SMILE

„You’re gonna die.“

Smile ~ USA 2022
Directed By: Parker Finn

Seit sie als kleines Mädchen (Meghan Pratt Brown) den Suizid ihrer Mutter miterleben musste, ist die Psychiaterin Rose Cotter (Sosie Bacon) selbst traumatisiert. Mittlerweile glaubt sie sich wieder stabil, bis sich die hysterische Akutpatientin Laura Weaver (Caitlin Stasey) in ihrer Gegenwart auf grauenvolle Weise das Leben nimmt. In den nächsten Stunden und Tagen beginnt sich das, was Rose seitens Laura zunächst für irrationales Gestammel hielt, prophezeiungsgleich auch für sie selbst in schreckliche Realität zu verwandeln: lebende und tote Bekannte erscheinen ihr und verhalten sich, dabei sinister lächelnd, in höchstem Maße bedrohlich. Rose findet heraus, dass sich ein Besessenheitsfluch auf sie übertragen hat, hinter dem eine dämonische Entität steht, die ihre Kraft aus den Traumata ihrer Wirte bezieht. Es gibt jedoch einen Weg, die Kette kurzzeitig zu unterbrechen…

Wenn ich in letzter Zeit des Öfteren auf diesen Seiten anmerkte, dass das Horrorgenre sich in jüngerer Zeit doch wieder deutlich interessanter gestaltete als in den Jahren zuvor, dann bezog ich mich garantiert nicht auf Konfektionsgut wie am Reißbrett entworfene, verzichtbare Studioware wie „Smile“. Das jawohl teils überaus erfolgreich gelaufene Langfilmdebüt des Regisseurs Parker Finn verzeichnet keinerlei originelle Ideen und hält sich bereits für besonders clever, wenn es den Kamerawinkel verschrägt oder gleich ganz auf den Kopf stellt. Die Konzeption von „Smile“ orientiert sich an den hinlänglich bekannten Heimsuchungs- und Besessenheitsstorys, wie sie vor allem die diversen um die Jahrtausendwende entstanden, ostasiatischen Gattungsvertreter etablierten: Ein verstörendes Erlebnis geht einher mit dem Wirtskörperwechsel eines übersinnlichen, parasitären Wesens, dass sich an den Ängsten seiner Opfer labt und stärkt, um sie dann in den Selbstmord zu schicken, wenn wieder eine weitere Ablösung naht. Die vermeintliche „Innovation“, das ganze via tiefer Protagonistinnenempathie möglichst erschreckend darzubieten, besteht darin, die Besessenen mit bösartig grinsendem Volk aus dem persönlichen Sozialzirkel zu konfrontieren – jede/r könnte plötzlich anfangen, die schneeweißen Zähne zu blecken, Drohungen von sich zu geben oder sich sonstwie horribel zu verhalten. Hinzu kommt, dass niemand der armen Rose Glauben schenken mag. Im Gegenteil sind die resiliente, aber kreuznervige Schwester (Gillian Zinser) nebst Pantoffelheldenschwager (Nick Arapoglou), der fatzkige Verlobte (Jessie T. Usher) und nicht zuletzt die eigene Therapeutin (Robin Weigert) durchweg der Überzeugung, Rose würde zunehmend gesellschaftlich inkompatibel und versuchen, ihr mittels aller möglichen redundanten, diesseitigen „Hilfsmaßnahmen“ beizukommen. Auch dies samt und sonders hinlänglich bekannte Motive aus wesentlich spannenderen Vorläufern und Archetypen, die man besser einmal mehr einer Revision unterziehen sollte, bevor man sich diesem allerhöchstens stellenweise anregenden, zudem ziemlich vulgärpsychologisch betankten Produkt aussetzt.

4/10

BLUE SKY

„You’re not Brigitte Bardot, remember?“

Blue Sky (Operation Blue Sky) ~ USA 1994
Directed By: Tony Richardson

Hawaii, 1962. Weil das exaltierte Verhalten der Offiziersgattin Carly Marshall (Jessica Lange) der hiesigen Kommandatur ein Dorn im Auge ist, wird Major Hank Marshall (Tommy Lee Jones) mitsamt Carly und ihren beiden Teenagertöchtern Alex (Amy Locane) und Becky (Anna Klemp) nach Alabama versetzt. Vor Ort erweist sich Carlys Gebahren als weiterhin nachgerade ungezähmt; sie identifiziert sich mit glamourösen Filmdiven, hat psychotische Episoden und sorgt für einen Minieklat nach dem anderen. Hank plagen derweil noch ganz andere Sorgen: als Experte für Fragen der Nukleartechnik wird er kurzfristig nach Nevada beordert, um dort den ersten „Blue Sky“-Test zu überwachen, ein Verfahren, bei dem die Atombombe unterirdisch gezündet wird. Als Hank vom Helikopter aus in unmittelbarer Nähe des Testgeländes zwei Cowboys (Timothy Scott, Timothy Bottoms) ausmacht, wird er über den Vorfall zu strengster Geheimhaltung verpflichtet. Um ihn auch tatsächlich mundtot zu machen, entspinnt sein Vorgesetzter Colonel Johnson (Powers Boothe) eine perfide Intrige gegen ihn, die dazu führt, dass Hank stark sediert in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik landet. Nun ist es an Carly, die an Hanks Schassung eine große Mitschuld trägt, ihrem Gatten beizustehen…

Der letzte Film des aus der neorealistischen, britischen Kitchen-Sink-Strömung hervorgegangenen Tony Richardson lag nach seiner Fertigstellung im Herbst 1991 drei Jahre auf Eis, bevor er dann doch noch in die Kinos kam. „Blue Sky“ war Teil der Konkursmasse der zwischenzeitlich pleite gegangen Produktionsgesellschaft Orion Pictures und insofern ein Opfer ungeklärter Rechtslage. Basierend auf dem einzigen, autobiographisch gefärbten Filmdrehbuch der Scriptautorin Rama Laurie Stagner entwirft der Film ein gleichermaßen klassisch geprägtes wie behende mit naheliegenden Klischees spielendes Militärdrama vor dem historischen Hintergrund der Hochphase des Kalten Krieges. Stagner schielt dabei auch zu großen Vorbilden, von „From Here To Eternity“ bis hin zu diversen Williams-Dramen. Primär bildet die Geschichte dabei das Porträt einer sich allen Konventionen entgegenstellenden Frau, deren Changieren zwischen hysterischer Trübnis und Promiskuität vermutlich das Resultat einer frühgeprägten, bipolaren Störung ist: Über Carlys Kindheit und Jugend in Virginia erfährt man nicht viel Eindeutiges, außer, dass sie der Zustand des „Unerwünschtseins“ offenbar schon seit eh und je verfolgt. Sie versucht, ihr Unglück durch kleine Skandälchen zu kompensieren; zeigt sich einer Hubschrauberstaffel am Strand oben ohne und becirct sämtliche Offizierspatentträger, die ihr zu nahe kommen. Ihr streng logisch agierender Mann Hank trägt all das mit stoischer Gelassenheit und Fassung, bis irgendwann doch die eine, natürlich im Zuge eines Ränkespiels wohlweislich herbeigeführte Eskapade das Fass zum Überlaufen bringt. Hier hat Carly dann die Möglichkeit, sich großflächig zu rehabilitieren, indem sie dem zwischenzeitlich kaltgestellten Hank aus der Patsche hilft und ihre wilde Entschlossenheit ausnahmsweise in moralisch unzweifelhafte Fahrwässer lenkt.
Inwieweit Richardson, der nur kurze Zeit nach der Komplettierung des Films verstarb, am final cut beteiligt war, respektive die vorliegende Fassung seiner künstlerischen Vision entspricht, lässt sich auf die Schnelle nicht eruieren. Tatsache ist, dass „Blue Sky“ vor allem im letzten Drittel oftmals überhastet wirkt und übereilig montierte Szenen auf Kosten seiner erzählerischen Fluidität gehen, gerade so, als habe man eine festgezurrte Spielzeit unbedingt einhalten wollen. Der demzufolge teils fast schon elliptisch wirkenden Narration steht eine gelegentlich unbehende wirkende Dramaturgie gegenüber, etwa, wenn Johnsons ja doch recht komplexe Intrige binnen weniger Filmmomente bricht und auf ihn selbst zurückrollt oder wenn das übereilt, in Anbetracht des traumatischen Potenzials der zuvor entrollten Geschehnisse, fast schon ein wenig surreal wirkende happy end den Film nach knapp 100 Minuten schließt. Dennoch: die schauspielerische Brillanz der Beteiligten, allen voran natürlich Jessica Lange, für die ihre dann auch mit dem Oscar prämierte Rolle geradezu maßgeschneidert wirkt, machen aus „Blue Sky“ den interessanten, um nicht zu sagen: sehenswerten Schwanengesang eines großen, wichtigen Filmemachers des zwanzigsten Jahrhunderts.

7/10

GOTHIKA

„You can’t trust somebody when they think you’re crazy.“

Gothika ~ USA/F/CA/E 2003
Directed By: Mathieu Kassovitz

Eines Abends ist die in der forensischen Woodward-Klinik tätige Psychiaterin Miranda Grey (Halle Berry) wegen eines Sturms gezwungen, einen Umweg nach Hause zu nehmen. Mitten auf der Straße begegnet sie einem geisterhaften Mädchen (Kathleen Mackey), das nach Ansprache durch Miranda in Flammen aufgeht. Später erwacht die amnesische Ärztin höchstselbst als Insassin der geschlossenen Sektion von Woodward – sie soll ihren Ehemann Douglas (Charles S. Dutton), Chef des Hospitals, an jenem mysteriösen Abend ermordet haben. Zwar beteuert Miranda vehement ihre Unschuld, doch sämtliche Beweise sprechen gegen sie. Zudem scheint jene gespenstische Entität ihr nachzustellen und sie unbedingt auf etwas hinweisen zu wollen. Der völlig auf sich gestellten Miranda bleibt nurmehr die Flucht nach vorn…

Als vierte Produktion des 1998 als Reminiszenz an den legendären Gimmick-Filmemachers William Castle gegründeten Studios Dark Castle Entertainment bewegt sich „Gothika“ qualitativ recht gleichförmig auf der üblichen Linie der damals noch jungen, eine klare Linie verfolgenden Genreschmiede. Der erstmals für Hollywood arbeitende Regisseur Mathieu Kassovitz berichtete im Nachhinein höchstselbst, seine Arbeit an „Gothika“ lediglich als anspruchslosen Türöffner zu größeren Budgets betrachtet und keinerlei persönliche Ambitionen in das Projekt investiert zu haben. Diese exponierte Leidenschaftslosigkeit merkt man dem Film durchaus an; sein Thema apostrophiert sich mehr oder weniger gelangweilt als vollkommen handelsüblicher, schnödester Geistergrusel mit jenseitigem Erlösungsgesuch: Ein einst im Zuge ungeheuerlicher misogyner Umtriebe gewaltsam zu Tode gekommenes Mädchen sucht sich eine irdische, medial sensible Erfüllungsgehilfin, die es unfreiwilligerweise für seine Rache benutzt. So weit, so gewöhnlich. Natürlich sind auch die campigen Volten Castles immer ganz gut identifizierbar – der bloße Effekt um seiner selbst Willen steht im Vordergrund und drängt Glaubwürdigkeit oder gescheiten Dialog rücksichtslos in die letzte Bank. Da „Gothika“ nunmal ist, was er ist und daraus auch keinen Hehl macht, stört dies jedoch kaum. Das Irrenhaus als mit einer Menge Traditionsbewusstsein aufgeladener Schauplatz für klassisches Genrekino rechtfertigt immerhin einige ordentliche production values, die Besetzung ist durchweg ordentlich und die vielen kleinen Schlenker zum Sensationalismus hin tun auch nur dann weh, man sie lässt. Ich finde „Gothika“ all seiner offenkundigen Schwächen zum Trotz daher gar nicht so unsympathisch, wie er vielerorts immer wieder gemacht wird.

5/10

PELIKANBLUT

„Hör endlich auf damit. Mit allem.“

Pelikanblut ~ D/BG 2019
Directed By: Katrin Gebbe

Die Mittvierzigerin Wiebke (Nina Hoss) hat ihren Seelenfrieden gefunden. Auf ihrem Reiterhof trainiert sie Pferde für die berittene Polizeistaffel und mit der reizenden Nicolina (Adelia-Constanze Ocleppo) bietet sie einem bedürftigen, bulgarischstämmigen Heimkind ein erfülltesn neues Zuhause. Der geschiedene Polizist Benedikt (Murathan Muslu) hat außerdem ein mehr als berufliches Interesse an ihr. Als Wiebke mit der fünfjährigen Raya (Katerina Lipovska) nach längerer Wartezeit ein weiteres Mädchen adoptieren kann, scheint sich ihr Glück nochmals zu potenzieren. Doch das schwer traumatisierte Kind steckt voller psychischer Störungen, die es sein Umfeld bald spüren lässt. Da Raya durch ihr Verhalten zunehmend nicht nur sich selbst, sondern auch andere Kinder und schließlich Nicolina und ihre Adoptivmutter in Gefahr bringt, greift die unbeugsame und unbelehrbare Wiebke zu immer bizzareren Mitteln, die harte Schale des Mädchens zu durchdringen. Das letzte Mittel scheint die Hilfe der Geistheilerin Tanka (Justine Hirschfeld) zu sein, die zu spüren glaubt, dass Raya von einer übernatürlichen Entität besessen ist.

Ganze sechs Jahre nach ihrem herzzereißenden Debüt „Tore tanzt“ legt die vielversprechende Katrin Gebbe mit „Pelikanblut“ ihre jüngste Arbeit als Regisseurin und Autorin vor. Wenngleich der thematische Ansatz auf den ersten Blick ein ganz anderer zu sein scheint, geht es doch auch hier wieder um die zutiefst involvierende Leidensgeschichte einer von einer ganz speziellen, lebensvisionären Aufgabe erfüllten Figur, die sich aufopfert und allen äußeren Widernissen zum Trotz agiert. Dass die stille Pferdeflüsterin Wiebke selbst eine tief gezeichnete Figur ist, verrät uns neben einer Narbe unter dem Auge vor allem ihr zögerliches Verhalten dem ihr unentwegte Avancen machenden Benedikt gegenüber – obschon sich hier die Chance auf ein (neues?) Familienleben, das vor allem auch Nicolina guttäte, offeriert, gibt sie ihre Zurückhaltung nicht auf.
Mit Raya erhält ihre Kämpfernatur dann ein neues, unerreichbar scheinendes Ziel, das es zu erobern gilt, selbst auf Kosten alles zuvor so mühsam Erkämpften und Erreichten. Wegen Rayas irrationalem, selbst- und fremdgefährdendem Verhalten wenden sich nach und nach fast sämtliche Bekannten und Freunde von Wiebke ab. Sie selbst hält bis zur psychischen und physischen Belastungsgrenze an Raya fest. Auch ihre störrische Weigerung, naheliegende, äußere Hilfen etwa in Form einer betreuten Wohngemeinschaft für traumatisierte Kinder anzunehmen, bricht lediglich ansatzweise ein, erreicht dann aber doch wieder neuen Rückenwind. Mit der Wendung zum Parapsychologischen hin geht Katrin Gebbe schließlich einen zunächst rätselhaften, zumal unerwarteten Weg, der sich am Ende jedoch als sinnstiftende conclusio gestaltet, die „Pelikanblut“ in die jüngere deutsche Genretradition setzt und wegführt von dem zunächst offensichtlich scheinenden Vergleich mit Nora Fingerscheidts „Systemsprenger“. Anders als in diesem geht es in „Pelikanblut“ nämlich nicht um institutionelle Überforderung, sondern um den unendlichen Kraftaufwand, den es kostet, ein verloren scheinendes Kind fest an der Hand zu nehmen und ins Leben zurückzuholen. Dass Gebbes Film sich somit einer naheliegenden, wirklichkeitsverhafteten Lösung schlicht verweigert und Rayas neue Mutter ihren unkonventionellen Weg bis zum (zumindest innerhalb der damit vorläugig endenden, diegetischen Realität von „Pelikanblut“) erfolgreichen Abschluss ihrer selbstauferlegten Mission beschreitet, muss man insofern als konsequent bezeichnen. Bei Katrin Gebbe liegt auch in der tiefsten Finsternis stets ein Funke Hoffnung.

8/10

THE NEW MUTANTS

„All of you are dangerous. That’s why you’re here.“

The New Mutants ~ USA 2020
Directed By: Josh Boone

Nachdem das Reservatsdorf der jungen native Danielle Moonstar (Blu Hunt) von einer unerklärlichen, monströsen Katastrophe heimgesucht und alle Einwohner außer ihr selbst getötet werden, erwacht Dani in einer von der Außenwelt abgeschirmten Anstalt mitten im Nirgendwo. Ihre für eine mysteriöse Organisation tätige Therapeutin Dr. Reyes (Alice Braga) eröffnet Dani, dass sie eine Mutantin ist. Mit ihren vier MitinsassInnen Rahne Sinclair (Maisie Williams), Illyana Rasputin (Anya Taylor-Joy), Charlie Heaton (Sam Guthrie) und Roberto da Costa (Henry Zaga) ebenfalls MutantInnen in ihrem Alter, knüpft Dani nur zögerlichen Kontakt. Auch um deren Fähigkeiten und persönliche Traumata erfährt sie erst nach und nach. Die Jugendlichen raufen sich aber dennoch zusammen, um jener gewaltigen Bedrohung, die von niemand Geringerem ausgeht als Dani Moonstar selbst, gemeinsam entgenzutreten.

Mit der originalen 1982er Graphic Novel „The New Mutants“ von Chris Claremont, die die NachwuchsmutantInnen Psyche, Wolfsbane, Cannonball und Sunspot als X-Men-Youngsters als Nachfolger der mittlerweile selbst erwachsen gewordenen Originale einführte, sowie deren nachfolgender Serie, hat Josh Boones produktionsgebeutelte Adaption nicht mehr allzu viel zu tun. Die Anbindung an den X-Men-Kosmos ermangelt etwa den obligatorischen Mentor Charles Xavier und noch weitere handlungstragende Details, ebenso wie sie aus mir etwas unerfindlichen Gründen die eigentlich erst später hinzustoßende Colossus-Schwester Magik hinzusetzt, die in den Comics eigentlich etwas anders verangelt ist. Dennoch werden Geist und Atmosphäre der frühen „New Mutants“-Ausgaben recht adäquat eingefangen und wiedergegeben. Die zeitweilig von dem avantgardistischen Genie Bill Sinkiewicz gezeichnete Reihe verstand sich rasch als noir-affine teenage-angst-variation der klassischen Superheldentypologien wesentlich zugetaneren X-Men mit modernen Coming-of-Age- und Horror-Elementen sowie deutlich intimeren storylines. Auch der Film grenzt sich insoweit stark von den bisherigen „X-Men“-Kinoabenteuern ab, indem er sich auf ein überschaubares Figurenensemble von sechs annähernd gleichrangigen ProtagonistInnen stützt, entwicklungspsychologische Ansätze in den Vordergrund rückt und einen hermetisch begrenzten Schauplatz an die Stelle von gewaltigen Schlachten gegen Superschurkenarmeen setzt. Davon fühlte sich das von rauschenden CGI-Orgien verwöhnte, ordinäre Superheldenfilm-Krawall-Publikum erwartungsgemäß vergrätzt. „The New Mutants“ bietet dann auch tatsächlich recht verschrobenen, eigenwilligen Fantasy-Horror fürs Pubertier, mit einem aufgrund des limitierten Budgets in punkto Effektarbeit eher mäßig bebilderten Showdown und firmiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nach zigmal verschobenen Starts, wohl als das, was man gemeinhin als „Flop“ bezeichnet. Dass er nichtsdestotrotz um einiges beseelter, schöner und interesanter ausfällt als der zwar deutlich teurere, zugleich aber wesentlich flachere „Dark Phoenix“ spricht wiederum für ihn. Ob aus diesem stiefmütterlich behandelten „Corona-Opfer“ noch die ursprünglich geplante Trilogie wird, darf bezweifelt werden. Ich wäre jedoch an Bord.

7/10

THE DEAD PIT

„The brain is the destroyer! The brain is the clock that kills us!“

The Dead Pit ~ USA 1989
Directed By: Brett Leonard

Dr. Swan (Jeremy Slate), Leiter einer psychiatrischen Klinik, beäugt mit einiger Sorge die geheimen Experimente seines Kollegen Dr. Ramzi (Danny Gochnauer). Als Swan Ramzi eines Tages in sein kleines Privatlabor folgt, wird er des ganzen Ausmaßes von Ramzis Wahnsinn bewusst: Mittels einer Mischung aus Gehirnchirurgie und Schwarzer Magie funktioniertt Ramzi willenlose Patienten zu lebenden Toten um und pfercht sie in eine unterirdische Grube. Dr. Swan gelingt es, Ramzi zu überwältigen und zu töten; die abgelegene Sektion des Instituts mauert er anschließend zu.
Zwanzig Jahre später kommt eine amnesische Patientin (Cheryl Lawson) auf Swans Station. Die junge Frau verfügt offenbar nicht nur über paranormale Sinne, sondern steht auch in unseligem Kontakt zu dem vermeintlich toten Ramzi. Gemeinsam mit einem Mitpatienten (Stephen Gregory Foster) macht sie sich daran, das Geheimnis um die zugemauerte Abteilung zu lösen und entfesselt dabei ein Inferno.

„The Dead Pit“, geschrieben und inszeniert von dem späteren Cyber-Thriller-Filmer Brett Leonard, war und ist als ein (im Vergleich zu Gordon oder O’Bannon) nicht ganz so prominentes Beispiel des überkandidelt-schwarzhumorigen Gore-Horrors der Mitt- und Spätachtziger Jahre recht gut gelitten. Besonders in der Geekkultur, die sich unter anderem aus dem Dunstkreis des „Fangoria“-Magazins speist, kann er auf eine solide fanbase zählen. Ich selbst habe den Film heuer zum ersten Mal geschaut und bin ziemlich von den Socken – darüber, dass er sein doch relativ stolzes Renommee genießt. Bekanntermaßen darf ich mich als weithin offenherzigen Zuschauer wähnen, der insbesondere einen soft spot für Genrezeug jedweder Couleur besitzt. Leonards Debüt aber hat mich wohl leider inmitten einer ganz falschen Sternkonstellation erwischt. Möglicherweise hab ich das ja auch alles, intensivster Empathieaufwändungen zum Trotz, nur völlig falsch verstanden und bin bloß zu stumpfsinnig für die heimliche (Humor-?)Offensive des Ganzen. Dass die in darstellerischer Hinsicht unsägliche, jedoch vornehmlich in Unterwäsche herumhopsende Cheryl Lawson als legitime scream squeen of the hour gepriesen wurde, lasse ich ja noch gelten; auch vielleicht, dass Leonard mit seiner Story um Dr. Ramzi und dessen sinistres Treiben eine kecke Hommage an Herschell Gordon Lewis versuchte. Innerhalb des großen Ganzen, dass „The Dead Pit“ am Ende vorschützt, erweisen sich diese Quasi-Pros jedoch als bemerkenswert unerheblich. Ich mag jetzt gar nicht so überakkurat aufzählen, was mir alles missfallen hat; über die erschreckend undifferenzierte Darstellung psychiatrischer Praxis, die zig kleinen Fehlgriffe innerhalb des hanebüchen unschlüssigen Handlungsablaufs bis hin zu der beinahe schon dreist überdehnten Erzählzeit, die ein halbwegs sinnvoller Schnitt um gute zwanzig Minuten hätte erleichtern müssen, hinaus wären das nämlich noch eine ganze Menge mehr. Am meisten gestört hat mich vermutlich, dass der komplette Film sich in einem völlig irrational übersteigerten Selbstbewusstsein ergeht, der in krassem Missverhältnis zu seinen letztendlich sichtbaren Qualitäten steht.
Da „The Dead Pit“ eben sein oben angeführter Nimbus vorauseilt, er also womöglich doch über verborgene Elemente verfügt, die mich blind über sie hinwegstolpern ließen, bin ich mit meinen Eindrücken nicht ganz glücklich.
The skin I live in.

3/10

LA TUA PRESENZA NUDA!

„He’s not an infant!“

La Tua Presenza Nuda! (Diabolisch) ~ UK/E/I/BRD 1972
Directed By: James Kelley/Andrea Bianchi

Elise (Britt Ekland), die junge, frischverheiratete, zweite Gattin des verwitweten Autors Paul Bezant (Hardy Krüger), wartet in der andalusischen Finca ihres Angetrauten auf dessen Rückkehr. Überraschend stößt zuvor noch Pauls zwölfjähriger Sohn Marcus (Mark Lester) zu ihr, der angeblich wegen eines Windpockenausbruchs eine Woche früher aus seinem Internat in die Sommerferien entlassen wurde. Marcus benimmt sich für einen Jungen seines Alters überaus untypisch; er hat keine gleichaltrigen Freunde, interessiert sich vornehmlich für Naturwissenschaften und Philosophie und macht Elise zudem unangenehme Avancen. Während der bald zu ihnen stoßende Paul seinen Filius unentwegt in Schutz nimmt und dessen Verhalten auf ein durch den Tod seiner Mutter (Colette Jack) hervorgerufenes Trauma schiebt, fügt sich für die eigenmächtig recherchierende Elise nach und nach ein gänzlich anderes Bild von Marcus zusammen: Das eines teuflisch durchtriebenen Psychopathen…

James Kelleys zweite und leider schon letzte Regiearbeit nach dem erst noch vor einigen Monaten von mir genossenen „The Beast In The Cellar“ entstand wie viele vornehmlich kommerziell ausgerichtete Werke der Ära unter internationaler europäischer Produktionsägide. Je nach Veröffentlichungsland fand sich Co-Regisseur Andrea Bianchi wahlweise gar nicht oder unter dem naheliegenden Pseudonym „Andrew White“ kreditiert; seinem künstlerischen Einfluss allerdings, der sich bereits zeitgenössisch in Grundzügen des Plots sowie ein paar semiskandalösen Nuancen in der Beziehung zwischen Elise und Marcus abzeichnete, lässt sich recht eindeutig nachspüren.
Ein (oder mehrere) Kind(er) und somit die zumindest qua Gesellschaftsvertrag unantastbar scheinendste Manifestation von moralischer und natürlich auch sexueller Unschuld als treibende, diabolische Kraft in einem psychologischen Vexierspiel einzusetzen, bildete 1972 noch eine relative Rarität, die in den Folgejahren jedoch immer mal wieder zum motivischen Hauptgegenstand innerhalb der Horror-/Thriller-Gattung erhoben wurde. Als wesentliche Pionierarbeit auf dem Sektor jenes Subgenres darf man wohl Mervyn LeRoys „The Bad Seed“ betrachten, wobei auch Henry James‘ damals bereits mehrfach filmisch adaptierte Novelle „The Turn Of The Screw“ entsprechende Avancen andeutete. Ibáñez-Serradors „¿Quién Puede Matar A Un Niño?“ war dann einer der Filme, die diesen Topos konkretisierten, ohne die zum Sinistren tendierende Persönlichkeit der minderjährigen Protagonisten direkt durch einen parapsychologischen oder sonstwie widernatürlichen Einfluss zu erklären. Doch auch „La Tua Presenza Nuda!“ darf in dieser Hinsicht als Schlüsselstück gelten. Das Engagement von Hauptdarsteller Mark Lester, der als Titelheld in Carol Reeds Dickens-Musical „Oliver!“ für Furore gesorgt und damit zum Kinderstar (mit wie üblich rasch in Drogenschwaden verpuffendem Ruhm) geworden war, bildete nicht zuletzt insofern einen kleinen Besetzungscoup. Wie sich sein Marcus Bezant im Verlaufe des Films als durch und durch boshafter Charakter erweist, der am Ende, nachdem er als ebenso durchtriebener wie pathologischer Lügner, Dieb, Spanner, Tierfolterer und -Mörder entlarvt wurde, den Mord an seiner zuvor fremdgegangenen Mutter gestanden hat, eine Therapeutin (Lili Palmer) genarrt und seine Stiefmutter in die Psychiatrie gebracht hat, schließlich auch noch die Ermordung seines Vaters plant um dessen (mittlerweile offiziell gesundete) Frau für sich zu gewinnen, das ist schon eine diskutable Breitseite, die, so möchte ich meinen, zumindest in der gebotenen Form heutzutage kaum mehr durchginge. So dürften ein paar besonders deftige Sequenzen, speziell jene, in denen sich die verbotene sexuelle Spannkraft zwischen Marcus und Elise bebildert findet, in ihrem dezidiert grenzgängerischen Impetus vor allem Bianchi zuzuschreiben sein. In jedem Fall ein in mehrfacher Hinsicht spannender, diskursfreudiger Film von einigem Nachhall.

8/10

SILVER LININGS PLAYBOOK

„You have poor social skills. You have a problem.“

Silver Linings Playbook ~ USA 2012
Directed By: David O. Russell

Pat Solitano Jr. (Bradley Cooper) leidet unter einer bipolaren Persönlichkeitsstörung, die ihm, nachdem er seiner Frau Nikki (Brea Bee) in flagranti erwischt und deren Liebhaber krankenhausreifg geprügelt hat, acht Monate in der geschlossenen Psychiatrie eingebracht haben. Auf Insistieren seiner Mutter (Jacki Weaver) hin darf Pat nun entlassen werden und unter Aufsicht seiner Eltern leben. Das erweist sich als nicht eben einfach, denn auch Pats Dad (Robert De Niro) ist ein Vollblutneurotiker, der seinen jüngeren Sohn Jake (Shea Whigham) stets bevorzugte. Zudem ist Pat in pathologischer Weise darauf fixiert, Nikki, die bereits ein Kontaktverbot erwirkt hat, zurückzugewinnen. Durch Zufall lernt er die ebenfalls psychisch angestoßene Tiffany (Jennifer Lawrence) kennen, die sich prompt in Pat verliebt und alles Mögliche versucht, ihn, der ebenfalls uneingestandenes Interesse zeigt, für sich zu gewinnen. Zu diesem Zweck überredet Tiffany Pat, mit ihr an einem Tanzwettbewerb teilzunehmen.

Hmja. Sonderlich Innovatives kredenzt diese von den Weinsteins produzierte Allerwelts-RomCom mit ein paar dramatischen Einschlägen, die ja in Anbetracht dessen, was die handelsüblichen Netzseiten so hergeben, doch sehr beliebt zu sein scheint, nicht auf. Allein aufgrund dessen will ich gewiss kein vorschnelles Qualitätsurteil fällen, nur scheint mir diese doch sehr derrivierte Mixtur aus zwei psychisch „angeknacksten“ Versehrten, die auf Umwegen zueinander finden (ähm) über einen Hauch Rostand (uff) bis hin zum unvermeidlichen Tanzfinale Marke „Dirty Dancing“ (ächz) doch etwas sehr faul vorzugehen mit ihrer ausgestellten Konstruiertheit. An „Silver Linings Playbook“, der sich schlussendlich überhaupt nicht unterscheiden will oder kann von all diesen typischen Dramödien für den Modell-Kinogänger um Therapie-Patienten, die ein bisschen sonder- weil unberechenbar sind, aber eigentlich doch ganz lieb, zumindest, so lange sie einen Vogel mit ähnlich gefärbtem Gefieder finden, ist somit aber auch gar nichts Besonderes. Man könnte Russells Film mit einem weinenden Auge auch als grundrepräsentativ für das Gros von Robert De Niros Rollenauswahl seit kurz vor der Jahrtausendwende erachten. In diesem Zeitraum spielte der einstige Vorzeige-method-actor, sofern nicht gerade Marty Scorsese seinen Weg kreuzte, den analog zu seinem Faltenwurf kauziger werdenden alten Stiesel mit Diamantschale und Herz aus Gold gefühlte dreitausend Male. Man (ich!) begne(t) ihm zwar immer noch stets gern, weil man traditionell so viel Gutes mit ihm assoziiert, aber die Wiedersehensfreude scheint doch mit jeder neuerlichen Begegnung abzuflauen, weil, ähnlich wie bei jährlich wiederkehrenden Familienfestivitäten die Geschichten, die Onkel Robert zum Besten gibt, irgendwann stets dieselben bleiben und sich daher nicht mehr ganz so spannend ausnehmen wie früher mal. So geht es im Ganzen auch „Silver Linings Playbook“, der mir allzuviel uninspirierte und dazu noch anderswo zigmal so ähnlich oder besser gesehene Reißbrettelemente vorweist, um wirklich sympathisch oder gar schön zu sein; einem Film, der sich ebenso rasch aus Herz und Hirn verflüchtigt wie ein Tröpfchen Ethanol aus einer versehentlich offen stehen gelassenen Phiole.

4/10

THE INVASION

„We’re still evolving.“

The Invasion ~ USA/AU 2007
Directed By: Oliver Hirschbiegel

Die Psychiaterin Carol Bennell (Nicole Kidman) wird Zeugin, wie außerirdische Sporen, die nach dem Absturz eines Space Shuttle entweichen, sich diverser Menschen im Schlaf bemächtigen und sie nach einer Metamorphose zu seelenlosen Marionetten eines Gedankenkollektivs assimiliert. Eine Befriedung der Menschheit um den Verlust der Individualität scheint das großflächige Ziel der Aliens zu sein, die aufblitzendem humanen Widerstand mit Gewalt und Oppression begegnen. Gemeinsam mit ihrem Söhnchen Oliver (Jackson Bond), das immun gegen den extraterrestrischen Angriff zu sein scheint, flieht Carol vor den immer zahlreicher werdenden Verwandelten mit dem obersten Ziel, bloß nicht einzuschlafen.

Leider nichts, worüber man nach Hause schreiben müsste: Oliver Hirschbiegels Hollywood-Debüt, die vierte Adaption von Jack Finneys Geschichte „The Body Snatchers“ in rund 50 Jahren, blickt auf einen gewohnt unebenen Entstehungsprozess zurück. Dem produzierenden Studio Warner gefielen etliche der von dem Newcomer inszenierten Strecken nicht und so holte man die hauseigen etablierten Wachowskis sowie James McTeigue als Notsanitäter an Bord und veranlasste diverse Nachdrehs, die unter anderem formale „Glättungen“ sowie ein positiver gestimmtes Ende beinhalteten. Inwieweit diese Modifikationen den Film verschlimmbesserten, bleibt fürs Erste reine Mutmaßung, dass Studiobosse einen hilflosen Regisseur durch die nachträgliche Veruntreuung seiner Arbeit traumatisieren, bildet indes kein Novum.
„The Invasion“ verfährt im Großen und Ganzen wie die ersten beiden Body-Snatchers-Filme von Don Siegel und Philip Kaufman von 1956 bzw. 1978; Abel Ferraras auf einen Militärstützpunkt als Handlungsort umgelagerte Variation bildete bereits für sich betrachtet eine Ausnahmeerscheinung.
Neue oder gar innovative Impulse vermag „The Invasion“ zumindest in der nunmehr zu begutachtenden Fassung dem bereits hinlänglich verhandelten Sujet nicht hinzuzusetzen. Der plotinhärente, philosophische Diskurs, demzufolge nur die Gleichschaltung aller Menschen und somit gleichermaßen die Aufgabe jedweder individueller Persönlichkeit mit einem friedlichen, enbehrungslosen und nachhaltigen Humanexistenz einher gehen kann, wird, anders als die Ängste vor der kommunistischen Bedrohung des Ostblocks in der Ära des Kalten Krieges revisionistisch, aber auch vollkommen oberflächlich abgehandelt. Im Grunde blitzt dieser ideell durchaus reizvolle Ansatz lediglich zweimal kurz im Film auf und wird durch die situative Aggressivität und Bedrohlichkeit der von den Aliens modifizierten Menschenhülsen auch gleich wieder ad absurdum geführt. Die Fremden bekotzen einen mit ihrem grünlichen Schleim, sind deutlich kräftiger als ihre menschlichen Vorgänger und töten mit bloßer Hand süße Hunde, die sich als instinktive Widersacher der Fremden einmal mehr als bester Freund des Menschen erweisen. Zudem scheute man sich, auch das offenbar im Nachhinein, dem Zuschauer einen pessimistischen Abschluss „zuzumuten“, wie er bei Siegel und Kaufman noch zum guten und vor allem richtigen Ton gehörte. Stattdessen gibt es hier einen Impfstoff (!) sowie ein Heilmittel (!!) gegen das extraterrestrische „Virus“, was auch dem mittlerweile als James Bond verpflichteten Daniel Craig (der hier – hoho, haha – rein zufällig den jüngsten Felix Leiter Jeffrey Wright an die Buddy-Seite gestellt bekam) ermöglicht, trotz seines vermeintlich zwischenzeitlichen Abgangs vor den end credits wieder gut gelaunt und rekonvalesziert bei der Heldin am Frühstückstisch zu hocken. Hübsch bieder, wohlsortiert und vor allem: halb so wild, sofern man das große Erbe außer Acht lässt und sich mit einem schnellen Imbiss zufrieden gibt. Aber auch nur dann.

5/10

THE PROFESSOR AND THE MADMAN

„Every word in action becomes beautiful in the light of its own meaning.“

The Professor And The Madman ~ IE/UK/USA/F/IS/BE/HK/MEX 2019
Directed By: Farhad Safinia

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzt sich der Philologe James Murray (Mel Gibson) das ehrgeizige Ziel, mit dem „Oxford English Dictionary“ das erste, umfassende Wörterbuch der englischen Sprache abzufassen und herauszugeben – ein ungeheuer ehrgeiziger Plan, der, wie sich rasch herauskristallisiert, selbst für ein größeres Mitarbeitergremium kaum zu bewältigen ist. Ein öffentlicher Beteiligungsaufruf erreicht schließlich auch den nach einem Mord in geistiger Umnachtung in der Broadmoor-Psychiatrie einsitzenden, ehemaligen Militärarzt William C. Minor (Sean Penn). Der nach Feldeinsätzen im Sezessionskrieg unter einem schweren, sich in Psychosen und schizophrenen Episoden äußerndem PTBS leidende Minor erweist sich als einer der wertvollsten Lieferanten für Murrays Wörtersammlung. Die beiden ungleichen Männer treffen und freunden sich an. Während Minor sich bei der Witwe (Natalie Dormer) seines vormaligen Opfers (Shane Noone) entschuldigen und schließlich sogar deren Verständnis und Liebe für sich erobern kann, schlimmern sich seine Leiden und Schuldkomplexe zusehends, was wiederum die kontraproduktive Hilflosigkeit seines Therapeuten Dr. Brayn (Stephen Dillane) verstärkt. Unter Murrays Mithilfe kann Minor schließlich entlassen und in die USA überstellt werden.

Das von Mel Gibson bereits seit langen Jahren vorbereitete, auf Simon Winchesters 1998 erschienenem „The Surgeon Of Crowthorne“ basierende Biopic endete in einer sehr unrühmlichen Postproduktionsphase und in diesbezüglichem Zusammenhang sogar vor Gericht. Weil die beteiligte Produktionsgesellschaft Voltage Pictures Gibson und seinem Regisseur Safinia sowohl das Recht auf den final cut als auch erwünschte Nachdrehs verweigerten, distanzierten sich beide öffentlich von dem schließlich veröffentlichen Resultat und nannten es eine „bittere Enttäuschung“. Safinia firmiert in den credits schließlich unter Rückzug seines Namens als sein Pseudonym „P.B. Shemran“.
Ich finde es ja immens seltsam, dass es trotz so vieler medienhistorischer Lektionen in mehr oder minder regelmäßigen Abständen dazu kommt, dass selbst kleinere Produzenten ihre kreativen Kräfte, allen voran den Regisseur, am Ende auflaufen lassen, nur weil ihnen die wie auch immer geartete finanzielle Muffe geht. Da werden gewünschte Schnittfassungen abgesägt, abgelehnt und nach jeweiligem Gutdünken verlängert oder verkürzt, ganze Scores ausgewechselt, colour gradings gezielt verändert. Vor allem aber wird unter dem Strich eine künstlerische Vision barsch mit Füßen getreten. Selbst renommierteste Filmemacher von Brian De Palma bis hin zu Paul Schrader müssen immer wieder entsprechende Enttäuschungen und Einbußen hinnehmen, tun dies anschließend gerechtermaßen lauthals kund und sorgen damit wiederum für eine Abkehr ihrer treuen Anhängerschaft und damit des potenziell größten Publikums. Auch das Feuilleton hat mit dem, was schließlich hinten rauskommt, stets seine liebe Not – der endgültige kommerzielle Todesstoß ist somit niet- und nagelfest. Dass die Produktionen derlei Negativentwicklung bei ihren Nickeligkeiten nicht nur schlichtweg ignorieren, sondern ihre Kompromisslosigkeit lieber mit noch höheren Verlusten sowie reziproker Rufschädigung bezahlen, mag mir nicht einleuchten. Aber ich bin eben auch kein Kapitalist.
Im Falle von „The Professor And The Madman“ habe ich mich erst nach der Betrachtung eingehender mit dessen unschöner Entstehungsgeschichte befasst und konnte ihn so weithin ungetrübt genießen. Möglicherweise bleibt einem das vollendete Meisterwerk vorenthalten – einen guten Film jedoch bekommt man auch so noch immer kredenzt. Kein Wunder, bei den reichhaltigen Topoi, die das unter anderem von John Boorman geschriebene Script vorschützt – zwei hochinteressant gezeichnete (und jeweils famos bespielte) Protagonisten mit ihren jeweiligen Obsessionen hat es darin, die wundervolle viktorianische Epoche natürlich; die ganz allmählich ihren misanthropischen Kinderschuhen entwachsende Geschichte der Psychiatrie, den Zauber von etymologischen Studien im Verbund mit irrwitzigem Komplettierungsstreben. Gewissermaßen als topping steht noch eine der unmöglichsten, bittersüßesten Liebesgeschichten des Kinojahres bereit – allesamt Faktoren, die mich etwas stutzend all die Negativwertungen, die „The Professor And The Madman“ zuteil wurden, zur Kenntnis nehmen lassen. Ich selbst fand Safinias Film auch in der vorliegenden Form noch sehr schön, wenngleich nicht makellos. Aber welches Werk kann mit einem derart astronomischen Qualitätsprädikat in der heutigen Zeit überhaupt noch reüssieren?

8/10