FREEJACK

„What about us?“ – „‚Us‘ was eighteen years ago.“

Freejack ~ USA 1992
Directed By: Geoff Murphy

Der New Yorker Rennfahrer Alex Furlong (Emilio Estevez) staunt nicht schlecht, als er sich nach einem spektakulären Crash statt im Jenseits in einem futuristischen Krankenwagen wiederfindet. Des Rätsels Lösung, die sich erst nach und nach entblättern wird: Alex wurde unmittelbar vor seinem natürlichen Ableben durch eine Zeitmaschine ganze 18 Jahre in die Zukunft versetzt, um dort seinen jungen, gesunden Körper einem ebenso todkranken wie zahlungskräftigen wie Klienten zur Verfügung zu stellen – das Ganze natürlich höchst unfreiwillig. Doch Alex gelingt die Flucht vor seinen Kidnappern, womit er ein „Freejack“ ist, ein Vogelfreier, dessen Ergreifung dem emsigen potenziellen Fänger Millionen von Dollars verspricht. Die Ära des Jahres 2009 entpuppt sich nämlich als mittelgradiger Albtraum aus endgültiger Klassentrennung, kapitalistischer Dystopie und Umweltverschmutzung, in der es nurmehr Superreiche und Subprekariat gibt. Spezialisiert auf die Ergreifung von Freejacks sind die sogenannten „bonejackers“, Kopfgeldjäger unter der Führung von Victor Vacendak (Mick Jagger), die über allerlei wirkungsvolle Mittel verfügen. Alex‘ einzige und letzte Chance liegt darin, seine damalige Freundin Julie (Rene Russo), mittlerweile Topmanagerin in der alles beherrschenden „McCandless Corporation“, ausfindig zu machen und auf seine Seite zu ziehen…

Der seinerzeit in Ehren gefloppte „Freejack“, eine lose auf Ronald Sheckley, respektive dessen 1959er-Roman „Immortality Inc.“ basierende, dystopische Actionkomödie, hatte es nie leicht – aus relativ eklatanten Gründen. Den knackigen, gleichermaßen klugen wie gewalttätigen Habitus der noch in den Köpfen befindlichen Verhoeven-Dystopien entbehrend, schert sich „Freejack“ (bemerkenswerterweise trotz der abermaligen Script-Beteiligung durch Ronald Shusett) relativ wenig um sein im Prinzip durchaus reizvolles dystopisches Szenario, sondern konzentriert sich zu voller Gänze auf die teils albernen Fluchteskapaden seines von Emilio Estevez gespielten Protagonisten. Jener, ein klein gewachsener, nicht sonderlich gescheiter Bursche, der eigentlich nichts kann, außer schnelle Autos (zu Schrott) zu fahren, kann es dann auch erwartungsgemäß nicht mit dem Kaliber des ansonsten für derlei Stoff zuständigen Arnold Schwarzenegger aufnehmen, der ja bereits in (dem gewissermaßen auch über Umwege Sheckley-Motive verarbeitetenden) „The Running Man“ einen Zukunftsflüchtling spielte. Vorab-Screenings müssen entsprechend debakulös ausgefallen sein, woraufhin knapp die Hälfte des Films nachgedreht wurde und Geoff Murphy gern seinen Namen zurückgezogen hätte. Mick Jagger und Anthony Hopkins, der, wohl noch vor seinen Oscar-Ehren, den Haupt-Villain spielt, meinten später, dass sie besser nicht in „Freejack“ hätten mitspielen sollen und dass der Film „schrecklich“ sei. Die eine oder andere Rückprojektion schließlich sieht tatsächlich schlimmer aus als bei den „Power Rangers“. Eine Menge morsches Holz also.
Und dennoch, hinter seinem oberflächlichen Scheitern ist „Freejack“ wie viele seiner Schicksalsgenossen auch, ein durchaus sympathisches Werk, in dem es viel Spaßiges zu entdecken gibt. Da wäre zunächst die illustre Besetzung, die bis in kleine Nebenparts hinein mit etlichen bekannten, zudem gut aufgelegten Gesichtern punktet; etwa Amanda Plummer als rotzfreche Nonne, Frankie Faison als Penner, der eine Abhandlung über die Zubereitung von Flussratten und den Absturz des amerikanischen Adlers hält oder New York Dolls-Sänger David Johansen als verräterischer Altkumpel, witzigerweise ein gewisses lookalike von Jagger, mit dem er leider keine gemeinsame Szene abbekommen hat. Überhaupt Jagger – dessen Auftritte entpuppen sich immer wieder als die wahren, kleinen Filetstückchen des Films, auch, wenn sein häufig unter einem Motorradhelm hervoschauender Mittelscheitel eher dämlich aussieht. Als moralisch wankelmütiger Strippenzieher, der im Herzen doch an eine bessere Welt glaubt und Furlong daher nebst seiner großen Finte am Ende ziehen lässt, hat er mir sehr gut gefallen. Dank Jaggers Mitwirkung gibt es auch einen Cameo seiner Damalsfrau Jerry Hall in der wohl wirrsten Szene des Films: Als Reporterin interviewt sie zufällig Furlong, der nach einem Whiskey sturzbesoffen an einem Discotresen sitzt (im Hintergrund läuft, falls sich noch jemand daran erinnert, Jesus Jones‘ „International Bright Young Thing“) und sich live lallend im TV als der gesuchte Freejack zu erkennen gibt. Die ganz große Fliegenpatsche behält sich Murphys Film (ich nenne ihn an dieser Stelle mal ganz bewusst so) fürs Ende vor: Ihre nunmehr achtzehn Jahre Altersunschied frohgemut ignorierend (zumindest das eine durchaus aparte, überaus romantische Volte) werden Furlong und Julie ihre keinesfalls dys- sondern aufgrund der ihnen nunmehr zur Verfügung stehenden Milliarden utopisches Paradies genießen können. Ihre Oldtimer-Fahrt in den imaginären Sonnenuntergang wird ausgerechnet „gekrönt“ von einer abschließenden Scorpions-Nummer – meines Wissens das einzige Mal, dass die Hannoveraner Jungs in einem Hollywoodfilm gefeaturet wurden. Das Ding schwirrt mir seit gestern unablässig als Ohrwurm im Kopf herum. Fluch oder Segen…?

6/10

BLACK PANTHER: WAKANDA FOREVER

„Only the most broken people can be great leaders.“

Black Panther: Wakanda Forever ~ USA 2022
Directed By: Ryan Coogler

Ein Jahr nach dem (natürlichen) Tod von König T’Challa führt dessen Mutter Ramonda (Angela Bassett) die monarchischen Regierungsgeschäfte von Wakanda. Das internationale Interesse an dessen exklusiver Ressource, dem Metall Vibranium, lässt derweil nicht nach. Just als die Dora-Milaje-Kriegerin Okoye (Danai Gurira) wieder ein paar umtriebige Spione hochnimmt, entdecken die Amerikaner im Atlantik eine unterseeische Vibranium-Quelle. Die maritime Expedition wird jedoch von unbekannten Wesen komplett aufgerieben. Als Urheber jener Aktion erweist sich Namor (Tenoch Huerta), Oberhaupt der mehrere Jahrhunderte alten, submarinen Zivilisation Talokan, die um jeden Preis unentdeckt bleiben soll. Namor zwingt Ramonda und T’Challas Schwester Shuri (Letitia Wright), ihm die Erfinderin des neuartigen Vibranium-Sensors zu bringen und auszuliefern, eine brillante amerikanische Studentin namens Riri Williams (Dominique Thorne), die nebenbei noch eine neue Iron-Man-Rüstung entwickelt hat. Nachdem Shuri und Okoye sie aufspüren können, gelangen Riri und Shuri in Namors Gewalt, können jedoch von T’Challas vormaliger Geliebter Nakia (Lupia Nyong’o) begreit werden, woraufhin ein Krieg zwischen Wakanda und Talocan entbrennt, der erst beendet werden kann, als Shuri als neuer Black Panther Namor im Duell in die Knie zwingt.

Prinz Namor oder auch der Submariner zählt zu den ältesten Marvel-Figuren. Vor nunmehr ganzen 83 Jahren debütierte er bei Timely Comics als elementarer Gegenpol zum feurigen Androiden Jim Hammond, der ersten „Human Torch“. Während Namor zunächst eher schurkische Züge innehatte – er pflegte einen unbezähmbaren Hass auf die Oberflächenbewohner und drohte unter anderem, Manhattan zu ertränken, zog er gemeinsam mit Hammond und Captain America Steve Rogers im Zuge jugendgerechter Kriegspropaganda gegen die Achsenmächte ins Feld. Mit Ausnahme ein paar spärlicher Auftritte wurde es dann ruhig um den Submariner, bevor er in den frühen Sechzigern Teil von Stan Lees großangelegtem Marvel-Launch wurde und in der Reihe „Fantastic Four“ (in der ja auch T’Challa debütierte) zu einem eminenten Charakter jenes Comic-Universums avancierte. Wiederum blieben Namors Motive wechselhaft und undurchschaubar; mal trieben ihn seine latenten Eroberungsgelüste in den Kampf gegen die anderen Superhelden, mal unterstützte er sie im Kampf gegen noch mächtigere Bedrohungen. Zeitweilig war er sogar ein Avenger. Dass Namor erst so spät Teil des MCU wurde, lässt sich wohl mit dem sich für ein diesbezüglich unbeflissenes Kinopublikum ohnehin bereits gewaltig ausnehmendem Überschwang an Haupt- und Nebenfiguren erklären. Zudem bleiben hinsichtlich seiner späten Einführung einige logi(sti)sche Fransen, so etwa die Fragen, warum er sich nicht bereits in den Konflikt gegen Thanos involvierte, der ja doch eine ungleich größere Bedrohung darstellte als die Vibranium-Gier der verhassten „surface dwellers“.
Nun denn, Namor ist also here to stay und mit ihm gleich noch eine gehörigst umgedichtete origin, die ihn als mutierten Maya-Abkömmling ausweist und zugleich seine mittelamerikanisch anmutende Physiognomie erklärt. Den albernen Nasenschmuck hätte man allerdings auch weglassen dürfen. Gewiss dient „Black Panter: Wakanda Forever“ demzufolge primär zu Namors Initiation – als Requiem auf Chadwick Boseman und Black Panther funktioniert der Film trotz gegenseitiger Beteuerungen seitens Kevin Feige und Konsorten eher bedingt. Auf der ästhetischen Ebene hat Cooglers Sequel indes Reichliches und Kostspieliges zu bieten; insbesondere Shuris Reise nach und durch Talokan gestaltet sich als ein visuelles, psychedelisch betuchtes Fest; die zwei Haupt-Actionsequenzen, in denen Wakandaner und Talokaner aufeinanderprallen und sich bekriegen, erweisen sich als gewohnt rasant und kinetisch inszeniert. Zudem tauchen die meisten Nebenfiguren aus „Black Panther“ abermals auf und das, auch eine Leistung, ohne den bloßen Wiedererkennungseffekt zu bedienen.
Insgesamt ein erfreulicher MCU-Beitrag, der es mit dem Erstling nicht ganz aufnehmen kann, für meinereiner aber immer noch hinreichend Glücksmomente bereithält.

7/10

DON’T WORRY DARLING

„Keep calm and carry on!“

Don’t Worry Darling ~ USA 2022
Directed By: Olivia Wilde

Dass irgendetwas nicht stimmt in der hermetisch abgeschotteten Firmenkommune Victory mit ihrer pastellfarbenen Fünfzigerjahre-Bonbonidylle nebst überkandidelter Werbeästhetik scheint die an der Oberfläche glücklich anmutende Alice (Florence Pugh) insgeheim längst registriert zu haben. Als ihre Freundin Margaret (KiKi Layne) sich im Sinne der wohlfeil organisierten Gemeinschaft zudem plötzlich höchst seltsam benimmt, diverse ortsgebundene Regeln übertritt und nach einem Selbstmordversuch spurlos verschwindet, manifestieren sich schließlich auch Alices Bedenken. Analog dazu als sie beginnt, die gleichförmige Alltagskulisse von Victory zu hinterfragen, im Trüben zu stochern und ihr nach dem Company-Patriarchen Frank (Chris Pine) und dessen Frau Shelley (Gemma Chan) auch noch ihr eigener, geliebter Mann Jack (Harry Styles) die Gunst entzieht, bricht sich ihr Unterbewusstsein Bahn…

Olivia Wildes zweiter Film „Don’t Worry Darling“ möchte leider wesentlich cleverer sein als er es letzten Endes zu sein bewerkstelligt. Seine dezidiert twistorientierte Ausrichtung, auf die mit aller Gewalt hingearbeitet wird, erweist sich als Konglomerat diverser mental anverwandter (Genre-)Vorläufer und/oder Archetypen, die vermutlich nur dann halbwegs effektiv funktioniert, wenn sie auf ein entsprechend unbeflissenes Publikum trifft. Andernfalls schießen einem geradezu unwillkürlich rasch etliche, mögliche Inspirationsquellen durch den Kopf, mit denen Script und Regie ausgiebig Schlitten fahren, um daraus ein immerhin mäßig launiges Feminismuspamphlet zu stricken. Man stelle sich vor, die urhebenden Damen haben ein großes Süppchen angerührt aus: „The Stepford Wives“, „Skeletons“, „Dark City“, „Pleasantville“, „The Truman Show“, „The 13th Floor“, „The Matrix“ bis hin zu „Antebellum“ sowie natürlich David Lynchs albtraumhaften Vorstadt-Zerrbildern nebst Artverwandtem und das Ganze hernach in eine zeitgemäß aufgebrezelte, zumindest ambitioniert und kompetent inszenierte Form gegossen.
Die plotinterne VR, die Victory-Realität nämlich, entpuppt sich also als durch und durch misogyn und patriarchalisch geprägte virtual reality im technischen Wortsinne (und nicht etwa in ihrer plastisch konstruierten Form wie etwa bei Levin/Forbes, DeCoteau oder Weir), innerhalb der mit ganz wenigen Ausnahmen nur die Männer wissen, dass ihre Körper im abgeschalteten Ruhezustand schlummern, während „ihre“ dauersedierten Frauen unfreiwillig einem obsoleten, archaischen Rollenverständnis zum Opfer gefallen sind. Dabei inszeniert sich der ominöse, grauenhaft ölige Frank (eine ironische, nominelle Reminsizenz an Dennis Hoppers gleichnamige Figur in „Blue Velvet“ möglicherweise…?) als eine Art gönnerhafter Sektenguru, der im Zuge pompöser Auftritte predigt, was seine fehlgeleiteten Testsosteronfollower von ihm erwarten, bis ihm irgendwann, als die ganze Geschichte implodiert, die eigene Gattin schließlich enerviert den Versagerstöpsel zieht.
„Don’t Worry Darling“ ist kein schlechter Film und beinhaltet sogar eine amtliche Regieleistung. Er vermag seine RezipientInnenschaft abzuholen und über die gesamte Distanz mitzunehmen, trägt schlussendlich jedoch die nicht zu unterschätzende Bürde der kompromisslosen Durchschaubarkeit, die nach einigem Abstand zur Betrachtung doch recht viel heiße Luft hinterlässt.

6/10

ELECTRIC DREAMS

„It’s my party. And Moles, you’re not invited.“

Electric Dreams ~ USA/UK 1984
Directed By: Steve Barron

Der eher dröge, aber nichtsdestotrotz visionäre Jungarchitekt Miles (Lenny von Dohlen) schafft sich einen Heim-Personalcomputer an, der ihm helfen soll, „organisierter“ durch den Alltag zu kommen. Parallel dazu fühlt sich Miles zu seiner neuen Nachbarin, der Cellistin Madeline (Virginia Madsen), hingezogen. Als Miles sein unterdessen mit diversen Haushaltsgegenständen vernetztes, technisches Wunderwerk überlastet und den daraus resultierenden Brand mit Champagner löscht, beginnt „Edgar“ (in der EDV-Terminologie ein Akronym für Electronic Data Gathering, Analysis, and Retrieval System), wie sich der Computer bald nennt, ein eigenes Bewusstsein zu entwickeln. Bald „interessiert“ sich Edgar, der neben diversem Anderen auch Musik kreieren und komponieren kann, ebenfalls für die aparte Madeline. Zwischen Mensch und Chipgehäuse entbrennt ein mit harten Bandagen ausgetragener Eifersuchtskampf…

Von all den verrückten Liebesgeschichten, die die diesbezüglich überaus erfindungsreichen 1980er Jahre auf die Leinwand zauberten, besteht „Electric Dreams“ als eine der bemerkenswertesten und schönsten. Passenderweise im Orwell- und Macintosh-Jahr entstanden, bildete der Film inmitten einer Unzahl stilprägender Musikvideoclips Steve Barrons erste Kinoregie.
Der nicht als reines Spiel- und Freizeitmedium genutzte (Heim-)Computer bekleidete innerhalb der gesellschaftlichen Alltagsnomenklatur zu jener Zeit eher noch den reichlich diffus konturierten Bestandteil einer etwaigen Sozialutopie, so dass eben auch die vorliegende Geschichte um eine autoinitiierte K.I. noch sehr viel mehr Fiction denn Fact präservierte. Dementsprechend ausladend gestaltet sich die Genrebandbreite, die „Electric Dreams“ tangiert. Dass sukzessiv vermenschlichte Computer infolge ihres artifiziellen Elektronengehirns zur omnipotenten Bedrohung werden können, hatten zuvor bereits maßstäbliche Gattungsbeiträge wie „2001: A Space Odyssey“, „Colossus: The Forbin Project“ oder „The Demon Seed“ demonstriert, von den vielen bösen respektive „durchgedrehten“ Androiden, Robotern und Cyborgs der Ära ganz abgesehen. Auch Edgar, im Original mit der Stimme von Bud Cort und in der deutschen Synchronfassung mit der von Stephan Remmler versehen, entwickelt sich für seinen Besitzer und somit Meister allmählich zur Nemesis, die sich durch immer weitreichendere Datenvernetzung Zugang zu Miles‘ (von Edgar ebenso stetig wie despektierlich „Moles“ tituliert) Privatleben verschafft und etwa seine Konten sperren lässt. In dieser Phase überschreitet „Electric Dreams“ klammheimlich die Grenze von der romantischen Satire hin zur dystopischen Horrorvision, die katastrophal zu enden droht, bis Edgar schließlich einsieht, dass er trotz aller Bestrebungen nicht mit Fleisch und Blut konkurrieren kann und sich selbst aufopferungsvoll aus dem Spiel nimmt – nicht ohne die westliche Welt noch ein letztes Mal (mit der Unterstützung von Giorgio Moroder und Phil Oakey freilich) zum Grooven zu bringen.

8/10

NOPE

„Right here, you are going to witness an absolute spectacle!“

Nope ~ USA/CAN/J 2022
Directed By: Jordan Peele

Kein UFO, sondern ein UAP, genauer: ein lebendes, amorphes Wesen verbirgt sich hinter einer Wolke, die reglos am Himmel über der Pferderanch von Otis Junior (OJ) Haywood (Daniel Kaluuya) und seiner Schwester Emerald (Keke Palmer) steht. Ein halbes Jahr zuvor ist ihr Vater (Keith David) durch einen vom Himmel gefallenen Nickel getötet worden und OJ und Emerald haben seither alle Hände voll zu tun, das erfolgreiche Geschäft ihres Dads, eines renommierten Pferdetrainers für Hollywoodfilme, am Leben zu erhalten. Einen kleinen Notgroschen erhalten sie durch den Ex-Kinderstar Ricky Park (Steven Yeun), der unweit ihres Grundstücks die Westernstadt „Jupiter’s Claim“ als Ausflugsziel betreibt. Als OJ auf das fliegende Etwas aufmerksam wird, steht für ihn und Emerald relativ schnell fest, dass sie mit ein paar Aufnahmen des Ungetüms ganz groß rauskommen werden. Ihr Plan erweist sich jedoch als deutlich schwieriger in der Umsetzung – nicht nur, dass die Kreatur sich als sehr viel ungemütlicher (und gefräßiger) präsentiert denn zuvor angenommen; auch haben ein paar weitere Individuen bereits im Sinn, mithilfe des Monsters abzusahnen…

Einmal mehr erweist sich Jordan Peele mit „Nope“ als glänzender Satiriker, der seine kritischen Kommentare zur Weltlage und zur US-Gesellschaft im Speziellen wie beiläufig hinter einer Fassade aus audiovisuellem Einfallsreichtum, bizarren dramaturgischen Volten und erzählerischer Lakonie verbirgt. Diesmal treibt ihn vor allem der unbändige Drang der Social-Media-Sklaven, samt und sonders alles zu dokumentieren und Sensationen zu erheischen, um, wobei er auch auf einen galligen Kommentar zum historischen Beitrag der afroamerikanischen Kultur zur Geschichte der bewegten Bilder nicht verzichtet. Kaum von ungefähr repräsentieren seine Helden unterschiedliche, nichtweiße Ethnien und machen sich in der kalifornischen Wüste in dezidierten Westernmythen breit. Das fleischfressende, gesichtslose Monster, das mal wie eine fliegende Untertasse durch die Lüfte saust, um dann wieder molluskenartig oder wie ein Rorschach-Bild am Himmel zu wabern und das alsbald „Jean Jacket“ getauft wird, fungiert mitsamt seinen unheilvollen Kräften, die jede Form von Elektronik lahmlegen können, eher als eine Art MacGuffin innerhalb des recht sonderbaren Figurenmikrokosmos, den Peele ausbreitet. So hatte der Westernstadt-Betreiber Ricky Park einst als Kind (Jacob Kim) ein traumatisches On-Set-Erlebnis mit einem wild gewordenen Schimpansen, so jagt der renommierte, exzentrische Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott) jenem letzten, großen Mysterium nach, das er bislang nicht ablichten konnte, so ist der Elektronikmarkt-Mitarbeiter Angel Torres (Brandon Perea) mindestens so angefixt von der Dokumentierungsidee wie die Geschwister, so pfeift ein martialisch kostümierter Reporter (Michael Busch) auf einem Motorrad auf sein Leben zugunsten einer Sensationsstory mit ihm selbst als Staropfer. Die zahlreichen Genrereminiszenzen, die blendend illustrieren, wie emsig und umfassend Peele sein Monsterkino studiert hat, machen „Nope“ schließlich vollends zum Vergnügen. Corey Harts „Sunglasses At Night“ wird man im Nachgang jedenfalls nie mehr hören können, ohne nicht zumindest ein bisschen Gänsehaut zu bekommen.

8/10

PHASE IV

„We’ve got some pretty powerful friends…“

Phase IV ~ USA 1974
Directed By: Saul Bass

Die beiden Wissenschaftler Hubbs (Nigel Davenport) und Lesko (Michael Murphy) untersuchen in der Wüste Arizonas ein beunruhigendes Phänomen: Sämtliche Ameisenspezies vereinen sich zu einem einzigen großen Volk und greifen alles an, was für ihr neues Kollektiv eine Gefahr darstellt. Aus einem kleinen, hermetisch abgeriegelten Außenlabor heraus wollen Hubbs und Lesko die Komunikationsweise der Insekten studieren und ihrem bedrohlichen Treiben Einhalt gebieten. Bald stößt noch das Farmermädchen Kendra (Lynne Frederick) zu ihnen, deren Großeltern (Alan Gifford, Helen Horton) bereits zu Opfern der Ameisen geworden sind.

Der einzige Spielfilm des berühmten Graphikdesigners und Gestalters zahlreicher klassischer Titelsequenzen, Saul Bass, hat Bestand als ein ebenso minutiös erzähltes wie verstörendes Menetekel im Kontext vieler ähnlicher Endzeit-Phantasien der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, wobei „Phase IV“ eine vergleichsweise unaufwendige, fast sogar kammerspielartige Struktur trägt. Im Prinzip ein Drei-Personen-Stück, lebt Bass‘ Film aber natürlich insbesondere von seinen visuellen und auditiven Qualitäten, den beeindruckenden Ameisen-CloseUps (Ken Middleham) sowie den wummernden, elektronischen Klängen (u.a. Brian Gascoigne), die den zunehmend bedrückenden, klaustrophobischen Duktus jeweils kongenial untermauern und verstärken.
Vieles an der kunstfertig formalisierten Story, die andernorts genausogut als ordinärer Tierhorrorfilm das Licht der Leinwände hätte erblicken können, erweist sich als symbolistisch und/ oder versinnbildlichend: Die personelle Dreierkonstellation etwa um Hubbs, der im Grunde ein ebenso systemisch und gefühlskalt vorgehender, verkopfter Analytiker ist wie seine gelehrigen Gegner, Lesko, der Hubbs‘ fortschreitender Dehumanisierung unverzagt mit Herz und Seele begegnet und schließlich Kendra, die durch ihre naive Unbedarftheit und Jugend gewissermaßen endgültig die Wesenskerne beider Männer freischält. Die Ameisen schließlich fungieren als Vorboten eines neuen Zeitalters, dessen Ausformung ganz unterschiedlich interpretiert werden kann – als diffuse, politische Gefahr ebenso wie als Zeichen der Rückeroberung des Globus durch die Natur, die sich des ausbeuterischen Virus „Mensch“ wahlweise zu entledigen oder ihn sich unterzuordnen trachtet. Auch diese Ungewissheit sorgt dafür, dass „Phase IV“ im Gedächtnis unauslöschliche Spuren hinterlässt (ich hatte den Film zuletzt im Kindesalter gesehen, in dem er mich immens mitnahm und verfolgte und daher noch etliche Bilder präsent).

9/10

PREY

„I’m smarter than a beaver.“

Prey ~ USA 2022
Directed By: Dan Trachtenberg

Die Great Plains, 1719. Das Komantschenmädchen Naru (Amber Midthunder) ist mir ihrem determinierten Sozialstatus als Heilerin alles andere als glücklich. Vielmehr will sie sich als geschickte Jägerin beweisen, ganz wie ihr Bruder Taabe (Dakota Beavers), dessen Freunde bloß Spott für Narus Ambitionen hegen. Schon bald bekommt Naru jedoch hinreichend Gelegenheit, ihr Können zu demonstrieren – sie muss sich gegen einen Predator (Dane DiLiegro) zur Wehr setzen, der das gesamte Territorium zu seinem Jagdrevier macht und nicht nur Narus Stammesbrüder dezimiert, sondern auch eine Gruppe von Voyageurs, die sich in der Gegend aufhalten. Schließlich ist es ausschließlich an Naru, dem ruppigen Alien Einhalt zu gebieten.

Die Vorschusslorbeeren für diesen, exklusiv bei Hulu bzw. Disney+ gestarteten, jüngsten Beitrag zum „Predator“-Franchise waren ja doch recht beträchtlich – so hieß es etwa, Trachtenbergs Film könne es durch die Darbietungen seiner Eins-Zu-Eins-Duellsituation sowie seines Wald-/Wiesen-Settings sogar mit John McTiernans mittlerweile 35 Jahre altem Original aufnehmen. Nun sind derlei Lobpreisungen rund um den Premierentermin keine Seltenheit und relativieren sich in der Regel recht bald. Auch „Prey“ wird es dereinst so gehen, denn natürlich hält er erwartungsgemäß keinem Vergleich mit „Predator“ Stand. Gewiss mag man den Einfall, einen historischen Überbau für das storytelling zu wählen, grundsätzlich schätzen, zumal die zuletzt zum grenzalbernen Spektakel aufgeblähte Reihe diesbezüglich bereits arg ins Schleudern zu geraten drohte. Dennoch nimmt sich „Prey“ schon infolge seiner Protagonistin eher wie ein mit sanften Gänsehaut-Avancen liebäugelnder Abenteuerfilm für ein dezidiert jugendliches Publikum aus, der die einst von McTiernan so vortrefflich sezierten Genrewurzeln gezielt konterkariert und stattdessen so gänzlich wie ironiebefreit auf Gegenwartsbezüge setzt. J. F. Cooper mit Außerirdischem, gewissermaßen. Längst umweht den Predator, eine popkulturell ja komplett etablierte Gestalt, schon nicht mehr der Hauch des Monströsen oder gar Geheimnisvollen; seine Ziele sowie seine technologischen Fertigkeiten sind hinlänglich bekannt und lediglich ein paar neue Gadgets unterscheiden den hier auftretenden Extraterrestrier von seinen Vorgängern. Umso weniger bedrohlich wirkt seine Präsenz. Ansonsten kreist das Narrativ des Films um Zivilisationskritik (die Franzosen, ohnehin eine durchweg garstige Meute, schlachten eine Büffelherde ab und charakterisieren sich dadurch als noch weitaus schlimmer und barbarischer denn der Predator), Coming of Age und Genderdiskurse, die es, so versichert uns „Prey“, auch schon bei den American Natives vor 300 Jahren gab und die dort ähnlich schwer zu lösen waren wie heute, ohne sich dabei allerdings um sonderliches Geschick zu bemühen. Zudem verkneift sich das Script Redundantes ebensowenig wie Unpassendes. Ich bin sonst kaum interessiert an der (realististischen) Qualität von CGIs, aber die hier vorliegenden kamen selbst mir recht unorganisch vor und ließen mich einmal mehr wehmütig an den (zudem erst jüngst nochmal geschauten) Urfilm denken und mit welch rundum perfektionierter Finesse dieser, zumal im direkten Vergleich, doch gestaltet ist.

6/10

THE THIRTEENTH FLOOR

„I fell in love with you before I even met you.“

The Thirteenth Floor (The 13th Floor – Bist du, was du denkst?) ~ D/USA 1999
Directed By: Josef Rusnak

Dem milliardenschweren Computergenie Hannon Fuller (Armin Mueller-Stahl) ist es gemeinsam mit seinem Kompagnon Douglas Hall (Craig Bierko) gelungen, eine komplett funktionstüchtige VR zu kreieren. Deren Szenario bildet ein simuliertes Los Angeles des Jahres 1937, bevölkert von künstlichen Intelligenzen, die allesamt den Avatar eines Vorbildes aus der realen Welt abbilden und alltagsgebunden agieren, dabei jedoch nichts von ihrem Ursprung ahnen. Mithilfe einer komplexen Software kann man sich für einen befristeten Zeitraum in seine VR-Persona versetzen lassen und als diese in der Kunstwelt bewegen, derweil der eigene Körper quasi „entgeistert“ bleibt. Eines Abends wird Fuller nach einem seiner Trips in die VR ermordet aufgefunden. Für den ermittelnden Detective McBain (Dennis Haysbert) ist Douglas Hall eindeutig der Täter, dieser beteuert jedoch seine Unschuld. Mithilfe des Techniknerds Whitney (Vincent D’Onofrio) findet Hall, der sich selbst auf Spurensuche begibt, heraus, dass Fuller offensichtlich eine alles umwälzende Entdeckung gemacht und diese in Form einer handgeschriebenen Notiz im artifiziellen 1937 für ihn hinterlassen hat. Hall versetzt sich in sein alter ego John Ferguson, einen Bankangestellten, und stößt in der Computerwelt auf die Gegenparts von Fuller – den biederen Buchladenbesitzer Grierson – und Whitney – einen soziopathischen Barkeeper namens Jerry Ashton – und fördert tatsächlich Ungeheuerliches zutage…

Im „Matrix“-Jahr 1999 erschienen, für etwa ein Viertel von dessen Budget hergestellt und vergleichsweise krachend gefloppt, spricht heute kaum mehr jemand über diesen kleinen, jedoch durchaus bemerkenswerten Beitrag zum SciFi-Subgenre der VR-Dystopien. Gewiss, den umwälzenden und prägenden soziokulturellen Impact von „The Matrix“ erreicht „The Thirteenth Floor“ zu keiner Sekunde; vermutlich eignet er sich auch nicht ganz so umfassend als Sujet philosophischer Diskurse. Dennoch empfinde ich ihn in der Revision als das im Direktvergleich deutlich sympathischere Werk, vielleicht gerade weil alles ein paar Nummern bescheidener ausfällt, die Effektarbeit relativ überschaubar bleibt alles sehr viel weniger brachial und coolness-betont daherkommt und daraus eben kein völlig aus jedwedem Ruder gelaufenes Franchise wie bei den Wachowskis erwachsen musste. Dabei entpuppt sich auch die ebenso wie Fassbinders Fernseh-Zweiteiler „Welt am Draht“ auf Daniel F. Galouyes bereits 1964 erschienenen Roman „Simulacron-3“ basierende Geschichte von „The Thirteenth Floor“ als eine bei etwas Licht besehen unendliche, die noch gewaltiges Potenzial für weitere Handlungsstränge beherbergt.
Der inhaltliche Clou, der sich an der Oberfläche letztlich traditionellen Noir-Motiven unterordnet, entpuppt sich nämlich, als sich im weiteren Handlungsverlauf und durch die Involvierung einer femme mystérieuse (Gretchen Mol) herauskristallisiert, dergestalt, dass auch die als real erachtete Welt von Douglas Hall nurmehr eine VR repräsentiert, die im Jahre 2024 als eine von „vielen Tausenden“ erschaffen wurde und die wiederum durch die Schaffung einer VR innerhalb der VR zum Risiko wird. Gewiss mag im Umkehrschluss auch diese lediglich eine Simulation, ein Kunstprodukt sein, dessen AkteurInnen nichts von ihrer Artifizialität ahnen – oder vielleicht eben doch. Derlei weiterführende Überlegungen überlässt das Script anders als „The Matrix“ ausschließlich seinem Publikum und lässt somit gewissermaßen Raum für uferlose Phantasien. Nicht zuletzt diesbezüglich steht er in der zeitgenössisch betrachtet jüngeren Erbfolge von Quasi-Vorgängern wie Verhoevens „Total Recall“ oder Proyas‘ „Dark City“, die jeweils aus sehr anverwandten Motivkreisen schöpfen.

8/10

WEDLOCK

„You non-conformists are all alike.“

Wedlock ~ USA/UK 1991
Directed By: Lewis Teague

In naher Zukunft: Technikgenie Frank Warren (Rutger Hauer) wird nach einem groß angelegten Diamantenraub zunächst von seinen beiden Kompagnons Noelle (Joan Chen) und Sam (James Remar) hintergangen, hernach geschnappt und in das neue, privat organisierte Hochsicherheitsgefängnis „Camp Holliday“ überstellt, freilich nicht, ohne die Beute vorher in Sicherheit gebracht zu haben. In Camp Holliday erwartet Frank kein Zuckerschlecken: Wie alle dort einsitzenden Männer und Frauen erhält er ein hochtechnologisches Funkhalsband mit eingearbeitetem Plastikspengstoff, das explodiert, sobald es sich mehr als 100 Yards von seinem Gegenstück entfernt – wobei natürlich niemand weiß, wer sein/e oder ihr/e Wedlock-PartnerIn ist. Chef und Direktor Holliday (Stephen Tobolowsky) will Frank zudem mit allen Mitteln das Versteck der Diamanten entlocken und befleißigt sich dazu diverser, schäbiger Mittel. Insbesondere der hochaggressive Mitgefangene Emerald (Basil Wallace), der in Hollidays Diensten steht, drangsaliert Frank unentwegt. Unterdessen eröffnet ihm Tracy, dass ihr Halsband mit dem von Frank in Verbindung stehe, was dieser nicht recht glauben mag. Als es zum unausweichlichen Duell zwischen Frank und Emerald kommt, gelingt es Tracy, mit Frank zu fliehen. Nunmehr gilt es, gewissermaßen bombensicher aneinander gefesselt, vor der Polizei, vor Hollidays Leuten und auch vor Sam und Noelle, die mit Holliday zusammenarbeiten, zu fliehen. Und auf Frank wartet noch eine weitere, unangenehme Überraschung…

Dass „Wedlock“, den ich heuer erstmals gesehen habe, vor allem eine Actionkomödie ist, war mir nicht ganz klar. Ich hatte, in Unkenntnis des Inhalts ferner, eher ein futuristisches Knastszenario Marke „Fortress“ oder „No Escape“ erwartet, doch weit gefehlt. Tatsächlich steht eher die gemeinsame, turbulente Flucht und Paarbildung von Rutger Hauer und Mimi Rogers im Zentrum des mehr oder weniger temopreich inszenierten Geschehens, wobei infolge der wechselnden Stationen quer durch den Golden State auch klare Road-Movie-Elemente durchschimmern. Das Ganze ließe sich wohl am Ehesten als eine postmodernisierte Variation von Stanley Kramers „The Defiant Ones“ umreißen, minus dessen souialkritischen Impact und stattdessen „angereichert“ mit allerlei romantischen Verirrungen. Als relativ preisgünstig hergestellter HBO-Produktion fehlt es „Wedlock“ allerdings an Möglichkeiten: Sein futuristisches, in Teilen dystopisch angelegtes Szenario etwa bleibt weitgehende Behauptung. Mit Ausnahme der Tatsachen, dass der US-Strafvollzug infolge privatisierter Gefängnisse (ohne humanitäres Ethos) noch abenteuerlichere Züge annimmt als ohnehin schon sowie einer ab und zu kolportierten Wasserknappheit, sieht alles aus wie 1991. Die wenigen Actionszenen bleiben ziemlich bisslos und sein geringes Spannungspotenzial schöpft das Script aus zwei Sequenzen, in denen die Distanz zwischen Frank und Tracy zu groß zu werden droht. Man darf wohl vermuten, dass Teague, der sich im Rückblick nicht unzufrieden mit seiner Arbeit zeigt, das Bestmögliche aus seinen eingeschränkten Bedingungen herausholt. So zehrt „Wedlock“ primär von seinem antiproportional zu den production values zu verortendem, frisch aufspielenden Ensemble, das ein deutlich gesetzter wirkender, irgendwo zwischen larmoyanter Selbstironie und diebischer Spielfreude befindlicher (und somit sehr sehenswerter) Rutger Hauer souverän anführt.
Schade in jedem Falle, dass Lewis Teagues goldene Regiezeit auf die 1980er-Dekade (und somit immerhin ganze fünf schöne Filme) beschränkt bleibt und er danach fast ausschließlich Fernsehen machen musste.

6/10

THOR: LOVE AND THUNDER

„It’s hammerin‘ time!“

Thor: Love And Thunder ~ USA/AUS 2022
Directed By: Taika Waititi

Wie sich zuvor bereits abzeichnete, verträgt sich die mehr und mehr ausufernde Hybris des mittlerweile wieder in körperlicher Bestform befindlichen Thor Odinsohn (Chris Hemsworth) nicht allzu gut mit den pausenlosen Egotrips von Peter Quill (Chris Pratt) und denen der übrigen Guardians Of The Galaxy – umso leichter fällt beiden Fraktionen [Thor wird weiterhin begleitet von seinem felsigen, treuen Bro Korg (Taika Waititi)] der Abschied voneinander. Ein Hilferuf führt den Donnergott a.D. zu seiner früheren Gespielin Sif (Jaimie Alexander) – diese hat im Kampf gegen den rachsüchtigen, dämonenhaften Gorr (Christian Bale) einen Arm eingebüßt – und dann weiter nach New Asgard auf der Erde. Dort begegnet Thor neben Valkyrie (Tessa Thompson) auch seiner alten Liebe Jane Foster (Natalie Portman) wieder, die nunmehr als „Lady Thor“ den wieder zusammengesetzten Mjölnir schwingt. Gemeinsam macht man sich an die Verfolgung Gorrs, der eine größere Gruppe von Kindern aus New Asgard entführt hat und damit einen ganz bewussten Köder legt: Gorr, dessen Ziel darin besteht, sämtliche Götter des Universums hinzuschlachten, benötigt nämlich Thors Streitaxt Sturmbringer. Jene vermag nämlich eine Regenbogenbrücke zu der kosmischen Entität Eternity, welche einem seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt, zu schlagen…

Die Marschrichtung, die sich im letzten Thor-Abenteuer „Ragnarok“ bereits so überdeutlich abzeichnete, verfolgt Regisseur Taika Waititi mit „Love & Thunder“ nur umso konsequenter weiter – er überführt den einstmals biernen Ernst der Figur und der sie umwabernden Mythologie endgültig auf das Terrain der Komödie. Für Hauptdarsteller Hemsworth nebenbei ein regelrechtes Familienunternehmen, bestimmen nunmehr quirkiness, queerness und camp den Duktus des jüngsten MCU-Kinobeitrags, in dem der schöne Ase vollends zur Selbstpersiflage geführt wird. Selbstherrlich, arrogant und nicht allzu intelligent gelingt es Odinsohn, kaum eine Heldentat ohne kleinere oder größere Katastrophen zu vollbringen, vom freilich nach wie vor der alten Dramatik verpflichteten Showdown gegen Gorr gewiss abgesehen. Nachdem bereits die meisten der jüngeren MCU-Zuwächse von stetig wachsender Ironie und Spaßverpflichtung geprägt waren, lässt Waititi nunmehr die blanke Absurdität triumphieren, indem er pausenlos Einfälle abfeuert, die den Titelhelden und seinen bisherigen Leinwand-Werdegang karikieren und dekonstruieren. Garantiert keine pathetisch geschwungene Rede, die nicht irgendwie ausfranst und nach hinten losgeht, garantiert kein machistischer Wesenszug, der ungesühnt bleibt. Seinen Gipfel erreicht das Ganze in jener in mehrerlei Hinsicht zentralen Sequenz, in der Thor und seine GefährtInnen in die Allmachtsstadt reisen, den interdimensionalen Göttertreff, um dort die Hilfe von Zeus (Russell Crowe) persönlich zu ersuchen. Jener erweist sich als spaßsüchtiger, aufgedunsener alter Filou mit Hang zur Clownerie, der sich lediglich auf die nächste Orgie freut, dabei jedoch keinerlei Interesse hegt, gegen einen Götterschlächter mit Nekroschwert ins Feld zu ziehen. Den frech protestierenden Thor macht er darauf kurzerhand zum unfreiwilligen Chippendale. Das Ganze erinnert in Aufzug, Visualisierung und grotesker Narration – wohl kaum von ungefähr – an Mike Hodges‘ seligen „Flash Gordon“, respektive jene unnachahmliche Szene in Imperator Mings Thronsaal, in der man American Football spielt. Es würde mich demnach kaum wundern, wenn „Love And Thunder“ ein ganz ähnliches Schicksal wie einst auch diese Preziose erleiden sollte; Thor Nr. 4 macht es großen Teilen seines prinzipiell avisierten Publikums infolge seiner gnadenlos parodistischen Agenda nämlich nicht eben leicht. Selbst dem Nebenschauplatz Brustkrebs, der die arme Jane Foster ereilt und der gerade durch deren Nutzung Mjölnirs besonders fatale Ausmaße animmt, wird im Grunde kaum der gebührende Ernst eingeräumt. Schließlich muss man sagen, dass die „Guardians“-Reihe den Einsatz klassischer Rocksongs wesentlich einfallsreicher handhabt. Viermal Guns N‘ Roses (freilich in denkbar offensichtlichster Präsentation) und einmal Dio (zum Abspann) erfordert jedenfalls keine sonderlich sorgfältige Kuratierung.
Möglicherweise ist „Thor: Love And Thunder“ einfach ein Film, dem noch eine größere Zukunft beschieden ist; kommende Generationen von Filmhistorikern werden in ihm vielleicht das reaktionäre Produkt einer globalen Depression als Zeitzeichen ausmachen oder seinen Status innerhalb des MCU als stilistische Initiallösung oder thematische Zäsur analysieren. Gegenwärtig pendeln meine Eindrücke wohlwollend irgendwo zwischen „nett“ und „amüsant“.

7/10