FREEJACK

„What about us?“ – „‚Us‘ was eighteen years ago.“

Freejack ~ USA 1992
Directed By: Geoff Murphy

Der New Yorker Rennfahrer Alex Furlong (Emilio Estevez) staunt nicht schlecht, als er sich nach einem spektakulären Crash statt im Jenseits in einem futuristischen Krankenwagen wiederfindet. Des Rätsels Lösung, die sich erst nach und nach entblättern wird: Alex wurde unmittelbar vor seinem natürlichen Ableben durch eine Zeitmaschine ganze 18 Jahre in die Zukunft versetzt, um dort seinen jungen, gesunden Körper einem ebenso todkranken wie zahlungskräftigen wie Klienten zur Verfügung zu stellen – das Ganze natürlich höchst unfreiwillig. Doch Alex gelingt die Flucht vor seinen Kidnappern, womit er ein „Freejack“ ist, ein Vogelfreier, dessen Ergreifung dem emsigen potenziellen Fänger Millionen von Dollars verspricht. Die Ära des Jahres 2009 entpuppt sich nämlich als mittelgradiger Albtraum aus endgültiger Klassentrennung, kapitalistischer Dystopie und Umweltverschmutzung, in der es nurmehr Superreiche und Subprekariat gibt. Spezialisiert auf die Ergreifung von Freejacks sind die sogenannten „bonejackers“, Kopfgeldjäger unter der Führung von Victor Vacendak (Mick Jagger), die über allerlei wirkungsvolle Mittel verfügen. Alex‘ einzige und letzte Chance liegt darin, seine damalige Freundin Julie (Rene Russo), mittlerweile Topmanagerin in der alles beherrschenden „McCandless Corporation“, ausfindig zu machen und auf seine Seite zu ziehen…

Der seinerzeit in Ehren gefloppte „Freejack“, eine lose auf Ronald Sheckley, respektive dessen 1959er-Roman „Immortality Inc.“ basierende, dystopische Actionkomödie, hatte es nie leicht – aus relativ eklatanten Gründen. Den knackigen, gleichermaßen klugen wie gewalttätigen Habitus der noch in den Köpfen befindlichen Verhoeven-Dystopien entbehrend, schert sich „Freejack“ (bemerkenswerterweise trotz der abermaligen Script-Beteiligung durch Ronald Shusett) relativ wenig um sein im Prinzip durchaus reizvolles dystopisches Szenario, sondern konzentriert sich zu voller Gänze auf die teils albernen Fluchteskapaden seines von Emilio Estevez gespielten Protagonisten. Jener, ein klein gewachsener, nicht sonderlich gescheiter Bursche, der eigentlich nichts kann, außer schnelle Autos (zu Schrott) zu fahren, kann es dann auch erwartungsgemäß nicht mit dem Kaliber des ansonsten für derlei Stoff zuständigen Arnold Schwarzenegger aufnehmen, der ja bereits in (dem gewissermaßen auch über Umwege Sheckley-Motive verarbeitetenden) „The Running Man“ einen Zukunftsflüchtling spielte. Vorab-Screenings müssen entsprechend debakulös ausgefallen sein, woraufhin knapp die Hälfte des Films nachgedreht wurde und Geoff Murphy gern seinen Namen zurückgezogen hätte. Mick Jagger und Anthony Hopkins, der, wohl noch vor seinen Oscar-Ehren, den Haupt-Villain spielt, meinten später, dass sie besser nicht in „Freejack“ hätten mitspielen sollen und dass der Film „schrecklich“ sei. Die eine oder andere Rückprojektion schließlich sieht tatsächlich schlimmer aus als bei den „Power Rangers“. Eine Menge morsches Holz also.
Und dennoch, hinter seinem oberflächlichen Scheitern ist „Freejack“ wie viele seiner Schicksalsgenossen auch, ein durchaus sympathisches Werk, in dem es viel Spaßiges zu entdecken gibt. Da wäre zunächst die illustre Besetzung, die bis in kleine Nebenparts hinein mit etlichen bekannten, zudem gut aufgelegten Gesichtern punktet; etwa Amanda Plummer als rotzfreche Nonne, Frankie Faison als Penner, der eine Abhandlung über die Zubereitung von Flussratten und den Absturz des amerikanischen Adlers hält oder New York Dolls-Sänger David Johansen als verräterischer Altkumpel, witzigerweise ein gewisses lookalike von Jagger, mit dem er leider keine gemeinsame Szene abbekommen hat. Überhaupt Jagger – dessen Auftritte entpuppen sich immer wieder als die wahren, kleinen Filetstückchen des Films, auch, wenn sein häufig unter einem Motorradhelm hervoschauender Mittelscheitel eher dämlich aussieht. Als moralisch wankelmütiger Strippenzieher, der im Herzen doch an eine bessere Welt glaubt und Furlong daher nebst seiner großen Finte am Ende ziehen lässt, hat er mir sehr gut gefallen. Dank Jaggers Mitwirkung gibt es auch einen Cameo seiner Damalsfrau Jerry Hall in der wohl wirrsten Szene des Films: Als Reporterin interviewt sie zufällig Furlong, der nach einem Whiskey sturzbesoffen an einem Discotresen sitzt (im Hintergrund läuft, falls sich noch jemand daran erinnert, Jesus Jones‘ „International Bright Young Thing“) und sich live lallend im TV als der gesuchte Freejack zu erkennen gibt. Die ganz große Fliegenpatsche behält sich Murphys Film (ich nenne ihn an dieser Stelle mal ganz bewusst so) fürs Ende vor: Ihre nunmehr achtzehn Jahre Altersunschied frohgemut ignorierend (zumindest das eine durchaus aparte, überaus romantische Volte) werden Furlong und Julie ihre keinesfalls dys- sondern aufgrund der ihnen nunmehr zur Verfügung stehenden Milliarden utopisches Paradies genießen können. Ihre Oldtimer-Fahrt in den imaginären Sonnenuntergang wird ausgerechnet „gekrönt“ von einer abschließenden Scorpions-Nummer – meines Wissens das einzige Mal, dass die Hannoveraner Jungs in einem Hollywoodfilm gefeaturet wurden. Das Ding schwirrt mir seit gestern unablässig als Ohrwurm im Kopf herum. Fluch oder Segen…?

6/10

TRIANGLE OF SADNESS

„I sell shit!“

Triangle Of Sadness ~ S/F/D/UK/TR/GR/DK/CH/MEX/USA 2022
Directed By: Ruben Östlund

Carl (Harris Dickinson) und Yaya (Charlbi Dean) sind zwei ausgesprochen schöne, junge Menschen, demzufolge Models und auch ein Paar. Durch ihren Status als Influencerin ergattert Yaya für die beiden die Teilnahme an einer Mittelmeerkreuzfahrt auf einer Luxusyacht gemeinsam mit diversen anderen, reichen Menschen. Deren Crew setzt sich zusammen aus einem ständig besoffenen, in marxistischer Literatur vertieften Kapitän (Woody Harrelson), einer zur unbedingten Serviceerfüllung angehaltenen Uniformiertenstaffel unter Leitung der entsprechend gedrillten Chefstewardess Paula (Vicki Berlin) sowie der fast ausschließlich aus Philippinos bestehenden ArbeiterInnenschaft. Nach einem stürmischen Kapitänsdinner, das in einer Orgie aus Kotze, Dünnpfiff und Suff endet, wird das Schiff von Piraten gekapert und versenkt. Acht Überlebende stranden auf einer scheinbar verlassenen Insel: neben Paula, Yaya und Carl sind dies der App-Entwickler Jarmo (Henrik Dorsin), der dekadente Oligarch Dimitry (Zlatko Buric), die nach einem Schlaganfall teilgelähmte Theres (Iris Berben), der Pirat Nelson (Jean-Christophe Folly) und die Putzfrau Abigail (Dolly De Leon). Als einzige in händischer Arbeit erfahrene Person übernimmt in Anbetracht der desolaten Situation rasch Abigail die Führung über die kleine Gruppe und erklärt sich selbst zur Kapitänin. Eine ganz neue Erfahrung für sie.

Wo viel Hype ist, da ist naturgemäß auch immer viel Geraune. Und wie es so ist im Leben, positioniert man sich seiner individuellen Perzeption gemäß mal auf der einen und mal auf der anderen Seite. Im Falle „Triangle Of Sadness“, der seinem Regisseur Ruben Östlund neben diversen anderen Preisen bereits die zweite Palme d’Or eingetragen hat, stellt sich im Hinblick auf Meinungsdiversität rasch die primäre Frage nach „gelungener“ oder auch „treffender“ Satire, ähnlich wie bei der Netflix-Produktion „Don’t Look Up“ im letzten Jahr, deren zumindest ansätzliche Ausprägung der von Östlunds Film nicht unähnlich ist. In einer Zeit, da Menschen wie Elon Musk die globale Aufmerksamkeit bündeln und die Diskussion um das perverse Ungleichgewicht monetärer Mittel immer allgegenwärtiger wird, sind filmgewordene Spottschriften wie diese zunächst einmal eine offensichtliche Erscheinung. Nur: wie subtil und sophisticated haben sie zu sein? Oder darf es auch „in your face“ zugehen, laut, ordinär und vulgär gar? Der Weg, den „Triangle Of Sadness“ wählt, passt. In seiner ein ums andere Mal zutiefst abjekten Vorgehensweise trifft das Script vielleicht nicht jedes Mal punktgenau, meist aber doch sehr zielsicher ins Schwarze. Das buchstäblich aus dem Ruder laufende captain’s dinner auf der Yacht mit seiner anschließenden Kontrastierung aus humaner Komplettentleerung und moralöknomischer Grundsatzdiskussion im Vollrausch zweier Delirprofis empfand ich nicht nur himmelschreiend witzig, sondern darüberhinaus als komödiantischen Höhepunkt, der in einer Reihe steht mit den großen Slapstick- und Screwball-Szenarien von Chaplin über die Marx Brothers bis hin zu Jerry Lewis und vielleicht eines schönen Tages mit diesen in einem Atenzug genannt werden wird. Als gänzliches Juwel besteht „Triangle Of Sadness“ trotz dieser grandiosen Klimaxminuten allerdings nicht; die das Geschehen einfassende Beziehung von Yaya – Charlbi Dean makellos schön, mir zuvor gänzlich unbekannt und entsetzlicherweise schon so jung verstorben – und Carl karikiert zwar ganz hübsch die fahle Ausgehöhltheit solcher, von erschreckend-permanenter Selbstillustration geprägter Insta-Existenzen, taugt als Rahmung jedoch eher bedingt und lässt durchblicken, dass Östlund hier und da selbst nicht so recht wusste, was er da eigentlich genau aufs zu Korn nehmen gedachte. Ähnliches gilt für das natürlich mit Golding und Orwell kokettierendem Inselkapitel, das wohl die Frage nach Machtumverteilung, sowie deren adäquatem Ge- bzw. Missbrauch ausloten soll. Hier versagt sich der Film leider jene Geschlossenheit und Konsequenz, derer er als veritables Meisterwerk unerlässlich bedurft hätte. So bleiben exquisite Glanzlichter neben manchem Fragezeichen, wobei erstere ihre Dominanz in der Rückschau glücklicherweise stante pede verteidigen.

8/10

GLASS ONION: A KNIVES OUT MYSTERY

„I’ve learned through bitter experience that an anonymous invitation is not to be trifled with.“

Glass Onion: A Knives Out Mystery ~ USA 2022
Directed By: Rian Johnson

Gemeinsam mit einigen anderen mehr oder weniger wertigen Gästen findet sich der weltbeste Privatdetektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) auf der sonnenverwöhnten, privaten Ägäis-Insel des exzentrischen Multimilliardärs Miles Bron (Edward Norton) wieder. Dieser hat seinen erlesenen Freundeszirkel für ein Exklusivwochenende in seinen luxuriösen Wohnkomplex „Glass Onion“ eingeladen, um dort ein gleichfalls partyseliges wie kriminalistisch herausforderndes Wochenende zu verbringen, mit ihm selbst als Mordopfer und der sich daraus ergebenden Frage um den Täter und dessen Motiv. Da mit Ausnahme des Detektivs alle Anwesenden gleichermaßen in einem perfiden Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem „Freund“ und Gastgeber stehen, kommt jeder in Frage, doch Blanc, der, wie sich bald herausstellt, mitnichten auf Brons Wunsch hin vor Ort ist, torpediert dessen Spiel kurzum und nonchalant. Bald jedoch gibt es eine wirkliche Leiche…

Benoit Blancs wiederum von Rian Johnson geschriebenes und inszeniertes zweites Filmabenteuer wird aktuell direkt von bzw. via Netflix lanciert, was eigentlich auch ganz gut passt zu dem sich bereits jetzt als strukturgewohnt abzeichnendem Kriminal-Serial. Seine satireaffine Poirot-Liebe bringt Johnson abermals in Höchstmaßen zu Geltung; wer die Kinostücke um Peter Ustinov kennt, weiß grob umrissen bereits, was Daniel Craig alias Benoit Blanc zu bieten hat: mondäne Schauplätze, luxuriöses Ambiente, spektakuläre Architektur und Interieurs. Dazu ein zumindest halbwegs prominent besetztes Ensemble, das genussvoll eine Schar grober, von Egozentrik, Gier und Arroganz zerfressener Unsympathen darbietet, an deren Spitze – natürlich – das (in diesem Fall eigentlich nur potenzielle) Mordopfer steht. Als recht witzig entpuppen sich die diersen Seitenhiebe in Richtung der Covid-Pandemie und des zeitweiligen Umgangs mit ihr, die darüberhinaus zahllos okkurierenden Popkultur- (und Selbst-)referenzen zu entdecken, überlässt Johnson findigen Zuschauern noch als zusätzliches Bonmot. Wesentlich mehr jedoch bleibt sich über den allseitig professionell (und demzufolge gediegen überrschungsfrei) gehandhabten „Glass Onion“, der seinen etwas unsinnigen Untertitel wohl ausschließlich zur Steigerung des Wiedererkennungseffekts trägt, kaum zu sagen. Das Beziehungsgeflecht der illustren Beteiligtenschar nimmt sich ebenso vordergründig kompliziert wie obsolet aus und dient allein dem Alibi der großzügigen Erzählzeit. Es hagelt MacGuffins in Hülle und Fülle, sowohl in Objektform, als auch in narrativen Finten. Spaß macht „Glass Onion“ nichtsdestotrotz schon, zumal er in kommenden Jahren vielleicht als endgültige Initiation einer Art internationaler „Traumschiff“-Variante für die Festtagssaison gelten mag. Einen Blanc alle zwei, drei Jahre zu Weihnachten, hell, schick und ein kleines bisschen hohl, fände ich durchaus erträglich. Den als einziges Ingredienz völlig aus dem Rahmen fallenden, schlurrigen Kifferhippie Derol (Noah Segan), der erfreulicherweise gar keine Funktion besitzt (außer vielleicht die, findigen Freizeitdetektiven frustrierte Fragezeichen zu entlocken), sollte man allerdings als künftigen running gag gern beibehalten.

7/10

THE GREEK TYCOON

„Let’s go and make love!“

The Greek Tycoon (Der große Tycoon) ~ USA 1978
Directed By: J. Lee Thompson

Der griechische Großreeder und Multimillionär Theo Tomasis (Anthony Quinn) lebt ein Leben in Saus und Braus, mit Wein, Weib, Gesang und Sirtaki. Seine Gattin Simi (Camilla Sparv), die ihn über alles liebt, leidet im Stillen, sein Sohn Nico (Edward Albert) ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, in die übergroßen Fußstapfen des mächtigen Vaters zu treten und seinem heimlichen Hass auf die Eskapaden des Moguls. Als Tomasis die Amerikanerin Liz (Jacqueline Bisset) kennenlernt, die mit dem Politiker und künftigen US-Präsidenten James Cassidy (James Franciscus) liiert ist, ist es einmal mehr um ihn geschehen. Der Weg wird frei, als Cassidy einem Attentat zum Opfer fällt. Derweil muss sich Tomasis wegen einer Korruptionsaffäre mit der amerikanischen Kartellaufsicht herumschlagen.

Das ist schon toll: Nico Mastorakis, der sich neben Morton Fine die Story mit“ausgedacht“ hat, berichtete auf Anfrage, „The Greek Tycoon“ sei gar kein inoffizielles Biopic über Aristoteles Onassis und Jackie Kennedy, sondern eine Bestandsaufnahme der Lebensweise sämtlicher griechischer Tycoons. Ein Blinder mit Krückstock könnte Mastorakis diesbezüglich Lügen strafen; zwar findet sich die Geschichte um Onassis und die Kennedy-Witwe in die damalige Gegenwart transponiert, zwar gibt es keine Christina Tomasis, die das väterliche Imperium dereinst erben wird, zwar sind einige Ereignisse wie der Absturz des Sohnes und der Selbstmord der vormaligen Ehefrau nicht in der authentischen Reihenfolge angeordnet und andere Fügungen aufgeweicht respektive leicht abgeändert, das alles ändert aber nichts an dem Status des Ganzen als recht prallem roman à clef: Onassis‘ Langzeitaffäre Maria Callas wird zu einer Schauspielerin namens Sophia Matalas (Marilù Tolo) umfunktioniert, statt in Dallas wird der fiktive Präsident Cassidy (!) am Strand seines Wochenendhaus erschossen. Anthony Quinn, seit „Zorba The Greek“ ohnehin die Weltprojektion des typisch griechischen Lebemannes in der Hauptrolle hätte niemals von wem anderen substituiert werden können, so sehr ist ihm die Rolle auf den Leib geschrieben. Der Campfaktor ist hoch und der Film in seiner aufreizend boulevardartigen Gesamtheit im Nachhinein ein unbedingtes Vorbild für die diversen amerikanischen Familienserien der kommenden Dekade von „Dallas“ über „Dynasty“ bis hin zu „Falcon Crest“. Wer wie ich für diese ein Herz hat und protzige alte Herren, die meinen, sie thronten wie Zeus persönlich über dem  Dache der Welt und könnten Blitze verschießen, wie es ihnen beliebt, auch nur ansatzweise sympathisch findet, der wird sich in dieser herrlichen Mär vom guten alten J. Lee sehr fix zu Hause finden, auch wenn „The Greek Tycoon“ ansonsten keineswegs das ist, was man reinen Gewissens als „guten“ Film bezeichen würde.

7/10