FRESH

„I just don’t eat animals.“

Fresh ~ USA 2022
Directed By: Mimi Cave

Von Dating-App-Treffen hat Noa (Daisy Edgar-Jones) fürs Erste die Nase voll, nachdem der zuletzt frequentierte Typ (Brett Dier) sich abermals als die befürchtete Vollniete erwiesen hat. Als sie – ganz klassisch – den attraktiven Steve (Sebastian Stan) wie beiläufig im Supermarkt kennenlernt, ist sie daher umso begeisterter, zumal dieser das große Los abzugeben scheint. Nach ein paar romantischen Dates lädt Steve Noa dann zu einem Cottage-Wochenende ein. Entgegen allen Warnungen ihrer besten Freundin Mollie (Jojo T. Gibbs) sagt sie zu – und landet betäubt und angekettet im Keller eines schnieken Bungalows im Nirgendwo, wo ihr Steve seine wahren Beweggründe offenbart: Er verkauft Frauenfleisch an einen Zirkel höchst wohlhabender Kunden und delektiert sich allenthalben auch selbst gern an seiner exklusiven Ware. Noa wittert ihre einzige Chance zu überleben darin, den Kannibalen weiterhin zu becircen…

Als deftige #MeToo-Satire, die übergriffiges Männerverhalten bis ins wahrscheinlich letztmögliche Extrem treibt, passt „Fresh“ sich der noch recht jungen Wokeness-Genre-Kultur an. In seinen besten Momenten erinnert er an die Filme von Jordan Peele, verbeißt sich aber dann doch immer wieder sehr grantig in seine alles umreißende „Männer sind Schweine“-Agenda und lässt es an der Innovation intrinsischer Verrücktheiten mangeln. Die aburteilende Mittzwanziger-Realität von Noa und Mollie wirkt dabei auf den sich unschuldig wähnenden, heterosexuellen Penisträger wenig einladend – wer keinen Insta- oder Twitter-Account hat, ist automatisch ein Verdachtsfall und jedwedes Ressentiment an männliche Adressaten bestätigt sich irgendwann im Laufe des Films. Das formulieren Cave und die Scriptautorin Lauryn Kahn allerdings so hübsch konsequent-kiebig und mit ausschließlichen maskulinen Widerlingen auf der Antagonistenseite, dass es dann doch wieder mancher Sympathien wert ist, zumal Daisy Edgar-Jones das Ganze mit einiger Chuzpe zu tragen vermag. Als ausgewiesener Horrorfilm wäre „Fresh“ indes weniger bemerkenswert; das terrorisierende Psychopathen-Keller-Kidnapping-Szenario wurde nicht erst justament („Alone“, „The Black Phone“ et. al.) dann doch allzu häufig durchexerziert und ermüdet den Nicht-Gelegenheitsgucker demzufolge geflissentlich. Bleiben die netten Fleischverarbeitungs- (und -konsumierungs) -Momente, ein paar lang nicht gehörte Achtziger-Heuler (Steve tanzt gern zu seichter Popmusik jener Ära), der alles in allem als gelungen zu wähnende metaphorische Ansatz sowie die rekordverdächtig späte Einarbeitung der Titelsequenz in der 33. (!) Filmminute.

7/10

PEARL

„I’m a star! Please, help me!“

Pearl ~ USA/CAN 2022
Directed By: Ti West

Texas, 1918. Für die Farmerstochter Pearl (Mia Goth) ist der ländliche Alltag ein veritabler Albtraum. Jung verheiratet, kämpft ihr Mann Howard (Alistair Sewell) an der Front in Europa, die Spanische Grippe hat die welt fest im Griff. Und dann sind da noch ihre Eltern. Pearls Vater (Matthew Sunderland) ist völlig paralysiert und pflegebedürftig, ihre Mutter Ruth (Tandi Wright) schwelgt in einer unablässigen Spießrute aus Ekel, Hass und Verbitterung. Pearl bleiben nurmehr ihre Tagträume, in denen sie als berühmte Tänzerin in den von ihr geliebten Hollywood-Kinofilmen auftritt. Dementsprechend tragen sämtliche Tiere auf der Farm die Namen ihrer Lieblingsstars, allen voran Theda, eine gefräßige Alligatorendame im Teich hinter dem Grundstück. Pearl ist nämlich auch eine Psychopathin, die nicht zulässt, dass ihr jemand ihre Illusionen abspenstig macht und deren unkontrollierbare Gewaltausbrüche bald einen blutigen Strudel entfachen…

Mit dem wunderbaren „Pearl“, seinem bisherigen Meisterwerk, gelingt Ti West das nonchalante Kunststück, der bereits sehr schönen 70s-Slasher-Hommage „X“ ein noch formvollendeteres, im selben Jahr entstandenes Prequel zuzusetzen, diverse zeitgenössisch tiefschlagende Covid-Seitenhiebe inbegriffen. Darin erfährt man einiges über die Hintergründe der im Vorwerk wütenden Seniorin Pearl, in deren Innerem kurz vorm Finale nochmal sämtliche Emotionen und Gelüste gegen das welke Fleisch der Vergänglichkeit rebellieren. Dass Pearl als junge Frau ein frappierend analoges Ebenbild des koksenden, aufstrebenden Pornostarlets Maxine abgab, respektive abgibt, hat man sich in Anbetracht von Mia Goths Doppelrolle bereits denken mögen – der endgültige Beweis dafür folgte dann quasi auf dem Fuße. Der große Benefit von „Pearl“ als zutiefst eigenständiges Werk trotz inhaltlicher Anbindung liegt insbesondere darin, dass er die Bürde, sich als Reminiszenz an ein beliebtes (Sub-)Genre zu verstehen, gänzlich abstreifen kann, bilden doch Zeit- und Milieukolorit in diesem Fall ein weitgehend unbeackertes Feld insbesondere im Horrorfilm. Pearl wirkt eher wie eine Art überreife Dorothy aus „The Wizard Of Oz“ in der 1939er-MGM-Musical- Adaption mit Judy Garland. Ihren ganz persönlichen sense of wonder fabuliert sie sich, gewissermaßen ebenso wie das berühmte Quasi-Vorbild, fahrradfahrend dem allseits frustrierenden Grau ihrer Sackgassenexistenz hinzu. Der gewaltige Orkan aus Kansas bleibt in Texas allerdings aus, zumindest gegenständlich, und ins zauberhafte Land trägt er Pearl erst recht nicht. Dennoch will sie alles, was ihr vorenthalten bleibt, und das so uneingeschränkt wie maßlos: bildschöne Bonbonfarben, ruchlosen Rausch, völlige Freiheit und lasterhafte Lust. Darum bendelt sie zunächst mit einer Vogelscheuche an, mit der sie einen explosiven Orgasmus erlebt und später mit dem sich smart gebenden Kino-Vorführer (David Corenswet) aus der Stadt, der ihr einen frühen Pornofilm zeigt und dann etwas von Europa und Berühmtheit vorfaselt. Als Pearl später mit Pauken und Trompeten bei einem Erfolg versprechenden Tanzwettbewerb durchfällt, den sie zum letzten Ticket aus der inneren und äußeren Einöde wähnt, ist es ohnehin längst zu spät für sie, denn da hat sie bereits drei Morde begangen (oder zumindest drei, von denen wir wissen können). Und auch der vierte lässt nicht lange auf sich warten nach einem der berückendsten Monologe, den das Kino der letzten Jahrzehnte bereithält und derweil ein madenzerfressendes Schwein auf der Veranda darbt als unwiderstehliches Bild für den rapiden Zerfall der letzten paar Fetzen von Pearls psychischer Stabilität. Dann kommt Howard aus dem Krieg zurück und trotz eines geflissentlich bizarren Empfangs daheim ist ja längst evident, dass er Verständnis aufbringen und alles tun wird, um sie zu schützen. Ein unwiderstehlich morbides happy end.

10/10

X

„You got that X-factor.“

X ~ USA/CAN 2022
Directed By: Ti West

Texas, 1979. Der als Unternehmer in der Horizontalbranche tätige Wayne Gilroy (Martin Henderson) plant, als Produzent im gerade im Aufziehen begriffenen Porno-Videobiz groß herauszukommen und mietet zu diesem Zwecke mit seiner kleinen Amateur-Crew eine Hütte auf einem abgelegenen Farmgrundstück für ein verlängertes Wochenende. Die beiden knarzigen alten Besitzer, beide offenbar schon jenseits der 80, geben sich wenig gehalten angesichts des bald eintreffenden, vorlauten Sextetts. Als man mit der Arbeit beginnt, scheint insbesondere die äußerlich welke Pearl (Mia Goth) seltsam getriggert. Kurz nachdem es zwischen Nachwuchsregisseur RJ (Owen Campbell) und seiner naiven Freundin Lorraine (Jenna Ortega) zum Streit kommt, gibt es den ersten Toten…

Wie eine garstige, nicht ganz zu Unrecht verwaiste „Boogie Nights“-Episode gibt sich Ti Wests erfreulich koketter „X“, der die Befürchtung, Ti West konzentriere sich nunmehr ausschließlich auf beliebige TV-Serienformate, in hübsch frecher Weise zerstreut. Dabei begreift sich „X“ vor allem als Hommage an die in ruralem Ambiente spielenden Horrorfilme und Slasher jener Ära, in der er sich selbst ansiedelt, allen voran offensichtlich die beiden von Tobe Hooper inszenierten „The Texas Chain Saw Massacre“ und „Eaten Alive“, doch auch Epigonen wie Schmoellers „Tourist Trap“ oder Connors „Motel Hell“ lugen mehr oder weniger okkult aus jedem Kamerawinkel hervor. Dabei begnügt sich West trotz mancher sehr offensichtlicher Reprise nicht mit bloßem Revisionismus, sondern es gelingt ihm tatsächlich, durch die Evozierung einer zutiefst sinistren und damit beunruhigenden Gesamtstimmung, den Einsatz von tiefschwarzem Humor und nicht zuletzt die exzellente Make-Up-Arbeit, einen den Klassikern absolut gleichrangige Reminszenz auf die Beine zu stellen. Insbesondere die Parallelisierung der zwei Hauptfiguren Pearl und Maxine, die von der grandiosen Mia Goth in einer Doppelperformance als sich reziprok reflektierende Antagonistinnen interpretiert werden, sorgen für eine schönes, keinesfalls einfältiges oder etwa manieristisches Metaelement, das sich rückblickend als philosophischer Überbau des gesamten Szenarios erweist. Dass Ti West, dessen Retro-Gags zum Glück nur sehr selten übers Ziel hinausschießen, zudem keinerlei ästhetische Kompromisse eingeht und für stets manch derbe Überraschung gut ist, macht „X“ umso sehenswerter.

8/10

BONES AND ALL

„Maybe love will set you free.“

Bones And All ~ USA/I 2022
Drected By: Luca Guadagnino

Virginia, um die Mitte der achtziger Jahre. Die Teenagerin Maren (Taylor Russell) lebt mit ihrem Vater (André Holland), der versucht, sie weitestgehend von Gleichaltrigen und der Gesellschaft überhaupt abzuschirmen, in einem kargen Bungalow. Als sich Maren eines Abends zu einer Freundin (Kendle Coffey) schleicht, um an einer Pyjama-Party teilzunehmen, kommt es zu einem befremdlichen Ereignis: Maren beißt einem der Mädchen selbstvergessen in den Finger und isst das Fleisch. Kurz darauf ist ihr Vater, dem Maren das Ganze zuvor beichtet, verschwunden. Außer ihrer Geburtsurkunde, ein wenig Bargeld und einer Cassette mit ausführlichen Erläuterungen ihres Dads darauf hinterlässt er ihr nichts. Maren beginnt eine lange Reise Richtung Minnesota, wo ihre ihr unbekannte Mutter Janelle (Chloë Sevigny) leben soll. Durch das Tape und die Begegnung mit einem kauzigen alten Drifter namens Sully (Mark Rylance) erfährt Maren, wer und was sie ist: Sie gehört zu einer genetisch mutierten Gemeinschaft kannibalistisch lebender Außenseiter, den sich selbst so nennenden „Eaters“, die von Zeit zu Zeit der unbändige Drang überkommt, Menschenfleisch zu verzehren und deren Phänotyp sich von Generation zu Generation weitervererbt. Als Maren während der Eiterfahrt auf den etwa gleichaltrigen Eater Lee (Timothée Chalamet) trifft, bahnt sich zwischen den beiden eine Romanze an, die Maren nach einem verstörenden Treffen mit ihrer psychiatrisch institutionalisierten Mutter jedoch wieder abbricht. Schließlich begreift sie, dass sie und Lee sich brauchen und kehrt zu ihm zurück. Gemeinsam beschließt man, sich eine konventionelle Existenz aufzubauen, doch das Schicksal meint es anders…

Mit „Bones And All“, der Adaption eines romantischen Jugend-Horrorromans von Camille DeAngelis, legt Luca Guadagnino ein elegisches, ebenso behutsam wie gemächlich erzähltes Road Movie vor, das den traditionellerweise eher garstig konnotierten Genretopos Kannibalismus (die Eaters könnten eine Art Nachfahren des mythologischen „Wendigo“-Dämons sein) auch für ein wohlfeil abgestecktes Arthouse-Publikum goutierbar werden lässt. Diese zugegebenermaßen etwas brüske Einordnung ist dabei keineswegs abschätzig gemeint, sondern soll vielmehr unterstreichen, in welche Richtung sich das Horrorkino in den letzten Jahren entwickelt. Filme wie „dieser“Bones And All“ beweisen eindrucksvoll, dass die Gattung sich eine Form der Anerkennung und Mündigkeit erobert hat, die vor einem Vierteljahrhundert in dieser Ausprägung noch undenkbar gewesen wäre; raus aus dem schummrigen Dämmerlicht des stets als etwas schmuddelig verrufenen Effektevents für verschwitzte Convention-Besucher hin zum respektierten Gesellschaftsdiskurs mit Blut und Eingeweiden. Wie James Grays just von mir genossene, überaus wesensverwandte Coming-of-Age-Bestandsaufnahme „Armageddon Time“ blickt auch „Bones And All“ zurück auf die den nordamerikanischen Kontinent ergreifende Verzweiflung der aufziehenden respektive bereits aufgezogenen Ära Reagan und reflektiert anhand dieser die nicht minder akute, zeitgenössischere Ratlosigkeit Trump-Jahre. Die in Anbetracht des sie nachhaltig verunsichernden Realitätsabgleichs in Abgründe starrende Maren und der jüngere New Yorker Paul Graff haben mancherlei gemein: Als Außenseiter einer zunehmend reaktionärer und repressiver agierenden Gesellschaft sehen sie sich, an biographischen Wegscheiden stehend, mit basalen Existenzfragen konfrontiert: Wie viel von mir darf ich überhaupt noch ausleben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Wie viel unbequeme Individualität ist gestattet in einer Welt aus Angst und Hass? Der Kannibalismus als ultimatives Sozialtabu lässt sich da leicht als übergeordnetes Bild interpretieren für alles Mögliche, was der Konservativismus an Zielscheiben ausersieht; seien es Ressentiments gegen bestimmte Ethnien, sexuelle Orientierungen oder andere vermeintliche Unangepasstheiten. Das durchaus konsequente Ende erschien mir dann wie ein versöhnlich umgedeuteter Brückenschlag zu Eckhart Schmidts exakt vierzig Jahre älterem „Der Fan“ (mit dem eine gemeinsame Betrachtung vielleicht ohnehin gar nicht uninteressant wäre): Die komplette Einverleibung des Geliebten als ultimativer Treuebeweis.

9/10

THE FRIGHTENERS

„Death ain’t no way to make a living!“

The Frighteners ~ NZ/USA 1996
Directed By: Peter Jackson

Seit einem Autonunfall vor einigen Jahren nebst persönlicher Nahtoderfahrung, bei dem auch seine Ehefrau Debra (Angela Bloomfield) starb, hat der Ex-Architekt Frank Bannister (Michael J. Fox) die vormalige Profession aufgegeben und arbeitet seither, stets kurz vor der Pleite stehend, als Geisteraustreiber. Möglich machen im dies seine tatsächlich hinzugewonnene Fähigkeit, Kontakt mit verstorbenen Seelen im Zwischenreich aufzunehmen sowie drei befreundete Zwischengänger: der in den Siebzigern verblichene, straßenweise Hustler Cyrus (Chi McBride), der bereits seit rund vierzig Jahren tote Student Stuart (Jim Fyfe) und ein aus dem Alten Westen stammender, schießfreudiger Richter (John Astin). Das derangierte Trio sucht zum Schein die Häuser unbedarfter Bürger heim, die dann in ihrer Not Bannister, den die meisten Ortsansässigen für einen spinnerten Scharlatan haltan, herbeirufen, um sich von ihm helfen zu lassen. Jüngst sorgt dieser dafür, das spießige Eigenheim des Ehepaars Lynskey „reinigen“ zu dürfen, nachdem Frank zuvor unfällig deren Vorgarten umgepflügt hat. Gesagt, getan, doch kurz darauf stirbt Ray Linskey (Peter Dobson) an einem Herzanfall. Nur einer von einer ganzen Reihe fast identisch gelagerter Todesfälle, die Bannister bald unter handfesten Verdacht stellen. In Wahrheit steckt jedoch eine ganz andere, jenseitige Entität hinter der Mordserie. Nunmehr ist es an Frank und Rays Witwe Lucy (Trini Alvarado), den wahren Killer dingfest zu machen. Kein leichtes Unterfangen, zumal auch der wirre FBI-Agent Dammers (Jeffrey Combs) ihnen diverse Steine in den Weg rollt…

Man muss sich kaum kognitiv ins Zeug legen, um „The Frighteners“, Peter Jacksons erste, von Robert Zemeckis protegierte Studioproduktion (Universal) nach einem Trio ebenfalls in Neuseeland entstandener, rasch zu anarchischen Underground-Lieblingen aufgestiegener Indie-Liebhaberstücke sowie einem feuilletontauglichen Coming-of-Age-Drama, als teures, familienkompatibles und inhaltlich verkomplexiertes, respektive andere motivische Schwerpunkte setzendes Remake seines eigenen Drittfilms „Braindead“ auszumachen. Ein junger Mann, einsam, traumatisiert und in seinem kleinen sozialen Mikrokosmos als Sonderling geltend, erlebt seine dräuende Alltagsmorbidität bald zu zusehends unkontrollierbarem Eigenleben erwacht. Der unfreiwillige Flirt mit Tod und modriger Vergänglichkeit bestimmt bald seine gesamte Existenz, bringt bei aller Turbulenz auch eine wahrhaft mörderische, monströse Bedrohung hervor und kann erst durch die heilende Kraft der Liebe von Erlösung und Neuanfang abgelöst werden. Soweit eine grobe Zusammenfassung beider Inhalte. Selbst einzelne Nebencharaktere erleben ihre Analogisierung oder zumindest eine Art „Remix“. Während „Braindead“ allerdings noch gezielt das Konzept des Splatterfilms dermaßen ad absurdum führte, dass jenes sich zugleich mit seinem eigenen, postmodernen Finalpunkt konfrontiert sah, rudert „The Frighteners“ zumindest in Bezug auf seine ästhetische Entfesselung wieder zurück. Oder anders gesagt: er substituiert die manuell beförderten und entleerten Gallonen von Kunstblut und -eingeweiden durch aufwändige, von Jacksons eigener, damals erst drei Jahre junger Firma „WETA Digital“ erstellte Computeffekte. Diese galten zeitgenössisch schon aufgrund ihres inflationären Einsatzes als ziemlich sensationell, was sich heuer eher beiläufig zur Kenntnis nehmen lässt. Das bei Jackson übliche vintage flair der Erzählung beschädigen sie jedenfalls glücklicherweise nicht, sondern hofieren den etwas stoffeligen Charme des comicesken, an die „Tales From The Crypt“-Comics angelehnten Plots, der zwanzig, dreißig Jahre zuvor gewiss auch einem William Castle kreative Höhenflüge entlockt hätte. Das dehnt sich zuweilen etwas und mag nicht immer auf den narrativen Überhang verzichten – eine originelle Arbeit aber ist „The Frighteners“ allemal und bestimmt dient er sich auch trefflich dazu an, Jacksons damals noch wesentlich prägnanter okurrierende Qualitäten als auteur zu identifizieren.

7/10

HALLOWEEN ENDS

„You’re only a man.“

Halloween Ends ~ USA/UK 2022
Directed By: David Gordon Green

Oktober 2022: Vier Jahre nach Michael Myers‘ (James Jude Courtney) letztem Amoklauf, den damit verbundenen schrecklichen Ereignissen und seinem spurlosen Verschwinden leben Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) sowie ihre Enkelin Allyson (Andi Matichak) gemeinsam im neu hergerichteten Haus von Michaels früherer Familie. Laurie ist es gelungen, ihre Obsession um den „Schwarzen Mann“ mit therapeutischer Unterstützung weitestgehend beizulegen. Sie bemüht sich sogar, Allyson mit einem jungen Mann namens Corey Cunningham (Rohan Campbell) zu verkuppeln – erfolgreich, wie sich bald zeigen soll. Doch Corey schützt eine dunkle Vergangenheit vor: ein drei Jahre zurückliegender Babysitterjob endete mit dem Unfalltod des schutzbefohlenen Jungen (Jaxon Goldenberg). Seither gilt Corey als gemiedener Außenseiter in Haddonfield. Ein gemeinsamer Besuch mit Allyson bei einer Maskenparty endet für Corey katastrophal und beinahe tödlich als er schließlich Michael Myers begegnet. Der Wahnsinnige erkennt in dem unsicheren Sonderling eine verwandte Seele und lässt ihn zunächst ziehen. In den kommenden Tagen bekommt es die kleine Stadt mit zwei geisteskranken Mördern zu tun…

Wie bereits die beiden Vorgänger von David Gordon Greens höchst privater „Halloween“-Sequel-Trilogie, „Halloween“ und „Halloween Kills“, müht sich auch „Ends“ um eine diskursive Durchbrechung tradierter Slasher-Prinzipien und versucht, das klassische Subgenre um die Akzentuierung bislang weniger beachteter Topoi anzureichern. So spielen im Finale die seelischen Narben der abermals tiefversehrten Kleinstadt Haddonfield eine wesentliche Rolle, nebst den kollateralen Mitleidenschaften, die das Duell zwischen Laurie Strode und ihrer lebenslangen Nemesis Michael Myers in diesem Zuge hinterlassen haben. Ferner werden das Wesen und die Ausprägungen des menschlichen Bösen in reichlich vulgärphilosophischer Weise zu analysieren versucht. Der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen liegt darin, dass Myers ein kaum weniger sinistrer, in punkto Blutrunst gar gleichwertiger Geselle anheim gestellt wird, ein optionaler Erbe des haltlosen Irrsinns gewissermaßen. Offenbar genügt die frühere, elementare Bedrohung durch „The Shape“ (dessen Boogeyman-Nimbus nunmehr wieder auf ein relativ semirealistisches Maß zurechtgestutzt wird) nicht mehr in einer Welt, in der das wahre Grauen von unberechenbaren Regierungsspitzen und gierigen Autokraten ausgeht, deren medial-globale Omnipräsenz de facto keine Maske benötigt. Dieses bereits in seiner Blaupausenform fragwürdig anmutende Konzept geht allerdings nur bedingt und, wenn überhaupt, aus einer abstrakten Warte heraus betrachtet auf; als Spannungs- oder Suspense-Film ist „Halloween Ends“ gänzlich uninteressant. Ein paar illustre kills in der zweiten Hälfte können immerhin mit netten Makeup-Effekten glänzen; inwieweit die zentrale Vierecksbeziehung zwischen Laurie, Michael, Allyson und Corey sich im Zuge dessen entwickelt, bleibt jedoch belanglos. Stattdessen ergeht sich Green in einem Füllhorn mal mehr, mal weniger einfallsreicher Reminiszenzen an Carpenters ohnehin in jedweder Hinsicht unantastbares Original: Diverse Einstellungen daraus etwa finden sich in Konzentraten referenziert, exakt übernommen, variiert oder unerwartet aufgelöst, statt Nybys und Hawks‘ „The Thing From Another World“ gibt es Carpenters Remake im Halloween-TV-Programm und zum Abspann läuft sinnigerweise abermals der unverwüstliche Blue Öyster Cult – Klassiker „(Don’t Fear) The Reaper)“. Dass man es hier mit zu Staube kriechenden fanboys zu tun hat, wäre folglich minimal eklatant.
Eine weitere, eindimensionale Mordparade mochte man somit ergo nicht liefern, was ich als grundsätzlich respektabel erachte. Die Zeit wird zeigen, ob Greens kleinem Zyklus innerhalb der nunmehr elf Filme umfassenden Saga dereinst ein gewichtigerer Platz zuteil werden wird oder nicht.

5/10

THE BLACK PHONE

„I almost let you go.“

The Black Phone ~ USA 2021
Directed By: Scott Derrickson

North Denver, Colorado, 1978. Der Jugendliche Finney Shaw (Mason Thames) leidet unter den Attacken diverser Bullys an seiner Schule. Zudem kanalisieren sich die Depressionen seines alleinerziehenden Vaters (Jeremy Davies) in Form von Gewaltausbrüchen, die er und seine jüngere Schwester Gwen (Madeleine McGraw) zu erdulden haben. Mit dem wehrhaften Robin (Miguel Cazarez Mora) gewinnt Finney immerhin einen schlagkräftigen Freund, doch auch dieser Lichtblick schwindet bald wieder – Robin wird Opfer des „Grabber“ (Ethan Hawke), eines als Zauberer verkleideten Kidnappers, der in der Gegend Jungen im Teenager-Alter verschleppt und spurlos verschwinden lässt. Eines Tages gerät auch Finney in die Fänge des Verbrechers und erfährt nach und nach die schreckliche Wahrheit über den ihm ausschließlich maskiert gegenübertretenden Psychopathen, der vor Finney bereits fünf Kids in seinem Keller gefangen gehalten und ermordet hat. Über ein in jenem Verlies befindliches, anschlussloses Telefon erhält Finney bald darauf Anrufe seiner „Vorgänger“, die ihm aus einer Art Zwischendimension heraus dabei helfen wollen, dem Grabber zu entkommen…

Mit „The Black Phone“, einer weiteren Blumhouse-Produktion, wildert nun auch Scott Derrickson im offenbar noch lange nicht versiegten Reservoir der immer zahlloser werdenden Retro-Genre-Produktionen, die sich so überaus darin gefallen, die siebziger und achtziger Jahre als periodische Kulisse für ihre mehr oder minder innovativen Storys zu nutzen. Dieses Vorgehen gelingt analog dazu, zumal in Anbetracht seines inflationären Einsatzes, in wechselnd ansprechender Form, wobei das reanimierte Zeitkolorit zusehends selten wirklich zweckmäßig erscheint. Immerhin liefert selbiges einen beständigen Vorwand, ein paar knackige Rocksongs der Ära auf die Tonspur zu zaubern.
Derrickson, der in Bezug auf die Qualität seiner Filme ein bis dato relativ heterogenes Werk aufweist und binnen relativ kurzer Zeit sowohl Ordentliches („Sinister“) als auch harsch Enttäuschendes („Deliver Us From Evil“) vorlegte, begibt sich mit „The Black Phone“ schnurstracks in den mediokren Sektor jener Welle. Zwischen altbekannten Versatzstücken, vom Telefon als Kommunikationsmittel ins Jenseits über den Kidnappingplot und die übersinnlich begabte Schwester bis hin zum identitätsgestörten Serienmörder, der sein gewalttätiges alter ego vornehmlich über das Tragen einer Maske definiert, befleißigt sich Derrickson recht hausbackener Elemente, um sein jüngstes Gattungsstück an Frau und Mann zu bringen. Zwar gelingt es ihm vereinzelt, durchaus schöne Momente zu schaffen (so verändert sich der spirituelle Zustand der vormaligen Opfer-Geister jeweils rückwirkend zur zeitlichen Distanz ihres Todestags) und sein Publikum trotz des eher kurzfilmtauglichen Narrativs behende am Ball zu halten, das stets zuverlässige Auffangnetz der Konventionalität verlässt er de facto jedoch zu keiner Sekunde.
So bleibt „The Black Phone“ mit dem Abstand von ein paar Tagen als passabler, wenngleich wenig aufregender Mosaikstein seiner Alltagsprovenienz im Gedächtnis, der als modernisierte „Hänsel-&-Gretel“-Variation mit seinen rar gesäten Ausreißern nach oben kaum wirklich protzen kann.

6/10

OCCHIALI NERI

Zitat entfällt.

Occhiali Neri (Dark Glasses – Blinde Angst) ~ I/F 2022
Directed By: Dario Argento

Der Serienkiller Matteo (Andrea Gherpelli), dessen Beuteschema teure Luxusprostituierte vorsieht, der stets mit einem Van unterwegs ist und seine Opfer mit Vorliebe stranguliert, macht Rom unsicher. Schließlich gerät auch das Callgirl Diana (Ilenia Pastorelli) an den Wahnsinnigen, die versucht, ihm mit dem Auto zu entkommen. Dabei kommt es zu einem Unfall mit einer chinesischen Familie, den nur der kleine Chin (Andrea Zhang) überlebt. Diana selbst erblindet aufgrund einer schweren Kopfverletzung. Mithilfe der empathischen Trainerin Rita (Asia Argento) und der Blindenhündin Nerea fasst Diana ganz allmählich neues Selbstvertrauen. Als sie Kontakt zu dem im Heim untergebrachten Chin aufnimmt, flüchtet sich dieser aus Angst, in eine Pflegefamilie zu müssen, zu ihr in die Wohnung. Matteo bleibt jedoch nicht untätig und will zu Ende bringen, was er einmal angefangen hat. Gemeinsam versuchen die Blinde und das Kind verzweifelt zu überleben…

After the eclipse: Meine persönliche Argento-Lücke ist zu meiner Schande mittlerweile recht umfangreich und spart sämtliche Regiearbeiten der letzten 21 Jahre aus. Da es ohnehin längst an der Zeit ist, dem Abhilfe zu leisten, warum nicht gleich bei seinem aktuellen Werk „Occhiali Neri“ ansetzen? Vorwegzunehmen wäre, dass dessen Betrachtung insbesondere auch dem nicht berufsmäßigen Argento-Apologeten mancherlei abverlangt. Logik und inhaltliche Kohärenz zählten nie zu den vorrangigen Interessen des Maestro und daran hat sich auch jenseits seines achtzigsten Lebensjahres nichts geändert. Vielmehr begeistert er sich ungebrochen für Topoi, Chiffren und Kausalitäten, die andere stirnrunzelnd als redundant beiseite schieben würden. Was man gemeinhin als dramaturgische Fettnäpfchen erachtete, bildet bei Argento zudem und au contraire die Bedienung steter werkimmanenter Motive (Dunkelheit und Licht, Raumkonstruktion, An- und Abwesenheit von Farbspektren, körperliche und/ oder psychische Versehrtheit, Außenseitertum, Angstfacetten, brave und mörderische Tiere als Erfüllungsgehilfen etc.). Die Zeit bleibt seit eh und je stehen mit und bei ihm, was gleichfalls bedeutet, dass er auch anno 2022 keinerlei Zugeständnisse an Entwicklungsprozesse in Medium oder Genre vollzieht und ganz in sich selbst ruht, ungeachtet dessen, dass es damit nahezu ausgeschlossen ist, sich ein unerfahrenes Publikum außerhalb seiner getreuen Rezeptionshemisphären zu erschließen. Ein vergleichsweises mediales Novum wie ein Smartphone für Blinde wirkt da fast wie ein postfuturistisches Artefakt, das in Argentos Welt eigentlich keinen Platz hat und, seiner diegetischen Funktion einmal entledigt, auch keine weitere Rolle mehr spielt. Ferner befreit sich der Filmemacher von scheinbar obsolet gewordenem Ballast wie einer Mörder-Psychologisierung. Zählten früher noch ein gewisses (wenn auch selten luzides) Profiling oder gar Whodunit-Elemente zu seinen obligatorischen Script-Bestandteilen, bedarf es heuer auch dieser nicht mehr. Der Killer wird ohne große Umschweife oder Mysterien bereits im ersten Drittel nebst Gesicht und Namen vorgestellt; warum er tut, was er tut, erfährt man de facto nicht. Das Incel-Motiv Misogynie erscheint mir jedenfalls etwas weit hergeholt – Matteos Charakterisierung beschränkt sich darauf, dass er nämlich im Grunde durchaus nicht unattraktiv ist, körperhygienisch jedoch ziemlich verwahrlost, in einer Baracke außerhalb der Stadt haust, große Hunde entführt und illegal weiteverkauft und mit Vorliebe kokst. Ein nachgerade unsympathisches Individuum also, was soweit genügen muss. Wenn es überhaupt ein personelles Interesse gibt, dann liegt dies in der Beziehung zwischen Diana und Chin, die als zwei einsame, gehandycapte Seelen auf kognitiver Augenhöhe durch das Schicksal aneinandergekettet werden und damit klarzukommen haben. An dieser Stelle erklimmt der oberflächliche Kriminalplot bereits eindeutig die Schnittstelle zur Symbolhaftigkeit. Und natürlich gelingt Argentos dp Matteo Cocco in dessen erster Zusammenarbeit mit dem Altmeister noch eine oftmals poetische Bebilderung; man denke nur an die Laughton-Hommage, eine fabelhafte Sequenz, in der die hoffnungslos verirrte, auf sich gestellte Diana aus dem finsteren nächtlichen Wald auf eine sternenerleuchtete Lichtung hinausstolpert. Die MakeUp-F/X von Sergio Stivaletti geben sich betont old school und finden sich, auch das gewiss ein altehrwürdiges Kontinuum, genüsslich ausgekostet.
Summa summarum manifestiert sich in diesem Alterswerk das reduzierte, bald reaktionäre Ethos des arrivierten Künstlers, der keinerlei nachvollziehbare Gründe darin sieht, sich oder der Welt noch irgend etwas zu beweisen. „Occhiali Neri“ gleicht insofern eher dem alljährlichen, harmonischen Familientreffen, auf dem der liebenswerte, zunehmend gebrechlich werdende Uropa seine alten Geschichten auspackt. Man hört zwar weiterhin interessiert zu, lächelt insgeheim jedoch Jahr für Jahr ein bisschen milder in sich hinein – vielleicht auch bloß ein Signium barer Arroganz.

6/10

THE THIRTEENTH FLOOR

„I fell in love with you before I even met you.“

The Thirteenth Floor (The 13th Floor – Bist du, was du denkst?) ~ D/USA 1999
Directed By: Josef Rusnak

Dem milliardenschweren Computergenie Hannon Fuller (Armin Mueller-Stahl) ist es gemeinsam mit seinem Kompagnon Douglas Hall (Craig Bierko) gelungen, eine komplett funktionstüchtige VR zu kreieren. Deren Szenario bildet ein simuliertes Los Angeles des Jahres 1937, bevölkert von künstlichen Intelligenzen, die allesamt den Avatar eines Vorbildes aus der realen Welt abbilden und alltagsgebunden agieren, dabei jedoch nichts von ihrem Ursprung ahnen. Mithilfe einer komplexen Software kann man sich für einen befristeten Zeitraum in seine VR-Persona versetzen lassen und als diese in der Kunstwelt bewegen, derweil der eigene Körper quasi „entgeistert“ bleibt. Eines Abends wird Fuller nach einem seiner Trips in die VR ermordet aufgefunden. Für den ermittelnden Detective McBain (Dennis Haysbert) ist Douglas Hall eindeutig der Täter, dieser beteuert jedoch seine Unschuld. Mithilfe des Techniknerds Whitney (Vincent D’Onofrio) findet Hall, der sich selbst auf Spurensuche begibt, heraus, dass Fuller offensichtlich eine alles umwälzende Entdeckung gemacht und diese in Form einer handgeschriebenen Notiz im artifiziellen 1937 für ihn hinterlassen hat. Hall versetzt sich in sein alter ego John Ferguson, einen Bankangestellten, und stößt in der Computerwelt auf die Gegenparts von Fuller – den biederen Buchladenbesitzer Grierson – und Whitney – einen soziopathischen Barkeeper namens Jerry Ashton – und fördert tatsächlich Ungeheuerliches zutage…

Im „Matrix“-Jahr 1999 erschienen, für etwa ein Viertel von dessen Budget hergestellt und vergleichsweise krachend gefloppt, spricht heute kaum mehr jemand über diesen kleinen, jedoch durchaus bemerkenswerten Beitrag zum SciFi-Subgenre der VR-Dystopien. Gewiss, den umwälzenden und prägenden soziokulturellen Impact von „The Matrix“ erreicht „The Thirteenth Floor“ zu keiner Sekunde; vermutlich eignet er sich auch nicht ganz so umfassend als Sujet philosophischer Diskurse. Dennoch empfinde ich ihn in der Revision als das im Direktvergleich deutlich sympathischere Werk, vielleicht gerade weil alles ein paar Nummern bescheidener ausfällt, die Effektarbeit relativ überschaubar bleibt alles sehr viel weniger brachial und coolness-betont daherkommt und daraus eben kein völlig aus jedwedem Ruder gelaufenes Franchise wie bei den Wachowskis erwachsen musste. Dabei entpuppt sich auch die ebenso wie Fassbinders Fernseh-Zweiteiler „Welt am Draht“ auf Daniel F. Galouyes bereits 1964 erschienenen Roman „Simulacron-3“ basierende Geschichte von „The Thirteenth Floor“ als eine bei etwas Licht besehen unendliche, die noch gewaltiges Potenzial für weitere Handlungsstränge beherbergt.
Der inhaltliche Clou, der sich an der Oberfläche letztlich traditionellen Noir-Motiven unterordnet, entpuppt sich nämlich, als sich im weiteren Handlungsverlauf und durch die Involvierung einer femme mystérieuse (Gretchen Mol) herauskristallisiert, dergestalt, dass auch die als real erachtete Welt von Douglas Hall nurmehr eine VR repräsentiert, die im Jahre 2024 als eine von „vielen Tausenden“ erschaffen wurde und die wiederum durch die Schaffung einer VR innerhalb der VR zum Risiko wird. Gewiss mag im Umkehrschluss auch diese lediglich eine Simulation, ein Kunstprodukt sein, dessen AkteurInnen nichts von ihrer Artifizialität ahnen – oder vielleicht eben doch. Derlei weiterführende Überlegungen überlässt das Script anders als „The Matrix“ ausschließlich seinem Publikum und lässt somit gewissermaßen Raum für uferlose Phantasien. Nicht zuletzt diesbezüglich steht er in der zeitgenössisch betrachtet jüngeren Erbfolge von Quasi-Vorgängern wie Verhoevens „Total Recall“ oder Proyas‘ „Dark City“, die jeweils aus sehr anverwandten Motivkreisen schöpfen.

8/10

COPYCAT

„I’m not on duty. Neither is my brain.“

Copycat (Copykill) ~ USA 1995
Directed By: Jon Amiel

Nachdem die Psychologin und Serienkiller-Spezialistin Helen Hudson (Sigourney Weaver) kurz nach einer Vorlesung trotz Polizeischutzes von dem wirren Daryll Lee Cullum (Harry Connick Jr.) attackiert und beinahe getötet wird, verschanzt sie sich in ihrer Wohnung. Fortan leidet sie unter Agoraphobie und heftigen Panikattacken, die sie mit Alkohol, Medikamenten und der Unterstützung ihres treuen Faktotums Andy (John Rothman) in Schach zu halten versucht. Ein gutes Jahr nach ihrem Erlebnis – Cullum sitzt mittlerweile in der Todeszelle – macht ein neuer Serienmörder namens Peter Foley (William McNamara) San Francisco unsicher. Trotz ihrer Handicaps fühlt Helen sich in der Verantwortung, sich bei der Polizei zu melden, um ihre Profiling-Expertise abzugeben, was das Ermittlerduo MJ Monahan (Holly Hunter) und Ruben Goetz (Dermot Mulroney) veranlasst, Helen wider Willen auch zur weiteren Zusammenarbeit zu nötigen. Bald findet man gemeinsam heraus, dass der Nachwuchskiller sich als emsiger Epigone populärer Vorbilder von Albert de Salvo bis hin zu Jeffrey Dahmer befleißigt und es längst auch auf Helen abgesehen hat…

Experimenteller Revisionismus bei der Filmbetrachtung ist zuweilen, eigentlich sogar meistens, eine lohnenswerte Angelegenheit, denn mit der Rezeption von Kunst im Allgemeinen und Film im Besonderen ist es ja wie mit dem sprichwörtlichen Fluss: so wie man nie zweimal in denselben springt, sieht auch dieselbe Persönlichkeit nie zweimal dasselbe Artefakt. Allzu viele Einflüsse verhindern diese Option, das eigene Älterwerden und Altern; die zahllosen äußeren und inneren Umstände der Wahrnehmung. Oftmals gewährt einem die Erfahrung neue, andere, tiefere Einblicke und Verständnisebenen, was gleichsam eine differenziertere Auseinandersetzung ermöglicht. Ebenso kommt es jedoch vor, dass vermeintlich obsolete Urteile sich nochmals manifestieren. Jon Amiels „Copycat“, nach 25 Jahren nun zum zweiten Mal geschaut, ist und bleibt ein hoffnungslos unterprivilegiertes, um nicht zu sagen: zutiefst unsympathisches Unterfangen. Das Script kokettiert mit seiner sich offenbar „brillant“ wähnenden Prämisse, den Killer als emsigen Studenten und Fan prominenter Vorgänger zu Werke gehen zu lassen. Amerika liebt ja seit eh und je seine Serienmörder und damit einhergehend deren kulturellen Impact, was sich nicht allein anhand breit gefächerter literarischer Abhandlungen, sondern vor allem diverser, häufig biographisch angelegter Kino- und TV-Filmproduktionen sowie mehr oder weniger reißerischer Dokumentarformate ablesen lässt. So dürfte das Wissen um Menschen wie David Berkowitz, Ted Bundy, Henry Lee Lucas oder John Wayne Gacy und auch deren Modi Operandi insbesondere beim potenziellen Zielpublikum von Filmen wie „Copycat“ zur Weltbildung gehören. Wohl als zusätzliches Insider-Bonmot pflegte man noch den Namen des deutschen Peter Kürten ein. Soweit die inhaltliche Konstruktion, vor der eine ganze Riege von Protagonisten bar jeder Inspiration agiert. Jede einzelne Figur wirkt wie ein gewaltiger Klischeefokus, allen voran die ebenso geniale wie psychisch gebeutelte Helen Hudson, die unentwegt mit einem halbgefüllten Cognac-Schwenker durch ihre schnieke Wohnung tigert. Holly Hunter als selbstbewusste Polizistin MJ Monahan muss sich indes permanent gegen ein sie schon von Berufswegen unterschätzende und geringschätzende Patriarchat zur Wehr setzen, wobei ihr Partner, der von Dermot Mulroney gespielte, smarte ladies‘ man Ruben Goetz sie durchaus auch erotisch attrahiert (wie übrigens auch die sexuell darbende Helen) , schließlich aber durch ihre Teilschuld das Zeitliche zu segnen hat. Komplett aus ist der Ofen jedoch in Anbetracht der Charakterisierungen der beiden Serienmörder – der eine ein hässlicher, perverser und gar nicht mal allzu bildungsentlehnter Hillbilly mit Gottkomplex, der andere ein hübscher, jedoch von tiefer pathologischer Misogynie gebeutelter Computernerd, der bereits das Machtpotenzial des Internet ausreizt, bevor die meisten überhaupt wussten, was das ist. Thomas Harris‘ Hannibal-Romane (oder deren Adaptionen?) ferner wurden offenbar nicht nur einmal durchgeackert; so findet sich der einsitzende Cullum, der nicht nur mit Foley brieflich korrespondiert, wie weiland Dr. Lecter zum großen Killerpaten stilisiert, der immer weiter fleißig danach trachtet, seine reziproke Nemesis Helen Hudson noch vor sich selbst tot zu sehen.
Viel gestohlen, viel plagiiert ergo, „Copycat“ eben. Das Ganze auch noch ohne jedweden Witz oder Esprit, ohne jemals einen Hauch echter Originalität zu entwickeln; ein gleichsam geradezu aggressiv spannungsloser Beitrag zu seinem Subgenre, der zumindest mich auch beim Wiedersehen weitaus mehr verägert hat als zufriedenzustellen.

3/10