DYING OF THE LIGHT / DARK

„The truly dangerous people are the ones who follow orders.“

Dying Of The Light / Dark ~ USA/BAH 2014/2017
Directed By: Paul Schrader

Seit der CIA-Agent Evan Lake (Nicolas Cage) vor zweiundzwanzig Jahren von dem Islamistenführer Muhammad Banir (Alexander Karim) einem Folterverhör unterzogen wurde, ist er von dem Gedanken besessen, seine alte Nemesis dingfest zu machen. Nach dem Zugriff der Agency galt Banir offiziell als tot, Lake jedoch ist überzeugt davon, dass er sich noch irgendwo unter anderem Namen versteckt hält. Als Lake erfährt, dass er unter FTD leidet, einer besonders aggresiven Form von Demenz, setzt er alles daran, seine letzte persönliche Mission noch durchführen zu können, wird aber umgehend in den Ruhestand versetzt. Lakes Kollege Milton Schultz (Anton Yelchin) erhält derweil brandaktuelle Informationen, die über Umwege zu dem sich in Mombasa versteckt haltenden Banir führen: Offenbar leidet auch dieser an einer tödlichen Krankheit namens Thalassämie, für die er ein spezielles Medikament benötigt, das er aus Bukarest bezieht. Lake und Schultz reisen nach Rumänien und finden heraus, dass ein Doktor Cornel (Serban Calea) Banirs medizinische Versorgung übernommen hat. Lake nimmt Cornels Identität an und stellt sich Banir in Kenia.

Geht es um „Dying Of The Light“, ist dessen unrühmliche Herstellungs- und Veröffentlichungsgeschichte unumgänglich. Der beinahe fertige Film, der ursprünglich von Nicolas Winding Refn mit Harrison Ford und Channing Tatum hatte inszeniert werden sollen, wurde Regisseur Schrader während der Postproduktionsphase aus den Händen gerissen, umgeschnitten, mit neuer Musik sowie einem veränderten color grading versehen mit dem Ziel, die sperrige Fallstudie des Protagonisten für ein größeres Publikum kommensurabel und somit kommerziell attraktiver zu gestalten. Schrader, Cage, Yelchin, Refn und etwas später auch dp Gabriel Kosuth distanzierten sich daraufhin öffentlich von dem Film infolge der Art und Weise, wie ihr künstlerisches Engagement mit Füßen getreten wurde, sie durch einen Knebelvertrag zur Kommentarenthaltung gezwungen und ihnen dennoch die Möglichkeit verwehrt wurde, ihre Namen aus dem Projekt zurückzuziehen. Das Thema ließ Schraders künstlerische Inegrität freilich nicht los und er erstellte drei Jahre später nochmals eine reeditierte Fassung mit dem Titel „Dark“, eine Art fragmentarisch anmutende Rumpf- oder Torsovariation seines ursprünglich geplanten Films. Für die Arbeit daran befleißigte er sich einiger aus der Produktionsphase stammender Workprint-DVDs, da ihm das originäre Digitalmaterial nicht zur Verfügung stand. „Dark“, ursprünglich ausschließlich zur Vor-Ort-Betrachtung in drei amerikanischen Filmarchiven vorbehalten, allerdings längst via semilegale Kanäle beschaffbar, ist fast zwanzig Minuten kürzer als „Dying Of The Light“ und von wesentlich herausfordernder Gestalt, was sowohl seine Form als auch seine inhaltliche conclusio anbetrifft. Den allgemein verfügbaren Produzentenschnitt empfinde ich dabei keineswegs als jenes Volldebakel, zu dem er immer wieder gern deklariert wird. Gewiss, Schraders Signatur ist darin kaum mehr identifizierbar. Der Film lebt beinahe ausschließlich von der sukzessiven Verspiegelbildlichung der Antagonisten Lake – Banir und wirkt ansonsten wie ein in jeder Hinsicht glattgebügelter, risikoloser Agententhriller, der sich vermutlich nicht eklatant von dem Rest von Cages zu dieser Zeit inflationär herausgehauenem DTV-Œuvre abheben dürfte. Anders verhält es sich mit „Dark“, bei dem sich Schrader und sein Cutter Benjamin Rodriguez Jr. unter spürbar avantgardistischer Ägide austobten. In diversen Szenen signifikant kürzer, völlig anders montiert, dabei vollgepfropft mit Farbverfremdungen, Bild-im-Bild-Zooms und vor allem einem an „2001: A Space Odyssey“ gemahnenden, psychedelischen Farbrausch zum Ende, manifestiert sich in diesem Projekt wohl vor allem der – durchaus gelungene – Versuch einer Satisfaktion, eine Veranschaulichung dessen, was grundsätzlich möglich gewesen wäre. Das finale Duell zwischen Lake und Banir, das „Dying Of The Light“ noch ausformuliert (in Form eines aktionsreich inszenierten Terroranschlags auf das Hotel von Lake und Schultz, einem anschließenden, mit der Tötung Banirs endendem Zweikampf sowie Lakes Freitod auf der Straße), wandelt sich in „Dark“ in die vor gleißenden Farb- und Formspektren berstende Reise in ein perzeptives Nirwana, das offenbar Lakes endgültigen geistigen Zerfall im Angesicht seiner kurz vor ihrem Ziel stehenden Reise veranschaulicht. Unter welchen Umständen Lakes Grabstein auf den Arlington-Friedhof kommt, bleibt dann hier wie dort ein Mysterium.
Im Nachhinein empfand ich es als überaus gewinnend, beide Varianten unmittelbar hintereinander sehen zu können, da sich darin eine noch immer halbwegs analytische Vergleichsmöglichkeit feilbietet und sich sowohl Differenzen als auch Gemeinsamkeiten recht zielgenau in Relation setzen lassen.
Zur erhellenden und tiefergehenden Weiterbeschäftigung mit dem Thema möchte ich potenziellen Interessenten noch ein Essay von Lukas Foerster für den Filmdienst, der sich auf höchst lohnenswerte Weise mit Schraders Spätwerk im Allgemeinen, über weite Strecken jedoch primär mit dem Phänomen „Dying Of The Light“/“Dark“ befasst, ans Herz legen sowie einen Beitrag zum Regisseur, den Dominik Graf 2018 im Schatten des Baseler „Bildrausch-Festivals“ für die F.A.Z. (kostenlose Registrierung erforderlich) veröffentlicht hat.

BATTLE IN SEATTLE

„Please! Don’t arrest me!“

Battle In Seattle ~ USA/CAN/D 2007
Directed By: Stuart Townsend

Seattle, Ende November 1999. Bürgermeister Jim Tobin (Ray Liotta) ist stolz darauf, dass die Ministerialkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), unter gewaltigem internationalen Medienecho als „Milleniumrunde“ angekündigt, in seiner Stadt ausgerichtet wird. Mit dem internationalen Gästeaufmarsch kommen jedoch auch viele unterschiedliche Gruppierungen von DemonstrantInnen, die das ausbeuterische neoliberale Treiben der Globalisierungsinstitution scharf verurteilen. Eine Gruppe, die sich durch friedlichen, aber ebenso aufsehenerregenden Protest Gehör zu verschaffen plant, wird von dem passionierten Jay (Martin Henderson) angeführt, der seinen Bruder einst bei einer Anti-Abholzungsdemo verlor. Während die Taktik von Jay und seinen Leuten durchaus aufzugehen scheint, beginnt eine autonome Fraktion blindwütig zu randalieren, was wiederum die Polizei zu einem deutlich verschärften Vorgehen mit dem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken sowie wahllosen Verhaftungen veranlasst. Derweil müssen ein leidenschaftlich für die Lieferung von Medikamenten an Entwicklungsländer vorsprechender MSF- Repräsentant (Rade Serbedzija) und ein afrikanischer Minister (Isaach De Bankolé) die bittere Erfahrung machen, dass ihnen der gezielte Lobbyismus der WTO kein Forum zu bieten gedenkt…

Stuart Townsends Regiedebüt „Battle In Seattle“, der sich – zumindest ideologisch – wiederum in der langen Tradition von Haskell Wexlers New-Hollywood-Meilenstein „Medium Cool“ wiederfindet, antizipiert doch recht deutlich den unlängst geschauten „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“, wobei gewiss weder der zugrunde liegende historische Kontext noch die Ambitioniertheit der filmischen Umsetzung gegeneinander aufzuwiegen sind. Was jedoch beide Filme unbedingt eint, sind ihr Motor und ihr Herz. Beide Autoren setzen klare, politische Zeichen ganz im Sinne ihrer friedlich demonstrierenden ProtagonistInnen; sie zeigen auf, mit welch korrumpierten, fadenscheinigen Selbstverständnis die Wirtschaftspolitik der Weltmächtigen nicht nur gemacht, sondern durch medienwirksame Gipfeltreffen wie die der WTO oder der G-8 auch noch verlogen und selbstbeweihräuchernd inszeniert werden. Agitprop? Mag sein. Dennoch: auch Seattle ’99 demonstriert bereits kurze, faschistische Blitzeinschläge – als Reaktion auf ein paar versprengte, vermummte Unruhestifter werden 500 friedliche AktivistInnen ohne jedwede Grundlage festgenommen und ohne Anklage inhaftiert. Weil sie sich weigern, ihre Personalien preiszugeben, hält man ihnen weitere Grundrechte, wie den telefonischen Ruf eines Rechtsbeistands, vor. Da die US-Regierung Clinton jedoch kein Berlusconi-Italien war (spätestens seit 2016 sähe die Sache auch hier gewiss anders aus), blieb es bei diesen noch halbwegs überschaubaren Repressalien, und es konnte infolge der Protestaktionen und der öffentlichen Reaktion darauf immerhin ein wichtiges Fanal gesetzt werden: Diverse Politiker aus Entwicklungsländern wurden wahlweise gezielt ignoriert oder erst gar nicht angehört und verweigerten, in Wechselwirkung mit dem Geschehen auf den Straßen, schließlich ihre Kooperation, so dass der gesamte Gipfel nach nur drei Tagen abgesagt und vertagt werden musste.
Wie später Daniele Vicari zeigt auch Townsend das Ganze im Stil eines multiperspektivischen Ensemblefilms und ebenfalls unter Einflechtung vor Ort entstandenen, authentischen Filmmaterials. Besonders augenfällig ist, dass bei einem recht geringen Budget und dabei ohne Beteiligung eines einzigen größeren Studios eine beträchtliche Riege von Hollywoodgrößen aufgefahren werden konnte, die die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, sich im Sinne dieses wichtigen Themas politisch zu positionieren. So gibt es wunderbare bis prägnante Auftritte etwa von Woody Harrelson als Bereitschaftspolizist, dessen im fünften Monat schwangere Frau (Charlize Theron) von einem seiner Kollegen völlig grundlos so geprügelt wird, dass sie ihr Baby verliert und urplötzlich auch in ihrem uniformierten Mann das Böse zu erkennen wähnt. Oder der kroatische Darsteller Rade Serbedzija. Eigentlich für sein ewiges type acting als südosteuropäischer Bösewicht in Actionfilmen berüchtigt, gibt er hier einen kurzen, aber umso sympathischeren Auftritt als gegen Windmühlen kämpfender, zusehends verzweifelnder MSF-Mediziner.
Dass Townsend inszenatorisch noch wenig Erfahrung hatte, zeigt sich hier und da in Anbetracht mancher redundanter Regiemanierismen. Er vertraute offenbar nicht zur Gänze auf die innere Zug- und Sprengkraft seines Sujets und befleißigte sich unnötig hektischer Wackelkameraspiele und Montagen, die eher an irgendwelche C.S.I.-Episödchen erinnern und ziemlich eindeutig auf die Nervosität des formalistischen Greenhorns schließen lassen. Auch das eine oder andere dramaturgische Klischee hätte gern umschifft werden dürfen. Derlei sehe ich „Battle In Seattle“ allerdings gern nach in Anbetracht dessen, was von ihm bleibt: Der seltene Status eines tatsächlich als „wichtig“ zu etikettierenden Films.

8/10

DIAZ – DON’T CLEAN UP THIS BLOOD

Zitat entfällt.

Diaz – Don’t Clean Up This Blood ~ I/RO/F 2012
Directed By: Daniele Vicari

Genua, in der Nacht vom 21 auf den 22. Juli 2001. Die wegen ungeheuerlicher Vorgänge im Polizeiapparat bereits ins Röcheln geratene Demokratie gerät für die kommenden 72 Stunden in einen todesgleichen Atemstillstand: Die Esuola Diaz ist während des tags zuvor zu Ende gegangenen G8-Gipfels für Demonstrierende geöffnet. Etliche verschiedene Sprachen sind zu hören, die teilnehmenden Globalisierungsgegner, von denen die allermeisten bereits abgereist sind, kommen aus aller Herren Länder. Auch Indymedia, eine Erste-Hilfe-Station und Rechtsberater für angeklagte Protestler gastieren im Gebäude. Die vornehmlich jungen Leute liegen größenteils bereits friedlich schlummernd auf ihren Isomatten und in ihren Schlafsäcken, als um die Mitternachtsstunde eine große Gruppe italienischer Polizisten das Gebäude stürmt und mit ihren Gummiknüppeln wahllos auf alles eindrischt, was nach Mensch aussieht. Am Boden Liegende werden mit Fußtritten traktiert. 60 DemonstrantInnen werden teils schwer verletzt auf Tragen in umliegende Hospitäler verbracht. Andere landen in der Polizeikaserne Nino Bixio im Stadtteil Bolzaneto. Dort werden sie per Filzstift mit X-en markiert, sämtlicher Bürgerrechte beraubt, erniedrigt und gefoltert. Erst viele Stunden später erhalten die Gefangenen wieder die Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Ein Skandal, der bis heute nicht zufriedenstellend aufgearbeitet wurde.

Der in Dokumentationssachen bereits erfahrene Daniele Vicari arbeitete mit seinem fünften Spielfilm „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ eine der größten politischen Ungeheuerlichkeiten im Westeuropa unseres noch jungen Jahrtausends auf. Für die kurze Zeit des von der Regierung Berlusconi damals stolz ausgerichteten G8-Gipfels fand sich ein altes, längst verdrängtes Schreckgespenst reanimiert – das des Faschismus. Die beiden Episoden um die Diaz-Schule und die Nino-Bixio-Kaserne stehen dabei im Zentrum von Vicaris wütendem Zelluloidpamphlet, einem, soviel gleich vorweg, Meilenstein des politischen Kinos. Gewissermaßen kulminiert in jenen etwa 72 Stunden all das, was zuvor durch das Innenministerium und einen entsprechend gebrieften und angespitzten Polizeiapparat emsig vorbereitet wurde. Durch diverse Zeitzeugen ist belegt, dass der vermeintliche „Schwarze Block“ von Polizeiagenten mindestens durchsetzt war. Die vermummten Chaosstifter, unter denen sich auch rechte Hooligans der internationalen Szene befanden, konnten ihr Zerstörungswerk, darunter brennende Autos und zerstörte Ladenfassaden, unter den Augen der längst großräumig angerückten Polizei und von dieser unbehelligt entfesseln. Vereinzelt wurde beobachtet und dokumentiert, wie angebliche Autonome Rücksprache mit Polizisten hielten und in einem Fall sogar eindeutig Befehle erteilten. Da die übrigen, von vielen Zehntausenden organisierten und besuchten Demonstrationen eher einem friedlichen Happening mit allerlei Kunst und Folklore glich, musste das unbedingte Durchsetzungsvermögen der rechtsregierten Staatsgewalt ergo in anderer Weise veranschaulicht werden. Der zunächst unfassbare Schluss liegt somit nahe, dass die Polizei in Gemeinschaft mit gewaltbereiten Faschisten höchstselbst für das Gros der Zerstörungen verantwortlich und die hernach gegen die de facto unbewaffneten Restdemonstrierenden gerichtete Vergeltungsaktion nichts anderes war als eine vormals gezielt provozierte Strafexpedition. Dafür sprechen auch gefälschte Beweise in Form zweier von der Polizei höchtselbst in der Diaz-Schule deponierten Molotov-Cocktails, die in direkter Folge öffentlichkeitswirksam ausgesstellt wurden und als Hauptanklagepunkt fungieren sollten. Die Situation in der Nino Bixio glich nach dem blutigen Überfall auf die unbewaffneten Nachtgäste schließlich der in südamerikanischen Militärgefängnissen unter Pinochet oder Videla, binnen derer die vor Ort befindlichen BeamtInnen sich unverblümt als Neonazis zu erkennen gaben.
Mit dem hohen aufklärerischen Anspruch etwa eines Costa-Gavras beackert Vicari diese schlimmen Ereignisse, fokussiert sich dabei nach höchst sorgfältiger Vorbereitung in Form von etlichen Stunden Protokollsichtungen und Interviews blitzlichtartig auf einige wenige Opfer und Beteiligte, deren Filmfiguren jeweils andere Namen, aber dieselben Initialen tragen wie ihre realen Pendants. Chronologische Sprünge dienen dabei keineswegs als selbstgerechte, formale Extravaganzen oder gar der Zuschauerverwirrung, sondern arbeiten in kongenialer Weise nach und nach unterschiedliche Schwerpunkt- und Schlüsselereignisse auf, wie die Erschießung des 23-jährigen Demonstranten Carlo Giuliani durch einen drei Jahre jüngeren Carabiniere oder die Involvierung ranghoher Politiker in die Geschehnisse. „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ steht somit trotz des großen zeitlichen Abstands in seinem Bestreben um fiktionalisierte, aber dennoch minutiöse Aufbereitungsarbeit und Wachrüttelung in direkter Tradition zu Costa-Gavras‘ politischem Hauptwerk und erreicht dabei mindestens denselben Grad an Zuschauerinvolvierung. Gerade wegen der Authentiziät des Geschilderten erreicht sein Film eine selten gewordene Intensität, die das Publikum gleichermaßen abholt wie niedermäht. Wenn es so etwas gibt, wie politdidaktisches Pflichtkino zur Demokratieerziehung – „Diaz – Don’t Clean Up This Blood“ wäre einer der vordringlichsten Kandidaten. Ergänzend zum Film lohnt ferner die nachträgliche Betrachtung der preisgekrönten 2002er-WDR-Dokumentation „Die Stoy: Gipfelstürmer – Die blutigen Tage von Genua“, die hier auf youtube angesehen werden kann.

10/10

THE DAY OF THE JACKAL

„What codename will you use?“

The Day Of The Jackal (Der Schakal) ~ UK/F 1973
Directed By: Fred Zinnemann

Im September 1962: Nachdem das Attentat von Petit-Calmart auf den französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle gescheitert ist und dessen Mitinitiator Bastien-Thiry (Jean Sorel) zum Tode verurteilt wird, weigern sich die entkommenen, führenden Köpfe der rechtsnationalen OAS, kleinbeizugeben. Sie engagieren einen englischen Profikiller (Edward Fox), der fortan unter dem Codenamen „Schakal“ solitär die gesamte Organisation eines weiteren Anschlages plant. Minutiös und ohne Rücksicht auf zwischenzeitliche Hürden, dabei stets verfolgt von dem als besonders geschickt bekannten Ermittler Claude Lebel (Michael Lonsdale) und einer ganzen Batterie internationaler Unterstützer, bahnt sich der Schakal seinen Weg immer näher zu de Gaulle, bis er, fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem letzten Attentat, seine Mission zu erfüllen trachtet.

Der Killer als Held: Zur Entstehungszeit von „The Day Of The Jackal“, seiner drittletzten Regiearbeit, war der etwa 66-jährige Fred Zinnemann bereits ein recht spärlich arbeitender Filmemacher, der sich nurmehr noch vergleichsweise selten für ein Projekt einspannen ließ. Sieben Jahre zuvor hatte er für die Robert-Bolt-Adaption „A Man For All Seasons“ seinen zweiten Oscar gewonnen und war seither nicht mehr in Erscheinung getreten. Für diese Verfilmung eines Romans von Frederick Forsyth kehrte er auf den Inszenierungsstuhl zurück. „The Day Of The Jackal“ gliedert sich dabei passgenau in den umfangreicher werdenden Korpus zeitgenössischer, vornehmlich europäischer Thriller ein, die aus primär linker Perspektive mal mehr, mal weniger authentische Staatsstreiche, Verschwörungen und Politdystopien verhandelten. Nicht von ungefähr erinnert Zinnemanns hier befleißigter Stil häufig besonders an den von Costa-Gavras. Entgegen früherer, nicht selten von einer starken emotionalen Involvierung des Publikums geprägten Herangehensweisen ging Zinnemann diesmal nämlich höchst konzentriert und diszpliniert, mit fast asketischer Genauigkeit zu Werke. Eine beinahe dokumentarisch anmutende Akribie, eine allen Schmuckes entledigten Bildsprache nutzend und ohne Verwendung von extradiegetischer Filmmusik schildert er die sich über fast ein Jahr hinziehenden Vorbereitungen des Killers, der, trotz einer großen Menge ihn zentrierender Szenen für den Zuschauer ein biographisch und auch weitgehend psychologisch unbeschriebenes Blatt bleibt. Der damals noch unbekannte Edward Fox spielt die Titelrolle in einer ganz eigenen Mixtur aus Charisma, diabolischer Intelligenz und Zielstrebigkeit, die sein unnachgiebiges Vorwärtskommen glaubhaft werden lässt. Mehrfach einkalkulierte und durchgeführte Identitätswechsel zählen ebenso dazu wie die Fähigkeit, jeder noch so brisanten Situation zu entgehen. Dass er so schnell wie emotionslos tötet, wer ihm im Wege ist, lässt den Schluss zu, dass seine Skrupellosigkeit mindestens von soziopathischen Persönlichkeitszügen profitiert. Wer versucht, ihn zu übervorteilen, wie ein genuesischer Ausweisfälscher (Ronald Pickup), stirbt umgehend, zudem lotet der Schakal rigoros die Schwächen von WegeskreuzerInnen aus, um sie sich nutzbar zu machen. Eine nur oberflächlich kühle, ausgehungerte Strohwitwe (Delphine Seyrig), deren Landvilla der Killer als Unterschlupf ausersieht, muss daraufhin ebenso das Zeitliche segnen wie ein Homosexueller (Anton Rodgers), in dessen Pariser Wohnung er sich zwischenzeitlich versteckt hält. Sein Engagement wird ihm dabei irgendwann zur Privatsache, augenscheinlich sogar unabhängig von der Bezahlung seiner zweiten Auslobungshälfte: Zwischenzeitlich immer wieder eingekreist oder identifiziert, verzichtet der Schakal auf jede sich ihm bietende Option zur Flucht und behält die Erfüllung der Mission stoisch im Blick, was ihn letzten Endes das Leben kosten wird. Hernach wird er anonym in einem schmucklosen Grab beigesetzt, seinen erfolgreichen Widersacher Lebel als einzigen Beerdigungsgast.
Dabei liegt Zinnemanns paradoxestes Verdienst vielleicht darin, den villain, der so viel mehr sinistren Sex vorschützt als der schlaffe Lonsdale, zum dramaturgischen Helden zu deklarieren – vielleicht wünscht man dem Schakal nicht eben, dass es ihm gelingt, de Gaulle zu erschießen, dennoch tut es einem irgendwie leid um ihn, der sich doch über fast zweieinhalb Erzählstunden diese immense Mühe gemacht hat.

9/10

THE WILBY CONSPIRACY

„In a police state, the police are always busy.“

The Wilby Conspiracy (Die Wilby Verschwörung) ~ UK 1975
Directed By: Ralph
Nelson

Eine Flasche Champagner steht bereits kühl- der südafrikanischen Anwältin Rina van Niekirk (Prunella Gee) ist es gelungen, den Bantu-Freiheitsaktivisten Shack Twala (Sidney Poitier) aus der politischen Haft auf Robben Island herauszuboxen. Gemeinsam mit Rinas englischem Galan Jim Keough (Michael Caine) macht man sich schon zum Feiern bereit, als die Drei in eine Polizei-Straßensperre geraten. Die rassistischen Beamten verwickeln das Trio in einen Konflikt, so dass Keough und Twala zur Flucht gezwungen sind. Twala überredet den Briten, mit ihm nach Johannesburg zu fahren, wo Anil Mukerjee (Saeed Jaffrey), ein Sympathisant der Anti-Apartheids-Bewegung, im indischen Viertel lebt. Mukerjee wiederum weiß um das Versteck einiger Diamanten, die Twala dem Untergrundführer Wilby Xaba (Joe de Graft) zukommen lassen will. Was keiner der Beteiligten ahnt: Der ketterauchende Major Horn (Nicol Williamson) verfolgt sie auf Schritt und Tritt und ist über sämtliche ihrer Vorhaben bestens informiert.

Eine Art durch den Wolf gedrehte Variante von Kramers „The Defiant Ones“, in der abermals Sidney Poitier, diesmal in Handschellen, dazu gezwungen ist, gemeinsam mit einem verständnislosen, ihm nur wenig wohlgesonnenen Weißen durch eine von ehernem Rassismus geprägte Welt zu fliehen. Ralph Nelson, der hier bereits zum dritten (und letzten) Mal mit Poitier zusammenarbeitete, machte das Sujet allerdings behende zu seinem eigenen: Die Transponierung des Doppel-Flucht-Plots auf das südafrikanische Apartheidsregime gerinnt hier relativ zügig zu einem frühen, schwarz-/weißen buddy movie mitsamt einigen komisch angelegten Nebenanekdötchen und beeinflusst zudem von amerikanischer Blaxploitation. Natürlich muss Caines Charakter Keogh stellvertretend für das mutmaßliche Gros des Publikums eine ideologische Wandlung durchleben – als politisch unbedarfter Ingenieur auf Montage nimmt er, typisch westeuropäisch, lediglich die exotische, äußere Schönheit der Region wahr, die so hübsch ausgestellte, wirtschaftlich florierende Fassade der weißen Minoritätenregierung. Was es indes bedeutet, hier als person of colour zu leben, lernt er in letzter Konsequenz erst ganz zum Schluss, als ihm klar wird, mit welch konsequenter Perfidie das Regime seinen Status quo präserviert. Keoghs Wandlung zum Aktivisten vollendet sich mit der eiskalt vorgenommenen Exekution des den Polizeistaat repräsentierenden Offiziers Horn – ein beeindruckendes und nachhallendes Finale dieses zwischenzeitlich immer wieder so merkwürdig unangebracht leichtherzig wirkenden Films. Blitzlichtartige Assoziationen zu „Soldier Blue“ brechen sich da kurz Bahn, in dem Nelson ja bereits zeigte, dass bestimmte Topoi ihre genuin notwendige Wirkmacht ausschließlich unter Befleißigung einer ausgesuchten Gnadenlosigkeit entfalten können.
Kleine filmhistorische Randnotiz: Sieben Jahre vor Bruce Malmuths „Nighthawks“ waren hier erstmals Rutger Hauer und die schöne indische Aktrice Persis Khambatta gemeinsam in einem Film zu sehen, jedoch ohne gemeinsame Szene und beide in seltsamen supporting parts als jeweils abtrünnige EhepartnerInnen.

7/10

NUEVO ORDEN

Zitat entfällt.

Nuevo Orden (New Order – Die neue Weltordnung) ~ MEX/F 2020
Directed By: Michel Franco

Just am Tage von Mariannes (Naian González Norvind) glamourös arrangierter Hochzeit probt das mexikanische Prekariat den landesweiten Aufstand: Schwer bewaffnet und mit grüner Sprühfarbe ausgestattet greifen die Millionen von indigenen Armen die schwerreiche, vornehmlich europäischstämmige Oberschicht an, plündern und schrecken auch vor Mord nicht zurück. Das Militär nutzt derweil die Unruhen, um im Hintergrund kurzerhand eine Diktatur zu installieren, zu morden und zu kidnappen. Ausgerechnet Mariannes soziales Gewissen wird ihr zum Verhängnis: Um der schwerkranken Frau (Analy Castro) ihres früheren Hausangestellten Rolando (Eligio Meléndez) eine lebensnotwendige Herzoperation zu ermöglichen, verlässt sie das Haus und gerät über Umwege in die Fänge der Junta. Mariannes mittlerweile in trügerischer Sicherheit befindliche, ahnungslose Familie erhält eine erpresserische Nachricht, zieht jedoch die völlig falschen Schlüsse…

Michel Francos dystopisches Drama rührte sein globales, vor allem jedoch das mexikanische Publikum in mannigfaltiger Weise an, wobei die schroff-trockene, teils dokumentarisch anmutende Inszenierung nicht selten für Verwirrung sorgte: Francos oberflächlich anmutender Verzicht auf jedweden politischen Kommentar riss diverse ZuschauerInnen dazu hin, „Nuevo Orden“ als neoliberales, rassistisches Manifest zu erachten, als warnenden Weckruf für die hellhäutigen Reichen, auf der Hut zu sein vor all dem, was im Lande außerhalb ihrer elitären alltäglichen Wahrnehmung so an Gefährdendem vor sich hin brodelt. Natürlich zielt eine derart plumpe Lesart im weiten Bogen an Francos tatsächlicher Agenda vorbei. Gewiss, sein von betonter narrativer Nüchternheit geprägter, bewusst spannungsarmer und dadurch doch nur umso realitätsnäherer Albtraum birgt tendenziöse Strickmuster, diese repräsentieren jedoch nicht mehr oder weniger als die unumwundene Spiegelung der realen Zustände. Der Mexiko prägende gesellschaftliche Separatismus indiziert einen immens fragilen sozialen Makrokosmos – eine „Mittelschicht“ ist dort noch weniger vorhanden als etwa in den Staaten der EU, Arm und Reich bilden klar voneinander abgegrenzte Fronten, die sich zudem durch ihre jeweilige ethnische Basis kennzeichnen. Hinzu kommen die organisierte Kriminalität mitsamt ihren filigran errichteten Hierarchien und ihrer immensen Gewaltbereitschaft sowie korrupte Staatsgewalten. Das von rund 130 Millionen Menschen bewohnte Land entspricht einem potenziellen Pulverfass und Michel Franco zeigt binnen knapper Erzählzeit lediglich eine mögliche Explosionsoption auf. Moralinsäure oder gar den erhobenen Zeigefinger erspart er sich dabei entgegen allen anderslautenden Unkenrufen; die in „Nuevo Orden“ geschilderten Ereignisse stehen vielmehr da als die grausigen, aber logischen Kausalitätsauswüchse sich sukzessive selbst abschaffender sozialer Gerechtigkeit.

8/10

THE MAURITANIAN

„Either wear the Jersey or get off the field.“

The Mauritanian (Der Mauretanier) ~ UK/USA 2021
Directed By: Kevin Macdonald

Nach den 9/11-Anschlägen fordert der von Bush Jr. und Rumsfeld deklarierte Krieg gegen den Terror Angeklagte, Schuldige und notfalls auch Sündenböcke. Als einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Katastrophe wird der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) im November 2001 in seiner Heimat festgenommen und in das Militärgefängnis Guantánamo verschleppt. Etwas über drei Jahre später wird die Staranwältin und Menschenrechtsaktivistin Nancy Hollander (Jodie Foster) auf Slahis Fall aufmerksam und reist nach Kuba, um sich seines Zustandes zu versichern und Slahi anzubieten, ihn vor Gericht zu vertreten. Parallel dazu wird der eherne Marine Stuart Couch (Benedict Cumberbatch) mit Slahis formeller Anklage betraut und sieht seine Aufgabe zunächst voller Elan entgegen. Doch sowohl Hollander als auch Couch erhalten keine Einsicht in die offiziellen Verhörprotokolle Slahis, der zu diesem Zeitpunkt längst ein Geständnis bezüglich seiner Mitwirkung bei den Anschlägen unterschrieben hat. Verteidigerin und Ankläger stoßen gleichermaßen auf eine Mauer des Schweigens und der Geheimhaltung; Zensur, geschwärzte Berichte und fehlende Freigaben erschweren ihre Vorbereitung auf den Fall immens. Schließlich erfahrend beide den Grund: Slahis Geständnis wurde durch gezielte Folter und Bedrohung erzwungen, eine offizielle Begründung für seine Inhaftierung gab es nie. Im Frühjahr 2010 wird Slahi in erster Instanz freigesprochen, doh es dauert noch sechs weitere Jahre, bis er aus der Gefangenschaft entlassen wird.

Kevin Macdonalds sechster Spielfilm nach einer immerhin siebenjährigen Pause basiert auf Mohamedou Ould Slahis niedergeschriebenen Memoiren „Guantánamo Diary“, die sich mit seiner rund vierzehn Jahre währenden Gefangenschaft auf dem kubanischen Marine-Stützpunkt befassen. Möglicherweise ist „The Mauritanian“ Macdonalds beste, fesselndste Arbeit bislang, seine Dokumentationen nicht berücksichtigend. Gewiss – ein Stoff wie dieser ist a priori von gewaltiger Prestigeträchtigtkeit und bereits rein prinzipiell ein Gewinner und Publikumsliebling. Umso wichtiger jedoch ist es andererseits, Klischees und überborderndes Pathos zu umschiffen und ein fiktionalisierte Version der Ereignisse auch langfristig valide dastehen zu lassen. Genau das gelingt Macdonald jedoch; „The Mauritanian“ besitzt zum einen alle wichtigen Charakteristika eines guten Politthrillers und macht die Geschichte Slahis als Repräsentation für die in Guantánamo unter der Protegierung der US-Regierung, der CIA und des Militärs durchgeführten Praktiken umso ergreifender. Macdonald offenbart sich hier als legitimer Erbe großer Ahnherren wie Constantin Costa-Gavras, Alan J. Pakula oder Oliver Stone und deren entsprechenden Werken, die es allesamt zu ihrer Zeit vortrefflich verstanden, im Namen angeblich freiheitlich konnotierter Staatsräson ungeheuerliche Vorgänge in Form fesselnder Spielfilme aufleben zu lassen. Der dräuenden Frage danach, ob ein dramaturgisch aufbereiteter, kommerzorientierter und mit Stars aufbereiteter Abriss in jener medialen Form, der sich ferner stets von der unter Umständen tendenziösen Signatur seiner AutorInnen gebeugt wähnen muss, überhaupt einen sittlichen oder gar moralischen Wert bekleidet, muss sich ein jedes Kunstprodukt berechtigterweise immer wieder aufs Neue stellen. Andererseits darf der didaktische Impact all jener oftmals hervorragenden Filme nicht unterschätzt werden, sind sie doch stets dazu angetan, Geschichts- und Nachrichten- und Informationsmuffel wenngleich auf unterhaltsame Weise mit der Nase voran auf Sujets zu stoßen, die sie andernfalls möglicherweise nie erreicht hätten und sei es auch nur, um ein vages Interesse anzustoßen, das gegebenenfalls in weitere, intensive Beschäftigung mündet. „The Mauritanian“, der am Ende seinen authentischen Titelhelden zeigt, frohgemut, lachend, gelöst und bar allen doch so verständlichen Verdrusses, gehört genau in diese Phalanx. Wenn es sein Glaube ist, der diesen um etliche Jahre seines Lebens betrogenen Mann so ungebrochen zuversichtlich erscheinen lässt, dann, in schā‘ Allāh, kann nicht alles daran falsch sein. Und aufrichtige, pointierte Kritik an der fetten, alten Sau Amerika und ihren Tausenden von Ferkeln ist ja schon im Grundsatz eh immer zu begrüßen.

9/10

THE NOVEMBER MAN

„Information is useless. We collect people.“

The November Man ~ USA/UK 2014
Directed By: Roger Donaldson

Fünf Jahre nach seiner offiziellen Pensionierung lässt sich der Ex-CIA-Agent Peter Deveraux (Pierce Brosnan) von einem alten Vorgesetzten Henley (Bill Smitrovich) für eine weitere Mission reaktivieren: Er soll seiner alten Bekannten Natalia Ulanova (Mediha Musliovic), die hochbrisante Informationen über den kommenden russischen Präsidenten Federov (Lazar Ristovski) besitzt, helfen, aus Moskau heraus und über die russische Grenze zu gelangen. Deveraux willigt ein, doch bereits vor Ort wird Natalia erschossen – ausagerechnet von Deveraux‘ früherem Auszubildenden David Mason (Luke Bracey). Deveraux kann jedoch noch rechtzeitig Natalias Handy sichern und stößt auf die Spur eines Mädchens namens Mira Filipova, das vor Jahren in engerem Kontakt zu Federov gestanden haben soll und um einige von dessen Geheimnissen weiß. In Belgrad trifft Deveraux auf die Flüchtlingshelferin Alice Fournier (Olga Kurylenko), die Mira vor Jahren zu einem Neuanfang verholfen hat, jedoch nicht um ihren Aufenthaltsort weiß. Gemeinsam begeben die beiden sich auf die Suche nach der verschwundenen Mira und müssen gleichzeitig vor CIA und FSB fliehen.

Mit „The November Man“ erhielt Pierce Brosnan die offensichtlich dankbar angenommene Option, seiner zwölf Jahre zuvor beendeten Bond-Karriere nochmal ein weiteres Agentenabenteuer nachsetzen zu können. Dass seine zweite Zusammenarbeit mit Roger Donaldson sich dabei wesentlich druckvoller und spannender ausnimmt als jeder von Brosnans immerhin vier Bond-Filmen, gerät dabei zum überaus angenehmen Nebeneffekt. Nun ist zwar auch „The November Man“ nicht eben das, was man als realitätsverhafteten Spionage-Thriller bezeichnen mag, – immerhin kreuzt er seinen wild fabulierenden, wiederum mit dem camp liebäugelnden Plot kurzerhand mit realen Begebenheiten (dem zweiten Tschetschenien-Krieg) -, gibt Brosnan dafür jedoch die Gelegenheit, einen deutlich kantigeren Spitzel abzugeben als ihm das seine stets ölig konnotierte Interpretation des vielbedienten Briten gestattete. Peter Deveraux arbeitet nämlich nicht für Ihre Majestät, sondern für die CIA und fällt damit schonmal in eine gänzlich andere Kategorie seiner Proefession, die in diesem Fall nichts mit Eleganz, Luxus und Martini-Lakonie zu tun hat, sondern mit dem schmutzigen Geschäft direkter politischer Einflussnahme der selbsternannten Weltpolizei. Deveraux ist bzw. war zwar ein Spitzenmann seines Fachs, diese Qualität äußerte sich jedoch darin, dass er sich besonders effektiv zeigte im Töten, Übervorteilen und Verraten, allesamt Aktivitäten, die nunmehr gegen ihn selbst eingesetzt werden, da er, wie sich herausstellen wird, unwissend als Lockvogel missbraucht und ausgerechnet von seinem eigenen ehemaligen Mündel (von dessen Übernahme Deveraux nach dem Tod eines kleinen Jungen einst abgeraten hatte) aufs Korn genommen wird. Gewissermaßen greift Donaldson damit auch die Antagonistenkonstellation von „The Recruit“ wieder auf, unter veränderten und weiterentwickelten Vorzeichen zwar, aber dennoch von diversen Beziehungsanalogien flankiert.
Rein auf seinen Plot bezogen ist „The November Man“ dabei weit weniger interessant denn in der Zeichnung und Konfrontation einerseits seiner Figuren und andererseits des internationalen Spionagegeschäfts. Agenten, Militärs und andere Regierungsfunktionäre kommen, ein festes Markenzeichen von Donaldson Œuvre bereits seit „Marie“ von 1985, bei ihm nie gut weg mit ihrer moralischen Verkommenheit, Korrumpierbarkeit und ihren Ränkespielchen, die stets und ausschließlich die persönliche Hybris sowie ein pervertiertes Machtideal befüttern.
„The November Man“ greift diese kleine Tradition wiederum auf und manifestiert sie zugleich; bisher letztmalig, da Donaldson seither leider keinen weiteren Spielfilm (sein letztes Engagement bildet eine Dokumentation über den Rennstallgründer Bruce McLaren von 2017) mehr betreute. Immerhin listet die imdb zwei derzeit in der Entwicklung befindliche Projekte.

7/10

THE BANK JOB

„This robbery’s pissed off some local villains.“

The Bank Job ~ UK/USA/AUS 2008
Directed By: Roger Donaldson

London, 1971. Der MI5 findet heraus, dass der militante, selbsternannte Londoner Black-Power-Führer Michael X (Peter De Jersey) kompromittierende Fotos eines Mitglieds des Königshauses besitzt und damit nach Belieben sämtliche staatlichen Autoritäten erpressen kann. Man findet heraus, dass jene Bilder in einem Tresorschließfach der Bank Lloyd’s lagern. Um ihrer auf inoffiziellem Wege habhaft zu werden, beschließt man, über komplizierte Wege ein paar Kleinganoven zu einem Einbruch anzustiften und die Fotos dann später zu sichern. Der „Bank Job“ geht über die kleinkriminelle Martine Love (Safron Burrows) an den hochverschuldeten Luxuswagenverkäufer Terry Leather (Jason Statham), der mit vier weiteren Beteiligten den Bruch plant und trotz einiger Faux-pas erfolgreich durchführt. Von den belastenden Aufnahmen ahnen Terry und seine Männer im Gegensatz zu Martine zunächst nichts, ebensowenig davon, dass sich neben Geld und Schmuck nunmehr noch ganz andere, höchst brisante Objekte in ihrem Besitz befinden…

Um den Baker Street Robbery am 11. September 1971, dessen Täter nie gefasst wurden und dessen Beute größenteils unentdeckt blieb, ranken sich, ähnlich wie um Jack The Ripper, einige bunte Verschwörungstheorien, die Mitglieder der allerhöchsten britischen Kreise beinhalten. Eine recht populäre davon behandelt dieser von Roger Donaldson, der sich im Falle seiner period pieces ja stets authentisch verwurzelter Sujets annimmt, wie üblich brillant inszenierte Heist-Thriller. Darin wird die – durchaus sympathische – Einbrecherclique von niemand Geringerem als dem Geheimdienst MI5, respektive dessen Aktivposten Tim Everett (Richard Lintern) auf das schmutzige Geschäft angesetzt, was die Beteiligten erst nach dem eigentlichen, auf verblüffende Weise gelungenen Bruch in die Bredouille versetzt. In den ausgeraubten Schließfächern befinden sich neben den heiklen X-Fotos, die Prinzessin Margaret beim flotten Dreier zeigen, nämlich unter anderem noch ein Notizbuch des Sohoer Pornokönigs Lew Vogel (David Suchet), in dem minutiös sämtliche seiner Schmierungen von Londoner Polizisten aufgeführt sind, sowie ein Fotographie-Portfolio der Puffmutter Sonia Bern (Sharon Maugham), das diverse Unter- und Oberhausmitglieder in ziemlich prekären Situationen dokumentiert. Mit seiner reichhaltigen Beute wird das Sextett zunächst also alles andere als glücklich; vor allem Vogel und einige seiner Mittelsleute bei der Polizei gehen alles andere als zimperlich vor, um ihren Besitz zurückzuerlangen.
Einige historische Fakten werden noch mitverwurstet, so die Flucht des zeitweiligen John-Lennon-Protegés Michael X nach Tobago, der, nachdem er die Freundin (Hattie Morahan) seines Adlatus Hakim Jamal (Colin Salmon) ermoden lässt aufgrund des Verdachts, sie sei eine Spionin (wiederum eine fiktionalisierte Facette des Filmscripts), gefasst und später in Port of Spain hingerichtet wurde. Was nun wahr ist und was Erfindung, scheint in Anbetracht des lustvoll ausgebreiteten Ränke-Tableaus, das „The Bank Job“ durchaus vortrefflich arrangiert, geradezu nebensächlich. Die Verwicklungen von Staatsräson, illegalen Aktionen, Unterwelt und Korruption, an deren losen Enden sich ausgerechnet die Einbrecherbande noch als die Unschuldigsten aller Beteiligten erweist, geben ein sehr schickes, oftmals bitterbös karikierendes Empire-Bild ab. Dass ein paar Details verbesserungswürdig bleiben, verleidet Donaldsons sechzehnter Regiearbeit allerdings das letzte i-Tüpfelchen: So sehen sowohl Statham mit seinem üblichen Dreitagebart als auch Safron Burrows kein bisschen aus wie zwei Londoner zu Beginn der siebziger Jahre, sondern wie zwei modelhafte Schauspieler von 2008, die in einem period piece auftreten. Ähnliches gilt für den Score (J. Peter Robinson), der, im Gegensatz zu den Songeinspielern, leider ebenfalls keierlei periodische Anbindung aufweist. Derlei Nachlässigkeiten führen leider dazu, dass man allenthalben aus der Illusion des Zeitkolorits herausgerissen wird, was in Anbetracht der sonstigen Qualitäten von „The Bank Job“ zwar verschmerzbar ist, aber dennoch unnötig gewesen wäre. Ich habe mich während des Films häufiger gefragt, wie wohl Guy Ritchie, für den der Stoff sich ja eigentlich geradezu prototypisch ausnimmt, das Ganze dirigiert hätte. No pun intended.
Sein übliches Happy End jedenfalls gönnt Donaldson entgegen allen Wahrscheinlichkeiten wiederum auch Terry Leather und seiner Familie. So schließt sich dann auch dieser Kreis.

8/10

THE RECRUIT

„Nothing is what it seems.“

The Recruit (Der Einsatz) ~ USA/CH 2003
Directed By: Roger Donaldson

Den junge Computer-Spezialisten James Douglas Clayton (Colin Farrell) treibt wenig um, mit Ausnahme des ungeklärten Todes seines Vaters vor dreizehn Jahren. Ansonsten lebt er in den Tag hinein und jobbt als Kellner, bis ihm eines Tages der mystrerlöse Walter Burke (Al Pacino) aus heiterem Himmel das Angebot unterbreitet, sich der CIA als Auszubildender anzufangen. Burke ködert den zunächst uninteressierten James mit der Eröffnung, dass möglicherweise auch sein Vater einst als Agent bei der Erfüllung seiner Dienstpflicht gestorben sei und diesbezügliche Geheiminformationen existierten. Also heuert James bei der „Firma“ an und wird gemeinsam mit seinen neuen Mit-Azubis auf die „Farm“ geschickt, eine Ausbildungsstätte für vielversprechenden Spionage-Nachwuchs unweit von Langley. Hier wird James, der sich rasch in seine Kommilitonin Layla (Bridget Moynahan) verguckt, von Burke an seine physischen und psychischen Obergrenzen getrieben, bevor dieser ihn offiziell aus dem Trainingsprogramm ausscheiden lässt und ihn statddessen als „NOC“, als verdeckt arbeitenden Sonderermittler, ins Feld schickt: Layla, so Burke, arbeite in Wahrheit für die Gegenseite und habe den Auftrag, ein Computervirus namens „ICE-9“ aus dem Hauptquartier zu stehlen…

„The Recruit“ erweist sich unversehens als eine relativ sichere Kiste für alle Beteiligten. Es gibt einen ordentlichen Thriller-Plot mit allerlei inhaltlichen Unwägbarkeiten und Twists, die der Zuschauer an der Seite des unsicheren Protagonisten James Clayton zu durchlaufen hat, diverse Inneneinblicke in die Ausbildungspraktiken und Arbeitsweise der nicht eben sympathisch dargestellten CIA, eine hübsche Romanze mitsamt einem intrigengespickten Katz-und-Maus-Spielchen, drei erstklassige HauptdarstellerInnen, und mit Donaldson einen Regisseur, der das Ganze so routiniert wie formal geschlossen in Szene setzt. Gewiss kommt man nicht umhin, das Ganze unter Voraussetzung entsprechender Kenntnis als eine irdische(re) Variation von Taylor Hackfords „The Devil’s Advocate“ wahrzunehmen, der Einfachheit halber wiederum mit Pacino als böser Spinne im Netz, die sich die Instabilität eines aufstrebenden Jünglings zunutze macht. Nun ist Pacino in diesem Fall bloß kein Höllenfürst, sondern ein ausgebrannter, abgelegter Scheinheld früherer Tage, bei dem sich, wie die Conclusio erweisen wird, infolge schlechter Bezahlung und ausbleibender Belobigung ein gewaltiger Frustrationsstau angesammelt hat und der sich deswegen vom Feind kaufen ließ. Sein als von ihm als Marionette herangezogenes Mündel erweist sich am Ende dann aber doch als allzu tefflicher Schüler und somit cleverer denn der falsche Mentor, woraufhin Pacino einen ähnlichen furiosen Abgang wie einst Tony Montana hinlegt. Im Alter, das muss man trotz der natürlich gewohnt exzellenten Leistung des großen Schauspielers sagen, ist auch ein Pacino nurmehr ein Opfer des type casting, was es ihm möglicherweise erleichtert, den traurigen Zynismus seiner Figur Walter Burke geradezu plastisch spürbar zu machen. „The Recruit“ ist auch ein Herbst-/Winter-Film; eine permanente Wolkendecke hängt grau und bleiern über Virginia und damit gleichermaßen den Machtzentren des Landes, was die Photographie (Stuart Dryburgh) zu monochromen, tristen Bildern hinreißt, die die von Misstrauen und Identitätssuche geprägte Atmosphäre des Ganzen nurmehr forciert. Dass am Ende dann doch noch aufrichtige Liebe und damit einhergehend der Keim eines stabilen Neuanfangs über das hinterhältige Ränkespiel der falschen Vaterfigur triumphieren, wirkt dann allerdings ein wenig zugestanden. Ein konsequent fataler Ausgang hätte da möglicherweise für mehr Nachhall gesorgt, aber die richtig große Packung Tristesse mutet Donaldson seinem Publikum ja eigentlich ohnehin nie zu.

7/10