SNOWPIERCER

„We go forward.“

Snowpiercer ~ KR/CZ 2013
Directed By: Joon-ho Bong

Wieder einmal erweist sich ein radikaler, wissenschaftlich implizierter Schritt zur Weltenrettung nurmehr als Beschleuniger des Armageddon: Nach Einsatz eines chemischen Kältemittels erstarrt der gesamte Globus zu einer einzigen Eiswüste. Die letzten etwa eintausend Überlebenden rasen in einem gewaltigen Zugungetüm, dem „Snowpiercer“, in endloser Umrundung um die Erde. Alles in dieser letzten großen Arche funktioniert scheinbar autark, der Antrieb, die Ernährung der Passagiere. Allerdings bleibt die Menschheit auch nach 17 Jahren „Snowpiercer“ strikt ihren althergebrachten Sozialstrukturen verhaftet: Das in Dreck, Dunkelheit und Gestank hausende Prekariat pfercht sich, ernährt von faden Proteinregeln und unter permanenter Knechtung von Wachtposten und der die Zugspitze repräsentierenden, unleidlichen Ministerin Mason (Tilda Swinton) in die hinteren Waggons, derweil die Oberklasse im vorderen Bereich ihren eigenen, sorgsam bewahrten Luxusgeschäftigkeiten nachgeht. Natürlich hat die revolutionäre Gärung unter den Armen längst eingesetzt, zumal ständig Kinder ohne weitere Erklärung mit nach vorn genommen werden und ein unbekannter Gesinnungsgenosse geheime Informationen aus dem Vorderzug absetzt. Diese gelangen in die Hände des Chefauständlers Curtis (Chris Evans), der schließlich die Rebellion wagt und sich mit seinen ihn begleitenden Leuten sowie der unverzichtbaren Unterstützung des unterdessen aus dem Tiefschlaf befreiten Ingenieurs Namgoong Minsoo (Kang-ho Song) immer weiter durch den Snowpiercer kämpft – bis ihn an dessen Spitze eine unerwartete Überraschung empfängt…

Joon-ho Bongs erster anglophoner Film mit einer sehr prominenten Besetzung basiert auf einer vierteiligen französischen Comicalbenreihe, die zwischen 1982 und 2015 erschien. Der Finalband wurde mit fünfzehn Jahren Abstand von einem anderen Autoren nachgesetzt, worauf wiederum mutmaßlich die vorliegende Adaption nachhaltigen Einfluss hatte. „Snowpiercer“ geriert sich auf den ersten Blick als relativ klassische Dystopie. Der Mensch erweist sich abermals als des Menschen Wolf und sorgt zunächst durch den von ihm selbst induzierten Klimawandel und hernach durch den verzweifelten Versuch, ebendiesen abzuwenden, für das (vorübergehende) Aus all seiner Existenzgrundlagen. Die vormalige Hierarchie zwischen Arm und Reich, Knechtschaft und Herrschertum projiziert sich auf die letzten Überlebenden. Wie in allen gegenwärtigen Hierarchien zeigt sich dabei schlussendlich, dass die dekadente Elite lediglich durch die „Pflege“ der Ärmsten ihren gewohnten Lebensstil pflegen und vor der totalen Derangierung bewahrt werden kann; ein Paradoxon, zumal die tote Außenwelt sich insgeheim bereits stellenweise zu erholen beginnt. Wie ebenfalls aus dem Plexus dystopischer Phantasien gewohnt, muss auch in „Snowpiercer“ der wohl nicht von ganz ungefähr mit Captain-America-Darsteller Evans besetzte Held eine verlustintensive Erkenntnisreise auf sich nehmen, um dem Ungeheuerlichen, das jene verwerflichen Systematiken am Laufen hält, auf die Spur zu kommen. Ebendiese Reise führt durch den „Snowpiercer“, einmal von ganz hinten bis nach ganz vorne und aus ebender Fragmentierung dieses Trips, die mit der sukzessiven „Erschließung“ immer weiterer, immer bizzarerer, physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Raum und Begrenzung scheinbar immer weniger gehorchenden Waggons einhergeht, liegt zugleich der Hauptreiz des Films. Curtis und seine Getreuen beteugen in symbolhafter Darstellung gewissermaßen die gesamte maslowsche Bedürfnispyramide in aufsteigendem Durchsturm, bis der gerecht zürnende Dissident, der die letzten zweieinhalb Dekaden von drögen, aus Ungeziefer bestehenden Proteinregeln leben musste, schließlich an des Großen Bruders Milfords (Ed Harris) Tafel sitzt, ein edles Filet auf dem kostbaren Teller. Der besagte Weg, der dorthin führt, erschließt in durchaus geschickter Weise, was die allermeisten von uns antreibt. Unabhängig von den aktionsreichen, natürlich stets aufregend bebilderten Kämpfen und Erleuchtungen, deren Bestreiten eher als schicke Makulatur im Gedächtnis bleibt, subsummiert sich Bongs Film auf die große, kosmische Wahrheit: Die einen fressen Scheiße, während die anderen Partys feiern in Saus und Braus. Der „Snowpiercer“ liefert für diese jahrtausendealte lediglich ein weiteres, postmodernes Bild – wobei es davon ja im Prinzip nie genug geben kann.

8/10

THE SHAPE OF WATER

„If we do nothing, neither are we.“

The Shape Of Water ~ USA 2017
Directed By: Guillermo del Toro

Baltimore, in den frühen 1960ern. Die stumme Elisa Esposito (Sally Hawkins), die in einer Laboreinrichtung der Regierung als Reinigungskraft arbeitet, pflegt einen streng durchgeplanten Tagesablauf. Dieser gerät ins Wanken, als ein am Amazonas gefangen genommener Amphibienmensch (Doug Jones) in einen der Untersuchungssäle gebracht und dort festgehalten wird. Während der finstere Agent Strickland (Michael Shannon) das angekettete Wesen mit Vorliebe quält und für seine baldige Sezierung eintritt, fühlt Elisa sich zu der Kreatur hingezogen und baut heimlich eine Beziehung zu ihm auf. Als der Amphibienmann dann tatsächlich der Forschung geopfert werden soll, befreit Elisa ihn mithilfe ihres Nachbarn Giles (Richard Jenkins) und ihrer Kollegin Zelda (Octavia Spencer). Doch Strickland ist ihnen bereits auf den Fersen.

Man befleißige sich des Mythologiepools von Arnolds „The Creature From The Black Lagoon“, und Howards „Splash“, des philanthropischen savoir-vivre und der luftigen Audiovisualität von Jeunets „Le Fabuleux Destin D’Amélie Poulain“, ergänze es um eine kleine Prise „E.T.“, verquirle das Ganze und schon hat man den selten Fall eines „Best Picture“-Gewinners aus dem umfangreichen Genresegment „Phantastischer Film“! Hätte jemand vor Guillermo del Toro geahnt, dass es so einfach sein könnte, er hätte ihm die goldene Statuette sicher längst früher weggeschnappt. Doch im Ernst – natürlich ist „The Shape Of Water“ der erwartungsgemäß liebenswerte Film, als den man ihn einschätzen kann; tatsächlich entspricht er sogar ziemlich exakt der von mir im Vorhinein antizipierten Vorstellung von ihm. Del Toro geht seinen Kurs als Regisseur, mit dem zu rechnen sein muss, unbeirrt weiter: Er steckt jede Menge aufrichtiges Herzblut in seine Filme und das merkt man ihnen an. In „The Shape Of Water“ erweist er, neben vielen anderen Vintage-Elementen (das Kino in Elisas Haus zeigt Kosters semiprächtige Scope-Fabel „The Story Of Ruth“, Musical und Tanz sind allgegenwärtig) vor allem dem legendären Kiemenmann aus Universals „Creature“-Trilogie seine Eherbietung. Dass der Filmemacher sich gern mit Wasser-/Mensch-Hybriden beschäftigt, lässt sich zudem anhand seiner beiden „Hellboy“-Filme nachvollziehen, in denen ja die Figur des dem in „The Shape Of Water“ recht anverwandt erscheinenden Abe Sapien vorkommt. Wohl nicht ganz von ungefähr steckt in beiden Verkleidungen der hagere Darsteller Doug Jones, ein ähnlich zuverlässiger Typ für die Verkörperung phantastischer Filmwesen wie sein Kollege Andy Serkis.
Selbstredend hätte die Academy nicht einfach jeden Fantasy-Film zum Jahressieger gekürt, und mag er noch so reichhaltig inszeniert sein: Zentrales (und gleichfalls wichtiges wie aktuelles) Element von del Toros Film ist die unabdingbare Notwendigkeit von Toleranz und Akzeptanz. Sämtliche Sympathieträger der Geschichte repräsentieren gesellschaftliche Minoritäten. Elisa ist ein stummes (zu Beginn noch etwas verhuscht) wirkendes) Waisenkind, ihr bester Freund Giles ein alternder Homosexueller, Octavia eine Afroamerikanerin, der Elisa überraschend zur Hilfe kommende Dr. Hoffstetler (Michael Stuhlbarg) ein sowjetischer Doppelagent, der genug hat vom Kalten Krieg. Sie alle müssen erniedrigende bis vernichtende Erfahrungen machen, hinter denen oftmals der staatstreue Strickland steckt, der sich recht bald als erbarmungswürdiger, nach oben buckelnder und nach unten tretender, sadistischer Psychopath ohne Lebensglück erweist. Inmitten dieser Ménagerie findet sich jenes übernatürliche Wasserwesen, hinter dessen nicht selten herausgekehrter Befremdlichkeit (er hat gewaltige Kräfte, macht merkwürdige Geräusche, frisst eine Katze und ist nur auf den zweiten oder dritten Blick schön) sich etwas ganz Besonderes verbirgt, ein Märchenprinz, vielleicht sogar eine elementare Gottheit. Die immergültige Lektion heißt, dass Ausgrenzung, Hass und Hetze zerstörerisch sind, Toleranz, Liebe und Courage indes das Leben erst lebenswert machen. Und weil man das nicht oft genug in die Welt hinausschreien kann, ist „The Shape Of Water“ genau das: Besonders wertvoll!

8/10