AMAZING GRACE

„Your life is a thread. It breaks, or it doesn’t break.“

Amazing Grace ~ UK/USA 2006
Directed By: Michael Apted

England, 1782. Der junge Parlamentarier William Wilberforce (Ioan Gruffudd) exponiert sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit öffentlich als leidenschaftlicher Gegner des Sklavenhandels. Auch sein bester Freund, der spätere Premierminister William Pitt (Benedict Cumberbatch), steht, obgleich politkarrieristisch wesentlich ambitionierter, auf Wilberforces Seite. Pitt ist es auch, der Wilberforce einem kleinen Zirkel von abolitionistischen Aktivisten vorstellt, darunter der Theologe Thomas Clarkson (Rufus Sewell) und der Ex-Sklave Olaudah Equiano (Youssou N’Dour). Zunächst erweisen sich Wilberforces Bemühungen im Unterhaus als zwecklos; allzu gewichtig ist der Widerstand der an der Sklaverei verdienenden Lobby. Viele Jahre des unermüdlichen Kampfes und der Überzeugungsarbeit stehen Wilberforce bevor, bis am 25. März 1807 ein Gesetz zum Verbot des Sklavenhandels im britischen Machtbereich mit großer Mehrheit durchgesetzt und erlassen wird. Nur drei Tage nach der endgültige Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien stirbt Wilberforce am 29. Juli 1833.

Michael Apteds Biopic über einen der der maßgeblichen Abolitionisten in Europa verzichtet anders als viele historisch grundierte Filme über die Sklavereiganz bewusst darauf, die inhumanen Zustände vor Ort, also in Afrika, auf den Schiffen oder in den Kolonien zu bebildern und unterscheidet sich allein dadurch in beträchtlicher Weise von den diversen, oft deutlich populäreren Kino- und TV-Klassikern zum Thema. Wilberforce, ein Kind der Aufklärung und der damit einhergehenden, humanistischen Strömungen, bezieht seine Maximen höchstselbst nicht aus unmittelbaren Zeugnissen der global grassierenden Unmenschlichkeit, sondern aus dem, was ihm mündlich und schriftlich zugetragen wird. Als ein maßgeblicher Faktor ergibt sich die Bekanntschaft mit dem alternden Ex-Sklavenschiffskapitän John Newton (Albert Finney), der, innerlich geläutert und zum Christ geworden, erst Jahrzehnte der Buße und Einkehr benötigt, bevor er als mittlerweile Erblindeter seine Memoiren zu Diktat gibt.
Bis zur körperlichen Aufzehrung widmet sich Wilberforce seinem Ziel; er wird krank und süchtig nach Laudanum. Erst die Heirat mit der starken Barbara Spooner (Romola Garai) verleiht ihm die Kraft, weiter für die Abschaffung der Sklavenhandels einzutreten. Dabei gelingt es ihm, mehr und mehr auch prominente Stimmen wie den Lebemann Lord Fox (Michael Gambon) für seine Zwecke zu gewinnen.
„Amazing Grace“ wirkt in seiner gelassenen, akribischen und dennoch spannenden Art des Erzählens wie eine Fortführung der Welle biographischer Filme der dreißiger und vierziger Jahre aus Hollywood und England, von denen diverse etwa von William Dieterle inszeniert wurden. Diese pflegten ihre Titelcharaktere als getriebene und demzufolge oftmals auch anfällige Visionäre zu porträtieren, deren (geistige, technische oder materielle) Errungenschaften ihnen einen Platz im Pantheon großer Geister sicherten. Hier wie dort gab und gibt es eher wenig Platz für Kritik an den Protagonisten, derweil sie in besonderem Maße die Summe ihrer Fürsprecher, Unterstützer und natürlich Widersacher darstellen. Zu konstatieren, „Amazing Grace“ sei ein wenig aus der Zeit gefallen, wäre also sicherlich nicht ganz verfehlt. Für mich ist das neben vielen anderen jedoch eine seiner Hauptqualitäten.

8/10

ANTEBELLUM

„The unresolved past can certainly wreak havoc on the present.“

Antebellum ~ USA 2020
Directed By: Gerard Bush/Christopher Renz

Die Sklavin Eden (Janelle Monáe) fristet ihr von Repression geprägtes Dasein auf einer von der Konföderiertenarmee geleiteten Baumwollplantage irgendwo in Louisiana, die angeblich der Rehabilitation aufsässiger und wiedereingefangener Leibeigener dient. Die Gefangenen dürfen nur auf Aufforderung ihrer weißen, uniformierten Bewacher sprechen und erwarten bei Zuwiderhandlung harte Strafen. Zudem muss sich Eden dem Colonel (Eric Lange) stets zur sexuellen Verfügung halten. Doch da ist noch ein anderes Leben, in dem Eden Veronica Henley heißt, als promovierte und wohlhabende Soziologin und Familienmutter in der Gegenwart lebt und sich für vielerlei Formen von Diversität engagiert. Welcher dieser beiden Existenzen wird am Ende die Vormacht gebühren?

Dass das offensichtlich leider wohl niemals an gesellschaftspolitischer und somit auch kultureller Relevanz einbüßende Thema „Rassismus“ nicht a priori in melodramatischer fiktionalisierter Form aufgearbeitet werden muss, sondern sich in bildhafter Form auch für Genre- bzw. Exploitation-Entwürfe anbietet, bildet keinen unbekannten Kunstansatz. In den siebziger Jahren, bestärkt von black consciousness, begannen unter anderem Regisseure wie Russ Meyer oder Richard Fleischer, den Sklaverei-Topos in besonders ostentativer Weise aufzubereiten und verschafften ihm so einen zwar rüpelhaften, dafür aber umso wirksamere Rückkehr in das westliche Massenbewusstsein. Später nahmen TV-Serials wie „Roots“ und „North And South“ nebst Nachfolgern das Ganze neuerlich auf; in jener medialen Ausprägung stets ja auch ein Indiz für eine besonders großflächig erreichte Adressatenschaft. Art und Weise der entsprechenden Aufbereitung respektive deren diskursive Valenz lässt sich gewiss ausführlich eruieren, dass sie indes wenige Menschen emotional kalt ließen, scheint da schon unbestrittener.
In jüngerer Zeit gingen Tarantinos „Django Unchained“ und Steve McQueens „12 Years A Slave“ in medias res, wiederum mit ganz unterschiedlichem Ansatz. „Antebellum“ wählt gewissermaßen einen Mittelweg. Ohne den Tongue-in-cheek-Habitus des Kinorevisionisten einerseits und ohne die Bürde historischer Akkuratesse andererseits entwirft Bushs/Renz‘ Film einen relativ unbelasteten Genrezugang und geriert sich im letzten Jahr Trump als Horrorthriller mit wiederum berechtigt ausgestellter Wutagenda. Als solcher reüssiert er dann durchaus auch und subsummiert bildhaft zuletzt wieder aufflammende Empörungskausalitäten. Dass „Antebellum“ sich indes auch dramaturgisch als clever wähnt, ohne es je zu sein, mitsamt eingehendem Faulkner-Zitat, einem „Twist“, der kaum als solcher durchgehen mag, kokettiert und schließlich doch bloß eine in politisch korrektes Spotlight gerückte Rachegeschichte, wie sie ideologisch ebensogut auch vor 45 Jahren als AIP-Produktion hätte durchgehen mögen, präsentiert, weist ihn derweil in entschiedene Schranken. Gewiss, es tut auf katalytische wie katrhartische Weise gut, zu bezeugen, wie Janelle Monaé sich im Showdown über ihre uneingeschränkt hassenswerten Peiniger erhebt um hernach wie eine Reiterin des Jüngsten Gerichts mit gerechtem Zorn auf sie herniederzufahren – dass dabei allerdings unwesentlich mehr als regressive Instinkte walten, – und zwar sowohl auf als auch vor dem Bildschirm -, davon kann sich „Antebellum“ nicht freisprechen. Die Frage nach Intentionalität stellt sich mit etwas Abstand unweigerlich. Dennoch kann und darf der Film als reaktionäres, politisches Statement seine aktuelle Berechtigung verteidigen. Seine mangelnde Intelligenz bleibt jedoch kaum, minder evident.

7/10

BLACKSNAKE!

„Your God, not my God, old man.“

Blacksnake! ~ USA 1973
Directed By: Russ Meyer

Im Jahre 1835 haben die Briten der Sklaverei in ihren Westindischen Kolonien bereits weitgehend entsagtm einzig auf dem kleinen Eiland San Cristobal herrscht die Zuckerrohrbauerin Susan Walker (Anouska Hempel) weiterhin mit eiserner Hand und schwarzlederner Knute. Da von ihrem Gatten Lord Jonathan (David Prowse) bereits seit Längerem nichts zu hören ist, begibt sich dessen Bruder Charles (David Warbeck) in cognito als neuer Buchhalter Sopwith nach San Cristobal, um vor Ort selbst nach dem Rechten zu sehen. Dort wird er umgehend Zeuge von Lady Susans Schreckensregime, das von ihren sadistischen Aufsehern Joxer Tierney (Percy Herbert) und Raymond Daladier (Bernard Boston) unterstützt wird. Doch die Revolte brodelt bereits vor sich hin…

Bereits ein Jahr vor Richard Fleischers Skandal-Studioepos „Mandingo“ ließ Russ Meyer diesem seinem weitaus bekannteren Epigonen gar nicht mal unähnlichen, kleinen Schweinehund von Film von der Leine. Das historische Sujet der Sklaverei im 19. Jahrhundert diente auch „Blacksnake!“ vornehmlich dazu, einen waschechten Exploiter fürs Midnight Cinema zu kreieren, wobei einzuräumen ist, dass von Meyers üblichem, anarchischen Stil im Gegenzug zu einer in diesem Fall eher konventionellen Inszenierung vergleichsweise wenig übrigbleibt. Erst im letzten Viertel genehmigt der Regisseur sich einige wenige, surreale Metalepsen und versichert dem angesichts des zuvor Bezeugten möglicherweise noch unschlüssigen Publikum mit seinem Finale, in dem allerlei Pärchen unterschiedlicher Hautfarbe zu den beruhigenden Worten des Off-Sprechers fröhlich durch ein Flussbett hüpfen, dass sein ruppiges Werk natürlich ganz und ausschließlich im Zeichen liberaler Werte entstand.
Nun, trotz seiner recht räudigen Atmosphäre nimmt sich „Blacksnake!“ nicht gar so bitterböse aus wie Fleischers Film, entbehrt jedoch auch mancher dessen wirksamer Ingredienzien wie etwa eines Hauptdarstellers vom Kaliber James Mason. Auch mit für seine persönliche Proveninenz berüchtigten Sexszenen hält sich Meyer merklich zurück, für ein paar wenige, tatsächlich kaum schlüpfrige Bilder um Anouska Hempel musste sichtlich ein Body Double herhalten. Seine nichtsdestotrotz eklatanten Grindhouse-Elemente bezieht „Blacksnake!“ eher aus dem räudigen, vornehmlich mit Rassistenschimpf gesäumtem Dialog und einigen visuellen Barbareien wie einer Kreuzigung oder den titelgemäßen Auspeitschungen. Der breitschultrige Bodybuilder und spätere Darth Vader David Prowse springt zuweilen als wahnsinnig gewordener, gewaltsam um Zunge und Hoden erleichterter Adliger durch die Szenerie, dem wegen einer vormaligen Eifersuchtsgeschichte seitens Lady Walker noch übler mitgespielt wurde als manchen Sklaven. Die interessanteste, vielschichtigste Figur indes verkörpert der ansonsten leider wenig beleumundete Bernard Boston als Captain Raymond Daldier – ein wohlerzogener, hochgebildeter, impotenter, sadistischer Opportunist, der permanent mit wohlfeil formulierten, altklugen Standesdünkeleien um sich wirft und seine versklavten Pigmentierungsgenossen aus unerfindlichen Gründen noch weitaus mehr hasst als die rassistischen Weißen, denen er untersteht. Ihm gegenüber steht der grundsätzlich natürlich verlässliche David Warbeck als braver, plottragender Humanist geradezu blass da.

7/10

BELOVED

„It ain’t evil. Just sad.“

Beloved (Menschenkind) ~ USA 1998
Directed By: Jonathan Demme

Viele Jahre nachdem es der hochschwangeren Sklavin Sethe (Oprah Winfrey) einst gelungen ist, von Kentucky nach Ohio zu fliehen und dort mit ihren bereits zuvor entkommenen Kindern im Hause ihrer Großmutter Baby Suggs (Beah Richards) sesshaft zu werden, steht plötzlich ihr früherer Schicksalsgefährte Paul D (Danny Glover) vor der Tür, der sich die ganze Zeit über als Tramp und Tagelöhner durchgeschlagen hat. Von Sethes einst vier Kindern ist nurmehr die Jüngste, Denver (Kimberly Elise), bei der Mutter. Ihr Haus scheint von einem Poltergeist heimgesucht zu werden. Paul bietet sich Sethe und Denver trotz anfänglicher Ängste wegen der übernatürlichen Vorgänge als Ersatzvater an und will für sie sorgen. Nach einigem Zögern akzeptiert Sethe sein Angebot. Kurz darauf erscheint eine junge, offenbar geistig verwirrte und amnesische Frau (Thandie Newton) auf Sethes Grundstück, die den Namen ‚Beloved‘ trägt. Sethe und Denver nehmen Beloved wie ein weiteres Familienmitglied auf, nur Paul D empfindet in ihrer Gegenwart Unbehagen. Nach einigen Wochen wird Beloved für Sethe mehr und mehr zur Belastung, doch sie kann und will das Mädchen aus einem sehr sensiblen Grund nicht fortschicken…

Oprah Winfrey hatte die Verfilmungsrechte an Toni Morrisons gefeiertem Roman bereits seit Jahren in ihrem Besitz, als „Beloved“, inszeniert zwar von Jonathan Demme, jedoch vornehmlich unter Winfreys Schirmherrschaft, entstand. Anders als ethnische Selbstfindungsdramen vom Schlage eines „The Colour Purple“ wählt „Beloved“ einen sehr viel metaphorischeren Ansatz für seinen Schicksalsbericht. Der Film (das Buch ist mir leider unbekannt) lässt sich auf multiple Weise betrachten: als die Geschichte einer Heimsuchung, einer Rache, oder auch als eine von Buße und Erlösung. Was dem Betrachter im Grunde bereits parallel zu Beloveds rätselhafter Einführung in die Ereignisse schwant, erweist sich bald als dräuende Gewissheit: Sie ist niemand Geringere als die ältere Manifestation von Sethes vor rund 18 Jahren von ihr eigenhändig getötetem Baby. Als ihr vormaliger Besitzer (Jude Ciccolella), von dem Sethe stets nur als „Schoolteacher“ berichtet, plötzlich in Ohio auftauchte, sah sich die verzweifelte Mutter dereinst gezwungen, ihren Kindern das Leben zu nehmen, bevor sie wieder in die Hände des grausamen Weißen gelangten. Sie schnitt dem älteren Mädchen die Kehle durch und versuchte, den beiden Jungen (die die mütterliche Attacke schwer verletzt überleben sollten), die Schädel zu zertrümmern. Einzig die kleine Denver blieb körperlich unversehrt und bei der Mutter, während die Jungen ihr weggenommen wurden und seither nichts mehr von ihr wissen wollen. In der seltsamen Beloved, die aus dem Jenseits (einem zwischenbereichlichen offenbar, in dem es finster und heiß ist und sich die Geister drängeln) zurückkehrt, symbolisiert sich zugleich der Wunsch Sethes zu sühnen für ihre einstige Bluttat. Und sühnen wird sie: Nachdem Beloved ihre tatsächliche Identität kundgetan hat, nimmt sie Sethe nach und nach alles, was sie noch besitzt, einschließlich ihres Verstandes.
Via diesen oftmals mysteriösen, schwer verdaulichen Hergang der Geschehnisse wählt „Beloved“ einen ungewohnten Perspektive auf die Schrecken der Sklaverei. Über Generationen hinweg bleiben deren Folgen für die Leiber und Seelen ihrer Opfer akut; sie taugen dazu, deren schlimmste Abgründe als Verzweiflungstaten lichtbar zu machen und sie auch Jahre später noch zu zertrümmern. Sethe glaubt längst, durch ihre entbehrungsreiche Flucht über den Fluss die Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben und in der Lage zu sein, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Doch dem ist mitnichten so. Ihr erzwungener Blutakt hängt ihr in mehrerlei Form nach; sei es als Geist, der ihr Haus bewohnt, als Schuldkomplex, in den Augen ihrer einsamen Tochter Denver oder in allem was da noch kommen mag. Sethe ist nicht frei, auch Jahre später nicht. Ihre Freiheit ist nur eine vergängliche Illusion.

9/10

ATLANTIS, THE LOST CONTINENT

„All nature senses that the end is near…“

Atlantis, The Lost Continent (Atlantis, der verlorene Kontinent) ~ USA 1961
Directed By: George Pal

Der griechische Fischer Demetrios (Sal Ponti) und sein Vater Petros (Wolfe Barzell) lesen eines Tages auf dem Meer die schiffbrüchige Antillia (Joyce Taylor) auf. Diese stellt sich ihnen als Prinzessin von Atlantis vor, die von jenseits des Ozeans käme. Während Petros der hochmütigen Schönen mit gesundem Misstrauen begegnet, verfällt ihr Demetrios. Er lässt sich von Antillia überreden, sie zurück nach Hause zu bringen, nichtsahnend, was ihn dort erwartet. Atlantis erweist sich als Sitz einer Hochkultur, in der die Menschen sich sogar wissenschaftlich sehr weit entwickelt haben. Allerdings basiert ihre Gesellschaft auf einem hoffnungslos tradierten Feudalsystem, das von Sklavenarbeit lebt. Auch Demetrios wird nach seiner Ankunft flugs zur Knochenarbeit im Bergwerk verdonnert, derweil die mittlerweile auch in ihn verliebte Antillia alles versucht, um ihn auszulösen. Doch der machtgierige Statthalter Zaren (John Dall) verfolgt eigene Pläne: Er will mithilfe einer riesigen Energiekanone die gesamte Welt in die Knie zwingen. Dabei schwebt Atlantis selbst längst in höchster Gefahr: unter der Erde brodelt es…

Mit diesem Nachfolger zur wunderbaren Wells-Adaption „The Time Machine“ probierte George Pal wiederum eine phantastische Allegorie auf den Zustand der Welt. Auch „Atllantis, The Lost Continent“ mahnt zur Besinnung auf Okölogie, Frieden und Gleichberechtigung in jedweder Gesellschaft und warnt analog dazu vor den Folgen von rücksichtslosem Raubbau an unseren Erdressourcen, vor machthungrigen Despoten, Kriegstreibern und der vorschnellen Betätigung falscher, roter Knöpfe. Dass er sich dazu teils immens trivialer Mittel bedient [so gibt es einen Forscher (Berry Kroeger), der aus reinem Vergnügen Sklaven in Tiermenschen Marke Dr. Moreau verwandelt] und sein Anliegen dergestalt vorträgt, dass es selbst Kleinkinder verstehen können, gehört zu Pals erfrischender, phantasmagorischer Art des Geschichtenerzählens. So ist „Atlantis“ gleichfalls liebevoll ausgestattet und bunt bebildert, verzichtet weitestgehend auf große Stars, übermäßig teure Effekte oder sonstige Oberflächenwerte und bevorzugt stattdessen eine möglichst unkomplizierte, frische Art der Präsentation, die als ebenso märchenhaft wie kompetent bestehen kann.
Lohnt die Wiederentdeckung!

8/10

LIONHEART

„May this beat always and forever remind you of your vow!“

Lionheart ~ USA/HU 1987
Directed By: Franklin J. Schaffner

Frankreich, um das Jahr 1190: Der junge Ritter Robert Nerra (Eric Stoltz) löst sich von seinem Vater, um zu Richard Löwenherz (Neil Dickson) zu stoßen, der soeben den Dritten Kreuzzug ins Heilige Land antritt. Auf seiner Reise nach Süden begegnet er vielen weiteren Jugendlichen und Kindern, die es aus den unterschiedlichsten Gründen in die weite welt verschlagen hat und die sich insbesondere vor Sklavenhändlern wie dem berüchtigten, bösen „Schwarzen Prinzen“ (Gabriel Byrne) fürchten. Sie alle schließen sich Robert an. Kurz vor dem Treffen mit Löwenherz kommt es zum finalen Duell zwischen Robert und dem Schwarzen Prinzen, an dessen Ende Robert sich einer neuen Agenda besinnt.

Ein recht trauriges Exempel für verschenkte Möglichkeiten, von der Filmhistorie – und solches zu konstatieren trifft mich selbst hart – zu Recht vergessen. In seiner vorletzten Regiearbeit begibt sich der alternde Franklin J. Schaffner ein zweites Mal, ganze siebenundzwanzig Jahre nach dem sehr gelungenen „The War Lord“, ins finstere mediävistische Milieu. Die Geschichte des im Jahre 1212 stattgefundenen Kinderkreuzzuges beeinflusste offenbar auch die von „Lionheart“, rückte sie allerdings chronologisch zurück und verquickte sie mit dem rund zwei Dekaden zuvor anzusiedelnden Engagement König Löwenherz‘ betreffs der Kreuzzüge. In die Hauptrolle setzt man einen jungen Ritter mit nicht vollends begreiflicher Motivation [er flieht entsetzt, nachdem sein Onkel (Nicholas Clay), der sich zuvor bereits dem englischen König anschließen wollte, auf dem Schlachtfeld gefallen ist] und dessen Ziel im Grunde den ganzen Filmen über im Trüben wabert. Etliche vielversprechende und schöne Mosaiksteine säumen „Lionheart“, darunter die seherischen Fähigkeiten eines geheimnisvollen Mädchens (Nicola Cowper), oder die Idee mit den tuberkulösen Waisenkindern in den Katakomben unter Paris. Jerry Goldsmiths pompöser Score indes plustert den Film zu visuell wie atmosphärisch uneinlösbaren Sphären auf und wirkt damit hoch eklektisch. Die größte Crux von „Lionheart“ jedoch liegt darin, sich, vermutlich unbewusst, zwischen alle Stühle zu setzen: bald den Atavismus des Mittelalters beschwörend, dann wieder liebäugelnd mit dem klassischen Ritterfilm, schließlich nach Zugeständnissen suchend, um sich dem zeitgenössisch-familiär orientierten Blockbusterkino der Mitt- bis Spätachtziger anzuschließen. Das Resultat ist ein in unbefriedigender, weil unausgeglichener Schwebe befindliches, leider phasenweise gar uninteressantes Werk, das lediglich für eherne Schaffner-Komplettisten oder Mittelalter-Allesseher noch von Restbedeutung sein dürfte.

4/10

COBRA VERDE

„Auf unseren Ruin!“

Cobra Verde ~ BRD/GH 1987
Directed By: Werner Herzog

Brasilien, im frühen 19. Jahrhundert. Der gefürchtete Desperado Francisco Manoel Da Silva, genannt ‚Cobra Verde‘ (Klaus Kinski) lässt sich von dem feisten Zuckerrohrbaron Don Octavio Coutinho (José Lewgoy) anheuern, um dessen Plantagensklaven zu beaufsichtigen. Nachdem er jedoch die drei aufdringlichen, minderjährigen Töchter Don Coutinhos geschwängert hat, ist dieser plötzlich alles andere als gut auf seinen neuen Aufseher zu sprechen. Zusammen mit dem Gouverneur von Bahia (Carlos Mayolo) heckt er einen Plan aus, Da Silva loszuwerden: Er soll an die Westküste Afrikas überschiffen, um dort den Sklavenhandel mit dem kleinen Land Dahomey zu reaktivieren, dessen König (Nana Agyefi Kwame II) jedoch offenkundig wahnsinnig ist. Mit Da Silvas baldigem Tod wäre demnach zu rechnen. Tatsächlich gelingt es jenem aber, erste Handlungsbeziehungen zu knüpfen, bis der König sich entschließt, den Emporkömmling doch noch abzuservieren. Der aufbegehrende Neffe des Königs verhilft Da Silva jedoch zur Flucht, die dieser wiederum nutzt, um eine Amazonenarmee aufzustellen und zu trainieren, die den König entthronen soll. Da Silvas Plan geht auf und er wird zum Vizekönig ernannt. Nach der Einstellung des Sklavenhandels von brasilianischer Seite wird jedoch zugleich auch Da Silvas Funktion nutzlos. Er verliert sämtliche Privilegien und ertränkt sich in der Brandung des Atlantik.

Im Interview mit Laurens Straub gibt Herzog freimütig zu, dass „Cobra Verde“ seine letzte Zusammenarbeit mit Kinski sein musste, weil ihre künstlerische Kommunikation hier zu ihrem Definitum gekommen sei. Kinski, der, wenn man so will, ja bereits Kurs auf sein frühes Lebensende nahm, sei mittlerweile immer unzugänglicher und noch launischer als zuvor geworden und zudem schlecht auf Herzog zu sprechen gewesen, weil dieser sich beharrlich weigerte, Kinskis „Paganini“-Projekt zu inszenieren. Während des Drehs sei Kinski darüber hinaus häufig abwesend und für seine Verhältnisse enttäuschend unkonzentriert zu Werke gegangen, da er wohl in Gedanken permanent mit seinem „Paganini“ beschäftigt gewesen wäre. Nun ist die „Schuld“ daran, dass „Cobra Verde“ als finale Kollaboration der beiden Hassliebenden zugleich auch ihre – mit Abstand – schwächste ist, beileibe nicht allein dem Hauptdarsteller, geschweige denn der abflauenden Chemie zwischen ihm und Herzog zuzuschreiben, sondern auch diversen anderen Faktoren. Herzog ist ein erklärter Liebhaber des der Geschichte zugrunde liegenden Romans („The Viceroy Of Ouidah“) von Bruce Chatwin und hegt auch sonst gewaltige Sympathien für den Literaten und Aussteiger. Ob dies a posteriori bereits eine Romanadaption rechtfertigt, sei dahingestellt. Der Film zeigt sich als unentschlossen in Stil und Aufzug, er beginnt wie eine Art „Pampas-Western“, um sich dann über Umwege dem Sklaverei-Sujet zu widmen, verliert dies dann wiederum aus dem Auge, wenn er von seiner Rebellion gegen einen irrsinnigen, afrikanischen Despoten erzählt. Auch da wird spürbar: Das tiefe interkulturelle Verständnis, das Herzog etwa gegenüber den peruanischen Indios auszeichnet, manifestiert sich in Afrika nie so recht. „Cobra Verde“ wirkt stellenweise befremdlich bis leidenschaftslos und ist geprägt von einer allseitigen Distanz: Distanz zum Hauptdarsteller, zum Stoff, zur Narration, Distanz im Prinzip wohl unbewusst zum gesamten Projekt. Und damit unweigerlich auch von der Distanz zum Zuschauer, die beispielsweise zur Folge hat, dass der Film deutlich länger und ausufernder erscheint, als er es letzten Endes tatsächlich ist. Nun ist selbst ein mittelmäßiger Herzog immer noch sehenswert und sowieso mindestens interessant. Das vergesse man nicht. Zudem ergibt „Cobra Verde“, wenngleich vielleicht etwas herbeigezaubert, ein hübsches companion piece zu Alex Cox‘ „Walker“.
Dennoch war die Erkenntnis des Filmemachers, sich anderen Dingen zuzuwenden denn cineastischen Egomanie-Wettbewerben, bestimmt die psychokreativ sinnhafteste zu jenem Schaffenszeitpunkt. Bis zu Herzogs nächstem Spielfilm gab es zunächst einmal vier Jahre Pause. Nach diesem dann sogar ganze zehn.

7/10