BLACK ADAM

„Force is always necessary.“

Black Adam ~ USA/CA/NZ/HU 2022
Directed By: Jaume Collet-Serra

Kahndaq, ein kleines Land im Mittleren Osten, 2600 v.u.Z.: Hurut (Jalon Christian), der Sohn des versklavten Minenarbeiters Teth-Adam (Benjamin Patterson), erhält durch den Zauberer Shazam (Djimon Hounsou) gottgleiche Kräfte, setzt diese nach seiner Verwandlung zum Champion der Stadt jedoch scheinbar zu blutigen Rachezwecken gegen das Regime des Königs Ahk-Ton (Marwan Kenzari) ein, wird daher flugs wieder eingefangen und für die kommenden Jahrtausende sicher verwahrt.
In der Gegenwart steht Kahndaq wiederum unter einer Minidiktatur, die diesmal die kriminelle Organisation Intergang zu verantworten hat. Die Archäologin und Widerständlerin Adrianna Tomaz (Sara Shahi) will verhindern, dass Intergang in den Besitz der Krone von Sabbac gerät, die seinerzeit schon Ahk-Ton seine Macht verlieh. Während eines Scharmützels mit Söldnern befreit sie den noch immer verzauberten Champion aus seinem Gefängnis. Dieser setzt seinen gewalttätigen Feldzug sogleich fort, rettet Adrianna jedoch das Leben. Zeitgleich wird die umtriebige Amanda Waller (Viola Davis) auf die Ereignisse in Kahndaq aufmerksam und entsendet mit Carter „Hawkman“ Hall (Aldis Hodge), Kent „Dr. Fate“ Nelson (Pierce Brosnan), Maxine „Cyclone“ Hunkel (Quintessa Swindell) und Al „Atom Smasher“ Rothstein (Noah Centineo) vier Mitglieder der JSA (Justice Society of America), um den mächtigen Wüterich auf den Weg zur Tugend zurück zu führen. Dieser lässt sich jedoch nichts sagen und prügelt unverzagt gegen das Superheldenquartett los, bis er sich als Teth-Adam entpuppt, auf den Hurut einst seine Kräfte übertrug. Nach einem vermeintlich siegreichen Kampf gegen Intergang-Oberhaupt Ishmael (Marwan Kenzari), der sich als letzter lebender Nachfahr König Ahk-Tons der Krone von Sabbac zu bemächtigen trachtet, ergibt sich Teth-Adam der JSA und lässt sich in kryogenischen Schlaf versetzen. Doch Ishmael kehrt als Sabbac himself aus der Hölle zurück und nun bedarf es doch wieder eines Teth-Adam, um Kahndaq und die gesamte restliche Welt ein weiteres Mal zu retten…

„Black Adam“ erweist sich schon nach den ersten Minuten als bislang zweitschwächster Vertreter des revitalisierten Kino-DCEU, nur unwesentlich ansehnlicher als der erste „Suicide Squad“-Beitrag von David Ayer (wobei ich „Birds Of Prey And The Fantabulous Emancipation Of One Harley Quinn“ allerdings wohlweislich ausgespart habe). Die Gründe für das mäßige Abschneiden von Collet-Serras Comicadaption sind dabei durchaus vielgestaltig: Der Film versteht sich in seiner Gesamtheit zuvorderst als Vehikel für seinen Hauptdarsteller, dessen gebuildeter Body selbst noch gut sichtbar durch das schwarze Shazam-Kostüm des Titelhelden prangt. Immerhin bekommt man mit „dem Felsen“ unter Verzicht auf die pomadige Frisur und die spitzen Ohren des gezeichneten Vorbildes ein amtliches physiognomisches Alias geliefert, der die tiefbrodelnde Wut des aus der arabischen Antike stammenden, Fascho-Liberalen Teth-Adam sogar momentweise zu transportieren weiß. So erreicht „Black Adam“ seine denkwürdigsten Momente, wenn der kräftemäßig Superman durchaus gewachsene Protz mit den bösen Jungs von Intergang aufräumt und seinem kleinen Stadtstaat quasi im Alleingang eine Führungsrenovierung verabreicht. Daran, den insbesondere u.a. von den Autoren James Robinson, David S. Goyer und Geoff Johns (der hier wie so oft mitproduziert hat) innerhalb der ab 1999 formidabel relaunchten JSA-Strecke reaktivierten Black Adam in all seiner facettenreichen Charakterisierung zu zeigen, ist der Film indes mitnichten interessiert. Als buchstäblicher Anti-Held, der im Gegensatz zu diversen seiner Kolleginnen und Kollegen einen sehr dehn- und somit streitbaren Moralbegriff pflegt, ist Teth-Adam zugleich auch Massenmörder, Verschwörer und Diktator; einer, der stets die eigenen Ziele im Blick hat und mit Kahndaq, ähnlich wie der bei der Konkurrenz von Marvel beheimatete Dr. Victor Von Doom mit Latveria, seinen eigenen, kleinen Problem- und Schurkenstaat regiert. Für derlei Tiefenschärfe findet sich in dem auf oberflächlichen Popcornrabatz getunten „Black Adam“ jedoch kein Platz. In ihrem ersten Kinoauftritt schrumpft die JSA, immerhin das allererste Superheldenteam überhaupt und seit 82 Jahren zur Stelle, zweifelsohne der Komplexitätsreduktion wegen auf ein eher niedliches Miniclübchen zusammen, das in dieser Ausprägung natürlich nicht gegen Teth-Adam bestehen kann. Es macht jedoch selbst mit Einschränkungen Freude, Figuren wie Hawkman und Dr. Fate in Aktion auf der großen Leinwand erblicken zu können. Und dann ist da ja noch Henry Cavills Auftritt während der end credits. Dass wahre Gänsehautmomente – und dies sei bitte ironisch aufzufassen – sich am besten im Abspann machen, hat DC immerhin von Marvel gelernt. Leider nicht wesentlich mehr.

6/10

SAMARITAN

„Things start to fall apart when you stop caring, and I stopped caring a long time ago.“

Samaritan ~ USA 2022
Directed By: Julius Avery

Granite City: Vor vielen Jahren verschwanden die beiden sich bekämpfenden Superwesen Samaritan und Nemesis, zwei für das Gute respektive das Böse einstehende Zwillingsbrüder, nach einer gewaltigen Kraftwerksexplosion. In der Gegenwart wird der dreizehnjährige Sam (Javon ‚Wanna‘ Walton) auf seinen betagten Nachbarn, den als Müllmann arbeitenden Joe Smith (Sylvester Stallone), aufmerksam. Eines Tages knöpft sich dieser ein paar Schläger vor, die es auf Sam abgesehen haben und prügelt sie windelweich. Für den Jungen steht fest: Joe muss der verschollene Samaritan sein. Während der Gangsterboss Cyrus (Pilou Asbæk), ein glühender Verehrer von Nemesis, versucht, Sam unter seine Fittiche zu nehmen, bemüht sich dieser, dem grummeligen Joe die Wahrheit über seine Identität zu entlocken. Als Cyrus sich schließlich anschickt, Granite City in Chaos und Anarchie zu ersäufen, tritt Joe aus den Schatten…

Samaritan und Nemesis, das sind nicht zuletzt auch zwei längst existente, jedoch völlig voneinander unabhängig kreierte Comic-Schöpfungen. Ersterer bildet das „Superman“-Pendant in Kurt Busieks glücklicherweise nicht tot zu kriegender, wunderhübscher Image-Superheldenparaphrase „Astro City“; den Namen Nemesis trugen indes seit Jahrzehnten bereits viele Figuren. Die zum vorliegenden Film passendste Maßgabe wäre wohl ein komplett weißgewandeter Anarcho-Superschurke, den Mark Millar vier Ausgaben lang in einer 2010er-Miniserie für das Marvel-Imprint-Label Icon wüten (und sterben) ließ.
Da beide Bezeichnungen hinlänglich gebräuchliche Termini bilden, musste hier wohl kein Rechtsstreit vermutet werden, denn die Film-Samaritan und -Nemesis haben mit ihren graphischen Namensvettern bestenfalls ganz wenig zu tun.
Als VoD bei Amazon gestartet, hängt sich „Samaritan“ eher an die Gattung der kleinen, vorlagenfreien Bypass-Superhelden-Filme, die seit dem großen Marvel-Launch immer wieder kurz aufblitzen. Gedacht dürfte das Ganze primär gewiss als ein weiteres Vorzeigealterswerk für seinen Hauptdarsteller sein, der seine vielfach erprobte und nachgewiesene Schlagfertigkeit jetzt durch Superkräfte ergänzt und sich in diesem Zuge gleich noch viele kleine Reminszenzen an die eigene Ikonographie und vor allem das eigene Œuvre gestattet. Sein Titelcharakter, der urban anonymous Joe Smith, der berufs- und hobbymäßig Mülltonnen leert und, gewissermaßen als Traumabewältigung, gern weggeworfene, kleine elektronische und mechanische Dinge repariert, könnte freilich ein enger Verwandter von Rocky Balboa sein; Habitus und Gestus jedenfalls ähneln sich auffallend. Geht es in Aktion, lugen derweil eher die Großreinemacher vergangener Tage hervor, was im Finale sogar in einer hübschen Hommage an „Cobra“ gipfelt. Dazwischen müht sich „Samaritan“ redlich (obschon nicht immer wirklich erfolgreich), althergebrachte, überkommene Schwarzweiß-Schemata zu relativieren und dieser Botschaft mit der jungen Hauptfigur des Sam Cleary (von Javon Walton glücklicherweise glänzend dargeboten) gleich noch einen didaktischen Überbau zu verleihen. Im Grunde passt auch dieses Bestreben sich recht genuin Stallones ewiger Eigenkultivierung an.
In der Summe ergibt all das einen erwartungsgemäß wenig innovativen, dafür aber umso liebenswerteren Spätbeitrag zum stolzen Schaffen seines Stars, einem, der das Strahlen par tout nicht verlernen mag.

7/10

ONDSKAN

Zitat entfällt.

Ondskan (Evil) ~ S/DK 2003
Directed By: Mikael Håfström

Stockholm in den späten Fünfzigern. Der intelligente Teenager Erik Ponti (Andreas Wilson) fällt immer wieder durch brutale Schlägereien und andere kriminelle Aktionen auf, allesamt wohl umwegige Reaktionen auf die körperlichen Misshandlungen durch seinen gewalttätigen Stiefvater (Johan Rabaeus). Als er schließlich polternd der Schule verwiesen wird, sieht Eriks Mutter (Marie Richardson) die letzte Chance für ihren Filius, einen Abschluss zu bekommen, in einem Internatsplatz. Nachdem sie diverses Mobiliar veräußert hat, meldet sie Erik an der Eliteschule Stjärnsberg an. Dort herrscht eine traditionsreiche Hackordnung, die darin besteht, dass die Primaner die jüngeren Schüler mittels allerlei selbstherrlicher Regeln herumkommandieren, drangsalieren und erniedrigen. Erik verweigert jedoch jedweden Gehorsam und macht sich so zum obersten Hassobjekt des Schülersprechers Silverhielm (Gustaf Skarsgård) und seines Adlatus Dahlen (Jesper Salén). Deren Unterdrückungsversuche, die bald dazu dienen sollen, ihn aus der Reserve zu locken und ihn somit fliegen zu lassen, prallen samt und sonders an Erik ab, insbesondere, nachdem dieser die Schulmeisterschaft im Schwimmen gewinnt. So entwickelt man diverse alternative Strategien, darunter die, Eriks sanften Zimmergenossen Pierre (Henrik Lundström) zu tyrannisieren…

Der bereits 1981 erstveröffentlichte, autobiographische Roman „Ondskan“ des schwedischen Journalisten und Erfolgsautors Jan Guillou zählt zu den meistgelesenen muttersprachlichen Büchern im Land und erhielt auch Einzug in den deutschen Schulliteraturkanon. Bis zur weitestgehend kongenialen Filmadaption dauerte es dennoch einige Jahre, wobei die Wartezeit sich als lohnend erwies: Mikael Håfströms „Ondskan“ präsentiert sich als vielschichtiges Coming-of-Age-Drama, dessen diskursive Essenz sich vor allem auf den Topos „Selbstbehauptung innerhalb eines restriktiv-repressiven Systems“ kapriziert. Erik Ponti, „der Neue“, oder „die Ratte“, wie er von den Primanern um den sadistischen Silverhielm bald höhnisch gerufen wird, steckt nämlich in einem schweren Identitätsdilemma. Als durchaus selbst gewaltaffiner, erfahrener Schläger, dem es ein leichtes wäre, auch den älteren Fatzkes von Stjärnsberg unvergessliche Lektionen zu erteilen, darf er um keinen Preis zurückschlagen, denn das würde ihn den kostspieligen Schulplatz sowie den Abschluss kosten und seiner Mutter das Herz brechen. Es bedarf also anderer Mittel und Wege, um sich durchzusetzen, ohne zum Ausgestoßenen zu werden. Eriks nun folgender Weg gestaltet sich entsprechend mühsam und entbehrungsreich. Die Strafexerzizien von Silverhielm und seinem Gefolge werden zunehmend exzessiv und perfid, analog zu Eriks gleichbleibend stoischer Renitenz ihnen gegenüber. Der Lehrkörper indes schaut, obschon es durchaus liberal und fair denkende Didaktiker darunter gibt, gezielt weg und vertraut ganz auf das pädagogische Prinzip der „Selbsterziehung“ unter den Eleven – schließlich „funktioniert“ selbiges schon seit Jahrzehnten.
Allerdings ergibt sich aus Eriks stetig weiter kultiviertem Heldenstatus (und damit auch Guillaus Selbstbeweihräucherung) zugleich ein latentes Problem innerhalb des Narrativs, verfolgt es trotz aller treffender Anklagepunkte in Richtung Faschismus, Filz und Dünkelhaftigkeit doch eine unverhohlen darwinistische Denkweise. Erik kann am Ende nämlich nur reüssieren, weil er genügend Stärke, Cleverness und vor allem Resistenz besitzt, um sich durchzusetzen. Ein intellektuell geprägtes Individuum wie sein Freund Pierre Tanguy, Befürworter von Gandhis weg des gewaltfreien Widerstands oder Strindbergs Arbeiten, scheitert an den Repressalien der Älteren. Zu weich, zu verkopft – kurzum: zu schwach ist er, um Ungerechtigkeit und Despotismus langfristig ertragen zu können. Erik derweil macht aus seinen offenkundigen Vorbildern Elvis, Brando, Dean schon äußerlich keinen Hehl und wird wie sie schlussendlich rebellisch und findig genug sein, um den Spieß umdrehen zu können.
Man mag das mehr oder weniger genießbar finden – „Ondskan“ ist infolge diverser untadeliger Qualitätsmerkmale von der Inszenierung bis hin zu den darstellerischen Leistungen insgesamt ein starker Film, der zumindest zeigt, wie wichtig es vor allem für Heranwachsende ist, eine stabile moralische Agenda zu entwickeln.

8/10

LE JEUNE AHMED

„In schā‘ Allāh.“

Le Jeune Ahmed ~ BE/F 2019
Directed By: Jean-Pierre Dardenne/Luc Dardenne

Der dreizehnjährige Ahmed (Idir Ben Addi) wächst in einer weitgehend säkularisierten Familie auf. Seine alleinerziehende Mutter (Claire Bodson) verzichtet auf den Hijab und trinkt zum Essen ein Glas Wein, seine ältere Schwester (Cyra Lassman) kleidet sich figurbetont. In Imam Youssouf (Othmane Moumen), der eine strenge, radikale Interpretation des Koran predigt, findet Ahmed, dessen Cousin als IS-Märtyrer gestorben ist und von der einschlägigen Internet-Community als Märtyrer verehrt wird, eine Art Ersatzvater. Ahmeds eigene Radikalisierung dauert nur wenige Wochen und geht sowohl mit strengstens praktizierten Riten als auch einer wachsenden, sich zunächst richtungslos aufbauenden Aggression einher. Sein Hass kanalisiert sich schließlich auf die Person einer der Lehrerin Madame Inès (Myriem Akkheddiou), die jungen, muslimischen Immigranten umgangssprachliches, vom Koran abgewandtes Arabisch beibringen möchte und dabei zudem „unkonventionelle“ Methoden wie Musikunterricht einfließen lässt. Auch Imam Youssouf ist die progressiv denkende Frau ein Dorn im Auge. Für Ahmed steht fest, dass es seine Aufgabe als eherner Gotteskrieger ist, Inès zu töten. Der umgehend geplante und ausgeführte Versuch misslingt jedoch und Ahmed landet in einer Besserungsanstalt. Es bedarf jedoch erst eines spürbaren Schicksalsschlags um ihn zu echter Reue zu bewegen.

Der vorletzte Film der Frères Dardenne wurde vom internationalen Feuilleton so kontrovers aufgenommen wie keiner zuvor. Die so zuverlässig kunstfertigen, seit nunmehr über zwei Dekaden für bewegendes Autorenkino stehenden Filmemacher schienen also mit Mitte 60 urplötzlich die Chuzpe, sich eines aktuellen, dazu akut dräuenden politischen Themas anzunehmen, das ziemlich weit über ihren bislang so wohlfeil gepflegten, sozialkritischen Duktus hinausschoss und mit selbigem scheinbar so gar nichts mehr zu tun haben mochte; eines Themas zudem, das doch bereits in den Jahren zuvor so ergiebig von anderen Kunstschaffenden verhandelt wurde. Eine ausgefeilte Psychologisierung des Protagonisten befände sich da in lässlicher Ermangelung, die Perspektive auf den komplexen Topos sei eine entschieden tendenziöse. Das die Läuterung implizierende „Schicksalsende“ schließlich käme hilflos bis banal daher. Die Dardennes befleißigten sich sogar gezielter „Horrormechanismen“, um Ahmed als emotionslosen, bösen Wechselbalg dastehen zu lassen. In Anbetracht dieser seltsam uniform anmutenden, mitunter unglaublich daneben liegenden Rezensionen bleibt nur der Schluss, dass eine auch nur ansatzweise auteuristische Sicht auf „Le Jeune Ahmed“ zugunsten salonlinker Selbstproduktion der AutorInnen fast schon stoisch ausgespart wurde. Der Hauptfehler besteht zunächst darin, dem Film einen politisch relevanten Ansatz zu unterstellen. Eine solche rezeptorische Prämisse muss zwangsläufig ins Leere laufen, denn darum geht es wenn überhaupt nur allerhöchst partiell. Diverse Sujets und Elemente früherer Dardenne-Filme finden sich stattdessen unschwer auffindbar in „Le Jeune Ahmed“, der wie jeder weitere Film der Brüder aus dem immergleichen, dabei in steter Bewegung befindlichen Motivpool schöpft, um dessen bewusste Topoi nurmehr aufs Neue zu repetieren und zu variieren. Lässt man die narrative, im Prinzip völlig austauschbare Folie des radikalisierten Nachwuchsmuslim kurzerhand beiseite, bleibt im Nukleus die Geschichte eines verwirrten, haltlosen Jungen an der Schwelle zur Pubertät, der sich ebenso nach erwachsenen, dezidiert männlichen Bezugspersonen sehnt wie nach Verständnis, Zärtlichkeit und Liebe und im Angesicht von deren jeweiliger Versagung eine falsche Abzweigung nimmt. Als denkbar greifbarste und naheliegendste Emotion, die ihn aus der Orientierungslosigkeit herausführt, wählt Ahmed jene verhängnisvolle Kombination aus extremistischer Disziplin und gezielt projiziertem Hass, die den im Diffusen geführten Djihad für entsprechend anfällige Kinder und Jugendliche so reizvoll macht. Auch ein Katalysator ist rasch bei der Hand – die ebenso aufopferungsvolle wie weltoffene Lehrerin Inès, die sich besonders engagiert um ihre Schützlinge kümmert und von Ahmed (dessen akute Wandlung ihr natürlich nicht verborgen bleibt) erwartet, dass er ihr zum Abschied die Hand gibt. Seine erklärte Mission, Inès im Auftrag Gottes zu töten, trägt Ahmed fortan durch die Tage, Wochen und Monate und verliert trotz aller Bemühungen seitens Sozialarbeit, Psychologie und Rehabilitation niemals an Gewicht. Ahmed verschließt sich in sich selbst, bleibt höflich, aber stets reserviert im Umgang und wahrt geschickt seine klar konturierten Scharia-Prinzipien zwischen harām und halal, ohne Verdacht zu erregen. Als die Farmerstochter Louise (Victoria Bluck) Ahmed gesteht, dass sie sich in ihn verliebt hat und ihn küsst, kulminiert die hormonelle Konfusion des Jungen abermals, woraufhin er den Mord an Inès zum nunmehr dritten und entscheidenden Mal in die Tat umzusetzen sucht. Es bedarf, wie bereits bei Ahmeds Alters- und Leidensgenossen Cyril in „Le Gamin Au Vélo“ erst einer buchstäblich geraumen Fallhöhe, um ihn zum endgültigen Umdenken zu bewegen. Ob dies von Dauer sein wird, bleibt wie üblich der guten Hoffnung des Publikums überlassen. Anders als die Erkenntnis, dass die Dardennes ungebrochen exzellente Arbeit liefern.

8/10

LE GAMIN AU VÉLO

Zitat entfällt.

Le Gamin Au Vélo (Der Junge mit dem Fahrrad) ~ BE/F/I 2011
Directed By: Jean-Pierre Dardenne/Luc Dardenne

Cyril (Thomas Doret), ein Junge von vielleicht 12, 13 Jahren, lebt im Heim. Als er registriert, dass sein Vater Guy (Jérémie Reiner) nicht nur sang- und klanglos den Wohnort gewechselt, sondern auch Cyrils geliebtes Fahrrad verkauft hat, hat, wird sein Verhalten noch renitenter als ohnehin schon. Verzweifelt versucht er, den Kontakt zu Guy wieder aufzunehmen. Durch Zufall begegnet Cyril bei seinen Nachforschungen der Friseurin Samantha (Cécile de France), die sich ohne zu zögern des Jungen annimmt, ihm sein Fahrrad zurückkauft und ihn sogar an Wochenenden in ihre Obhut nimmt. Nachdem Cyril nach einem gemeinsam Besuch mit Samantha bei seinem Vater, der eine neue Lebensgefährtin (Selma Alaoui) hat und in deren Restaurantküche arbeitet, aufs Schmerzlichste erfahren muss, dass Guy keinen Kontakt mehr mit ihm wünscht, gerät er an den kriminellen, jugendlichen Rattenfänger Wes (Egon Di Mateo), der Cyril zu einem Raubüberfall auf einen Zeitungsverteiler (Fabrizio Rongione) anstiftet. Mit allen Mitteln versucht Samantha, den Kontakt zwischen Cyril und Wes zu unterbinden – doch vergebens. Der Junge zieht den Überfall durch und wird dabei erkannt. Straffällig geworden, muss Cyril gleich in mehrfacher Weise Verantwortung für sein Handeln übernehmen.

„Le Gamin Au Vélo“ führt die Dardennes erneut ein kleines Stück weiter an den Gebrauch konventionellerer Mittel heran – mit Cécile de France leisteten sie sich erstmals eine bereits international etablierte Hauptdarstellerin und sogar eine kleine musikalische Weise darf mehrfach (insgesamt viermal) ertönen, die jeweils die Funktion einer Art Kapitelüberleitung übernimmt. Motivisch bewegt man sich indes auf etabliertem Terrain – eine Coming-of-Age-Story, in der ein/e bereits biographieversehrte/r ProtagonistIn sich den Wirrnissen des Lebens stellen muss, sich in diesen (vorübergehend) verliert und schließlich an eine existenzielle Weggabelung gerät, hatten die Dardennes ja bereits mehrfach angeordnet und auskultiert. Insoweit stellt Cyril eine weitere Facette jenes vormals eingehend behauenen Charaktertotems dar, dessen Ausprägungen auch Figuren wie Igor, Rosetta, Bruno und ansatzweise auch die verirrte Lorna hervorbrachte. Und wiederum gibt es Avancen an klassische Literaturvorbilder. Wie einst Oliver Twist an den üblen Fagin gerät Cyril an den „Organisator“ Wes und wie Pinocchio seine gute Fee findet Cyril die ihm gegen alle Widerstände beistehende Samantha. Einzig ihre wie aus heiterem Himmel fallende, kompromisslose Zuneigung und Liebe ermöglicht Cyril eine Begradigung seiner verwundeten Persönlichkeit und vermutlich auch ein krisenentledigteres Erwachsenwerden. Allerdings lassen die Dardennes an Cyril auch eine letzte, physisch spürbare Sanktion nicht vorübergehen, gewissermaßen eine möglicherweise notwendige Lebenslektion, die den Jungen erst auf ganzer Linie „begradigen“ wird. Inwieweit diese letzte „Tracht Prügel“ sowohl für Cyril als auch für den Film notwendig ist oder ob sie lediglich dazu angedacht war, ein klimaktisches Finale zu setzen und das Publikum noch ein letztes Mal emotional zu affizieren, erschließt sich mir nicht ganz. Dennoch ist man nunmehr aufrichtig davon überzeugt, dass Cyril seine Lektion gelernt hat.

8/10

LITTLE CHILDREN

„So now cheating on your husband makes you a feminist?“

Little Children ~ USA 2006
Directed By: Todd Field

East Wyndam, Massachusetts. Die unzufriedene Hausfrau und Mutter Sarah Pierce (Kate Winslet) und der nicht minder unzufriedene Hausmann und Vater Brad Adamson (Patrick Wilson) beginnen quasi vom Spielplatz weg eine mehr oder weniger heimliche Affäre, für die die herbeiforcierte Freundschaft ihrer beiden kleinen Kinder (Sadie Goldstein, Ty Simpkins) als halbherziges Alibi fungiert. Die Flucht aus den Käfigen ihrer familiären Scheinsicherheit beschert dem unmoralischen Paar einen glücklichen Sommer, ein Ausbruch mitsamt gemeinsamer Zukunft erweist sich jedoch als träumerisches Luftschloss. Dann ist da noch der gestörte Pädophile Ronnie J. McGorvey (Jackie Earle Haley), der der gesamten Gemeinde ein Dorn im Auge ist und besonders von Brads Footbalkumpel Larry (Noah Emmerich), einem frustrierten Ex-Cop, aufs Korn genommen wird…

Amerikanisches Qualitätskino, Literaturverfilmung, Kleinstadtsatire und Ensemblestück in einem – diesbezüglich bildet Todd Fields „Little Children“ ganz gewiss keine Ausnahme von der keinesfalls marktunüblichen Regel. Im verspäteten Fahrwasser von observationsbeflissenen, neuenglischen Erfolgsautoren wie John Irving und Rick Moody (nebst Adaptionen) oder Sam Mendes‘ „American Beauty“ bemüht sich Fields zweite (und bis dato letzte) Regiearbeit, selbst als im weitesten Sinne literarisch zu erscheinen – ein auktorialer Off-Erzähler (Will Lyman) deklamiert mehr oder weniger regelmäßig mit gottesgleichem Timbre, was die handelnden Figuren umtreibt und motiviert. Das ist vor allem chic und vermeintlich wichtig, wirkt schlussendlich aber doch ein wenig wie eine scheinintellektuelle, tatsächlich jedoch redundante Veredelung der genuin filmischen Stilmittel. Diese hätten auch trefflich für sich selbst sprechen mögen, wobei die Klischees, mit denen „Little Children“ hausiert, auch so in die Legion gehen; seien es die bornierten Hausmütterchen-Nachbarinnen der akademisch gebildeten Sarah, die zu konservativ (oder einfach zu blöd?) sind, „Madame Bovary“ zu verstehen, seien es die eindimensionalen Charakterisierungen des wilden Liebespaares und seiner sich spiegelnden Lebenssituationen, sei es der wie stets sehenswerte Jackie Earle Haley, dessen Figur ausnahmslos sämtliche Stereotypen des sozial dezidiert aussortierten Kinderschänders erfüllt oder natürlich seine Nemesis Noah Emmerich. Eastwoods „Mystic River“ linst hier allenthalben kurz durchs Gebälk, wobei Field und Autor Perrotta sich und ihrem sittsamem Publikum dessen bitteren Fatalismus ersparen. Die schönsten Momente des Films erinnern an P.T. Anderson, etwa eine urkomische Freibadszene, in der Haley auf Tauchgang im Nichtschwimmerbecken geht, woraufhin selbiges sich leert wie das Küstenwasser beim falschen Haialarm in „Jaws 2“.
Insgesamt wohl eine passable Angelegenheit, die sich jedoch wesentlich bedeutsamer wähnt als sie es letzten Endes ist.

6/10

THE WORLD ACCORDING TO GARP

„You know, everybody dies. The thing is, to have a life before we die. It can be a real adventure having a life.“

The World According To Garp (Garp und wie er die Welt sah) ~ USA 1982
Directed By: George Roy Hill

Für die eigenwillige Krankenschwester Jenny Fields (Glenn Close) ist ihr inniger Kinderwunsch absolut nicht mit dem Gedanken an eine Partnerschaft kompatibel. Also „benutzt“ sie kurzerhand einen bewusstlosen, im Sterben liegenden Air-Force-Piloten als Samenspender. Nach seinem Vater benannt, lebt T.S. Garp (Robin Williams) kein allzu langes, aber dafür von allerlei Glücksmomenten und Schicksalswogen umtostes Leben, das vom Anfang bis zum Ende stets unter dem übermächtigen Einfluss seiner gewissermaßen omnipräsenten Mutter steht.

„The World According To Garp“, der vierte Roman des neuenglischen Erfolgsautors John Irving, galt, wie so viele andere relevante literarische Marksteine des zwanzigsten Jahrhunderts, zunächst als unverfilmbar. Was zuvor jedoch bereits für Vonneguts „Slaughterhouse Five“ galt, erwies sich auch im Falle „Garp“ als recht und billig – George Roy Hill fand sich demzufolge mit der Regie auch der Adaption dieses ebenso lebensweisen wie teilgrotesken literarischen Mammutwerks anvertraut, der ersten von bis heute fünf Irving-Verfilmungen. Den Büchern des beliebten Romanciers und Essayisten gemein sind diverse, mittlerweile berühmte Leitmotive – New Hampshire als ewiger, vordringlicher Handlungsschauplatz; biographische Bestandaufnahmen seiner zumeist in komplexen Ehen und Familien beheimateten Figuren, Bären als stetes Symbol für Individualität und Kraft und natürlich die obligatorischen Abstecher in Irvings geliebtes Wien. All dies zeichnet auch im vorliegenden Fall die famose Vorlage aus – umso erstaunlicher, wann, wie und mit welchen Mitteln Hill und sein Scriptautor Steve Tesich dieses anrührende, schöne Kinowerk kreierten. Im Nachhall New Hollywoods ist „The World According To Garp“ dann doch eher ein typischer Film für die achtziger Jahre geworden. Er umfasst einen erzählten Zeitraum von etwa 38 Jahren und berichtet darin mit durchaus epischem Anspruch die ereignisreiche, bisweilen bizarre, im Grunde jedoch von Liebe und Zuwendung geprägte Biographie seines Ttelhelden, dessen Existenz sich stets im übergroßen Schatten seiner Mutter abspielt. Jenny Fields entwickelt sich im Laufe ihrer Tage zu einer emanzipierten Vorreiterin für alle Frauen, die unter den Repressalien einer erklärt patriarchalischen Gesellschaft zu leiden haben – bewundert, geliebt, belächelt und verabscheut, bleibt sie ihren nicht immer gänzlich nachvollziehbaren Maximen stets treu. Als Junge und später Mann mit all seinen überaus menschlichen Bedürfnissen, deren libidinöse und thanatische Ausprägungen nicht selten in kleine und große Katastrophen münden, entwickelt sich Garp zwar zu einem vollwertigen Individuum, das irgendwann eine eigene Familie gründet, die Prägung seiner Mutter jedoch wesentlich internalisiert hat. Nebenfiguren wie die transsexuelle Ex-Footballspielerin Roberta Muldoon (John Lithgow) oder die als Kind vergewaltigte, verstummte Ellen James (Amanda Plummer) werden, nachdem Jenny Fields sich ihrer stiefmütterlich angenommen hat, auch für Garp zu wesentlichen Leitcharakteren. Doch wie jeder soziale Mikro- und Makrokosmos leidet auch der der Fields-Dynastie unter Missinterpretation, fehlgeleiteter Radikalität und der daraus resultierenden Gewalt, die sowohl Jenny als später auch Garp das Leben kosten werden. Irvings Brillanz liegt, ebenso wie die des Films, der jenes Bestreben nahtlos akkumuliert, darin, das Schicksal als permanente Kausalitätskette zu begreifen, als ewigen Kreislauf von Ursache und Effekt, von Klammern und Rahmen (musikalisch verbildlicht durch den Beatles-Klassiker „When I’m Sixty-Four“). Dem Film gelingt es mittels scheinbar behender Leichtigkeit und Lakonie, die daraus resultierende, narrative Komplexität zu transponieren und seine mitunter schwer verdaulichen Wendungen nie zugunsten falsch verstandener Larmoyanz zu denunzieren.

9/10

DUNE: PART ONE

„Dreams make good stories, but everything important happens when we’re awake.“

Dune: Part One ~ USA/CA 2021
Directed By: Denis
Villeneuve

In ferner Zukunft hat die Menschheit Teile des Weltalls besiedelt. Ein Feudalsystem, geführt von einem allmächtigen Imperator, vereint mehrere Adelshäuser und dienende Instanzen. Die wichtigste Wirtschaftsressource ist das „Spice“, das sowohl als gesundheitsspendes und bewusstseinserweiterndes Halluzinogen genutzt wird als auch als Grundelement für einen Antriebsstoff, der interstellare Raumfahrt ermöglicht. Spice kann ausschließlich auf dem Wüstenplaneten Arrakis gewonnen werden, einer unwirtlichen Welt, auf der neben riesigen Sandwürmern die Fremen leben, ein perfekt an die Bedingungen angepasstes Volk. Wer Arrakis kontrolliert, verfügt über gewaltigen Reichtum und damit über gewaltige Macht. Der Imperator beruft aus Gründen der Balance offiziell Herzog Leto Atreides (Oscar Isaac) und die Seinen nach Arrakis, um die dortige, Jahrzehnte währende Vorherrschaft durch das Haus Harkonnen abzulösen. Letos Sohn Paul (Timothée Chalamet), von dem man bereits munkelt, er sei ein lang erwartete Erlöser, der ein goldenes Zeitalter einleiten könnte, träumt derweil von seiner möglichen Zukunft bei den Fremen. Kaum auf Arrakis angekommen, muss Herzog Leto feststellen, dass er zum Opfer einer Intrige wurde: Mit dem Segen des Imperators und der Hilfe der kriegerischen Sardaukar überfallen die Truppen des Barons Harkonnen (Stellan Skarsgård) seinen Palast. Nur Paul und seine Mutter Jessica (Rebecca Ferguson) können dem Gemetzel entkommen und treffen in der Wüste auf den Fremenclan der Sietch Tabr, der sie als Flüchtlinge anerkennt und mit sich nimmt.

Die nunmehr rund fünf Jahrzehnte währende Geschichte der realisierten und nichtrealisierten Filmadaptionen von Frank Herberts berühmtem Science-Fiction-Epos schreibt mit der aktuellen Verfilmung durch Denis Villeneuve ihr jüngstes Kapitel. Da sein „Dune“, um der Komplexität der Vorlage annähernd Herr werden zu können, auf zwei Teile angelegt ist, fällt eine Beurteilung dieses ersten, bereits recht stattlich ausgefallenen Segments nicht eben leicht. Immerhin wird der Zuschauer quasi mitten im Geschehen im Stich gelassen, was andererseits jedoch im Zeitalter vieler auf mehrere Kapitel ausgedehnter Franchises kein Novum darstellt und gewissermaßen feste Rezeptionsprämisse sein sollte. Solitär betrachtet kann man sich „Dune“ also weniger fruchtbar auf inhaltlicher Ebene nähern, was Villeneuves Version ironischerweise trotz völlig anders gearteter Paradigmen mit David Lynchs 36 Jahre zurückliegender Adaption verbindet. Immerhin wird dessen chaotisch anmutende Narration hier in sehr viel greif- und konsumierbarere Bahnen gelenkt, was jedoch zugleich auf Kosten der spezifizierten Gesamtgestaltung geht. Lynchs Film war mit seiner sperrigen, unzugänglichen Form etwas Außergewöhnliches, Villeneuves Variante ist es nicht. Was man zu sehen bekommt, ist ohne Frage ein audiovisuell reizvolles, äußerlich perfekt gestaltetes Kinoabenteuer, dem man, wie etwa Armond White in seiner wie gewohnt recht tendenziösen Review, auf Verlangen allerlei polithistorische Implikationen entnehmen kann, das nach „Star Wars“, „Lord Of The Rings“ oder „Harry Potter“ – um nur die populärsten Beispiele zu nennen – jedoch keinen echten kulturellen Impact mehr aufweisen kann. Die im Nukleus stehende Geschichte eines jugendlichen Helden, der innerhalb eines phantastischen Kontexts seinen ihm vorgezeichneten, verlustreichen Weg zum Retter antritt, ist dafür, wenngleich in zeitlich und örtlich alternierenden Ausprägungen, allzu hinlänglich bekannt und vielfach durchexerziert worden. Dabei gilt es zu bedenken, dass gerade Pulp-Geschichten wie beispielsweise die einst von George Lucas erdachte, sich in weiten Teilen eklatant auf Herberts Geisteswelten beziehen; die omnimediale Geschichte von „Dune“ und seinen Verfilmungen reziproziert sich also kulturell betrachtet fortwährend und tut dies auch weiterhin. Nur hilft jenes Faktum Villeneuves sich hochernst nehmendem Werk auch nicht wesentlich weiter. Für den flüchtigen Augenblick seiner Betrachtung ist es hübsch anzuschauen und gliedert sich dem bisherigen Œuvre des Regisseurs ästhetisch nahtlos an – viel mehr bleibt gegenwärtig aber nicht.

7/10

CANDYMAN

„Black people don’t need to be summoning shit.“

Candyman ~ USA/CA/AU 2021
Directed By: Nia DaCosta

Der Chicagoer Maler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) steckt in einer mittelschweren Krise: Seine Freundin und Mäzenin Brianna (Teyonah Parris) hält ihn mehr oder weniger aus und von allen möglichen Seiten hagelt es Geringschätzigkeiten und bittere Kritik. Um sich Inspiration für ein neues Werk zu verschaffen, macht Anthony sich mit der Geschichte des nunmehr gentrifizierten, ehemaligen Minislums Cabrini Green vertraut und stößt dabei auch auf die Geschichte des mysteriösen „Candyman“, eines mit einer Hakenhand ausgestatteten, untoten Killers, der erscheint, sobald man seinen Namen fünfmal vor dem Spiegel ausspricht. Natürlich wagt Anthony das „Experiment“ und schon bald sterben in seinem Umfeld diverse Menschen eines blutigen Todes. Damit nicht genug, beginnt Anthony selbst sich in unappetitlicher Weise zu verändern…

Schade, Chance fahrlässig verschenkt. Da ich Clive Barkers short story sehr mag und Bernard Roses Adaption für einen der schönsten und wichtigsten Horrorfilme der neunziger Jahre halte, freute ich mich sehr auf die Neuinstallation, zumal das letzte Sequel ja nun bereits zweiundzwanzig Jahre zurückliegt. Nia DaCosta erweist sich als formidable, äußerst stilbewusste Regisseurin und auch die zugrundeliegende Idee, den urbanen Mythos des nach ewiger Gerechtigkeit suchenden Candyman als eine Art „konzeptionelle Antwort“ auf rassistisches Ungemach zu spezifizieren gefällt mir recht gut. Das dröge Script durchkreuzt diese von Grundauf positiven Ansätze und Impulse jedoch nachhaltig. Der 1992er „Candyman“ besaß Poesie und Herz, erzählte eine zutiefst morbide Romanze und von Feminismus und Identitätsverlust, ohne die genuinen Horrorwurzeln seiner Fabel je zu verraten. DaCostas Film wirkt im Direktvergleich oftmals wie eine mit dem fehlgeleiteten Mut der Verzweiflung arrangierte und somit erzwungene Revision des Stoffs. Virgina Madsen als die hierin vielzitierte Helen Lyle (die Darstellerin stellte für ein eingespieltes Tape sogar nochmal ihre Stimme zur Verfügung) gab dereinst eine wunderbar melancholische Heldin, Anthony McCoy ist im Vergleich dazu leider bloß ein unsympathisch gezeichnetes Substitut, was nicht minder für seine forcierte Verwandlung in die jüngste Inkarnation des Candyman gilt. Der gesamte Plot mit seinem fanatischen Adlatus (Colman Domingo) wirkt, obschon die inhaltliche Klammer zum Original sich immerhin recht geschickt vollzogen findet, ermüdend und wie mit der heißen Nadel gestrickt; schließlich vermisst man besonders Daniel Robitaille/Tony Todd, der dann leider nur ganz kurz in den letzten Sekunden in einem winzigen Gänsehaut-Auftritt zu sehen ist. Die im weiteren Verlaufe des Films vom Candyman umgebrachte Kunstkritikerin Finley Stephens (Rebecca Spence) bringt es recht früh auf den Punkt, als sie Anthony McCoy das Künstlerherz während einer Ausstellung kurzerhand bildhaft aus der Seele reißt: Die Gentrifizierung sei schuld daran, dass der rauen Urbanität ihre ursprüngliche, wilde Seele geraubt werde; der wohnflächesuchende Zustrom von Künstlern wie Anthony selbst, die die spottbilligen Appartments als ihre Ateliers mieten und die baufälligen Viertel damit um den Preis des Strukturwandels ihres maroden Charmes entledigten. Ein Schelm, wer diese Metapher auf DaCostas Film projiziert – doch genau das ist der Punkt. „Candyman“ 21 ist gewiss superschick, aber Barker hat er nicht verstanden.

5/10

A DARK SONG

„Do you know what you’re fuckin‘ doin‘?“ – „No.“ – „Well shut up then!“

A Dark Song ~ IE/UK 2016
Directed By: Liam Gavin

Um mittels paranormaler Beschwörungen Kontakt zu ihrem ermordeten Sohn Jack (Nathan Vos) aufzunehmen, mietet die trauernde Sophia (Catherine Walker) ein weit abgeschlagen stehendes Haus in Wales und rekrutiert den ebenso erfahrenen wie zynischen Okkultisten Joseph Solomon (Steve Oram). Dieser warnt die zunächst unaufrichtige Sophia mehrfach, ihm die Wahrheit über ihr Ansinnen zu unterbreiten und auch vor dem kräftezehrenden Effekt des über viele Monate andauernden Rituals. Dennoch bleibt Sophia bei ihrem Plan. Die beiden nunmehr völlig auf sich gestellten und von der Außenwelt isolierten Menschen durchringen unter Josephs strikter Anleitung die Sphären zu den jenseitigen Dimensionen und entwickeln dabei zugleich eine destruktive Beziehung zueinander.

Mit „A Dark Song“ legte der Ire Liam Gavin ein ebenso atmosphärisch dichtes wie involvierendes Langfilmdebüt vor, das einmal mehr demonstriert, welch farbenfrohe Auswüchse besonders das auf der Schattenseite des Mainstream stehende Genrekino in den letzten Jahren vermehrt treibt. Gavins spezifischer Begriff von Horror zeigt sich dabei von intimen psychologischen und parapsychologischen Triebfedern gesteuert. Diese Agenda veräußert sich primär in der formal wie inhaltlich strengen kammerspielartigen Gestaltung von „A Dark Song“, der sich als Zwei-Personen-Stück mit wenigen Ausnahmen auf ein abgegrenztes Setting beschränkt und konzentriert. Die Reise der beiden ProtagonistInnen in die Gefilde abseits von Zeit und irdischer Physik avanciert dabei gleichermaßen zu einem Parforceritt in ihre eigenen seelischen Unwägbarkeiten; die unter Josephs vehementer Anleitung akribisch durchgeführten Praktiken beinhalten gleichfalls psychische und physische Grenzzustände, die sich durch „Reinigungsprozesse“ wie Entgiftung, Fasten, Schlafentzug, die (daraus resultierende) gezielte Evozierung halluzinogener Erfahrungen, sexuelle Askese und schließlich eine erzwungene Nahtoderfahrung einstellen. Der jeweils geforderte Tribut ist von immenser Tragweite, mündet jedoch in eine geradezu sphärische Erlösung Catherines, die am Ende gewissermaßen ihre eigenen Dämonen exorzieren kann.
Ihr Entwicklungsprozess wird dabei mit weitgehend konventionellen Versatzstücken der Gattung untermalt, geriert sich durch deren intelligenten und kompetenten Einsatz jedoch oftmals auf zufriedenstellende Weise unheimlich. Die mit stark religiösen Implikationen arbeitende conclusio nimmt sich indes streitbar aus und konnte mich nicht zur Gänze überzeugen, obgleich sie in ihrer ausnahmsweise positiven Konsequenz durchaus folgerichtig erscheint. Trotzdem hätte ich für einen etwas nachhaltigeren Impact einen fatalistischen Abgang bevorzugt – meine eigene dunkle Seite scheint da doch allzu fordernd.

8/10