAN/J 2022
Directed By: Jordan Peele

Kein UFO, sondern ein UAP, genauer: ein lebendes, amorphes Wesen verbirgt sich hinter einer Wolke, die reglos am Himmel über der Pferderanch von Otis Junior (OJ) Haywood (Daniel Kaluuya) und seiner Schwester Emerald (Keke Palmer) steht. Ein halbes Jahr zuvor ist ihr Vater (Keith David) durch einen vom Himmel gefallenen Nickel getötet worden und OJ und Emerald haben seither alle Hände voll zu tun, das erfolgreiche Geschäft ihres Dads, eines renommierten Pferdetrainers für Hollywoodfilme, am Leben zu erhalten. Einen kleinen Notgroschen erhalten sie durch den Ex-Kinderstar Ricky Park (Steven Yeun), der unweit ihres Grundstücks die Westernstadt „Jupiter’s Claim“ als Ausflugsziel betreibt. Als OJ auf das fliegende Etwas aufmerksam wird, steht für ihn und Emerald relativ schnell fest, dass sie mit ein paar Aufnahmen des Ungetüms ganz groß rauskommen werden. Ihr Plan erweist sich jedoch als deutlich schwieriger in der Umsetzung – nicht nur, dass die Kreatur sich als sehr viel ungemütlicher (und gefräßiger) präsentiert denn zuvor angenommen; auch haben ein paar weitere Individuen bereits im Sinn, mithilfe des Monsters abzusahnen…

Einmal mehr erweist sich Jordan Peele mit „Nope“ als glänzender Satiriker, der seine kritischen Kommentare zur Weltlage und zur US-Gesellschaft im Speziellen wie beiläufig hinter einer Fassade aus audiovisuellem Einfallsreichtum, bizarren dramaturgischen Volten und erzählerischer Lakonie verbirgt. Diesmal treibt ihn vor allem der unbändige Drang der Social-Media-Sklaven, samt und sonders alles zu dokumentieren und Sensationen zu erheischen, um, wobei er auch auf einen galligen Kommentar zum historischen Beitrag der afroamerikanischen Kultur zur Geschichte der bewegten Bilder nicht verzichtet. Kaum von ungefähr repräsentieren seine Helden unterschiedliche, nichtweiße Ethnien und machen sich in der kalifornischen Wüste in dezidierten Westernmythen breit. Das fleischfressende, gesichtslose Monster, das mal wie eine fliegende Untertasse durch die Lüfte saust, um dann wieder molluskenartig oder wie ein Rorschach-Bild am Himmel zu wabern und das alsbald „Jean Jacket“ getauft wird, fungiert mitsamt seinen unheilvollen Kräften, die jede Form von Elektronik lahmlegen können, eher als eine Art MacGuffin innerhalb des recht sonderbaren Figurenmikrokosmos, den Peele ausbreitet. So hatte der Westernstadt-Betreiber Ricky Park einst als Kind (Jacob Kim) ein traumatisches On-Set-Erlebnis mit einem wild gewordenen Schimpansen, so jagt der renommierte, exzentrische Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott) jenem letzten, großen Mysterium nach, das er bislang nicht ablichten konnte, so ist der Elektronikmarkt-Mitarbeiter Angel Torres (Brandon Perea) mindestens so angefixt von der Dokumentierungsidee wie die Geschwister, so pfeift ein martialisch kostümierter Reporter (Michael Busch) auf einem Motorrad auf sein Leben zugunsten einer Sensationsstory mit ihm selbst als Staropfer. Die zahlreichen Genrereminiszenzen, die blendend illustrieren, wie emsig und umfassend Peele sein Monsterkino studiert hat, machen „Nope“ schließlich vollends zum Vergnügen. Corey Harts „Sunglasses At Night“ wird man im Nachgang jedenfalls nie mehr hören können, ohne nicht zumindest ein bisschen Gänsehaut zu bekommen.

8/10

TOOLBOX MURDERS

„It’s not about what can get in – it’s about what’s already here.“

Toolbox Murders ~ USA 2004
Directed By: Tobe Hooper

Das „Lusman-Arms“-Appartmentgebäude in Hollywood hat seine besten Tage längst hinter sich. Als eines der Relikte einer altehrwürdigen Ära, in dem der Legende nach unter anderem Elizabeth Short gewohnt haben soll, präserviert es dennoch einen gewissen, morbiden Charme. Zudem ist es wegen der andauernden Baufälligkeiten nicht sonderlich teuer und bietet somit dem jungen Ehepaar Nell (Angela Bettis) und Steven Barrows (Brent Roam) eine brauchbare Übergangslösung. Als Nell jedoch registrieren muss, dass einige ihrer Nachbarn, darunter ihre neue Freundin Julia (Juliet Landau), urplötzlich verschwinden, beginnt sie zu ahnen, dass im Lusman Arms nicht nur das poröse Gebälk für Unbehagen sorgt und stellt Nachforschungen an. Ein mysteriöser Tipp des alternden Mieters Chas Rooker (Rance Howard) bringt sie schließlich auf eine ungeheuerliche Spur – offenbar befindet sich ein Haus im Haus…

Als nominelles Remake von Dennis Donnellys rüdem, sechsundzwanzig Jahre älterem Slasher „The Toolbox Murders“ hat Tobe Hoopers schönes, durchaus stilvolles Spätwerk mit dem Original bestenfalls den Titel gemein und ansonsten zwei, drei nachrangige inhaltliche Motive wie den Werkzeugkoffer als wesentliches Mordinstrument sowie das Mietshaus als Tatort. Ansonsten geht das Hoopers Film zugrunde liegende Script (Jace Anderson/Adam Gierasch) wesentlich geschickter und interessanter zu Werke. In Donnellys Film, einem Exploitationfest erster Garnitur, zerschnetzelte Cameron Mitchell als Hauseigentümer in einem Anfall aus Verlustwahn und später Misogynie die Einwohnerinnen seines Hauses, während bei Hooper gewisse okkultistische Einflüsse zu verzeichnen sind und zudem die Identität des monströs entstellten (und daher maskierten) Killers weitgehend unentschlüsselt bleibt. Doch selbst dieser scheint Hoopers Interesse eher in geteiltem Maße sowie als Mittel zum Zweck zu beanspruchen, vielmehr wirkt „The Toolbox Murders“ auf mich wie eine kleine, derbe Bastardfortsetzung von Polanskis klassischer Mietshaus-Trilogie, wobei vor allem deren Mittelteil „Rosemarys Baby“ als thematischer Spender fungiert haben könnte. Gewiss, das Bramford in Manhattan wirkt noch um Einiges unheimlicher als das topographisch diametral befindliche Lusman Arms an der Westküste, aber dessen buchstäbliche Eingeweide haben es nicht minder in sich. Wie das große Vorbild einst von einem in hohem Maße an schwarzmagischen Ritualen interessierten Bauherrn errichtet (anstelle von Adrian Marcato wäre das im vorliegenden Falle ein gewisser Jack Lusman) hat das Gebäude noch ganz andere Zwecke als die Beherbung illustrer MieterInnen und wie bei Polanski (bzw. Ira Levin) setzt sich der unheilvolle Einfluss des Erbauers bereits seit den lang zurückliegenden Tagen des Richtfests fort.
Und wie Rosemary Woodhouse ist die jungverheiratete, zierliche Nell Barrows häufig allein zu Hause, lernt Mitbewohner im Waschkeller kennen und scheint als einzige aufrichtigen Argwohn gegenüber dem zu empfinden, was sich doch vor aller Augen abspielt. Die aufschlüsselnde Idee, dass das Lusman Arms nichts anderes ist als ein um ein früheres Einparteinhaus „herumkonstruiertes“ Gebäude, dessen „Gekröse“ gleichermaßen das heimliche Refugium des Maskenkillers darstellt, finde ich doch ziemlich famos. „Toolbox Murders“ pflegt darüber hinaus auch einen schönen, subtilen Humor, etwa in der Skizzierung der im Lusman Arms arbeitenden und wohnenden Menschen, die, zumal in ihrer Konzentration, ein hübsch schräges Ensemble abgeben.
Ein beachtlicher Film eines noch immer allzu unterschätzten Genremeisters – und, wie er selbst, leider viel zu übersehen.

8/10

ETERNALS

„When you love something, you protect it.“

Eternals ~ USA 2021
Directed By: Chloé Zhao

Zehn nicht alternde, außerirdische Superwesen – Ajak (Salma Hajek), Ikaris (Richard Madden), Sersi (Gemma Chan), Thena (Angelina Jolie), Kingo (Kumail Nanjiani), Phastos (Bryan Tyree Henry), Gilgamesh (Dong-seok Ma), Druig (Barry Keoghan), Makkari (Lauren Ridloff) und die ewig in einem Kinderkörper gefangene Sprite (Lia McHugh) – die Eternals, wurden vor 7000 Jahren auf die Erde gesandt, um die Menschen vor den Deviants, ebenfalls extraterrestrischen, monströsen Kreaturen zu beschützen und so die ungestörte Entwicklung des homo sapiens zu gewährleisten – zumindest glauben die meisten von ihnen das. Tatsächlich, so müssen die verbliebenen Eternals in der Gegenwart nach dem unerwarteten Tod ihrer Anführerin Ajak erfahren, dient ihre Anwesenheit auf dem Planeten einem ganz anderen Zweck: Geschaffen als künstliche Handlanger der gottgleichen Celestials, kosmischer Entitäten, die die Geschicke des Universums lenken, liegt die heimliche Aufgabe der Eternals darin, die Geburt eines weiteren Celestials, Tiamut, der seit Äonen im Erdinneren seiner Erweckung harrt, vorzubereiten. Die ebenfalls von den Celestials kreierten Deviants dienen dabei eigentlich als reines Ablenkungsmanöver, doch auch einer von ihnen, Kro (Bill Skarsgård), durchlebt eine rasche Evolution, indem er sich die Essenz der toten Ajak einverleibt. Als die heuer in London lebende Sersi durch eine telepathische Brücke von Ajak und den hernach folgenden Kontakt zum Celestial Arishem die Wahrheit über ihr Hiersein erfährt, beginnt eine verlustreiche Schlacht um das Schicksal der Welt.

Der stilprägende Autor und Zeichner Jack Kirby, vielleicht etwas vollmundig auch als „William Blake der Neunten Kunst“ hofiert, der gemeinsam mit Stan Lee im Silver Age für einige der wichtigsten Kreationen der Marvel Comics verantwortlich zeichnete, genoss nicht zuletzt aufgrund seines überwältigenden Renommees in der Szene in den Siebzigern umfassende künstlerische Narrenfreiheit, wenngleich er selbst sich von seinem Hausverlag zwischenzeitlich unfair behandelt wähnte. Diese gestattete es ihm, sowohl für die Konkurrenz von DC als später dann auch für Marvel, einige höchst eigenwillige, überbordernde high concept cosmic operas mit psychedelischem Anstrich zu schaffen, die zunächst jeweils kommerziell erfolglos blieben, in beiden Comic-Universen jedoch ein bis in die Gegenwart reichendes Echo hinterließen. Im Falle Marvel handelte es sich dabei um die Eternals, weithin in cognito lebende, uralte Beschützer aus dem All, die wiederum von den übermächtigen Celestials geschaffen wurden. Die wahren Hintergründe ihrer Existenz wurden dabei in den Folgejahrzehnten von anderen Autoren unregelmäßig immer wieder aufgegriffen, erweitert und ausgebaut. Es erstaunt nicht wenig, dass ausgerechnet diese inhaltlich sperrigen, wenig zeitgemäßen Figuren für ein Werk der jüngsten MCU-Phase adaptiert wurden und auch das dazugehörige, filmische Resultat vermag jene Verwunderung auf den ersten Blick kaum auszuhebeln. Die Bezüge zwischen den Eternals/Celestials und dem restlichen Marvel-Universum dürften vonehmlich emsigen Comicphilologen geläufig sein und wirken hinsichtlich des zwar zunehmend komplexer werdenden, aber noch überschaubaren MCU-Narrativs vermutlich eher befremdlich. Für die Regisseurin Chloé Zhao dürften derlei akademische Spitzfindigkeiten allerdings ohnehin bestenfalls nebensächlich gewesen sein; sie bemüht sich redlich, ihren inszenatorischen Einstieg ins big business halbwegs amtlich über die Runden zu bringen und schafft dies nach meinem Dafürhalten auch in zufriedenstellender Weise zumindest für Zuschauer, die der optionalen, mythologischen Geräumigkeit des Konzepts MCU offen gegenüberstehen. Zhao als Co-Scriptorin interessiert sich vornehmlich für gesellschaftsrelevante Gegenwartsbezüge in Form gezielt installierter Diversität und die philosophischen Dimensionen, die die Eternals umwabern: bei ihr nimmt sich der kosmische Genpool ostentativ multiethnisch aus, Ajak, Makkari und Sprite wechseln ihr Geschlecht von männlich zu weiblich (womit das ursprüngliche Geschlechterverhältnis der Gruppe von 8:2 zu 50/50 changiert) und zumindest Phastos (im Film zudem kein muskulös gezeichneter Adonis, sondern unglamourös übergewichtig) lebt heuer offen homosexuell. Der strahlend-engelsgleich erscheinende Ikaris, ein unzweideutiges Pendant zu DCs Superman, entpuppt sich als der im Kern misanthropische, sein determiniertes „Schicksal“ als willfähriger Wegbereiter der Apokalypse ungerührt ausführender Holzkopf (ein Image, mit dem das Original ja seit eh und je konfrontiert wird), Kingo genießt seinen etwas albern anmutenden, popkulturellen Ruhm als Bollywood-Ikone und Druig pflegt die offene Rebellion gegen sein zur Passivität verdammtes Schicksal. Erstaunlicherweise gelingt es Zhao binnen der zweieinhalb Stunden Erzählzeit recht gut, fast all diesen Charakteren (einzig Gilgamesh und Makkari, zwei eigentlich doch sehr interessante Mitglieder der Eternals, bleiben bedauernswert unterentwickelt) eine hinreichend greifbare Basis nebst Weiterentwicklung zu verschaffen. Keinesfalls unintelligent strukturiert, vermag der Film ferner, die von steten Selbstzweifeln überlagerte, millenienlange Anwesenheit der Eternals auf der Erde mittels kompakt gefasster, welthistorischer Stationen zusammenzufassen. Außerdem wird endlich Dane Whitman (Kit Harrington) aka der zweite (gute) „Black Knight“ eingeführt, einer meiner Lieblingshelden seit Kindertagen, der hoffentlich in Kürze komplett berüstet und mit seinem geflügelten Ross Aragorn durch die MCU-Lüfte segeln wird. Die naturgemäß vornehmlich um Scharmützel mit den Deviants kreisenden Actionsequenzen bieten mediokren MCU-Standard und besitzen freilich nicht den choreographischen Schmiss einer perfekt inszenierten Avengers-Schlacht, aber auch das dürfte Chloé Zhao am Allerwertesten vorbeigehen. Für semiorgiastisch-geekige Glücksmomente sorgen natürlich wieder die Abspann-Einsprengsel: Thanossens diametral orientierter Bruder Eros/Starfox (Harry Styles) und Pip, der Troll (Patton Oswalt) vollziehen ihre überraschende Premiere; den neuen Blade (Mahershala Ali) kann man ganz zum Ende wenigstens schonmal akustisch genießen.
Nach „Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings“ hält die Qualitätsdemarkation jedenfalls ihr Niveau und euer Chronist ist, wenn schon nicht vollends begeistert, so doch (wiederum) satt und zufrieden.

7/10

VENOM: LET THERE BE CARNAGE

„Something wicked this way comes…“

Venom: Let There Be Carnage ~ USA 2021
Directed By: Andy Serkis

Eddie Brock (Tom Hardy) und der mit ihm verbundene Alien-Symbiont Venom leben ihre fusionierte Existenz mittlerweile wie ein altes Ehepaar. Als sich Brock die Chance eröffnet, durch ein Interview mit dem im Todestrakt von San Quentin einsitzenden Serienmörder Cletus Kasady (Woody Harrelson) seiner Reporterkarriere neuen Schub zu verleihen, nutzt er diese – zunächst erfolgreich. Ein weiteres Treffen mit Kasady kurz vor dessen Hinrichtung endet jedoch katastrophal: es gelingt dem Killer, sich ein Stück von Venom einzuverleiben, womit eine neue, todbringende Kreatur namens Carnage geboren ist. Kasady/Carnage entkommt, um sich mit seiner in der Anstalt Ravencroft einsitzenden Jugendliebe, einer mörderischen Mutantin namens Frances Barrison (Naomie Harris) alias Shriek, wiederzuvereinen und gemeinsam ihr früheres Kinderheim „St. Estes“ dem Erdboden gleichzumachen. Derweil trennen sich Brock und Venom nach einem heftigen Streit vorübergehend voneinander, müssen sich aber schließlich doch wieder zusammenraufen, um gemeinsam Carnages und Shrieks Amoklauf Einhalt zu gebieten.

Zu den eklatanten, aber noch langmütig aushaltbaren Problemen des Vorgängers gesellen sich im nunmehr von Andy Serkis inszenierten Sequel noch ein paar weitere hinzu. „Let There Be Carnage“ begreift sich primär als fröhlicher monster mash mit Partyallüren und leidet wiederum nachhaltig unter seiner erklärten Jugendfreundlichkeit, die selbst einem blutrünstigen Massenmörder wie Cletus Kasady noch den sinistren Nimbus nimmt. Mit seiner allenthalben überhasteten Dramaturgie und dem seine selten geistreichen Dialoge unter Dauerfeuer ausspeienden Script erinnert der zweite „Venom“ eher an die beiden sträflich missglückten „Batman“-Filme, die Joel Schumacher in den Neunzigern inszenierte und die den Dunklen Ritter nebst seiner finsteren Genesis zu einer bunten Zirkusattraktion aufweichten. Als hätte es sie letzten zwei Jahrzehnte Genrebildung im Superhelden-Adaptionsfach nicht gegeben, pfeift „Let There Be Carnage“ zu obigen Vorbildern passend auf jedwede Ernsthaftigkeit und tritt sowohl die existenzialistische Schwere der Snyder-Filme fürs DCEU als auch die zunehmende inhaltliche Komplexität des MCU so dreist wie lustvoll mit Füßen – es braucht dann auch nicht mehr die gewohnte Überlänge, um flaue Gags, Computerspielästhetik und entseelte CGI-Superwesen-Kloppereien in solch konzentrierter, dabei jedoch völlig unsubstanzieller Form aufzubieten. Ob man diesen buchstäblichen Affront gegen so ziemlich alles, was dem Superheldenfilmfan mittlerweile lieb und teuer ist, als notwendige Stilprovokation zu goutieren bereit ist oder eher genervt mit den Augen rollt, mag zu einem Teil reiner Rezeptionsdialektik geschuldet sein – offenkundige Schwächen wie die, kein konzises Gesamtbild hinterlassen zu können, lassen sich jedoch so oder so nicht fortleugnen. Der vermeintlich größte Clou findet sich dann erwartungsgemäß während der end credits, die, ermöglicht durch die Einführung des Multiverse-Konzepts drüben bei Disney, eine Brücke zum dort installierten „Spider-Man“ schlagen, was Sony in Kürze selbst unter nochmaliger Befleißigung dieses albernen Titelhelden neue Zuschauerrekorde bescheren wird.

4/10

ANTLERS

„I’m hungry.“

Antlers ~ USA/MEX/CA 2021
Directed By: Scott Cooper

Siprus Falls, Oregon. Die Kleinstadlehrerin Julia Meadows (Keri Russell) macht sich gesteigerte Sorgen um ihren Schüler Lucas Weaver (Jeremy T. Thomas). Der Junge wirkt zunehmend abgemagert und verwahrlost. Julia, die gemeinsam mit ihrem Bruder Paul (Jesse Plemons), mit dem sie zusammenwohnt und der Sheriff von Siprus Falls ist, in ihrer Kindheit selbst zu Missbrauchsopfern ihres Vaters geworden war, befürchtet bezüglich Lucas ein ähnliches Schicksal. Gemeinsam mit ihrer Rektorin Ellen Booth (Amy Madigan) und ihrem Bruder Paul beschließt Julia, ihrem Verdacht nachzugehen. Ein erster Hausbesuch bei den Weavers, wo Lucas mit seinem verwitweten Vater Frank (Scott Haze), einem auf lokaler Ebene berüchtigten Kriminellen, und seinem kleinen Bruder Aiden (Sawyer Jones) zusammenlebt, endet für Booth tödlich. Damit nicht genug finden sich bald weitere grausig zugerichtete Leichen und Tierkadaver. Der Jäger Warren Stokes (Graham Greene) ahnt um die alles andere als beruhigende Lösung des Rätsels…

Der Wendigo ist ein Naturdämon mit amorpher Gestalt aus der Sagenwelt der Algonquin-Ureinwohner. Dessen Geist besetzt seine Wirt, verändert ihn innerlich und äußerlich und verdammt ihn zu ewigem Hunger, der proportional zu jeder weiteren erlegten Mahlzeit anwächst. Auch vor Kannibalismus schreckt der fleischfressende Wendigo dabei nicht zurück. Für „Antlers“, seinen ersten Horrorfilm, greift Scott Cooper ebenjenen Mythos, der, zumindest in protagonistischer Funktion, bislang ausschließlich auf der B- und Indie-Genreebene Verwendung fand, auf und beschert ihm seine Studio-Premiere. Hier lauert der Wendigo zu Beginn im Inneren einer stillgelegten Mine, in der Frank Weaver und sein Kompagnon sich ein kleines Meth-Labor eingerichtet haben und damit die Unruhe des Wesens stören. Der Geist des Wendigo sucht sich nämlich spätestens dann stets einen neuen Gastkörper, wenn sein vorheriger vernichtet wurde. Nachdem Frank und Aiden erste Anzeichen jener unstillbaren Besessenheit zeigen, sorgt ersterer selbst dafür, dass beide in häuslicher Zwangsquarantäne bleiben, derweil Lucas sie mit Aas versorgt. Natürlich kann der Wendigo in Franks Körper fliehen und beginnt sein blutiges Treiben unter freiem Himmel.
Coopers weitgehend in gepflegter Routine verharrendes monster movie verehrt dem Wendigo einen durchaus sehenswerten Großeinstand. Dabei orientiert sich das Script durchweg an klassischen Gattungsstrukturen, zumal solchen, in denen evil native spirits eine gehobene Rolle einnehmen. Erst nach und nach wird der in indianischer Geschichte freilich hoffnungslos unbeschlagenen weißen Community bewusst, welches übernatürliches Übel ihr auflauert und damit auch, welche Medizin dagegen einzusetzen ist. Die Protagonistin erfährt eine zusätzliche Charakter- und Motivationsebene durch ein persönliches Trauma, das sie empathisch für das Schicksal eines ihrer Schutzbefohlenen macht und jenen zu ihrem Schützling werden lässt. Ein wenig body horror kommt hinzu, wenn die gehörnte (respektiv „begeweihte“) Gestalt des Wendigo aus Franks Körper hervorbricht und als gewaltiges Ungetüm die Gegend unsicher zu machen beginnt. Das alles nimmt sich wie erwähnt angemessen kernig aus, begnügt sich jedoch damit, seinen sicheren Kurs stoisch beizubehalten und diesen nicht etwa von riskanten Innovationsbestrebungen stören zu lassen. Jene Vorgehensweise trägt „Antlers“ am Ende zwar keinen Innovationspreis ein, macht ihn aber doch zu einem weiteren, amtlichen Horrorstück der Gegenwart.

7/10

SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE TEN RINGS

„Welcome to the circus.“

Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings ~ USA/AUS 2021
Directed By: Destin Daniel Cretton

Wie seine jüngere Schwester Xialing (Meng’er Zhang) stammt Shang-Chi (Simu Liu) aus der märchenhaften Verbindung des uralten Eroberers und Meisters der Zehn Ringe, Xu Wenwu (Tony Leung), und der aus der magischen Zwischendimension Ta Lo stammenden Wächterin Li (Fala Chen). In San Franciscos Chinatown lebt Shang-Chi, seine Vergangenheit ignorierende, unter dem unverbindlichen Alias Shaun ein unspektakuläres Leben als Servicekraft – bis sich sein Vater auf brutale Weise zurück in seine Existenz mischt. Der trauernde Xu Wenwu glaubt, einen Hilferuf seiner bereits vor Jahren getöteten Li aus Ta Lo zu vernehmen. Dass sich dahinter tatsächlich ein weltenbedrohender Seelenfänger-Drache verbirgt, der mit Xu Wenwus Hilfe aus seinem Gefängnis entfliehen will, möchte dieser nicht wahrhaben. Es ist daher an Shang-Chi, seine beträchtlichen Fähigkeiten als Kung-Fu-Meister zu perfektionieren und seinem Vater gemeinsam mit seinen Verbündeten Einhalt zu gebieten, bevor der Seelenfresser den Weg in die Menschenwelt findet.

In der vierten MCU-Phase, die ja zu nicht unerheblichen Teilen auch von ihren bis dato durchweg gelungenen Serials zehrt und lebt, treten nunmehr auch weniger populäre HeldInnen in Aktion, darunter der 1973 debütierte „Master Of Kung Fu“ Shang-Chi. Dieser war, ähnlich wie zuvor Black Panther und Luke „Powerman“ Cage“ als Repräsentanten des new black consciousness, konzipiert als Comic-Antwort auf die vor allem durch Bruce Lee personifizierte Martial-Arts-Welle. Während damals noch diverse Verknüpfungen mit der Pulp-Figur Dr. Fu-Manchu, als dessen Sohn Shang-Chi vorgestellt wurde, in den Vordergrund gerückt wurden, hat der 25. MCU-Film derlei hausbackene Klischees nicht mehr nötig. Tatsächlich scheint man sich – soweit ich als diesbezüglicher Volllaie das beurteilen kann – um die eine oder andere ernstzunehmende Verbeugung vor der reichhaltigen chinesischen Mythologie bemüht zu haben und lässt dazu passend auch manch attraktives Wuxia-Element mit einfließen, freilich nicht, ohne die diversen obligatorischen Zwinkerer Richtung comicgeschultes Publikum zu vergessen. Ganz hübsch nehmen sich etwa die Reaktivierung des verschollen geglaubten Akteurs Trevor Slattery (Ben Kingsley) oder der überraschende Gastauftritt von Emil „Abomination“ Blonsky (Tim Roth) aus. Continuity wird weiterhin groß geschrieben im MCU, auch in der vermeintlichen Peripherie.
„Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings“ ist resümierend kein wirklich besonderer oder gar großartiger Film, er gefällt jedoch als farbenprächtiges und bildgewaltiges Fantasyspektakel, das auch Kindern Freude bereiten soll und dürfte. Ich persönlich hätte mir im Gegenzug vielleicht einen etwas erwachseneren, möglicherweise finstereren Ansatz gewünscht, aber man kann ja nicht alles haben.

7/10

DUNE: PART ONE

„Dreams make good stories, but everything important happens when we’re awake.“

Dune: Part One ~ USA/CA 2021
Directed By: Denis
Villeneuve

In ferner Zukunft hat die Menschheit Teile des Weltalls besiedelt. Ein Feudalsystem, geführt von einem allmächtigen Imperator, vereint mehrere Adelshäuser und dienende Instanzen. Die wichtigste Wirtschaftsressource ist das „Spice“, das sowohl als gesundheitsspendes und bewusstseinserweiterndes Halluzinogen genutzt wird als auch als Grundelement für einen Antriebsstoff, der interstellare Raumfahrt ermöglicht. Spice kann ausschließlich auf dem Wüstenplaneten Arrakis gewonnen werden, einer unwirtlichen Welt, auf der neben riesigen Sandwürmern die Fremen leben, ein perfekt an die Bedingungen angepasstes Volk. Wer Arrakis kontrolliert, verfügt über gewaltigen Reichtum und damit über gewaltige Macht. Der Imperator beruft aus Gründen der Balance offiziell Herzog Leto Atreides (Oscar Isaac) und die Seinen nach Arrakis, um die dortige, Jahrzehnte währende Vorherrschaft durch das Haus Harkonnen abzulösen. Letos Sohn Paul (Timothée Chalamet), von dem man bereits munkelt, er sei ein lang erwartete Erlöser, der ein goldenes Zeitalter einleiten könnte, träumt derweil von seiner möglichen Zukunft bei den Fremen. Kaum auf Arrakis angekommen, muss Herzog Leto feststellen, dass er zum Opfer einer Intrige wurde: Mit dem Segen des Imperators und der Hilfe der kriegerischen Sardaukar überfallen die Truppen des Barons Harkonnen (Stellan Skarsgård) seinen Palast. Nur Paul und seine Mutter Jessica (Rebecca Ferguson) können dem Gemetzel entkommen und treffen in der Wüste auf den Fremenclan der Sietch Tabr, der sie als Flüchtlinge anerkennt und mit sich nimmt.

Die nunmehr rund fünf Jahrzehnte währende Geschichte der realisierten und nichtrealisierten Filmadaptionen von Frank Herberts berühmtem Science-Fiction-Epos schreibt mit der aktuellen Verfilmung durch Denis Villeneuve ihr jüngstes Kapitel. Da sein „Dune“, um der Komplexität der Vorlage annähernd Herr werden zu können, auf zwei Teile angelegt ist, fällt eine Beurteilung dieses ersten, bereits recht stattlich ausgefallenen Segments nicht eben leicht. Immerhin wird der Zuschauer quasi mitten im Geschehen im Stich gelassen, was andererseits jedoch im Zeitalter vieler auf mehrere Kapitel ausgedehnter Franchises kein Novum darstellt und gewissermaßen feste Rezeptionsprämisse sein sollte. Solitär betrachtet kann man sich „Dune“ also weniger fruchtbar auf inhaltlicher Ebene nähern, was Villeneuves Version ironischerweise trotz völlig anders gearteter Paradigmen mit David Lynchs 36 Jahre zurückliegender Adaption verbindet. Immerhin wird dessen chaotisch anmutende Narration hier in sehr viel greif- und konsumierbarere Bahnen gelenkt, was jedoch zugleich auf Kosten der spezifizierten Gesamtgestaltung geht. Lynchs Film war mit seiner sperrigen, unzugänglichen Form etwas Außergewöhnliches, Villeneuves Variante ist es nicht. Was man zu sehen bekommt, ist ohne Frage ein audiovisuell reizvolles, äußerlich perfekt gestaltetes Kinoabenteuer, dem man, wie etwa Armond White in seiner wie gewohnt recht tendenziösen Review, auf Verlangen allerlei polithistorische Implikationen entnehmen kann, das nach „Star Wars“, „Lord Of The Rings“ oder „Harry Potter“ – um nur die populärsten Beispiele zu nennen – jedoch keinen echten kulturellen Impact mehr aufweisen kann. Die im Nukleus stehende Geschichte eines jugendlichen Helden, der innerhalb eines phantastischen Kontexts seinen ihm vorgezeichneten, verlustreichen Weg zum Retter antritt, ist dafür, wenngleich in zeitlich und örtlich alternierenden Ausprägungen, allzu hinlänglich bekannt und vielfach durchexerziert worden. Dabei gilt es zu bedenken, dass gerade Pulp-Geschichten wie beispielsweise die einst von George Lucas erdachte, sich in weiten Teilen eklatant auf Herberts Geisteswelten beziehen; die omnimediale Geschichte von „Dune“ und seinen Verfilmungen reziproziert sich also kulturell betrachtet fortwährend und tut dies auch weiterhin. Nur hilft jenes Faktum Villeneuves sich hochernst nehmendem Werk auch nicht wesentlich weiter. Für den flüchtigen Augenblick seiner Betrachtung ist es hübsch anzuschauen und gliedert sich dem bisherigen Œuvre des Regisseurs ästhetisch nahtlos an – viel mehr bleibt gegenwärtig aber nicht.

7/10

THE SUICIDE SQUAD

„Nom-nom?“

The Suicide Squad ~ USA/CA/UK 2021
Directed By: James Gunn

Die aus im Gefängnis einsitzenden, kriminellen oder geistesgestörten Metawesen bestehende, von Agent Amanda Waller (Viola Davis) rekrutierte „Task Force X“ aka „Suicide Squad“ erhält in weitgehend neuer Zusammensetzung einen weiteren Auftrag: Die Truppe soll auf der von einer Militärjunta beherrschten Karibikinsel Corto Maltese einfallen und eine von Regierungstruppen schwer bewachte Festung namens „Jotunheim“ zerstören, in der ein mysteriöses Forschungsprojekt names „Starfish“ beheimatet ist. Die Suicide Squad landet in zwei Abteilungen an der Küste von Corto Maltese, wobei die erste, mit Ausnahme von Colonel Rick Flag (Joel Kinnaman) und der verrückten Harley Quinn (Margot Robbie), unmittelbar aufgerieben wird. Die kleinere, aber deutlich wehrhaftere Abordnung besteht aus dem Söldner Robert DuBois (Idris Elba) alias „Bloodsport“, dem selbsternannten „Peacemaker“ Christopher Smith (John Cena), dem irren Laborexperiment Abner Krill (David Dastmalchian) alias „Polka-Dot-Man“, dem maritimen Halbgott Nanaue (Sylvester Stallone) alias „King Shark“ und der mit absoluter Macht über Ratten ausgestatteten Cleo Cazo (Daniela Melchior) alias „Ratcatcher II“. Gemeinsam arbeitet sich das Team bis in die Hauptstadt vor, nimmt den Projektleiter Gaius Grieves (Peter Capaldi) alias „Thinker“ gefangen und gelangt mit dessen Hilfe in die Mauern von Jotunheim. Die ursprüngliche Mission kann unter Verlusten erfüllt werden, doch mit der Einebnung des Gebäudes wird zugleich eine neue, furchtbare Gefahr entfesselt. Von nun an muss die Suicide Squad auf eigene Rechnung arbeiten…

Wie der „Guardians Of The Galaxy“-Betreuer James Gunn zu seinem Zwischenspiel beim DCEU kam, dürfte ja hinlänglich bewusst sein. Dass damit zugleich ein kleiner, kreativer Brückenschlag zwischen den beiden Comicfilm-Riesen vollzogen wurde, erweist sich als so gleichermaßen reizvoll wie schadenfreudig: Während Disney und MCU-Mastermind Kevin Feige Gunn vormals eher in weitgehend domestizierten Schranken arbeitenund seine bekanntermaßen im derberen Filmschaffen wurzelnde Kreativenergie sich in psychedelischen Space-Gags sublimieren ließen, konnte er bei DC zum ersten Mal seit seinem zweiten Film „Super“ wieder vollends die Sau durchs Dorf und es gerade so bunt treiben, wie ihm der freche Schnabel gewachsen ist. Das Resultat ist die erste echte splatter comedy im großbudgetierten High-End-Superheldenfilm, eine liebenswert-böshumorige Burleske, in der geholzt wird, dass die Schwarte kracht. Dabei wird die makrokosmische Anbindung an Zack Snyders DC-Trilogie aufrecht erhalten und es handelt sich tatsächlich auch nicht, wie gelegentlich aufzuschnappen war, um ein Reboot von David Ayers „Suicide Squad“, sondern um ein echtes Sequel, das zur gleichen Zeit allerdings eine umfassende Renovierung des Originals betreibt. Bekanntermaßen wurde Ayer damals gehörigst in die Schranken gewiesen und dazu angehalten, seine Vision dieses verlottertsten aller Heldenteams so jugendfrei als möglich abzuliefern. Die Gags darin nahmen sich dementsprechend eher durchgemangelt aus und der overfiend wenig denkwürdig. Mit all diesen kleinen und großen Faux-pas räumt Gunn in seiner sehr persönlich gefärbten Vision der Squad rigoros auf: Ihren selbstmörderischen Beinamen trägt die Task Force X nunmehr völlig zu Recht; unmittelbar zu Beginn wird der gewissermaßen zur Ablenkung der Kerngruppe dienenden Vorhut der Garaus gemacht, als gäbe es kein Morgen mehr und die Marschrichtung des Films damit auch gleich unumwunden vorgegeben. Der im Folgenden von Gunn ausgerollte Irrsinnsteppich besteht aus einem Füllhorn mitunter brillanter visueller Einfälle, kleinen, manchmal etwas überschmückt scheinenden Nebenepisödchen [über Wert und Nutzen der als Bypass eingeflochtenen Kurzromanze zwischen Harley Quinn und dem Inseldespoten Luna (Juan Diego Botto) ließe sich etwa diskutieren – zweifelsohne dient sie in erster Linie dazu, Robbie Screentime zu verschaffen] und natürlich dem famosen Endkampf gegen den klassischen JLA-Gegner Starro, einen gewaltigen, außerirdischen Seestern, der sich seine Untertanen mittels kleiner Versionen seiner selbst, die er auf deren Gesichter pflanzt, gefügig macht. Wenn man es recht bedenkt, konnte der in Gestalt und Ausprägung nicht mehr ganz zeitgemäße Starro auch nur von einem wie Gunn zum Leinwandleben erweckt werden, die meisten anderen Filmemacher hätten sich vermutlich bis auf die Knochen blamiert. Schließlich lassen sich Gebrauch und Kompilierung der Figuren als gehörig sarkastisches Statement begreifen – die zur neuen Suicide Squad zählenden Charaktere sind, natürlich mit Ausnahme von Fanliebling Harley Quinn, die, ohne allzu augenfällige Beschränkungen zu erfahren, im Prinzip das einzig greifbare räsonistische Bindeglied zwischen dem etablierten DCEU und Gunns abgefucktem Grand-Guignol-Zirkus darstellt, allesamt letztklassige Seitenfüller, an die sich in erster Linie wohl nur wandelnde Comic-Enzyklopädien erinnern werden. Dass es zugleich aber nur solche vergessenen TertiärschurkInnen sein können, mit denen Gunn ins Feld zieht, ist letzten Endes so evident wie eigentlich alles andere auch an diesem rüpelhaft-spaßigen Film.

8/10